2 Ni 27/11
BUNDESPATENTGERICHT Ni 27/11 (Aktenzeichen)
…
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am 31. Januar 2013
…
In der Patentnichtigkeitssache BPatG 253 08.05 betreffend das deutsche Patent 103 50 078 hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2013 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Sredl sowie der Richter Merzbach, Dipl.-Phys. Dipl.-Wirt.-Phys. Maile, Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Schwengelbeck und Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Forkel für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 103 50 078 wird für nichtig erklärt. II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 27. Oktober 2003 angemeldeten Patents DE 103 50 078 B3 (Streitpatent), dessen Erteilung am 10. März 2005 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent hat die Bezeichnung
"Verfahren und Produktidentifizierender Strichcode / Barcode / Kennzeichnungsbereich zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten, sowie Verfahren zur Bewertung (Bestimmung) der verbleibenden Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer derselben" und umfasst 26 Patentansprüche. Neben den nebengeordneten Ansprüchen 1, 2, 7 und 11 beinhaltet das Streitpatent dabei die auf diese Ansprüche direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche 3 bis 6, 8 bis 10 und 12 bis 26.
Die erteilten nebengeordneten Ansprüche haben folgenden Wortlaut:
„1. Verfahren zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und/oder Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten/Mindestanwendbarkeitsdaten,
dadurch gekennzeichnet, dass der Strichcode / Barcode / Kennzeichnungsbereich, neben der Produktkennzeichnung zusätzlich mindestens eine Mindesthaltbarkeits-bzw. Mindestanwendbarkeits-Information enthält (erhält) und, dass die "Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information", sofern darin bereits bei der Kennzeichnung (Herstellung / Abpackvorgang / Bestimmung) ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum/eine bedarfsgerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wurde (wird), eine Zusatzinformation enthält (erhält), aus dieser hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum/die berücksichtigte Sicherheitsdauer ist und/oder das bereits ein angemessener/bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum berücksichtigt wurde."
„2. Verfahren zur Bewertung (Bestimmung) der "verbleibenden Mindestanwendbarkeitsdauer/Mindesthaltbarkeitsdauer" von Lebensmitteln und/oder Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten,
dadurch gekennzeichnet, dass ein Vergleich der Kenngrößen-Informationen (Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten) des Strichcodes / Barcodes / Kennzeichnungsbereichs durchgeführt wird, ob die Kenngröße für die "verbleibende Mindestanwendbarkeitsdauer/Mindesthaltbarkeitsdauer", bei dieser gegebenenfalls noch ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum / eine bedarfsgerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wird/wurde, kleiner/gleich/größer ist, als die Kenngröße für den ermittelten/zu erwartenden Anwendungszeitraum/Aufbrauchzeitraum und/oder als die Kenngröße für die ermittelte/zu erwartende Anwendungsdauer / Aufbrauchdauer."
„7. Produktidentifizierender Strichcode/Barcode/Kennzeichnungsbereich zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten/ Mindestanwendbarkeitsdaten,
dadurch gekennzeichnet, dass neben der Information bezüglich der Produktidentifikation, die Informationen bzgl. der Mindesthaltbarkeit bei Lebensmitteln oder der Mindestbrauchbarkeit / Mindestverwendbarkeit bei Arzneimitteln, welche auch mittels Strichcode-Kennzeichnung auf der Verpackung/auf dem Produkt aufgebracht sind, bzw. diese somit gekennzeichnet sind, bei der Ausgabe- / Abgabestelle oder im Kassenbereich miterfasst und verwertet/ausgewertet werden können und, dass die "Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information", sofern darin bereits bei der Kennzeichnung (Herstellung / Abpackvorgang / Bestimmung) ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum/eine bedarfsgerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wurde, eine Zusatzinformation enthält, aus dieser hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum / die berücksichtigte Sicherheitsdauer ist und/oder das bereits ein angemessener / bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum berücksichtigt wurde."
