Paragraphen in X ZR 89/23
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
1 | 267 | AEUV |
1 | 651 | BGB |
1 | 97 | ZPO |
1 | 314 | ZPO |
Sortiert nach dem Alphabet
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
1 | 267 | AEUV |
1 | 651 | BGB |
1 | 97 | ZPO |
1 | 314 | ZPO |
BUNDESGERICHTSHOF X ZR 89/23 Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL in dem Rechtsstreit ja nein ja ja Verkündet am: 4. Juni 2024 Wetzel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle FluggastrechteVO Art. 3 Abs. 3 Ein im Rahmen eines Chartervertrags vereinbartes Beförderungsentgelt stellt nicht schon deshalb einen für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO dar, weil es individuell ausgehandelt wurde und geringer ist als der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich verlangte Preis (Fortführung von BGH, Urteil vom 21. September 2021 - X ZR 79/20, BGHZ 231, 137 = NJW 2021, 3659 = RRa 2021, 279 Rn. 14 ff. und Rn. 22 ff.).
FluggastrechteVO Art. 3 Abs. 6 Satz 2 Der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ist nicht erfüllt, wenn es bei einem trotz Annullierung einer Pauschalreise vorgesehenen und durchgeführten Flug zu einer Ankunftsverspätung gekommen ist.
BGH, Urteil vom 4. Juni 2024 - X ZR 89/23 - LG Frankfurt am Main AG Frankfurt am Main ECLI:DE:BGH:2024:040624UXZR89.23.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Hoffmann und Dr. Deichfuß, die Richterin Dr. Kober-Dehm und den Richter Dr. Rensen für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Juni 2023 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht auf Ausgleichsleistungen nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch.
Die Klägerin buchte für insgesamt sieben Personen bei Aida Cruises eine Kreuzfahrt, die vom 29. Dezember 2021 bis 8. Januar 2022 stattfinden sollte. Im Reisepreis inbegriffen waren der Hinflug nach Lissabon und der Rückflug von Las Palmas (Gran Canaria) mit einem anderen Luftfahrtunternehmen.
Am 2. Januar 2022 teilte Aida Cruises in einem Kabinenbrief mit, das Schiff werde wegen einer Covid-19-Erkrankung zahlreicher Besatzungsmitglieder nicht auslaufen; die Passagiere würden am Folgetag von der Beklagten von Lissabon nach Frankfurt am Main zurückbefördert.
Die Beklagte führte die Rückflüge aufgrund eines Chartervertrags mit Aida Cruises aus. Aufgrund verspäteten Abfluges kamen die Reisenden in Frankfurt am Main mit einer Verspätung von 24 Stunden an.
Das Amtsgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß zu einer Ausgleichszahlung in Höhe von 400 Euro pro Person nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Amtsgericht habe zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b FluggastrechteVO bejaht.
Die Fluggastrechteverordnung sei gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b FluggastrechteVO anwendbar.
Die Anwendung der Verordnung sei nicht gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 FluggastrechteVO ausgeschlossen. Die Reisenden hätten den Flug durch die Zahlung des Reisepreises erkauft. Die Beklagte habe für die Charterflüge von Aida Cruises ein Entgelt erhalten. Die Flüge seien folglich Ergebnis der Absatztätigkeit der Beklagten gegenüber Aida Cruises. Selbst wenn Aida Cruises berechtigt gewesen sei, den Pauschalreisevertrag einseitig zu beenden, oder wenn dieser Vertrag einvernehmlich beendet worden sei, habe die Pflicht des Reiseveranstalters zur Rückbeförderung gemäß § 651l Abs. 2 BGB fortbestanden.
Der Vortrag der Beklagten, die Flüge seien am Markt nicht buchbar gewesen, weil die Beklagte Lissabon nicht anfliege, und die Tarife seien speziell ausgehandelt worden, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Eine solche Fallgestaltung sei für Charterflüge typisch und falle nicht unter den Tatbestand von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO.
Die Anwendung der Fluggastrechteverordnung sei auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ausgeschlossen. Im Pauschalreiserecht gebe es den Begriff der Annullierung nicht. Eine Konkretisierung des Begriffs lasse sich jedenfalls in gewisser Weise aus Art. 2 Buchst. l FluggastrechteVO herleiten. Ausgehend davon sei eine Annullierung als objektive Nichtdurchführung der Pauschalreise anzusehen. Im Streitfall habe die Pauschalreise nur vorzeitig geendet. In der Literatur werde vertreten, dass Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO alle Fälle erfasse, in denen der Flug nicht erbracht werde und die Gründe dafür nicht in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens lägen. Im Streitfall liege die Ursache für die große Ankunftsverspätung allein in der Sphäre der Beklagten.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichszahlung entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b FluggastrechteVO bejaht.
1. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO normierten Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung erfüllt sind.
a) Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte den bereits vom Amtsgericht festgestellten Umstand, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den in Rede stehenden Flug verfügt haben, weder in erster noch in zweiter Instanz bestritten.
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus dieser für den Senat gemäß § 314 ZPO bindenden tatbestandlichen Feststellung, dass die betroffenen Fluggäste eine Buchungsbestätigung erhalten haben, die den Vorgaben von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO entspricht.
Das Berufungsgericht legt allerdings nicht näher dar, welchen Inhalt die Bestätigung hatte. Angesichts der unangegriffenen tatbestandlichen Feststellung, dass die Fluggäste mit einem bestimmten, anhand von Datum, Uhrzeit und Flugnummer bezeichneten Flug befördert werden sollten, waren diesbezügliche Feststellungen indes auch nicht erforderlich.
Da die Beklagte die Erteilung einer bestätigten Buchung in den Vorinstanzen nicht in Zweifel gezogen hat, war die Klägerin nicht gehalten, näher zum Inhalt der Buchungsbestätigung vorzutragen oder diese zum Beweis vorzulegen.
b) Angesichts dessen kommt der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob die Angaben in dem Kabinenbrief vom 2. Januar 2022 den Tatbestand des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO ausfüllen, keine Bedeutung zu.
Das Berufungsgericht hat seine Feststellung nicht auf den Kabinenbrief gestützt, sondern auf das unbestrittene Klagevorbringen der Klägerin, wonach eine ordnungsgemäße Buchungsbestätigung erteilt worden ist. Einer Vorlage dieser Bestätigung oder einer näheren Schilderung ihres Inhalts bedurfte es aus den oben aufgezeigten Gründen im Streitfall nicht.
c) Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob die von den Parteien auch als Umbuchung bezeichnete Buchung des Rückfluges von Lissabon anstelle des ursprünglich vorgesehenen Fluges von Las Palmas zugleich als Verlegung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b FluggastrechteVO anzusehen ist und ob an die Bestätigung einer Verlegung geringere Anforderungen zu stellen sind als an die Bestätigung der ursprünglichen Buchung.
d) Der erstmals in der Revisionsinstanz erhobene Einwand, aus dem Klagevorbringen ergebe sich nicht, dass sich die betroffenen Fluggäste rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden haben, vermag das angefochtene Urteil ebenfalls nicht in Frage zu stellen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist davon auszugehen, dass Fluggäste mit einer bestätigten Buchung dem Erfordernis, sich vor dem Flug zur Abfertigung einzufinden, nachgekommen sind, wenn das Luftfahrtunternehmen sie auf dem betreffenden Flug an Bord genommen und an ihren Zielort gebracht hat (EuGH, Beschluss vom 24. Oktober 2019 - C-756/18, RRa 2020, 26 Rn. 28 - easyJet Airline).
Im Streitfall haben die betroffenen Fluggäste den für sie bestimmten Rückflug nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wahrgenommen. Die Klägerin war deshalb nicht gehalten, näher zu ihrem rechtzeitigen Erscheinen vorzutragen.
e) Dass der ursprünglich gebuchte Flug von Las Palmas am 8. Januar 2022 wie geplant stattgefunden hat, ist unerheblich.
Aus den oben aufgezeigten Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass der Reiseveranstalter die betroffenen Fluggäste von dem ursprünglich gebuchten Flug auf den Rückflug von Lissabon nach Frankfurt am Main umgebucht hat. Für die Frage, ob ein Anspruch auf Ausgleichszahlung besteht, ist damit allein maßgebend, ob es bezüglich des zuletzt genannten Fluges zu einer Annullierung oder einer großen Ankunftsverzögerung gekommen ist.
