VIa ZR 583/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 583/21 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:040225UVIAZR583.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. September 2021 aufgehoben, soweit das Berufungsgericht die Berufung nicht wegen des Feststellungsantrags über Deliktszinsen zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb im Oktober 2015 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten Mercedes-Benz C 350 CDI AMG Sport mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5).
Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er einerseits den Betrag des begehrten Schadensersatzes wegen weiterer Nutzung des Fahrzeugs reduziert und wegen des entsprechenden Betrages sowie wegen der Deliktszinsen die teilweise Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt, im Übrigen aber seine Klageanträge weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge insoweit weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat im Umfang der Zulassung Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Es fehle sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil das von ihm geltend gemachte Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden zu sein, vom Schutzbereich dieser Vorschriften nicht erfasst sei.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat.
a) Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR
267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
b) Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das Berufungsurteil ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, denn es stellt sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing Möhring Vogt-Beheim F. Schmidt Vorinstanzen: LG Karlsruhe, Entscheidung vom 09.10.2019 - 21 O 64/19 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 22.09.2021 - 6 U 14/20 - Verkündet am: 4. Februar 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle