Paragraphen in 17 W (pat) 48/15
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 48/15 Verkündet am 24. Oktober 2017
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2011 002 835.8 - 53 …
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel BPatG 154 05.11 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. September 2015 aufgehoben und die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 18. Januar 2011 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter Inanspruchnahme der Priorität einer US-Voranmeldung vom 19. Januar 2010 in englischer Sprache eingereicht. Sie trägt in der deutschen Übersetzung die Bezeichnung:
„System und Verfahren zur Bildschirmmanipulation unter Verwendung einer haptisch befähigten Steuerung“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 16. September 2015 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs des (damals geltenden) Hauptantrags wie auch der Hilfsanträge 1 bis 4 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei, da er durch die Druckschrift D1 (s. u.) nahegelegt sei. Bei den Hilfsanträgen 1 und 3 wurde unter Bezug auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch geltend gemacht, dass das jeweilige Unterschiedsmerkmal zum übergeordneten Antrag bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sei.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Sie führt aus, dass die Prüfungsstelle die Auslegung des Offenbarungsgehaltes des Dokuments D1 mit Kenntnis der Erfindung vorgenommen habe. In der D1 werde zwar die Möglichkeit der Detektion unterschiedlicher Intensitäten der Berührung bzw. der Geschwindigkeit beim Streichen über die berührungsempfindliche Oberfläche des Eingabegeräts beschrieben, jedoch sei der D1 weder explizit noch implizit eine Mehrzahl an taktilen Rückmeldungen an den Benutzer über eine haptische Vorrichtung zu entnehmen noch die Verwendung eines solchen Systems im Fahrzeugbereich. Die D1 offenbare hierzu lediglich eine Abgrenzung der einzelnen Segmente durch eine Strukturierung beispielsweise in Form von elektrisch anregbaren Membranen. Damit betreffe das Dokument D1 einen entfernt liegenden Stand der Technik, der mit dem vorliegenden Erfindungsgegenstand insgesamt nur wenige Gemeinsamkeiten zeige. Insofern habe der Fachmann ausgehend vom Stand der Technik, wie dieser im Dokument D1 offenbart wird, keinerlei Veranlassung gehabt, zum erfindungsgemäßen Gegenstand zu gelangen.
Ferner beruhten die Ausführungen der Prüfungsstelle zur Entscheidung BGH X ZR 121/11 (dort insbes. Absatz 28: Beispiele für die Lösung eines technischen Problems durch Datenverarbeitungsprogramme) auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Ausschlusstatbestand greife nicht ein, wenn die beanspruchte Lehre Anweisungen enthalte, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienten. Eine solche Lehre sei jedoch vorliegend gegeben, denn das Merkmal, dass die erste taktile Rückmeldung einer Manipulation der Steuerung Widerstand entgegensetzt, weise einen technischen Bezug auf.
Der Senat hat zum Stand der Technik noch auf die Druckschriften D5, D6 und D7 (s. u.) hingewiesen. Die Anmelderin hat ihr Patentbegehren daraufhin weiter eingeschränkt und dazu erläutert, sie sehe das wesentliche Merkmal der Erfindung nunmehr darin, dass die haptische Vorrichtung – und damit auch der Wirkungsort der haptischen Rückmeldung – von der Steuerung, d. h. vom Eingabe-Element beabstandet sein solle. Eine solche Lehre sei dem im Verfahren genannten Stand der Technik nicht zu entnehmen.
Die Anmelderin stellt den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 17, überreicht in der mündlichen Verhandlung, noch anzupassende Beschreibung Seiten 1 bis 10 und 3 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 3, jeweils vom 24. Januar 2011.
Die geltenden unabhängigen Patentansprüche 1, 8 und 15 lauten (mit Kennzeichnung der Unterschiede zu den ursprünglichen Patentansprüchen 1, 10 und 18, soweit es sich nicht lediglich um hinzugefügte Bezugszeichen handelt; mit der Korrektur eines offensichtlichen Fehlers im Anspruch 15 durch Ergänzung von „beabstandet ist“; und beim Anspruch 1 mit einer Merkmalsgliederung angelehnt an die Gliederung im Zurückweisungsbeschluss):
(a) 1. Schnittstellensystem (10), umfassend:
(b) eine Anzeige (14) mit einem Rollbereich (24) und einem Cursor (26), die darauf dargestellt sind;
(c) eine Steuerung (12) zum Manipulieren einer Position des Cursors (26) auf der Anzeige (14) und
(d) eine haptische Vorrichtung (20) zum Erzeugen einer Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen an einen Benutzer durch die Steuerung (12), wobei die haptische Vorrichtung (20) von der Steuerung (12) beabstandet ist,
(e) wobei eine Bewegung des Cursors (26) über eine Randkante (32) des Rollbereichs (24) der Anzeige (14) dazu führt, dass die haptische Vorrichtung (20) eine erste taktile Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die einen Rollmodus darstellt, und
(f) wobei eine Bewegung des Cursors (26), während der Cursor (26) innerhalb des Rollbereichs (24) der Anzeige (14) positioniert ist, dazu führt, dass die haptische Vorrichtung (20) eine zweite taktile Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die eine Rollgeschwindigkeit einer visuellen Rückmeldung darstellt, die auf der Anzeige (14) dargestellt ist,
(g) wobei die Anzeige (14) ein vom Benutzer auswählbares Element (22) darauf darstellt und
(h) wobei das vom Benutzer auswählbare Element (22) eine ausführbare Funktion eines Fahrzeugsystems (19) darstellt.
8.10. Schnittstellensystem (10), umfassend:
eine Anzeige (14) mit einem Rollbereich (24), einem Cursor (26) und einem vom Benutzer auswählbaren visuellen Element (22), die darauf dargestellt sind; eine Steuerung (12) zum Beeinflussen einer Position des Cursors (26) auf der Anzeige (14), und eine haptische Vorrichtung (20) zum Erzeugen einer Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen an einen Benutzer durch die Steuerung (12), wobei die haptische Vorrichtung (20) von der Steuerung (12) beabstandet ist,
wobei eine Bewegung des Cursors (26) in den Rollbereich (24) der Anzeige (14) dazu führt, dass die haptische Vorrichtung (20) eine erste taktile Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die einen Eintritt in den Rollbereich (24) darstellt,
wobei eine Bewegung des Cursors (26), während der Cursor (26) innerhalb des Rollbereichs (24) der Anzeige (14) positioniert ist, dazu führt, dass die haptische Vorrichtung (20) eine zweite taktile Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die eine Rollgeschwindigkeit einer visuellen Rückmeldung darstellt, die auf der Anzeige (14) dargestellt ist,
und wobei eine Bewegung des Cursors (26) aus dem Rollbereich (24) der Anzeige (14) dazu führt, dass die haptische Vorrichtung (20) eine dritte taktile Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die einen Austritt des Cursors (26) aus dem Rollbereich (24) darstellt und wobei das vom Benutzer auswählbare visuelle Element (22) eine ausführbare Funktion eines Fahrzeugsystems (19) darstellt.
15.18. Verfahren zum Manipulieren einer Anzeige (14), wobei das Verfahren die folgenden Schritte umfasst:
Darstellen eines Rollbereichs (24), eines Cursors (26) und eines vom Benutzer auswählbaren Elements (22) auf der Anzeige (14), wobei das vom Benutzer auswählbare visuelle Element (22) eine ausführbare Funktion eines Fahrzeugsystems (19) darstellt; Bereitstellen einer Steuerung (12) zum Beeinflussen einer Position des Cursors (26) auf der Anzeige (14),
Bereitstellen einer haptischen Vorrichtung (20) zum Erzeugen einer Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen an einen Benutzer, wobei die haptische Vorrichtung (20) von der Steuerung (12) beabstandet ist,
Erzeugen einer ersten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen als Reaktion auf eine Bewegung des Cursors (26) über eine Randkante (32) des Rollbereichs (24); Erzeugen einer zweiten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen als Reaktion auf eine Bewegung des Cursors (26) über das vom Benutzer auswählbare Element (22); Erzeugen einer dritten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen als Reaktion auf eine Auswahl des vom Benutzer auswählbaren Elements (22); Erzeugen einer vierten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen, die eine Rollgeschwindigkeit einer visuellen Rückmeldung darstellt, die auf der Anzeige (14) dargestellt ist.
Zu den Unteransprüchen 2 bis 7, 9 bis 14 und 16, 17 wird auf die Akte verwiesen.
Als zugrundeliegende Aufgabenstellung ist der Anmeldung sinngemäß zu entnehmen, ein Schnittstellensystem für ein Fahrzeugsystem und ein Verfahren zum Manipulieren einer Anzeige dieses Schnittstellensystems zu entwickeln, wobei das Schnittstellensystem eine haptisch befähigte Steuerung zum Bereitstellen einer taktilen Rückmeldung an einen Benutzer während der Manipulation der Anzeige umfasst, um dadurch die direkte visuelle Aufmerksamkeit zu verringern, die erforderlich ist, um auf das Schnittstellensystem zuzugreifen (vgl. Offenlegungsschrift Abs. [0003] / [0004] und Abs. [0017] / [0018]).
II.
Die rechtzeitig eingegangene und auch sonst zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß PatG § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3.
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Eingabe-System zur Bedienung von Funktionen im Kraftfahrzeug, mit einer „haptischen Vorrichtung“ zur Erzeugung von „taktilen Rückmeldungen“.
Der Ausdruck „taktile Rückmeldung“ wird in der Patentliteratur unterschiedlich verwendet. Gemeint ist in jedem Fall eine für den Benutzer fühlbare („haptische“, „taktile“) Information. Im einfachsten Fall kann das bereits eine passive, statische Information sein, wie z. B. ein fühlbarer Druckpunkt bei Eingabetasten. Im vorliegenden Fall ist jedoch (und bekanntlich stellt eine Anmeldung hinsichtlich der verwendeten Begriffe „ihr eigenes Lexikon“ dar, vgl. BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube) unter einer „taktilen Rückmeldung“ eine fühlbare Ausgabe eines bedienten Systems in spezifischer Reaktion auf eine Bedienhandlung, also eine echte Rückmeldung über den Empfang der Bedienhandlung zu verstehen, siehe Offenlegungsschrift z. B. Absatz [0005], Abs. [0021] bis [0023].
Es war auch schon vor dem Prioritätstag der Anmeldung allgemein bekannt, dass derartige „taktile Rückmeldungen“ eine üblicherweise visuell vorgenommene Bedienung vereinfachen können, weil sie den Grad der nötigen visuellen Aufmerksamkeit für das bediente System verringern oder ganz ersetzen, indem sie Reaktionen bzw. Rückmeldungen (wie z. B. eine Bestätigung für eine erfolgte Eingabe) durch eine andere (nicht-visuelle) Sinneswahrnehmung übermitteln. Typische taktile Reize, die als „taktile Rückmeldungen“ eingesetzt werden, sind Vibrationen, evtl. mit unterschiedlicher Frequenz, oder kurze Stöße, aber auch Kräfte, die eine Bewegung eines Bedien-Elementes in bestimmte Richtungen erschweren oder erleichtern (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0024], [0025]; vgl. auch die Entgegenhaltung D2, dort Absätze [0161] bis [0163]).
Unter dem Begriff „haptische Vorrichtung“ versteht die Anmelderin eine steuerbare Vorrichtung, welche Kräfte oder Einwirkungen auf den Benutzer erzeugt, die vom Benutzer als taktile Rückmeldungen empfunden werden. Dabei soll die anmeldungsgemäße „haptische Vorrichtung“ mehrere unterschiedliche Arten von Rückmeldungen erzeugen können, so dass jede der taktilen Rückmeldungen dem Benutzer eine unterschiedliche Empfindung vermittelt (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0016]).
Die Anmeldung ist nunmehr mit drei unabhängigen Patentansprüchen auf unterschiedliche Detaillierungsstufen für taktile Rückmeldungen einer Cursor-Steuerung zur Auswahl von Funktionen eines Fahrzeugsystems gerichtet. Als Beispiel nennt die Anmeldung eine Textliste von Mediendateien, auf die selektiv zugegriffen werden kann, um eine Medienausgabe, wie beispielsweise eine Video- oder Audioausgabe, zu erzeugen (Absatz [0018]). Dazu können etwa die einzelnen MedienTitel als Auswahl-Felder auf einer Anzeige in der Mittelkonsole des Fahrzeugs dargestellt werden, und der Benutzer steuert, zum Beispiel mit einem Joysticks, einen Cursor auf ein Auswahlfeld, um die Wiedergabe der zugeordneten Mediendatei zu starten (siehe Figur 1, Figur 2 und zugehörige Beschreibung). Weil i. d. R. wesentlich mehr Mediendateien verfügbar sind, als auf einem Anzeige-Bildschirm dargestellt werden können, ist ein „Rollbereich“ 24 vorgesehen; dort kann der Positionsindikator 28 auf einem Rollbalken 30 mittels des Cursors in an sich bekannter Weise verschoben werden, um den dargestellten Bereich von Medien-Titeln zu verschieben (Absatz [0019] / Figur 2).
In der geltenden Anspruchsfassung ist den drei unabhängigen Patentansprüchen 1, 10 und 15 das Merkmal gemeinsam, dass „die haptische Vorrichtung (20) von der [Cursor-] Steuerung (12) beabstandet ist“. Wie die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, geht dieses Merkmal über die Festlegung einer rein räumlichen Positionierung allein noch hinaus: denn aus dem räumlichen Abstand zum Eingabeelement (d. h. zur Cursor-Steuerung 12) resultiert auch, dass die fühlbare Rückmeldung nicht auf das Eingabeelement wirkt bzw. nicht über dieses wahrgenommen wird, sondern an einer andren Stelle auf den Benutzer einwirkt.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, für eine Steuerung von Fahrzeugfunktionen mittels Joystick und auf einem Fahrzeugbildschirm dargestellten Cursor-Auswahlfeldern ein System für mehrere taktile Rückmeldungen zu schaffen, sieht der Senat einen Entwicklungs-Ingenieur mit Master-Abschluss oder einen Diplom-Physiker mit mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich von Eingabeschnittstellen mit taktilen Rückmeldungen an.
2. Der Zurückweisungsbeschluss war aufzuheben, weil die von der Prüfungsstelle vorgebrachten Argumente eine Zurückweisung nicht begründen können.
2.1 Die Druckschrift D1 (DE 11 2007 003 600 T5), auf die allein der Zurückweisungsbeschluss sich stützt, ist am 17. Juni 2010 und somit nach dem Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung veröffentlicht. Sie ist allerdings eine Übersetzung der WO 2009 / 14 521 A1, welche am 29. Januar 2009 und somit vorveröffentlicht ist; eigentlich dürfte nur diese letztere Druckschrift für eine Prüfung auf erfinderische Tätigkeit herangezogen werden.
D1 beschreibt ein Eingabegerät (z. B. Abs. [0039]: Maus, Abs. [0047]: Tastatur) mit einer berührungsempfindlichen Oberfläche, wobei diese Oberfläche in mehrere Teilflächen aufgeteilt sein kann, und jeder Teilfläche eine Funktion zugeordnet ist (siehe etwa Figur 7, Figur 8 und zugeh. Beschreibung). Gemäß Absatz [0044] können die Teilflächen („Segmente“) durch eine erfühlbare Strukturierung voneinander abgegrenzt werden. Gemäß Absatz [0051] kann diese Strukturierung durch eine elektronisch anregbare Membran 90 erfolgen (Figur 13), d. h. die Strukturierung kann elektrisch eingestellt werden.
Dies entspricht aber nicht einer „taktilen Rückmeldung“ i. S. d. Lehre der Anmeldung (s. o. Abschnitt 1., Absatz 2). Die elektrische Einstellung der Strukturierung ist statisch, sie bewirkt erfühlbare Formen. Unter „taktiler Rückmeldung“ versteht die Anmeldung aber eine unmittelbare Reaktion der Schnittstelle auf Benutzerhandlungen. Eine solche Lehre gibt die D1 nicht. Insbesondere ist auch keine Rede von einem „Rollbereich“ (Bildlaufleiste) und von einer speziellen fühlbaren Rückmeldung, wenn der Cursor in den Rollbereich hineinbewegt wird oder wieder heraus. Auch hinsichtlich einer Auslegung speziell für den Einsatz in einem Kraftfahrzeug findet sich in D1 nichts.
Insoweit zusammenfassend ist der Anmelderin zuzustimmen, dass D1 einen entfernt liegenden Stand der Technik zeigt, der mit dem Gegenstand der vorliegenden Anmeldung kaum Gemeinsamkeiten hat. Ausgehend von D1 ist kein Weg ersichtlich, wie der Fachmann zu den beanspruchten Gegenständen hätte gelangen können.
2.2 Auch die Argumentation der Prüfungsstelle zur Nicht-Berücksichtigung der (damals geltenden) Merkmale, dass „die erste taktile Rückmeldung einer Manipulation der Steuerung ein entgegengesetzter Widerstand“ sein soll, bzw. dass „eine Intensität der zweiten taktilen Rückmeldung mit zunehmender Rollgeschwindigkeit zunimmt“, „im Hinblick auf das Anliegen des Ausschlusstatbestands gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 3 EPÜ“ (siehe Zurückweisungsbeschluss insbesondere Seite 9 / Seite 10) vermag nicht zu überzeugen.
2.2.1 Dabei ist bereits nicht klar, warum der Prüfer sich auf das „Europäische Patentübereinkommen“ beruft. Die vorliegende Anmeldung ist eine deutsche Patentanmeldung, die nach deutschem Patentgesetz zu prüfen ist. Angesichts der gleichlautenden Bestimmungen in PatG § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG kann dieser Einwand aber dahinstehen.
2.2.2 Auch von der Sache her ist nicht einsichtig, warum eine Anweisung, dass eine taktile Rückmeldung als ein Widerstand gegen eine Betätigungskraft ausgebildet sein soll, oder dass die Intensität einer taktilen Rückmeldung mit zunehmender Rollgeschwindigkeit zunehmen soll, zu einer technischen Problemlösung nichts beitragen könnte.
Denn die Frage, welche Arten oder Ausbildungsformen von taktilen Rückmeldungen bei bestimmten Anordnungen von Bedien-Elementen möglich sind, richtet sich zunächst an den technischen Fachmann, der geeignete Bauelemente auswählen und Einsatzmöglichkeiten abwägen muss. Ein „konkretes technisches Problem“ könnte bereits darin liegen, mehrere unterscheidbare Arten von taktilen Rückmeldungen für den Nutzer bereitzustellen, welche zudem besonders geeignet sind, auf die jeweils zugeordneten Bedien-Zustände hinzuweisen.
2.2.3 Der Prüfer hat argumentiert, die beiden genannten Maßnahmen entlasteten den Benutzer von der Mühe, die Eingabe noch verifizieren zu müssen; damit dienten sie ausschließlich der Erhöhung des Komforts für den Benutzer bei der Hand- habung des Geräts. Das gelöste Problem sei damit nicht ein technisches, sondern eine Adaption des Programms an die menschlichen Möglichkeiten für eine schnellere Verifikation der Eingabe.
Dies allein stellt aber keinen Ausschlusstatbestand dar. Viele anerkannte technische Erfindungen „dienen ausschließlich der Erhöhung des Komforts für den Benutzer bei der Handhabung“ eines Geräts. Entscheidend ist vielmehr, ob die beanspruchten Maßnahmen die Lösung irgendeines (!) technischen Problems bestimmen oder zumindest beeinflussen. Das ist, wie im vorherigen Abschnitt erläutert, hier aber der Fall. Nur wenn ein Merkmal überhaupt nichts zu irgendeiner technischen Problemlösung beiträgt, ist eine Nicht-Berücksichtigung angemessen.
3. Die geltenden unabhängigen Patentansprüche 1, 10 und 15 sind zulässig.
Das für alle drei Ansprüche gegenüber der ursprünglichen Fassung hinzukommende Merkmal, dass „die haptische Vorrichtung (20) von der Steuerung (12) beabstandet ist“, stellt eine der am Ende von Absatz [0016] skizzierten Alternativen dar. Eine Beschränkung darauf trifft auf keine Einwände.
Die zusätzlichen Merkmale (g) und (h) des Patentanspruchs 1 gehen auf die ursprünglichen Unteransprüche 2 und 3 zurück. Die Einfügung in den Ansprüchen 10 und 15, dass „das vom Benutzer auswählbare visuelle Element (22) eine ausführbare Funktion eines Fahrzeugsystems (19) darstellt“, entspricht der Lehre der Absätze [0018] bzw. [0022] und des ursprünglichen Unteranspruchs 11.
Auch die übrigen grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Gewährbarkeit, insbesondere die Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre sieht der Senat als gegeben an.
4. Den unabhängigen Patentansprüchen 1, 10 und 15 in der geltenden Fassung steht der bisher bekannt gewordene Stand der Technik nicht entgegen.
4.1 Folgende Druckschriften wurden bisher ermittelt:
D1 DE 11 2007 003 600 T5 D2 DE 20 2006 020 369 U1 D3 DE 201 15 882 U1 D4 DE 10 2007 057 924 B4 D5 DE 101 26 421 A1 D6 US 5 999 168 A D7 US 6 219 034 B1 Wie bereits erläutert (s. o. Abschnitt 2.1), beschreibt die Druckschrift D1 keine Maßnahmen für eine „taktile Rückmeldung“ in Reaktion auf Bedienhandlungen. Eine Relevanz für die Anmeldung ist nicht ersichtlich.
Die Druckschrift D2 betrifft Aspekte einer universellen Eingabe-Schnittstelle für ein handgehaltenes Mobilgerät. Lediglich in den Absätzen [0160] bis [0163] wird eine „Rückmeldung“ an den Benutzer beschrieben, wobei die Ausführungen zu „haptischem“ bzw. „taktilem“ Feedback sehr allgemein gehalten sind. Weder wird der Einsatz in Fahrzeugen erwähnt, noch findet sich irgendein Hinweis, der zu fühlbaren Begrenzungen beim Wechsel auf einen Scrollbalken führen könnte. In Richtung auf die genannten drei unabhängigen Patentansprüche kann der Fachmann der D2 nicht mehr als die allgemeine Idee einer taktilen Rückmeldung entnehmen.
Die Druckschrift D3 beschreibt ein Web-Terminal, bei welchem in einem Fenster 5 sog. „Linkkategorien“ 14 als auswählbare Elemente dargestellt sind, wobei ein Scrollbalken 15 vorgesehen ist, um mittels einer „Taste“ 9 durch die Liste der Elemente zu scrollen (siehe Figur 1 / Beschreibung Seite 3). Eine in vier Richtungen auslenkbare „Taste“ 11 dient zur Bewegung („Manipulation“ i. S. d. vorliegenden Anmeldung) eines Cursors 13, 13‘ (Figur 4 / 5). Eine darüber hinausgehende Ähn- lichkeit zur Anmeldung ist nicht ersichtlich, insbesondere ist keinerlei „taktile Rückmeldung“ erkennbar.
Auch die Druckschrift D4 ist nach dem Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung veröffentlicht; doch gibt es zu ihr eine vorveröffentlichte Offenlegungsschrift. Darauf dürfte es aber nicht mehr ankommen: Die D4 beschreibt eine besonders für Blinde ausgelegte Benutzerschnittstelle für Computer, wobei die optische Navigation mit Maus und Cursor durch eine fühlbare Rückkoppelung über Force-Feedback-Geräte ersetzt und zusätzlich durch 3D-Sound über Kopfhörer unterstützt wird (siehe Absatz [0002]). Wesentliches Element der Lehre der D4 ist ein Eingabegerät, das „Force-Feedback-Technologie unterstützt“ (Absatz [0030]); eine fühlbare Rückmeldung beabstandet vom Eingabegerät wird nicht beschrieben. Es erscheint auch nur wenig überzeugend, dass der Fachmann zur Lösung der Aufgabe, für eine Steuerung von Fahrzeugfunktionen ein System für taktile Rückmeldungen zu schaffen, ausgerechnet die Druckschrift D4 herangezogen hätte.
Als bisher nächstkommenden Stand der Technik sieht der Senat die Druckschrift D5 an. Sie beschreibt ein Fahrzeugrechner-System mit einem Bildschirm, auf welchem eine Landkarte für Navigationszwecke (Figur 2, 3a, 3b) oder eine Internetseite mit Hyperlinks 82 und Auswahlmenüpunkten 66 (Figur 4a, 4b; Absatz [0058]) dargestellt sein kann, wobei die Auswahl mittels Bewegung eines Cursors 62 durch ein Bedienelement 22 erfolgt; ein „Rollbereich“ ist jedoch nicht beschrieben (Merkmale (a), (c), (g), (h), sowie teilweise Merkmal (b)). Ferner ist noch eine Vorrichtung 30 zur Erzeugung unterschiedlicher Kraft-Rückkoppelungen vorgesehen, welche taktile Rückmeldungen in Form von fühlbaren Rasterungen oder Gegenkräften auf das Bedienelement 22 erzeugt (Absatz [0039]). Dass die Vorrichtung 30 „von der Steuerung beabstandet“ sein könnte, ist nicht angegeben (Merkmal (d) nur teilweise entnehmbar). In Richtung auf Merkmal (e) ist noch von Interesse, dass die D5 für Bewegung des Cursors in bestimmte Bereiche der Anzeige (Abs. [0045] / [0046]: Randbereich 60 einer Straße auf einer Navigationskarte; Absatz [0062]: Randbereich 60 eines Hyperlinks 82; Absatz [0064]: Randbe- reich des Bildschirms) die Erzeugung einer speziellen fühlbaren Gegenkraft lehrt, die den Cursor in die Straße oder das Menüelement „hineinzieht“ oder vom Bildschirmrand wegzieht.
Die Druckschrift D6 war mit der Lehre, dass eine erzeugte Gegenkraft eine Funktion der Position, Geschwindigkeit oder Beschleunigung des Steuerhebels sein kann (vgl. Figur 14 / Spalte 23 Zeile 15 ff.: Kraft proportional zur Auslenkung), nur für eine nicht mehr aktuelle Anspruchsfassung von Bedeutung.
Die Druckschrift D7 beschreibt ein Schnittstellensystem für ein Zeigegerät (pointing device) mit einem Aktuator zur Erzeugung einer Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen, abhängig von der Cursorbewegung bzw. -position (siehe z. B. Tabelle Spalte 5: beim Überqueren einer Schaltfläche („button boundary event“) ein „medium intensity pulse“, beim Betätigen der Schaltfläche („button click“) ein „extra high intensity pulse“). eine generelle Anregung, den Aktuator „von der Steuerung beabstandet“ vorzusehen, kann der D7 nicht entnommen werden.
4.2 Keine dieser Druckschriften gibt eine Anregung, eine haptische Vorrichtung vorzusehen, welche eine Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugen kann und „beabstandet von der Steuerung“ angeordnet sein soll (Teil-Aspekt von Merkmal (d)).
Wie die Anmelderin erläutert hat, ist dieses Merkmal so zu verstehen, dass nicht nur die Vorrichtung selbst, welche die Kraft für taktile Rückmeldungen erzeugt, sondern mit ihr auch der Ort der Einwirkung auf den Nutzer beabstandet sein soll von der „Steuerung (12)“, d. h. dem Eingabegerät für die Steuerung des Cursors.
Üblich und aus dem zitierten Stand der Technik bekannt ist jedoch lediglich, dass die taktile Rückmeldung unmittelbar am Eingabegerät erfolgt.
Da jede Anregung in Richtung auf diesen Aspekt des Merkmals (d) bzw. die entsprechenden Merkmale der Nebenansprüche fehlt, sind die jeweiligen Gegenstände der drei unabhängigen Ansprüche gegenüber dem bisher ermittelten Stand der Technik neu und können nicht als für den Fachmann naheliegend beurteilt werden.
5. Die Anmeldung ist jedoch – auch um der Anmelderin keine Tatsacheninstanz zu nehmen – an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG; Schulte, PatG, 10. Auflage (2017), § 79 Rdnr. 26).
Einer Patenterteilung steht entgegen, dass das Deutsche Patent- und Markenamt die geltende Anspruchsfassung, insbesondere das geänderte Merkmal (d) noch nicht geprüft hat. Denn der besondere Aspekt, dass die taktile Rückmeldung auf den Nutzer beabstandet vom Eingabegerät erfolgen soll, ist aus der Beschreibung abgeleitet und war bisher nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens. Eine dieses berücksichtigende, umfassende Recherche steht noch aus.
6. Da noch nicht abschließend beurteilt werden kann, ob der bisher nicht berücksichtigte Stand der Technik auch das Merkmal (d) vorwegnimmt oder nahelegt, hat sich der Senat mit den geltenden Unteransprüchen und einer erforderlichen Beschreibungsanpassung nicht befasst.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek Eder Baumgardt Dr. Forkel Fa
Urheber dieses Dokuments ist das Bundespatentgericht. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.
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