Paragraphen in 9 W (pat) 20/17
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph |
---|
Sortiert nach dem Alphabet
Häufigkeit | Paragraph |
---|
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 20/17
_______________________
(Aktenzeichen)
BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2014 003 214.0 …
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung am 19. September 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hilber und der Richter Paetzold, Dr.-Ing. Baumgart und Dr.-Ing. Geier ECLI:DE:BPatG:2018:190918B9Wpat20.17.0 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 64 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. Juli 2017 aufgehoben und ein Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:
- Einziger Patentanspruch, eingereicht mit Schriftsatz vom 22. August 2018,
- zwei Seiten Beschreibung, eingereicht mit Schriftsatz vom 22. August 2018,
- Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, gemäß den ursprünglich eingereichten Unterlagen.
Gründe I. Die Prüfungsstelle für Klasse B 64 C des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung die am 6. März 2014 eingereichte deutsche Patentanmeldung 10 2014 003 214.0 des Herrn S…, F…feld in N…, mit der Bezeichnung
„Anordnung von Tragflächen an oder in einer Flugzeugzelle und oder Karosserie“,
auf Basis eines mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2014 eingereichten Patentanspruchs, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 29. Oktober 2014, mit einem am 4. Juli 2017 elektronisch signierten Beschluss zurückgewiesen.
Laut der Beschlussbegründung sei der Gegenstand des geltenden Hauptanspruchs unzulässig erweitert. Darüber hinaus gelange der Fachmann ohne erfinderisch tätig zu werden auf einfache Weise zum Gegenstand des Hauptanspruchs, indem er aerodynamische Tragflächen, die er entweder aufgrund seines Fachwissens kenne oder aus der Entgegenhaltung 2 entnehme, weil diese Entgegenhaltung 2 sich ebenfalls mit senkrecht startenden Flugzeugen befasse, zum Gegenstand der Entgegenhaltung 1 hinzufüge, ohne dass hier in erfinderischer Weise ein Synergieeffekt entstünde.
In dem dem Beschluss vorausgegangenen Prüfungsverfahren ermittelte die Prüfungsstelle für Klasse B 64 C des Deutschen Patent- und Markenamts als relevanten Stand der Technik die Druckschriften D1: US 2012 / 0 187 236 A1 und D2: DE 1 252 537 B.
Diese Benennung wird im Folgenden beibehalten.
Gegen den Zurückweisungsbeschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 10. Juli 2017, am selben Tag per Fax eingegangene Beschwerde des Patentanmelders, die er mit gleichem Schriftsatz und mit Schriftsatz vom 26. Juli 2017 im Einzelnen begründet.
Mit Schriftsatz vom 22. August 2018 reicht der Beschwerdeführer einen neuen Patentanspruch sowie eine neue Beschreibung ein und beantragt mit diesem Schriftsatz auf Grundlage dieser Unterlagen zusammen mit den ursprünglichen Zeichnungen ein Patent zu erteilen.
Der einzige geltende Patentanspruch lautet:
Anordnung von Tragflächen (1) an oder in einer Flugzeugzelle (3) und oder Karosserie zur Bewegung dieser im aerodynamischen Flug und Tragflächen (2) für senkrechte Flugbewegung und mit Rädern (4) zum Fahren und Rollen, dadurch gekennzeichnet, dass die Tragflächen (1) für den aerodynamischen Flug rechtwinklig zur Längsachse (8) angebracht sind und gegen die Flugrichtung (7) parallel zur Längsachse (8) angeströmt werden, und die Tragflächen (2) für die senkrechten Steigund Sinkflugbewegungen beweglich, nämlich in die Flugzeugzelle (3) einziehbar und aus dieser ausfahrbar, und verstellbar angebracht sind und rechtwinklig zur Längsachse (8) angeströmt werden von einer durch einen Ventilator erzeugten Luftströmung, welche unbeteiligt ist an der aerodynamischen Flugrichtung.
Wegen des Wortlauts der geltenden Beschreibung, der sonstigen Unterlagen sowie zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die statthafte Beschwerde ist formgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg durch Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Erteilung mit den im Beschlusstenor angegebenen Unterlagen.
2. Die Erfindung betrifft laut ihrem Titel die Anordnung von Tragflächen an oder in einer Flugzeugzelle.
Gemäß der Beschreibung zähle es zu einem wesentlichen Nachteil von gängigen Flächenflugzeugen, dass diese nicht zu senkrechten Flugbewegungen, insbesondere bei deren Start und Landung, fähig seien.
Ziel der Erfindung sei es daher eine Anordnung zu schaffen, mit welcher Flugzeuge in die Lage versetzt würden, sowohl waagrechte wie auch senkrechte Bewegungen in der Luft durchzuführen.
