VIa ZR 205/21
BUNDESGERICHTSHOF VIa ZR 205/21 BESCHLUSS vom 23. Mai 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:230522BVIAZR205.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2022 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim beschlossen:
Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000 € nicht.
Gründe:
I.
Der Kläger erwarb im Jahr 2010 einen Neuwagen VW Passat Variant 1.6 zum Preis von 25.850 €. Seine Klage aus §§ 826, 31 BGB gegen die beklagte Fahrzeugherstellerin hat in erster Instanz keinen Erfolg gehabt. Mit der Berufung hat er neben der Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in der Hauptsache die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des gekauften Fahrzeugs resultierten. Hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Feststellungsklage hat er beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 25.850 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs "und abzüglich eines von der Beklagten darzulegenden Vorteilsausgleichs für die Nutzung des PKWs" zu verurteilen und die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden festzustellen. Die Beklagte hat daraufhin angegeben, selbst, wenn die - nach Auffassung der Beklagten eigentlich höhere - Nutzungsentschädigung "nach der linearen Methode" zu berechnen sei,
sei "keine Gesamtlaufleistung von mehr als 250.000 km für das streitgegenständliche Fahrzeug zugrunde zu legen". In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht haben die Parteien einen Kilometerstand von 173.005 km unstreitig gestellt. Das Berufungsgericht hat den Hauptfeststellungsantrag für zulässig, aber unbegründet erachtet und die Berufung zurückgewiesen. In den Gründen des Berufungsurteils hat es festgehalten, über die Hilfsanträge sei nicht zu entscheiden, weil sie nur für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungshauptantrags gestellt seien.
II.
Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt 20.000 € nicht.
1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts. Dieses Interesse ist nach den aus §§ 3 ff. ZPO sich ergebenden allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Über die Höhe der Beschwer hat das Revisionsgericht ohne Bindung an eine - fehlerhafte - Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - VIII ZR 161/19, juris Rn. 22 mwN) selbst zu befinden. Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2021 - VI ZR 1191/20, MDR 2021, 574 Rn. 5; Beschluss vom 10. November 2021 - VII ZR 296/21, juris Rn. 6; Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VII ZR 206/21, juris Rn. 5), und zwar nach Maßgabe der dem Parteivorbringen zu diesem Zeitpunkt zugrunde liegenden tatsächlichen Angaben zum Wert (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - VIII ZR 255/20, NJW 2022, 194 Rn. 15). Der Beschwerdeführer hat darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass der Wert der Beschwer den Betrag von 20.000 € übersteigt (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2021 - VI ZR 281/20, juris Rn. 1; Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VII ZR 206/21, juris Rn. 5).
2. Nach diesen Grundsätzen ist bei der Berechnung der Beschwer des Klägers sowohl bezogen auf die in erster Linie begehrte Feststellung als auch hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Zahlungsforderung in Höhe des Kaufpreises von 25.850 € eine Nutzungsentschädigung im Umfang von 17.888,72 € in Abzug zu bringen, so dass für beide Anträge, deren Wert nicht zu addieren ist, eine Beschwer von nicht mehr als 9.000 € anzusetzen ist.
a) Das Berufungsgericht hat bewusst über die Hilfsanträge nicht entschieden. Dies greift der Kläger zulässig mit einem Zulassungsgrund an (BGH, Beschluss vom 5. März 2019 - VIII ZR 190/18, NJW 2019, 1950 Rn. 20), so dass sämtliche Anträge bei der Bemessung der Beschwer zu berücksichtigen sind.
b) Für die Bemessung maßgeblich ist der Zahlungshilfsantrag, weil er mit dem Feststellungshauptantrag wirtschaftlich identisch ist, aber keinem für die Feststellungsklage üblichen Abschlag von 20 % unterliegt.
Der Wert des Feststellungshauptantrags ist damit in jedem Fall geringer als der des Zahlungshilfsantrags. Mit dem Feststellungshauptantrag hat der Kläger sich die Entscheidung offengehalten, ob er endgültig - wie mit dem Zahlungshilfsantrag - die Rückabwicklung des Vertrags verlangen oder den sogenannten kleinen Schadensersatz geltend machen werde (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - VIII ZR 255/20, juris Rn. 24). Soweit der Kläger den großen Schadensersatz geltend machen will, geht sein wirtschaftliches Interesse nicht über sein mit dem Zahlungshilfsantrag verfolgtes Begehren hinaus. Das Interesse an der Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes ist jedenfalls nicht höher zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21, WM 2022, 543 Rn. 15, 18 mwN).
c) Der Wert der Beschwer für den Zahlungshilfsantrag beträgt nicht mehr als 9.000 €, weil nach dem Antrag des Klägers in der Berufungsinstanz eine Nutzungsentschädigung von 17.888,72 € in Abzug zu bringen ist. Unbeschadet des Umstands, dass eine Nutzungsentschädigung - auch im Rahmen der Wertberechnung - als Vorteil vom Ersatzanspruch nach §§ 826, 249 BGB abzuziehen ist, ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder der Geltendmachung eines Gegenrechts des Schuldners bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VII ZR 206/21, juris Rn. 7 mwN), hat der Kläger in seinem Antrag die Parameter genannt, nach denen sich der Umfang der vom Kläger akzeptierten Nutzungsentschädigung richtet (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - VIII ZR 255/20, NJW 2022, 194 Rn. 22). Daran muss er sich bei der Bemessung seiner Beschwer nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festhalten lassen.