2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass keine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO vorgelegen hat.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einem Flug, der als Teil einer Pauschalreise gebucht wurde, für die Beurteilung, ob eine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO gegeben ist, auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen als Leistungsträger abzustellen (BGH, Urteil vom 17. März 2015 - X ZR 35/14, NJW-RR 2015, 823 = RRa 2015, 182 Rn. 14).
In diesem Verhältnis ist die Rückbeförderung nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall entgeltlich erfolgt.
b) Ob darüber hinaus erforderlich ist, dass der Flug auch im Verhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden entgeltlich ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist im Streitfall auch diese Voraussetzung erfüllt, weil der Rückflug von Lissabon zu den Leistungen gehört, die die Reisenden durch die Zahlung des Reisepreises "erkauft" haben.
Hierfür ist unerheblich, dass der Rückflug von Lissabon nicht Teil des ursprünglichen Reiseprogramms war. Ausschlaggebend ist, dass die Rückbeförderung zu den vom Reiseveranstalter aufgrund des Reisevertrags geschuldeten Leistungen gehört hat.
3. Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Beförderung nicht aufgrund eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren reduzierten Tarifs im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO erfolgt ist.
a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich aus dem Vorbringen der Beklagten keine Reduzierung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO ergibt.
Nach der Rechtsprechung des Senats liegt ein reduzierter Tarif vor, wenn ein Entgelt vereinbart ist, das geringer ist als das üblicherweise geforderte Entgelt (BGH, Urteil vom 21. September 2021 - X ZR 79/20, BGHZ 231, 137 = NJW 2021, 3659 = RRa 2021, 279 Rn. 14).
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann dem Umstand, dass die Beklagte vom Reiseveranstalter ursprünglich einen höheren Preis gefordert hat, nicht entnommen werden, dass jener Preis dem üblicherweise geforderten Entgelt entspricht. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass der im Streitfall individuell ausgehandelte Preis geringer ist als der übliche Preis, ergeben sich aus dem von der Revision aufgezeigten Vorbringen der Beklagten nicht.
b) Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob der im Streitfall vereinbarte Preis zudem für die Öffentlichkeit verfügbar war.
4. Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner entschieden, dass die Anwendung der Verordnung nicht nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ausgeschlossen ist.
a) Nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO gilt die Verordnung nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird.
b) Dieser Ausnahmetatbestand ist im Streitfall nicht erfüllt.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen der Abbruch einer bereits begonnenen Pauschalreise aufgrund eines Rücktritts oder einer einvernehmlichen Vertragsbeendigung als Annullierung im Sinne von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO anzusehen ist. Unabhängig davon, ob im Streitfall eine Annullierung der Pauschalreise vorliegt, ist der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Klageansprüche nicht darauf gestützt werden, dass die Annullierung der Reise zugleich zur Annullierung des Fluges geführt hat, sondern darauf, dass es bei einem trotz Annullierung der Reise vorgesehenen und durchgeführten Flug zu einer Ankunftsverspätung gekommen ist.
aa) Der Wortlaut von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO könnte allerdings dahin verstanden werden, dass eine Anwendung der Fluggastrechteverordnung stets ausscheidet, wenn eine Pauschalreise annulliert wird, ohne dass die Annullierung eines Fluges hierfür ausschlaggebend war.
bb) Dieses Verständnis widerspräche jedoch der Systematik der Vorschrift.
(1) Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO regelt den Fall, dass nicht nur ein Flug annulliert wird, sondern eine Pauschalreise, die diesen Flug als vertraglich geschuldete Leistung umfasst. In diesem Fall ist die Verordnung nur dann anwendbar, wenn die Annullierung des Fluges den Grund für die Annullierung der Reise insgesamt bildet. Nicht anwendbar ist die Verordnung hingegen, wenn die auf anderen Gründen beruhende Annullierung der Reise zugleich die Annullierung des Fluges zur Folge hat.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, werden damit die Verantwortungsbereiche des Reiseveranstalters und des ausführenden Luftfahrtunternehmens voneinander abgegrenzt. Das ausführende Luftfahrtunternehmen ist nur dann Ansprüchen aus der Fluggastrechteverordnung ausgesetzt, wenn die in seinen Verantwortungsbereich fallende Annullierung des Fluges zugleich den Grund für die Annullierung der Reise bildet.