„11. Produktidentifizierender Strichcode/Barcode/Kennzeichnungsbereich zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten/Mindestanwendbarkeitsdaten,
dadurch gekennzeichnet, dass neben der Information bezüglich der Produktidentifikation, die Informationen bzgl. der Mindesthaltbarkeit bei Lebensmitteln oder der Mindestbrauchbarkeit / Mindestverwendbarkeit bei Arzneimitteln, welche auch mittels Strichcode-Kennzeichnung auf der Verpackung/ auf dem Produkt aufgebracht sind, bzw. diese somit gekennzeichnet sind, bei der Ausgabe- / Abgabestelle oder im Kassenbereich mittels eines "kombinierten" Erfassungsvorganges / Lesevorganges / Scannervorganges erfasst werden können und, dass die "Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information", sofern darin bereits bei der Kennzeichnung (Herstellung / Abpackvorgang /. Bestimmung) ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum / eine bedarfsgerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wurde, eine Zusatzinformation enthält, aus dieser hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum/die berücksichtigte Sicherheitsdauer ist und/oder das bereits ein angemessener/bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum berücksichtigt wurde." Hinsichtlich des Wortlauts der auf die erteilten Ansprüche 1, 2, 7 und 11 direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüche 3 bis 6, 8 bis 10 und 12 bis 26 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Die Beklagte verteidigt das Streitpatent nach Hautpantrag im Umfang der mit Schriftsatz vom 18. Januar 2013 (Bl. 124 R - 127 R d. A.) eingereichten Ansprüche 1 bis 23. Danach umfasst das Streitpatent die nebengeordneten Ansprüche 1 und 5 sowie die auf diese beiden Ansprüche direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 4 (rückbezogen auf Anspruch 1) bzw. 6 bis 23 (rückbezogen auf Anspruch 5).
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hat danach folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind unter- bzw. durchgestrichen):
"1. Verfahren zur Kennzeichnung und Verkaufsverhinderung im Kassenbereich/Abgabestelle von Lebensmitteln und/oder Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten/Mindestanwendbarkeitsdaten,
dadurch gekennzeichnet, dass der Strichcode/ Barcode/Kennzeichnungsbereich, neben der Produkt-kennzeichnung zusätzlich mindestens eine Mindesthaltbarkeits- bzw. Mindestanwendbarkeits-Information enthält (erhält) und, dass die "Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information", sofern darin bereits bei der Kennzeichnung (Herstellung / Abpackvorgang/Bestimmung) ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum/eine bedarfsgerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wurde (wird), eine Zusatzinformation enthält (erhält), aus dieser hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum / die berücksichtigte Sicherheitsdauer ist und/oder das bereits ein angemessener / bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum berücksichtigt wurde." Der nebengeordnete Patentanspruch 5 gemäß Hauptantrag lautet: 5. Produktidentifizierender Strichcode/Barcode/Kennzeichnungsbereich zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet, dass Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten bei der Ausgabe-/ Abgabestelle oder im Kassenbereich miterfasst und verwertet / ausgewertet werden können und, dass die "Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-information", sofern darin bereits bei der Kennzeichnung ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum / eine bedarfs-gerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wurde, eine Zusatzinformation enthält, aus dieser hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum / die berücksichtigte Sicherheitsdauer ist und/oder das bereits ein angemessener / bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum berücksichtigt wurde." Wegen des Wortlauts der jeweils unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 sowie der jeweils unmittelbar auf Patentanspruch 6 zurückbezogenen Ansprüche 7 bis 23 gemäß Hauptantrag auf den Schriftsatz der Klägerin vom 18. Januar 2013 (Bl. 124 R - 126 R d. A.) Bezug genommen.
Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung.
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei sowohl in der Fassung des Hauptantrags wie auch des Hilfsantrags (erteilte Fassung) gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Sie beruft sich dazu auf die Dokumente K4 "EAN 128 Teil I Datenbezeichner und Dateninhalte im EAN 128Standard", mit Datumsvermerk 1.4.1993 K5 Fachartikel "Europäischer Verband der Hersteller von Sterilverpackungen empfiehlt EAN 128-Standard" in Coorganisation, S. 13, Ausgabe 2/2000 K6 AIM Inc IST/99 001, International Symbology Specification, Reduced Space Symbology (RSS) vom 29. Oktober 1999 K7 Bestätigungsschreiben der EDEKA Minden-Hannover IT- / logistic service GmbH an die Klägerin mit Datum 7. September 2010 K8 Schreiben der EDEKA Minden-Hannover IT- /logistic service GmbH ohne erkennbaren Adressaten mit Datum November 2000 Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ist außerdem folgende Druckschrift in Betracht gezogen worden:
D1 DE 196 25 307 C2 Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 103 50 078 für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der mit Antrag vom 18. Januar 2013 verteidigten Fassung richtet; hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der erteilten Fassung.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in der nach Hauptantrag verteidigten Fassung für schutzfähig, jedenfalls jedoch in der Fassung des Hilfsantrags.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe Die zulässige Klage, mit der der Nichtigkeitsgrunde der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht wird (§ 22 Abs. 1 i. V. m. §§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1, 4 PatG), ist begründet.
I.
