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IX ZB 8/25

BUNDESGERICHTSHOF IX ZB 8/25 BESCHLUSS vom 15. Mai 2025 in dem Insolvenzverfahren Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:

ja nein ja nein InsO § 6; ZPO § 568 Satz 1, § 547 Nr. 1, § 577 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 Im Beschwerdeverfahren ist die Zivilkammer nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden (Festhaltung BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16, NZI 2017, 991 Rn. 11; vom 22. November 2018 - IX ZB 14/18, NZI 2019, 139 Rn. 10).

InsO § 290 Abs. 1 Nr. 1, § 4c Nr. 1 Bei Verurteilung des Schuldners zu einer Gesamtstrafe wegen einer oder mehrerer Straftaten nach den §§ 283 bis 283c StGB und anderer Straftaten kann weder im Kostenstundungsaufhebungsverfahren noch im Versagungsverfahren eine "fiktive" Gesamtstrafe allein aus den Verurteilungen wegen der Straftaten nach den §§ 283 bis 283c StGB durch das Insolvenzgericht gebildet werden.

BGH, Beschluss vom 15. Mai 2025 - IX ZB 8/25 - LG Deggendorf AG Deggendorf ECLI:DE:BGH:2025:150525BIXZB8.25.0 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, die Richter Röhl, Dr. Schultz, die Richterin Dr. Selbmann und den Richter Weinland am 15. Mai 2025 beschlossen:

Dem Schuldner wird wegen Versäumung der Frist für die Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerdebegründung gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Deggendorf vom 9. Juli 2024 in der Fassung des Beschlusses vom 6. September 2024 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Einzelrichter des Beschwerdegerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Auf Antrag des Schuldners ist diesem am 12. Dezember 2023 Verfahrenskostenstundung bewilligt, über sein Vermögen am 13. Dezember 2023 das Insolvenzverfahren eröffnet und die weitere Beteiligte zur Insolvenzverwalterin bestellt worden. In dem Antrag auf Verfahrenskostenstundung vom 7. November 2023 erklärte der Schuldner, dass er in den letzten fünf Jahren vor seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 30. November 2023 oder danach nicht wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden sei. Durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 6. April 2023 war der Schuldner wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit vier tatmehrheitlichen Fällen des Bankrotts zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt worden. Die Einzelstrafen betrugen für die Insolvenzverschleppung 130 Tagessätze und für die vier Fälle des Bankrotts jeweils 70 Tagessätze.

Das Amtsgericht hob mit Beschluss vom 2. Mai 2024 die Verfahrenskostenstundung auf. Zur Begründung führte es aus, der Schuldner habe vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben zu Umständen gemacht, die für die Eröffnung des Verfahrens oder die Stundung maßgebend seien, indem er eine Bankrottstraftat verschwiegen habe. Im Rahmen der dagegen am 17. Mai 2024 eingelegten sofortigen Beschwerde hat der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners im Schriftsatz vom 1. Juli 2024 vorgetragen, die Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe in einem Verfahren über die Versagung der Restschuldbefreiung decke sich nicht mit dem Wortlaut des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO, und er hat insoweit gegebenenfalls die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch die Kammer angeregt. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 4. Juli 2024 die sofortige Beschwerde nach Nichtabhilfe dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Mit Beschluss vom 9. Juli 2024 hat das Beschwerdegericht (Einzelrichterin) die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Der Beschluss enthält keine Ausführungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Gegen den mit Verfügung vom 9. Juli 2024 formlos übermittelten, dem Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners am 11. Juli 2024 zugegangenen Beschluss hat dieser am 23. Juli 2024 im Wege der "Gegenvorstellung/Anhörungsrüge" um Überprüfung der Entscheidung und Zulassung der Rechtsbeschwerde gebeten. Auf die Vorlageverfügung der Einzelrichterin hat die Zivilkammer durch Beschluss vom 3. September 2024 das Verfahren übernommen. Durch Beschluss vom 6. September 2024 hat sie auf die Anhörungsrüge den Beschluss vom 9. Juli 2024 dahingehend abgeändert, dass die Rechtsbeschwerde zugelassen wird. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Senat hat der Schuldner Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts eingelegt, mit welcher er die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehrt.

II.

Dem Schuldner ist wegen der Versäumung der Frist für die Rechtsbeschwerde und für die Rechtsbeschwerdebegründung gemäß § 236, § 233 Satz 1, § 234 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Fristen gehindert war und nach Behebung des Hindernisses durch Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtzeitig Wiedereinsetzung beantragt und die Rechtsbeschwerde eingelegt und begründet hat.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist für den Senat bindend (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch die Kammer ist unabhängig davon wirksam, ob - was hier nicht der Fall ist - eine Übertragungsentscheidung des originär zuständigen Einzelrichters im Sinne von § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO vorliegt. An eine unter Verstoß gegen § 568 Satz 2 ZPO erfolgte Zulassung ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gleichwohl gebunden (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19, BGHZ 225, 252 Rn. 21 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil das Beschwerdegericht - was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist - unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den originär zuständigen Einzelrichter, sondern trotz einer nicht (wirksam) erfolgten Übertragung des Verfahrens gemäß § 568 Satz 2 ZPO durch die Kammer entschieden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - VIII ZB 75/23, NJW-RR 2024, 800 Rn. 8 mwN).

