XI ZB 3/17
BUNDESGERICHTSHOF XI ZB 3/17 BESCHLUSS vom 20. Juni 2017 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2017:200617BXIZB3.17.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Joeres, Maihold und Dr. Matthias sowie die Richterin Dr. Menges am 20. Juni 2017 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. Dezember 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der Streithelferin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: bis zu 140.000 €.
Gründe: I.
Die Klägerin nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung eines Fremdwährungsdarlehensvertrages in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage durch am 20. November 2015 zugestelltes Urteil abgewiesen. Dagegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, eine u.a. aus den Rechtsanwälten R. und Dr. S. bestehende Rechtsanwaltspartnerschaft mbH, am Montag, den 21. Dezember 2015, Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist am 22. Februar 2016 fristgerecht begründet. Die Berufungsschrift ist mit einer nicht lesbaren Unterschrift versehen. Darunter befindet sich der maschinenschriftliche Zusatz "RA. Dr. S. , Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht".
Nachdem die Beklagte Zweifel an der formgerechten Einlegung der Berufung geäußert hatte, teilte die Klägerin mit, dass die Unterschrift von Rechtsanwalt R.
stamme. Sie beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil die vorliegende Unterschriftspraxis bereits seit mehreren Jahren unbeanstandet geübt worden sei.
Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es, auch unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 19. September 2016, ausgeführt, es könne dahinstehen, inwieweit es sich bei der Unterschrift unter der Berufungsschrift nach der konkreten Art der Ausführung um einen den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügenden und die Identität des Unterzeichnenden hinreichend kennzeichnenden Schriftzug handele. Jedenfalls scheitere eine formwirksame Einlegung des Rechtsmittels daran, dass die Unterschrift von Rechtsanwalt R. geleistet worden sei, der maschinenschriftliche Zusatz hingegen auf
"RA. Dr. S. " verweise, ohne deutlich zu machen, dass Rechtsanwalt R.
in Vertretung des Rechtsanwalts Dr. S.
unterschrieben habe.
Sei der Schriftsatz nicht von der im maschinenschriftlichen Zusatz am Ende des Schriftsatzes angegebenen Person unterzeichnet, so sei dies etwa durch den Zusatz "i.V." klarzustellen. Eine solche Klarstellung fehle. Sinn und Zweck der eigenhändigen Unterschrift sei es, denjenigen, der die Verantwortung für den Schriftsatz übernehme, unmittelbar identifizieren zu können. Bei der in der Kanzlei der Klägervertreter über Jahre hinweg praktizierten Kombination abweichender hand- und maschinenschriftlicher Unterschriften sei jedoch bei Eingang der Berufungsschrift beim Rechtsmittelgericht nicht ohne weiteres erkennbar, dass eine Diskrepanz bestehe und Ermittlungen hinsichtlich der unterzeichnenden Person erforderlich sein könnten. Der Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet und unbegründet. Auf einen Vertrauensschutz könne die Klägerin sich nicht berufen, weil nicht ersichtlich sei, dass Berufungsgerichte in der Vergangenheit die fragliche Diskrepanz erkannt und eine Berufung gleichwohl für zulässig gehalten hätten.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung fehle, verletzt die Klägerin in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO Wirksamkeitsvoraussetzung für eine rechtzeitige Berufungsschrift. Damit soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. November 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 12 und vom 14. März 2017 - XI ZB 16/16, WM 2017, 831 Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709, vom 22. November 2005 - VI ZB 75/04, VersR 2006, 387 Rn. 5 und vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 6; jeweils mwN).
2. An diesen Grundsätzen gemessen ist vorliegend eine formgerechte Berufungsschrift eingereicht worden.
a) Der entsprechende Schriftsatz ist - was der erkennende Senat selbst festzustellen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 13) - mit einem individuellen, nicht nur als Handzeichen oder Paraphe anzusehenden, sondern den Anforderungen an eine Unterschrift genügenden handschriftlichen Schriftzug unterzeichnet (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737, vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775 und vom 16. September 2010 - IX ZB 13/10, NZI 2011, 59 Rn. 6).
b) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass dieser Schriftzug von Rechtsanwalt R.
herrührt, bei dem es sich um einen bei dem Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt handelt. Zwar ist dies erst nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist mitgeteilt worden, so dass für das Berufungsgericht bis dahin nicht erkennbar war, welcher Rechtsanwalt unterschrieben hat. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn für die Prüfung der Frage, ob die Identität und die Postulationsfähigkeit des Unterzeichners eines derartigen Schriftsatzes feststeht bzw. erkennbar ist, ist nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist, sondern auf den der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 83/10, MDR 2012, 796 Rn. 11 und vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 10).
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert die formwirksame Einlegung der Berufung nicht daran, dass der Unterschrift von Rechtsanwalt R.
der maschinenschriftliche Zusatz "RA. Dr. S. ,
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht" beigefügt worden ist (vgl. Senat,
Beschluss vom 14. März 2017 - XI ZB 16/16, WM 2017, 831 Rn. 10). Dieser Zusatz macht lediglich deutlich, dass die Berufungsschrift von diesem Rechtsanwalt erstellt worden ist. Auch wenn ein ausdrücklicher Zusatz, "für" diesen tätig zu werden, fehlt, lässt sich hier der Unterzeichnung durch einen anderen Rechtsanwalt gleichwohl entnehmen, dass er an dessen Stelle die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats der Klägerin auftreten wollte
(vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 11). Damit hat er zu erkennen gegeben, dass er zugleich die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsschrift übernehmen wollte. Anhaltspunkte, die dem entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Für einen Rechtsanwalt versteht es sich im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen (vgl. BGH,
Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 192/02, NJW 2003, 2028; Beschluss vom
26. Juli 2012, aaO) und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu werden (vgl.
für den Zusatz "i.A." BGH, Beschlüsse vom 5. November 1987 - V ZR 139/87,
NJW 1988, 210, vom 27. Mai 1993 - III ZB 9/93, NJW 1993, 2056, 2057 und vom 7. Juni 2016 - KVZ 53/15, NJW-RR 2016, 1336 Rn. 5).
3. Ist danach die Unterschrift unter die Berufungsschrift in diesem Sinne von Rechtsanwalt R.
geleistet worden, durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden. Die Klägerin hat die Berufung vielmehr rechtzeitig und formgerecht eingelegt, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nicht mehr zu entscheiden.
Ellenberger Matthias Joeres Menges Maihold Vorinstanzen: LG Bonn, Entscheidung vom 18.11.2015 - 2 O 360/14 OLG Köln, Entscheidung vom 27.12.2016 - 13 U 278/15 -