3. Bei der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik sowie dem Verständnis des Anmeldegegenstandes wird von einem Durchschnittsfachmann ausgegangen, der als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Luft- und Raumfahrttechnik ausgebildet ist und der über mehrere Jahre Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konzeption von Luftfahrzeugen verfügt.
4. In der geltenden Fassung erweist sich der gewerblich anwendbare Gegenstand des einzigen Patentanspruchs als gewährbar, denn dieser ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart, sowie weder vorbekannt noch durch den Stand der Technik nahe gelegt.
4.1 Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des geltenden Patentanspruchs nachstehend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben.
M0 Anordnung von M1 Tragflächen (1) an oder in einer Flugzeugzelle (3) und oder Karosserie zur Bewegung dieser im aerodynamischen Flug und M2 Tragflächen (2) für senkrechte Flugbewegung und M3 mit Rädern (4) zum Fahren und Rollen,
dadurch gekennzeichnet, dass M1.1 die Tragflächen (1) für den aerodynamischen Flug rechtwinklig zur Längsachse (8) angebracht sind und M1.2 gegen die Flugrichtung (7) parallel zur Längsachse (8) angeströmt werden, und M2.1 die Tragflächen (2) für die senkrechten Steig- und Sinkflugbewegungen beweglich, nämlich in die Flugzeugzelle (3) einziehbar und aus dieser ausfahrbar, und verstellbar angebracht sind und M2.2 rechtwinklig zur Längsachse (8) angeströmt werden von einer durch einen Ventilator erzeugten Luftströmung, welche unbeteiligt ist an der aerodynamischen Flugrichtung.
Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I). Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellten technische Lehre ergibt (BGH GRUR 2007, 859 – Informationsübermittlungsverfahren).
Der vorstehend definierte Fachmann entnimmt dem einzigen Patentanspruch als dessen Gegenstand eine Anordnung (Merkmal M0), die zwei Arten von Tragflächen an einer Flugzeugzelle und/oder einer Karosserie umfasst.
Die erste Art von Tragflächen (Merkmal M1) ist für den aerodynamischen Flug konzipiert und rechtwinklig zur Längsachse der Flugzeugzelle und/oder der Karosserie angeordnet (Merkmal M1.1). Diese Tragflächen entsprechen damit den üblichen Tragflächen in der Anordnung eines konventionellen Flugzeugs, die gemäß den Gesetzen der Aerodynamik bei deren Umströmung mit Luft aufgrund der horizontalen Fortbewegung des Flugzeugs über Grund den notwendigen Auftrieb des Flugzeugs bewirken. Diese Tragflächen werden gemäß Merkmal M1.2 daher auch gegen Flugrichtung parallel zur Längsachse angeströmt.
Die zweite Art von Tragflächen (Merkmal M2) ist dem entgegen für senkrechte Flugbewegungen, also unmittelbare senkrechte Steig- und Sinkflugbewegungen konzipiert. Ihre Anbringung an der Flugzeugzelle erfolgt gemäß Merkmal M2.1 beweglich, nämlich in die Flugzeugzelle einziehbar und aus dieser ausfahrbar, was deren Verstellbarkeit bedingt.
Zur Bewirkung eines Auftriebs, umso die geforderten Steig- und Sinkflugbewegungen zu ermöglichen, werden die zweite Art von Tragflächen rechtwinklig zur Längsachse der Flugzeugzelle angeströmt, wobei die hierfür benötigte Luftströmung durch einen Ventilator separat erzeugt wird und die Luftströmung so geleitet wird, dass diese nicht auf die erste Art von Tragflächen wirkt (Merkmal M2.2). Ein solcher Ventilator könnte gemäß der Beschreibung dabei beispielsweise in der Flugzeugzelle untergebracht sein. Die beanspruchte Anströmung der zweiten Art von Tragflächen rechtwinklig zur Längsachse der Flugzeugzelle bedingt dabei eine Orientierung dieser Tragflächen parallel zur Längsachse, wodurch der gewollte Auftrieb für den Senkrechtstart realisierbar ist.
Darüber hinaus umfasst die beanspruchte Anordnung nach Merkmal M3 Räder zum Fahren und Rollen.
4.2 Der einzige Patentanspruch ist zulässig, denn die in diesem beanspruchte Anordnung ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart. So basiert der nun beanspruchte Gegenstand – offensichtliche Fehler beseitigend und sprachlich korrigierend zulässig überarbeitet – auf jener Anordnung, wie sie in dem ursprünglich eingereichten einzigem Patentanspruch ausgeführt ist, unter Konkretisierung der Bewegbarkeit der zweiten Art von Tragflächen derart, dass diese in die Flugzeugzelle (3) einziehbar und aus dieser ausfahrbar und insoweit auch verstellbar sind. Letzteres Merkmal ergibt sich dabei aus der ursprünglichen Beschreibung in Verbindung mit den Figuren.