a) Gemäß § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Hier hat über die Aufhebung der Verfahrenskostenstundung in erster Instanz der Rechtspfleger entschieden. In einem solchen Fall ist die Kammer nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung gemäß § 568 Satz 2 ZPO das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung überträgt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16, NZI 2017, 991 Rn. 10; vom 23. April 2024 - VIII ZB 75/23, NJW-RR 2024, 800 Rn. 9 mwN).

b) An einem entsprechenden Beschluss der Einzelrichterin fehlt es hier. Vielmehr hat die Einzelrichterin die Akte mit Verfügung vom 5. August 2024 dem Kammervorsitzenden zur Prüfung vorgelegt, ob das Verfahren von der Kammer übernommen werden soll. Daraufhin hat die Kammer mit Beschluss vom 3. September 2024 das Verfahren übernommen, das heißt auf sich selbst zur Entscheidung übertragen. Das ist verfahrensfehlerhaft. Die Kammer ist - abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall, dass die Zuständigkeit des Einzelrichters (ausnahmsweise) zweifelhaft ist - nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2018 - IX ZB 14/18, NZI 2019, 139 Rn. 10). Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil nach § 568 Satz 2 ZPO die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen, in die alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters fällt (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16, NZI 2017, 991 Rn. 11; vom 23. April 2024 - VIII ZB 75/23, NJW-RR 2024, 800 Rn. 10 mwN). Da das Beschwerdegericht zu Unrecht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat, war es nicht vorschriftsmäßig besetzt, was gemäß

§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1 ZPO einen absoluten Rechtsbeschwerdegrund darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2018, aaO Rn. 12).

IV.

Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben; sie ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht - Einzelrichter - zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Die vom Schuldner erhobene Rüge nach § 321a ZPO ist - was das Rechtsmittelgericht zu prüfen hat (BGH, Urteil vom 14. April 2016 - IX ZR 197/15, NJW 2016, 3035 Rn. 10) und wie die in Ermangelung einer wirksamen Übertragung unzuständige Kammer beanstandungsfrei angenommen hat - zulässig und begründet. Die zulässige und begründete Rüge nach § 321a ZPO führt dazu, dass der Einzelrichter das Verfahren fortzuführen hat (§ 321a Abs. 5 Satz 1 ZPO). Dabei wird das Verfahren gemäß § 321a Abs. 5 Satz 2 und 4 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der es sich in dem Zeitpunkt befand, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können (vgl. BeckOK-ZPO/Bacher, 2025, § 321a Rn. 67 f). Der Einzelrichter wird daher vor einer Sachentscheidung zu entscheiden haben, ob er das Verfahren auf die Kammer überträgt. Der Senat weist daraufhin, dass sich der Entscheidungsausspruch in der Sache im Falle der Fortsetzung des Verfahrens aufgrund einer zulässigen und begründeten Rüge nach § 321a Abs. 5 Satz 3 ZPO in Verbindung mit § 343 ZPO richtet; dies ist mit der Wirkung eines zulässigen Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil vergleichbar (vgl. BeckOKZPO/Bacher, aaO Rn. 67).

2. Auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanzen ist die Aufhebung der Verfahrenskostenstundung nicht gerechtfertigt. Das Gericht kann gemäß § 4c Nr. 1 InsO die Stundung aufheben, wenn der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben über Umstände gemacht hat, die für die Stundung maßgebend sind. Der Schuldner hat dem Stundungsantrag gemäß § 4a Abs. 1 Satz 3 InsO eine Erklärung beizufügen, ob ein Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegt. Liegt ein solcher Grund vor, ist nach § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO eine Stundung ausgeschlossen. Die Verfahrenskostenstundung ist überdies gemäß § 4c Nr. 5 InsO aufzuheben, wenn ein Versagungsgrund für die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 InsO zweifelsfrei vorliegt (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - IX ZB 259/09, NZI 2010, 948 Rn. 13). Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Restschuldbefreiung unter anderem zu versagen, wenn der Schuldner in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag wegen einer Straftat nach §§ 283 bis 283c StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen verurteilt worden ist.