(2) Für eine diesbezügliche Differenzierung ist kein Raum, wenn ein gebuchter Flug trotz Annullierung des Reisevertrags stattfinden soll und dieser Flug aus anderen Gründen annulliert wird oder mit Verspätung ankommt.
Auch in dieser Konstellation fällt die Annullierung des Reisevertrags zwar typischerweise in den Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters. Sie steht aber nicht in Zusammenhang mit dem trotz der Stornierung vorgesehenen Flug und der dabei aufgetretenen Annullierung oder Verspätung. Folglich ist in solchen Fällen die Fluggastrechteverordnung anwendbar.
cc) Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den Zielen und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
Die im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Regelung, nach der die Verordnung ohne Einschränkungen auch für Fluggäste gelten sollte, deren Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist, wurde vom Europäischen Parlament abgelehnt, weil solche Fluggäste schon aufgrund der Haftung des Reiseunternehmens für die ordnungsgemäße Erfüllung des Pauschalreisevertrags einschließlich des Fluges ein angemessenes Maß an Schutz genössen. Die Kommission hielt diesen Schutz nicht für gleichwertig, weil Pauschalreisende keine unmittelbaren Rechte gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen haben. Der Rat der Europäischen Union entschied sich für einen Mittelweg (Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 28. März 2019 - C-163/18, BeckRS 2019, 5191 Rn. 43; Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 18. März 2003, ABl. EU C 125 E/63).
Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, den Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO auf Konstellationen zu beschränken, in denen die Annullierung einer Pauschalreise zugleich den Grund für die Annullierung eines Fluges bildet. In diesem Fall liegen die Ursachen für die Annullierung allein in der Sphäre des Reiseveranstalters. Soll hingegen ungeachtet der Annullierung der Reise ein Flug durchgeführt werden, bei dem es zu einer Annullierung oder Verspätung kommt, liegt eine Konstellation vor, in der ein Pauschalreisender des in der Verordnung vorgesehenen Schutzes grundsätzlich in gleicher Weise bedarf wie jeder andere Fluggast.
Diese Differenzierung entspricht der Systematik der Verordnung, die Pauschalreisende nur punktuell aus ihrem Anwendungsbereich ausnimmt und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach Ausnahmeregelungen, die den Schutz der Fluggäste einschränken, grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. nur EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 - C-549/07, RRa 2009, 35 Rn. 17 - Wallentin-Hermann).
dd) Entgegen der Auffassung der Revision schließt Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO Konstellationen, in denen wegen eines Notfalls kurzfristig eine Beförderungsmöglichkeit geschaffen werden muss, nicht generell aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus.
Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO knüpft an den oben dargelegten Ursachenzusammenhang zwischen der Annullierung einer Pauschalreise und der Annullierung eines Fluges an. Die Vorschrift differenziert hierbei nicht danach, aus welchem Grund die Pauschalreise annulliert worden ist. Deshalb kann sie nicht als Ausnahmeregelung für Notfälle interpretiert werden.
5. Die Ausführungen zur Höhe der zuerkannten Ansprüche greift die Revision nicht an. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen.
III. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV ist nicht geboten.
1. Wie der Senat bereits in den zitierten Entscheidungen dargelegt hat, ist die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und 3 FluggastrechteVO durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend geklärt.
2. An der oben dargelegten Auslegung von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO besteht angesichts der aufgezeigten Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift kein vernünftiger Zweifel.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Bacher Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm Rensen Vorinstanzen: AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 18.01.2023 - 382 C 225/22 (42) LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 27.06.2023 - 2-24 S 28/23 -
Urheber dieses Dokuments ist der Bundesgerichtshof. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
1 | 267 | AEUV |
1 | 651 | BGB |
1 | 97 | ZPO |
1 | 314 | ZPO |
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
1 | 267 | AEUV |
1 | 651 | BGB |
1 | 97 | ZPO |
1 | 314 | ZPO |
Der nachfolgende Link führt Sie zum originalen Dokument. Aufgrund der technischen Natur des Internets ist es möglich, dass der Link zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir nicht alle Links einer ständigen Prüfung unterziehen können.
Öffnen