1) Ausweislich der erteilten Beschreibung bezieht sich das Streitpatent auf ein Verfahren und einen produktidentifizierenden Strichcode / Barcode / Kenn-zeichnungsbereich zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten sowie Verfahren zur Bewertung (Bestimmung) der verbleibenden Mindestanwendbarkeitsdauer/ Mindesthaltbarkeitsdauer derselben.
Dabei geht das Streitpatent von an sich bekannten Produktcodes, bspw. Strichcodes zur Produktidentifikation aus, welche im bzw. am Erfassungssystem Zusatzinformationen für den Benutzer generieren und anzeigen können, bzw. dem Benutzer bereitgestellt werden, welche in nachteiliger Weise einem Produkt fest zugeordnet sind. Somit sind die Zusatzinformationen nur so "variabel" innerhalb eines Geschäftes/einer Abgabestelle/einer Lesevorrichtung, dass diese Informationen jeweils nur für den gesamten Bestand der Ware, eines produktkennzeichnenden Warenbestandes, mit der identischen Produktkennzeichnung, gelten bzw. gültig sind - z. B. Preis, Gewicht, Inhalt und dergleichen.
2) Von diesem Stand der Technik ausgehend ist es Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren und einen produktidentifizierenden Strichcode / Barcode / Kenn- zeichnungsbereich zur Kennzeichnung von Lebensmitteln und Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten sowie ein Verfahren zur Bewertung (Bestimmung) der verbleibenden Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer derselben vorzustellen, welcher / welches neben der Information bezüglich der Produktidentifikation, die Informationen bzgl. der Mindesthaltbarkeit bei Lebensmitteln oder der Mindestbrauchbarkeit / Mindestverwendbarkeit bei Arzneimitteln, welche auch mittels Strichcode-Kennzeichnung auf der Verpackung / auf dem Produkt bzw. der Ware aufgebracht / angebracht werden, bzw. diese somit gekennzeichnet werden, um diese bei der Ausgabe- / Abgabestelle oder im Kassenbereich miterfassen zu können, um diese Information mittels eines Verfahrens hinsichtlich Mindesthaltbarkeit bzw. Mindestanwendbarkeit verwerten / auswerten zu können, um ein "Passieren" von "zeitkritischen" Waren / Produkten zu erkennen und um dieses gegebenenfalls verhindern zu können (vgl. Streitpatent, Abs. [0019]).
3) Diese Aufgabe soll mit den Gegenständen der geltenden Ansprüche 1 und 5 gemäß Hauptantrag gelöst werden. Dementsprechend beschreibt der verteidigte Anspruch 1 eine Vorrichtung mit den Merkmalen gemäß folgender Gliederung:
M1 "Verfahren zur Kennzeichnung und Verkaufsverhinderung im Kassenbereich/Abgabestelle von Lebensmitteln und/oder Arzneimitteln mit Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten,
dadurch gekennzeichnet, dass M2 der Strichcode/ Barcode/Kennzeichnungsbereich, neben der Produktkennzeichnung zusätzlich mindestens eine Mindesthaltbarkeits- bzw. Mindestanwendbarkeits-Information enthält und,
M3 dass die „Mindestanwendbarkeitsdauer Mindesthaltbarkeitsdauer-Information",
/
M3.1 sofern darin bereits bei der Kennzeichnung ein bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum/eine bedarfsgerechte Sicherheitsdauer berücksichtigt wurde (wird),
M4 eine Zusatzinformation enthält,
M4.1 aus dieser hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum / die berücksichtigte Sicherheitsdauer ist und/oder das bereits ein angemessener / bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum berücksichtigt wurde."
4) Maßgeblicher Fachmann ist ein berufserfahrener, in der Entwicklung von Warencodiersystemen bewanderter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik mit Fachhochschulabschluss. Dieser Fachmann erkennt, daß der Wortlaut des Anspruchs 1 zwischen den Begriffen „Mindesthaltbarkeitsdaten / Mindestanwendbarkeitsdaten" und "Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information unterscheidet.“ Der Zusammenhang dieser Begriffe geht besonders deutlich aus einer Passage der Streitpatentbeschreibung (Abs. [0049]) hervor, welche zusätzlich auf den angemessenen / bedarfsgerechten Sicherheitsabstand abstellt, welcher gemäß Ausführungen in Abs. [0038] von Null beginnend, jeden strategischen Wert annehmen kann und welcher von der jeweiligen "Haus-Philosophie" abhängig ist. Gemäß Streitpatent bestimmt dieser Sicherheitsabstand dabei die in Merkmal M3 des jetzt verteidigten Anspruchs 1 nach Hauptantrag genannte Mindestanwendbarkeitsdauer. (vgl. Streitpatent, Abs. [0049]), „In einem weiteren nicht näher dargestelltem Beispiel, bzw. Möglichkeit der Kennzeichnung ist es auch denkbar, dass bei der Kennzeichnung der „Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information", den aktuellen Tagesdatum / Tagesbezug, Wochenkennzeichnung oder Monatsangabe mit festzuhalten / mitfestgehalten wird, um zu einem späteren Zeitpunkt anhand 1 die- ser Kennzeichnungsdaten (-Größe) und der bekannten produktabhängigen Haltbarkeitsdauer, zu dieser gegebenenfalls bedarfsgerecht noch ein Sicherheits-zeitraum / eine Sicherheitsdauer (Sicherheitsgröße / Kenngröße) berücksichtigt werden kann, die tatsächliche „Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer herleiten /bestimmen /bewerten zu können.").