aa) Der Kläger hat im Berufungsverfahren - anders als in erster Instanz mit der Formulierung "abzüglich eines von der Beklagten darzulegenden Vorteilsausgleichs für die Nutzung des PKWs" zum Ausdruck gebracht, dass er einen entsprechenden Abzug von dem hilfsweise geltend gemachten Anspruch anerkennt und der Beklagten die Bestimmung der Höhe dieses Abzugs überlässt. Die Beklagte hat daraufhin einen Nutzungsvorteil in Höhe von mindestens 18.600 € behauptet und sich hilfsweise auf die lineare Berechnungsmethode bezogen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 12), wobei sie vorgetragen hat, bei einer Berechnung nach dieser Methode sei eine Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von nicht mehr als 250.000 km zugrunde zu legen. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten. Auf der Grundlage der für den Kläger günstigeren linearen Berechnungsmethode errechnet sich anhand der Angaben der Beklagten eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 17.888,72 €
gleich tatsächlicher Kaufpreis in Höhe von 25.850 € multipliziert mit den vom Kläger im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung gefahrenen 173.005 km dividiert durch eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km.
bb) Die Behauptung des Klägers in dritter Instanz, es sei nicht ausgeschlossen, dass für ein Dieselfahrzeug der streitgegenständlichen Art von dem für die Schätzung zuständigen Tatgericht auch eine Gesamtlaufleistung von 800.000 km oder 1.000.000 km zugrunde gelegt werden könne, ist nicht berücksichtigungsfähig. Der Kläger hat entsprechendes weder innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist dargelegt und glaubhaft gemacht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2021 - X ZR 56/20, juris Rn. 10) noch hat er dargetan, dass er Vortrag dazu bereits im Berufungsverfahren gehalten habe (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2021 - I ZR 23/20, juris Rn. 7 f.). Auf welcher Grundlage eine entsprechende Gesamtlaufleistung in diesem Umfang beim streitgegenständlichen Fahrzeug zu erwarten wäre, ist nicht ersichtlich. Vor allem aber hat der Kläger in seinem Zahlungshilfsantrag die Bemessung der Nutzungsentschädigung der Beklagten überantwortet, die die Gesamtlaufleistung mit höchstens 250.000 km angegeben hat. Der Abzug einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 17.888,72 € beruht damit nicht auf einer Schätzung des Senats, sondern auf den vom Kläger für maßgeblich erklärten Angaben der Beklagten im Berufungsverfahren, die sich der Kläger in seinem Antrag im Sinne der für ihn günstigsten Berechnung der Nutzungsentschädigung zu eigen gemacht hat. Schon aus diesem Grund kann es auf den in dritter Instanz gehaltenen Vortrag nicht ankommen.
cc) Unzutreffend ist schließlich der Einwand des Klägers, der Senat weiche mittels der Bemessung der Beschwer unter Abzug einer Nutzungsentschädigung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Der Senat bringt bei der Bemessung der Beschwer nicht eine eigene Schätzung des Vorteilsausgleichs in Ansatz, sondern hält den Kläger an seinem Antrag und dem dort enthaltenen Verweis auf die Angaben der Beklagten im Berufungsverfahren fest.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers setzt sich der Senat damit auch nicht in Widerspruch zu einem auf eine Gegenvorstellung ergangenen Beschluss des VII. Zivilsenats vom 23. Februar 2022 (VII ZR 277/21, n.v.). Aus der vom Kläger vorgelegten Entscheidung des dortigen Berufungsgerichts ergibt sich, dass die Höhe der Nutzungsentschädigung - anders als hier - nicht von der dortigen Beklagten darzulegen war. Im Übrigen hat der VII. Zivilsenat in einem späteren Beschluss vom 9. März 2022 (VII ZR 666/21, juris Rn. 4) gerade als möglich erachtet, dass in der hiesigen Konstellation vergleichbaren Fällen für die Bemessung der Beschwer eine Nutzungsentschädigung anzurechnen ist.
3. Die weiteren Haupt- und Hilfsanträge führen, soweit sie nicht ohnehin eine Nebenforderung betreffen, nicht zu einer 20.000 € übersteigenden Beschwer. Insbesondere ist mangels konkreten Vortrags der hilfsweise geltend gemachte Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden unter Berücksichtigung eines 20%igen Abzugs mit allenfalls 1.000 € zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2021 - VI ZR 281/20, juris Rn. 7).
Menges Rensen Möhring Vogt-Beheim Götz Vorinstanzen: LG Bochum, Entscheidung vom 29.07.2020 - I-4 O 439/19 OLG Hamm, Entscheidung vom 19.08.2021 - I-18 U 147/20 -