Jenes Merkmal, welches von der Prüfungsstelle für Klasse B 64 C des Deutschen Patent- und Markenamts in dem dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegenden Patentanspruch als ursprünglich nicht offenbart angesehen wird, ist in dem geltenden Patenanspruch nicht mehr enthalten.
4.3 Der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik sowohl neu wie auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.
a) Die Druckschrift D1 offenbart in Figur 1 ein Luftfahrzeug mit einer Luftfahrzeugzelle, an der mehrere Tragflächen (fatwing 14) angeordnet sind. Die Anordnung dieser Tragflächen erfolgt dabei derart, dass diese von einem Luftstrom angeströmt werden können, der rechtwinklig zu der Längsachse der Luftfahrzeugzelle orientiert ist (vgl. Figur 3b). Der Luftstrom wird durch im Inneren des Luftfahrzeugs angeordnete Ventilatoren (blower 2) erzeugt, ist zunächst vertikal orientiert und wird anschließend durch eine einsprechende Anordnung von Wänden 5 und 6 derart umgelenkt, dass er das Luftfahrzeug in vertikaler Richtung verlässt. Bei Überströmen der Tragflächen 14 entsteht dann auf diese Weise ein Auftrieb, der es dem Luftfahrzeug ermöglicht, senkrechte Flugbewegungen durchzuführen (vgl. Absatz [0014]).
Ferner kann das in der Druckschrift D1 offenbarte Luftfahrzeug gemäß Anspruch 23 Räder für die Bewegung auf Straßen und Wegen umfassen.
Aus der Druckschrift D1 geht daher eine Anordnung gemäß dem Merkmal M0 des geltenden Patentanspruchs hervor, die ferner die Merkmale M2 und M2.2 sowie das Merkmal M3 umfasst.
Der Druckschrift D1 ist allerdings nicht zu entnehmen, dass die Tragflächen 14 gemäß Merkmal M2.1 in die Flugzeugzelle einziehbar und aus dieser wieder ausfahrbar sind. Ebenso wenig umfasst das in der Druckschrift D1 offenbarte Luftfahrzeug eine zusätzliche Tragfläche für den aerodynamischen Flug gemäß den Merkmalen M1, M1.1 und M1.2. Vielmehr ist beispielsweise in dem Absatz [0014] explizit aufgeführt – „wingless Aircraft“ –, dass das Luftfahrzeug gerade solche Tragflächen nicht benötigt, ebenso wie in Absatz [0027] „… it does not have outstreched wings …“.
b) Die Druckschrift D2 offenbart ein Flugzeug mit Tragflächen für den aerodynamischen Flug, die rechtwinklig zur Längsachse des Flugzeuges angeordnet sind. An diesen sind neben Triebwerken 11 für den Vorwärtsflug Hubtriebwerke 14 in speziell dafür vorgesehenen Gondeln 13 angebracht, wobei mittels der Hubtriebwerke 14 unmittelbar ein vertikaler Flug des Flugzeugs ermöglicht werden kann. Zusätzliche Tragflächen, die gemäß der Merkmale M2. M2.1 und M2.2 des geltenden Patentanspruchs ausgebildet sind, umfasst das in der Druckschrift D2 offenbarte Flugzeug jedoch nicht.
c) Vor diesem Hintergrund war der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs auch durch die Kenntnis bzw. die Kombination der Druckschriften D1 und D2 am Anmeldetag nicht zu erreichen, denn keine der beiden Druckschriften offenbart weder explizit noch implizit das Merkmal M2.1. Da es nach Überzeugung des Senats auch nicht im Fachwissens des Durchschnittsfachmanns liegt, für die Auftriebserzeugung vorgesehene Tragflächen in die Flugzeugzelle einziehbar anzuordnen, beruht der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4.4 Mithin ist der in dem geltenden Patentanspruch beanspruchte Gegenstand patentfähig.
5. Die im Vergleich zu der ursprünglich eingereichten Beschreibung vorgenommenen Änderungen der geltenden Beschreibungsunterlagen betreffen Umstellungen des ursprünglichen Beschreibungstextes zur Anpassung an den üblichen Aufbau einer Patentbeschreibung, die Aufnahme des Standes der Technik sowie sprachliche Anpassungen an den nun beanspruchten Gegenstand im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung.
Derartige Änderungen sind ohne weiteres zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn sie auf einen der nachfolgenden Gründe gestützt wird, nämlich dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Hilber Paetzold Dr. Baumgart Dr. Geier Ko
Urheber dieses Dokuments ist das Bundespatentgericht. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.
Häufigkeit | Paragraph |
---|
Häufigkeit | Paragraph |
---|
Der nachfolgende Link führt Sie zum originalen Dokument. Aufgrund der technischen Natur des Internets ist es möglich, dass der Link zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir nicht alle Links einer ständigen Prüfung unterziehen können.
Öffnen