II.
Die Verfahren nach den jeweiligen Ansprüchen 1 nach Hauptantrag bzw. Hilfsantrag erweisen sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als nicht patentfähig. Die Frage der Zulässigkeit der im Nichtigkeitsverfahren geänderten Ansprüche nach Hauptantrag kann somit dahinstehen.
I. Anspruch 1 nach Hauptantrag Für die folgenden Ausführungen kann zudem die Frage dahinstehen, ob mit dem Merkmal M3.1 - für die dort gegebenenfalls zulässige Ausführungsform, dass bei der Kennzeichnung (Herstellung / Abpackvorgang / Bestimmung) kein(e) bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum / bedarfsgerechte Sicherheitsdauer / berücksichtigt wird - die Merkmale M4 und M4.1 entsprechend entfallen bzw. ob diese Auslegung vom vorgelegten Anspruchswortlaut als eine beanspruchte Alternative umfasst ist. Ebenfalls kann die Frage dahinstehen, ob der Begriff "bedarfsgerechter Sicherheitszeitraum" im Merkmal M4.1 lediglich eine vom Anwender beliebig wählbare Größe darstellt und damit gegebenenfalls nichttechnisch sein könnte. Denn auch bei einer Auslegung des Widerspruchsgegenstands im Sinne der Pateninhaberin beruht das mit Anspruch 1 nach Hauptantrag verteidigte Verfahren nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
So ist aus der Druckschrift D1 ein Verfahren bekannt (vgl. insbesondere dortige Fig. 1 mit zugehöriger Beschreibung), welches zur Kennzeichnung und Verkaufsverhinderung von Arzneimitteln mit Mindestanwendbarkeitsdaten - und somit einer Anspruchsalternative - geeignet ist (vgl. Sp. 3, Zn. 32ff, Ware 1, Verfalldatum 5 i. V. m. Anspruch 1 Arzneimittel / zum Merkmal der Verkaufsverhinderung: vgl. Sp. 3, Zn. 66f). Hierbei entspricht das in der Druckschrift D1 offenbarte "Verfalldatum" gemäß den dortigen Ausführungen in der Beschreibung der "Mindestanwendbarkeits-Information" im Streitpatent, nämlich dem Zeitpunkt, zu dem die gewünschte therapeutische Wirkung des Medikaments gerade noch vollständig sichergestellt ist (vgl. hierzu auch die Ausführungen der D1, Sp. 1, ab Zeile 61) /Merkmal M1.
Die Arzneimittelverpackungen der Druckschrift D1 weisen dabei einen Strichcode (Strichcode 2) auf, welcher neben der Produktkennzeichnung zusätzlich mindestens eine Mindestanwendbarkeits-Information enthält (Sp. 3, Zn. 39, 40, „Neben den Wareninformationen (3,4) dem Strichcode (2) auch das Verfalldatum (5) der Ware codiert." / Merkmal M2).
Bei Abgabe der Arzneimittelverpackungen an den Patienten ist der Apotheker aus Gründen der in Druckschrift D1 beschriebenen persönlichen Haftung (vgl. Sp. 2, Z. 10) gezwungen, gedanklich einen entsprechenden Sicherheitsabstand zum angegebenen (produktabhängigen) Mindestanwendbarkeitsdatum zu berücksichtigen, um so sicherzustellen, dass der Patient ein über den gesamten Therapiezeitraum wirksames Präparat erhält.
