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1 StR 455/22

BUNDESGERICHTSHOF StR 455/22 BESCHLUSS vom 4. April 2023 in der Strafsache gegen

1. 2. wegen Steuerhinterziehung u.a.

Einziehungsbeteiligte:

ECLI:DE:BGH:2023:040423B1STR455.22.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu 4. auf dessen Antrag – gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 4. April 2023 beschlossen:

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. Juli 2022, soweit es die Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Der Einziehungsbeteiligten wird auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision gewährt.

4. Die Revision der Einziehungsbeteiligten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihrer Revision zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 24 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen gesamtschuldnerisch angeordnet. Gegen die Einziehungsbeteiligte hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 95.538,91 Euro angeordnet.

Die jeweils auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensbeanstandung der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1, § 257c Abs. 3 StPO Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die mit derselben Verfahrensbeanstandung und der Sachrüge geführte Revision der Einziehungsbeteiligten ist hingegen – nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Begründung der Revision – unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Der von den Angeklagten im Wesentlichen inhaltsgleich erhobenen Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

a) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens fand im Vorfeld der Hauptverhandlung ein Austausch der Verfahrensbeteiligten mit dem Gericht statt, ob eine Verfahrensabsprache im Sinne von § 257c StPO in Betracht komme. Am ersten Hauptverhandlungstag (17. Mai 2022) kam es nach Eintritt in die Beweisaufnahme auf Anregung der Verteidiger zu einem außerhalb der Hauptverhandlung geführten Rechtsgespräch, in dem nach Erörterung der Sach- und Beweislage auch über mögliche Straferwartungen – aus Sicht der Staatsanwaltschaft kamen jeweils Gesamtfreiheitsstrafen im bewährungsfähigen Bereich mit zusätzlich zu verhängender Geldstrafe in Betracht – gesprochen wurde. Über den Verlauf des Rechtsgesprächs fertigte die Vorsitzende der Strafkammer einen Vermerk, der sodann in der fortgesetzten Hauptverhandlung verlesen wurde. Im Anschluss daran schlug das Landgericht für den Fall eines Geständnisses der Angeklagten jeweils konkret eine Strafober- und Strafuntergrenze im bewährungsfähigen Bereich im Rahmen einer Verständigung vor. Die Angeklagten wurden schließlich nach § 257c Abs. 4 StPO belehrt. Die Hauptverhandlung wurde bis zum nächsten Hauptverhandlungstag zur Prüfung unterbrochen, ob dem Verständigungsvorschlag zugestimmt werde. Wegen Erkrankung der Vorsitzenden wurde das Verfahren jedoch ausgesetzt; zu einer Verständigung kam es daher nicht.

b) Die Hauptverhandlung wurde am 2. Juni 2022 vom nunmehr zuständigen Vorsitzenden in neuer Besetzung auf den 14. Juni 2022 terminiert. In der Ladungsverfügung wies er die Verfahrensbeteiligten „vorsorglich“ darauf hin, dass „die Kammer an etwaige Verständigungsvorschläge, die in anderer Besetzung in der zwischenzeitlich abgesetzten Hauptverhandlung gemacht wurden, nicht gebunden“ sei. In der Hauptverhandlung vom 14. Juni 2022 erklärte der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes, dass keine Verständigung erfolgt sei und – soweit es frühere Verständigungsgespräche gegeben habe – keine Bindungswirkung bestehe. Den Inhalt dieser Verständigungsgespräche teilte der Vorsitzende nicht mit.

2. Die Rüge der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat Erfolg.

a) Das Vorbringen der beiden Angeklagten genügt – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Verfahrensrüge ist aus sich heraus ohne Weiteres verständlich. Weiterer Angaben bedurfte es nicht, um den Verfahrensfehler darzustellen. Der dem Rechtsverstoß zugrundeliegende Verfahrensgang ist zudem durch die – nach Verlust des „Originalprotokolls“ erforderlich gewordene – Rekonstruktion des Inhalts der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2022 nachgewiesen.

b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Der Vorsitzende der Strafkammer hat die sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebende Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen verletzt, indem er das Gespräch vom 17. Mai 2022, dessen Inhalt zwar in dem ausgesetzten Verfahren in der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2022 mitgeteilt wurde, nicht in der neu begonnenen Hauptverhandlung erneut inhaltlich mitgeteilt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 2 Rn. 11; Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 – 1 StR 418/21 Rn. 8 f. und vom 24. April 2019 – 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12 Rn. 10). Der bloße Hinweis, dass erfolglose Verständigungsbemühungen in einer ausgesetzten Hauptverhandlung stattgefunden haben und die nunmehr zuständige Strafkammer sich nicht an die Verständigungsvorschläge gebunden sieht, genügt nicht.