3. Die Fragen, ob es für die Erheblichkeitsschwelle des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO beim Vorliegen mehrerer Straftaten auf die jeweilige Einzelstrafe oder die Gesamtstrafe ankommt und ob beim Zusammentreffen von Straftaten nach §§ 283 bis 283c StGB mit anderen Straftaten aus den Katalogtaten durch das Insolvenzgericht eine fiktive Gesamtstrafe zu bilden und zu berücksichtigen ist, sind bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Der in der angefochtenen Entscheidung als Beleg zitierte Senatsbeschluss befasst sich mit dieser Frage nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010 - IX ZB 180/09, NZI 2010, 349 Rn. 8 ff, zu § 290 InsO aF).

a) Das Schrifttum nimmt - wie das Beschwerdegericht - teilweise an, wenn eine Verurteilung des Schuldners auch wegen anderer als der in § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO genannten Straftaten erfolgt und eine Gesamtstrafe gebildet worden sei oder einzelne Verurteilungen erfolgt seien und eine Gesamtstrafe noch nicht gebildet worden sei, habe das Insolvenzgericht hinsichtlich der einbezogenen oder der einzubeziehenden Insolvenzstraftaten eine fiktive Gesamtstrafe zu bilden (Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 290 Rn. 38; Jaeger/Preuß, InsO, § 290 Rn. 47; Ahrens, ZAP 2014, 1387, 1393; vgl. auch OLG Celle NZI 2001, 314, 316).

b) Nach der Gegenauffassung kommt es bei einer Verurteilung zu einer Gesamtstrafe nur auf die Einzelstrafe an, die wegen der Insolvenzstraftat verhängt worden ist (Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 6. Aufl., § 290 Rn. 3; HK-InsO/ Waltenberger, 11. Aufl., § 290 Rn. 8; Wenzel in Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 290 Rn. 32; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2012, 558, 563).

c) Richtigerweise ist zu unterscheiden. Die Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe aus einschlägigen Einzeltaten durch das Insolvenzgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen und läuft dem Zweck des Gesetzes sowie den berechtigten Interessen des Schuldners zuwider. Abzustellen ist allein auf die von den Strafgerichten tatsächlich verhängten Strafen. Danach sind die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO in drei Fällen erfüllt: Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten erfolgte wegen einer einzelnen Straftat nach §§ 283 bis 283c StGB. Hat das Strafgericht den Schuldner wegen mehrerer Straftaten zu einer Gesamtstrafe verurteilt, genügt es, wenn das Strafgericht im Rahmen der Festsetzung der Gesamtstrafe eine entsprechend hohe Einzelstrafe für auch nur eine Straftat nach §§ 283 bis 283c StGB festgesetzt hat. Schließlich kann auch eine Verurteilung durch ein Strafgericht zu einer Gesamtstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten ausreichen, wenn in diese Gesamtstrafe ausschließlich Einzelstrafen wegen Straftaten nach den §§ 283 bis 283c StGB eingeflossen sind.

aa) Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO in der Fassung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) ist die Restschuldbefreiung durch Beschluss zu versagen, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist und wenn der Schuldner in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist. Nach dem Gesetzeswortlaut und den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 17/11268, S. 26) ist auf die Verurteilung zu "einer“ (erheblichen) Geldstrafe abzustellen. Gemäß § 53 Abs. 1 StGB wird auf eine Gesamtstrafe erkannt, wenn jemand mehrere Straftaten begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt. Auch die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe gemäß § 55 Abs. 1 StGB setzt mehrere realkonkurrierende Straftaten voraus (vgl. MünchKomm-StGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Aufl., § 55 Rn. 2).

bb) Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO war von vorneherein so gefasst, dass das Insolvenzgericht nicht mit der Aufgabe belastet werden sollte, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Straftat nachzuprüfen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 190). Diese Belastung wäre bei der Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe nicht geringer. Im Strafrecht schreibt § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB bei der Bildung einer Gesamtstrafe die zusammenfassende Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten vor, was auch für die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe gilt (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB). Von diesen Erfordernissen könnte ohne eine sachlich nicht zu rechtfertigende Schlechterstellung des Schuldners bei der Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe durch das Insolvenzgericht nicht abgesehen werden.

cc) Schließlich stellte es eine für den Schuldner nicht mehr hinnehmbare Rechtsunsicherheit dar, wenn die Richtigkeit seiner Erklärung und die Entscheidung über die Verfahrenskostenstundung von einer durch das Insolvenzgericht erst noch zu bildenden fiktiven Gesamtstrafe abhingen. Der Schuldner hat bei seinem Antrag auf Verfahrenskostenstundung im Regelfall - und so auch hier eine formularmäßige, am Wortlaut des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgerichtete Erklärung abzugeben. Im Zeitpunkt der Antragstellung wäre für ihn nicht abzusehen, zu welchem Ergebnis das Insolvenzgericht bei einer etwaigen Ermessensentscheidung gelangen würde.

Schoppmeyer Selbmann Röhl Weinland Schultz Vorinstanzen: AG Deggendorf, Entscheidung vom 02.05.2024 - 1 IK 163/23 LG Deggendorf, Entscheidung vom 06.09.2024 - 12 T 88/24 -

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18 283 StGB
10 290 InsO
8 568 ZPO
5 321 ZPO
4 4 InsO
3 574 ZPO
2 55 StGB
1 101 GG
1 53 StGB
1 54 StGB
1 233 ZPO
1 234 ZPO
1 236 ZPO
1 343 ZPO
1 547 ZPO
1 576 ZPO
1 577 ZPO

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