Ausgehend von dieser aus Haftungsfragen abgeleiteten, manuellen (gedanklichen) Vorgehensweise des abgebenden Apothekers ist der vorliegend anzusetzende Fachmann für Warencodiersysteme/aufgrund des Wunsches nach einer Ablaufvereinfachung und zur Vermeidung entsprechender Rechenfehler durch den Apotheker, sowie zur Erhöhung der Abgabesicherheit veranlasst, die vorstehend beschriebenen manuellen Abläufe zu automatisieren. Er wird dabei Überlegungen anstellen, wie er die entsprechenden - im Übrigen bekannten -weiteren Informationen hinsichtlich eines zusätzlichen Sicherheitsabstands in diesen automatischen Ablauf einbinden kann. Hierbei wird er sich mit den Möglichkeiten einer Informationsabspeicherung auf dem bereits vorhandenen Strichcode befassen und dabei aus den einschlägig bekannten Strichcodespezifikation nach EAN128 die Anregung aufgreifen, anforderungsspezifisch zusätzliche Datenbezeichner den bereits in Tabelle 1.1 aufgelisteten hinzuzufügen (vgl. EAN128-Standard, Seite 17, erster Abs. "Weitere Datenbezeichner können künftig aufgrund von Anforderungen aus der Praxis hinzukommen.").
Insofern ist es für den Fachmann unter Berücksichtigung der aus Druckschrift D1 bekannten Abläufe bei Arzneimitteln sowie der ihm bekannten Strichcodespezifikation nahegelegt, weitere - für das automatisierte Verfahren notwendige - Produkt- bzw. Anwendungsinformationen in den Barcode mit aufzunehmen. Insbesondere hat er bei der Kennzeichnung von Arzneimitteln mit einem Mindestanwendbarkeitsdatum, aufgrund der in der D1 nahegelegten, zwingenden Berücksichtigung eines Sicherheitszeitraums, aus den ihm bekannten Spezifikationsrichtlinien die Veranlassung, die entsprechenden Daten im bereits vorhandenen Barcode der Verpackung zu berücksichtigen.
Daher wird er in naheliegender Weise auch die entsprechende Mindestanwendbarkeitsdauer / Mindesthaltbarkeitsdauer-Information in den Barcode als weiteren Datenbezeichner aufnehmen (Merkmal M3) und diese mit einer Zusatzinformation versehen (Merkmal M4), aus welcher hervorgeht, wie groß der berücksichtigte Sicherheitszeitraum (vorgeschriebene Einnahmezeitraum) ist (Merkmal M4.1).
Merkmal M3.1 stellt in diesem Zusammenhang lediglich sicher, dass die Sicherheitsdauer größer 0 ist, oder in anderen Worten: Dass die Mindestanwendbarkeitsdauer nicht identisch mit dem Mindestanwendbarkeitsdatum ist. Insofern ergibt sich auch das Merkmal M3.1 direkt aus den vorstehenden Ausführungen des letzten Absatzes.
Somit leitet sich - zumindest für eine im Anspruch 1 beanspruchte Alternative - das Verfahren des Anspruchs 1 für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Kenntnis der Druckschrift D1 in Verbindung mit der ihm einschlägig bekannten Norm nach EAN 128 ab.
Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag basiert somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Anspruch ist somit nicht patentfähig.
2) Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 entspricht dem erteilten Patentanspruch 1. Dieser unterscheidet sich vom Anspruch 1 nach Hauptantrag durch den Wegfall des im Anspruch 1 nach Hauptantrag zusätzlich aufgenommenen weiteren Verwendungszwecks der „Verkaufsverhinderung im Verkaufsraum/Abgabestelle" sowie durch das Streichen von in Klammern stehenden, den Patentanspruch daher nicht beschränkenden Begriffen. Somit ist Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 zumindest nicht enger gefasst als Anspruch 1 nach Hauptantrag. Vorstehende Ausführungen zum Hauptantrag gelten daher in gleicher Weise für das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag.
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist daher ebenfalls nicht patentfähig.
3) Ob unabhängig von den nicht patentfähigen Verfahren der jeweiligen Ansprüche 1 nach Hauptantrag bzw. nach Hilfsantrag hinsichtlich den geltenden unabhängigen bzw. abhängigen Ansprüche eine patentfähige Erfindung vorliegt, bedarf keiner Klärung, da auf die jeweiligen abhängigen bzw. unabhängigen Ansprüche kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet war bzw. ein solches im Verfahren vom Vertreter der Beklagten erkennbar vorgetragen wurde (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 Leitsatz – „Informationsübermittlungsverfahren II").
Bei vorliegender Sachlage war das deutsche Patent 102 20 060 daher für nichtig zu erklären.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Sredl Merzbach Maile Dr. Schwengelbeck Dr. Forkel prö