Paragraphen in 1 StR 176/22
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
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3 | 66 | StGB |
1 | 4 | StPO |
1 | 349 | StPO |
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BUNDESGERICHTSHOF StR 176/22 BESCHLUSS vom 30. Juni 2022 in der Strafsache gegen alias: wegen Mordes ECLI:DE:BGH:2022:300622B1STR176.22.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 30. Juni 2022 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 16. Februar 2022 im Ausspruch über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Maßregelanordnung und bleibt im Übrigen ohne Erfolg.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuldund Strafausspruch keinen Rechtsfehler ergeben.
2. Dagegen hat der Ausspruch über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung keinen Bestand, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass sich die Strafkammer des ihr durch § 66a Abs. 2 StGB eröffneten Ermessens bewusst gewesen ist; dass sie ihr Ermessen ausgeübt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht zu erkennen.
a) Gegen die Anordnung eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung (§ 66a Abs. 2 StGB) neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (BGH, Beschluss vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 245 Rn. 7 ff. mwN). Die auf § 66a Abs. 2 StGB gestützte Anordnung, deren formelle Voraussetzungen das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht hat, liegt dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 245 Rn. 25 und vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15 Rn. 3). Die Urteilsgründe müssen stets erkennen lassen, dass das Tatgericht sein Ermessen ausgeübt hat und welche Erwägungen dabei leitend waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 251 Rn. 25 mwN; vom 16. August 2018 – 4 StR 200/18 Rn. 24 und vom 19. Juli 2017 – 4 StR 245/17 Rn. 9).
In Fällen, in denen – wie hier – vorbehaltene Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe angeordnet wird, muss das Tatgericht dem Ausnahmecharakter der Vorschrift in besonderer Weise gerecht werden und tragfähig begründen, dass und warum die kumulative Anordnung der Maßregel auch im konkreten Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 251 Rn. 26 mwN; vgl. zur unbedingten Sicherungsverwahrung auch Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 8/17 Rn. 19). In die erforderliche Gesamtabwägung aller für und gegen die Maßregelanordnung sprechenden Umstände müssen dabei erkennbar auch diejenigen Gesichtspunkte eingestellt werden, die gegen die Maßregelanordnung sprechen können (BGH, Beschluss vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 251 Rn. 27 mwN).
Im Rahmen der Ermessensentscheidung, ob die Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe im Einzelfall veranlasst ist, muss insbesondere berücksichtigt werden, dass eine solche Anordnung – ebenso wie in Fällen unbedingter Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe – für den Betroffenen belastende, aber auch begünstigende Auswirkungen hat; diese sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Blick zu nehmen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 252 Rn. 28 f. mwN).
Darüber hinaus ist zu prüfen und zu bewerten, ob und gegebenenfalls wie sich der Umstand, dass dem Angeklagten im Nachverfahren die Anordnung von Sicherungsverwahrung droht, auf seine Bereitschaft auswirkt, im Rahmen des Strafvollzugs an seiner Resozialisierung mitzuwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2018 – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 252 Rn. 30 mwN).
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Den Urteilsgründen ist auch nach ihrem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht überhaupt des Umstands bewusst gewesen ist, mit der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung eine Ermessensentscheidung zu treffen. Neben den – ohnedies sehr knappen und teilweise auch zu allgemein gehaltenen – Ausführungen zu den gesetzlichen Voraussetzungen der Maßregelanordnung fehlt es an jeglicher Abwägung und Begründung, aus welchen Gründen die Strafkammer sich unter Ausübung des ihr eröffneten Ermessens zur Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung veranlasst gesehen hat.
Jäger Leplow Fischer Pernice Hohoff Vorinstanz: Landgericht Ulm, 16.02.2022 - 3 Ks 31 Js 13141/21
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