Die Pflicht, den Inhalt des Verständigungsgesprächs mitzuteilen, entfiel nicht dadurch, dass es nach der Aussetzung der ursprünglichen Hauptverhandlung und der Neuterminierung zu einer Änderung der Besetzung gekommen ist und der spätere Vorsitzende nicht an den Erörterungen teilgenommen hatte. Mit der Zielsetzung des § 243 Abs. 4 StPO, den Angeklagten und die Öffentlichkeit über vorausgegangene verständigungsbezogene Erörterungen zu informieren, wäre es unvereinbar, die spruchkörperbezogene Mitteilungspflicht davon abhängig zu machen, dass sich die Besetzung des Gerichts im Nachhinein noch ändert (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2023 – 6 StR 284/22 Rn. 12 mwN). Eine inhaltlich zutreffende Mitteilung war dem Vorsitzenden zu Beginn der Hauptverhandlung auch möglich.

c) Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil darauf beruht (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, Rn. 97 f.; BGH, Beschluss vom 24. April 2019 – 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12 Rn. 11). Ein Ausnahmefall, bei dem Abweichendes vertretbar wäre, liegt hier nicht vor, zumal der Angeklagte M.

zu den Tatvorwürfen sich nicht geäußert und der Angeklagte A.

sich zu diesen nur teilweise eingelassen hat.

II.

Die Revision der Einziehungsbeteiligten ist unbegründet. Der Erörterung bedarf nur der von der Einziehungsbeteiligten ebenfalls geltend gemachte Verstoß gegen § 243 Abs. 4, § 257c Abs. 3 StPO. Es handelt sich insoweit um eine Einwendung gegen den Schuldspruch im Sinne des § 431 StPO, dessen Voraussetzungen aber nicht vorliegen. Die Verfahrensrüge richtet sich ausschließlich gegen das Zustandekommen der Schuldsprüche gegenüber den Angeklagten. Die rechtsfehlerhafte Anwendung originärer einziehungsrechtlicher oder zumindest in einem unmittelbaren Bezug zur gegenüber der Einziehungsbeteiligten getroffenen Einziehungsentscheidung stehender Normen wird nicht geltend gemacht. Dies ist hinsichtlich der vorliegenden Verfahrensabsprache auch nicht möglich, weil die angeordnete Einziehung von Taterträgen nicht Inhalt einer Verfahrensabsprache wurde und dies wegen des zwingenden Charakters von Gesetzes wegen nicht werden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 – 3 StR 518/19, BGHSt 66, 147 Rn. 53 f. mwN).

Der Bezug zur Einziehung ergibt sich allein daraus, dass der Schuldspruch gegen die Angeklagten, der aufgrund der Verfahrensabsprache zustande kam, Grundlage der Einziehungsentscheidung ist. Ein solcher rein mittelbarer Bezug reicht nicht aus, um Einwendungen ohne die einschränkenden Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 StPO vorbringen zu können, weil der Schuldspruch stets mittelbare Auswirkungen auf die Einziehungsanordnung entfaltet und § 431 Abs. 1 Nr. 2 StPO ansonsten leerliefe. Nach der Gesetzeskonzeption soll es dem Einziehungsbeteiligten aber grundsätzlich gerade verwehrt sein, den Schuldspruch zur Nachprüfung zu stellen (BGH, aaO Rn. 55).

Bellay Wimmer Leplow Allgayer Munk Vorinstanz: Landgericht Frankfurt am Main, 18.07.2022 – 5/29 KLs – 7840 Js 247654/18 (6/20)

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