Paragraphen in 17 W (pat) 13/15
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 13/15 Verkündet am 31. Januar 2017
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2013 000 081.5 - 53 …
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Ing. Hoffmann BPatG 154 05.11 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Januar 2015 aufgehoben und die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 8. Januar 2013 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:
„Bedienschnittstelle zum berührungslosen Auswählen einer Gerätefunktion“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 9. Januar 2015 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, weil er durch die Lehre der Druckschrift D1 i. V. m. der Lehre der Druckschrift D5 (s. u.) nahegelegt sei. Dabei sei das Merkmal der „durch den Raum hindurchschwenkenden Wischbewegung“ bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, weil es ausschließlich der Erhöhung des Komforts für den Benutzer bei der Handhabung des Geräts diene. Das gelöste Problem sei damit nicht ein technisches, welches außerhalb der Datenverarbeitungsanlage liege, sondern eine Adaptation des Programms an die menschlichen Möglichkeiten für eine schnellere Aktivierung der Funktion. Technische Probleme, die sich aus einer technischen Vorrichtung oder einem technischen Ablauf außerhalb einer Datenverarbeitungsanlage ergeben würden, hätten für dieses Merkmal ebenso wenig eine Bedeutung wie die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage selbst.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Sie führt aus, der entscheidende Aspekt beim Gegenstand von Patentanspruch 1 bestehe darin, dass ein Gesten-Erkenner auf ein klingelndes Telefon mit der Anpassung seines Gestenrepertoires reagiere, was als technischer Vorgang zu werten und damit bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Durch den Stand der Technik werde diese automatische Anpassung des Gestenrepertoires an ein klingelndes Telefon auch nicht nahegelegt.
In der mündlichen Verhandlung reicht sie einen durch Details aus der Beschreibung weiter eingeschränkten neuen Hauptanspruch ein und erläutert, dass sich sein Gegenstand vom Stand der Technik, auch von den neu entgegengehaltenen Druckschriften D6, D7 und D8 (s. u.) unterscheide. Insbesondere sei keiner der Entgegenhaltungen zu entnehmen, dass das Erkennen der binären Wischgeste durch das Hineinfassen der Hand der Bedienperson in einen definierten Raumbereich ausgelöst werde, wobei der Raumbereich deutlich kleiner sei als der Erfassungsbereich der Kamera, und im Übrigen als quaderförmiger Volumenbereich mit Kanten in der Größenordnung von 20 cm bis 50 cm ausgebildet sei. Eine weitere Besonderheit bestehe in der Positions- und/oder Bewegungserfassung der Hand auf der Grundlage von 3D-Bildern einer 3D-Kamera.
Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 – 6, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung Seiten 1, 5 bis 10 vom Anmeldetag,
Seiten 2, 3, 4, 4a vom 26. November 2013, 2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 und 2 vom Anmeldetag.
Die geltenden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 6 lauten (mit einer Kennzeichnung der Unterschiede zum ursprünglichen Patentanspruch 1 bzw. Patentanspruch 7, sowie mit redaktioneller Korrektur falscher Bezugszeichen und Begriffe, jeweils durch einen nachgestellten * markiert; ferner beim Anspruch 1 mit einer neuen Merkmalsgliederung):
(A) 1. Verfahren zum Betreiben einer Bedienschnittstelle (10) eines Gerätes, insbesondere eines Kraftfahrzeugs,
(B) wobei durch eine optische Sensoreinrichtung (26) der Bedienschnittstelle (10) berührungslos eine Hand (24) einer Bedienperson beobachtet und in Abhängigkeit von einer Bewegungsrichtung (32, 34) der Hand (24) eine Funktion (40, 42) des Gerätes Kraftfahrzeugs (12)* ausgewählt und aktiviert wird,
(C) wobei bei der optischen Sensoreinrichtung (10 26*) die Hand (24) mittels einer 3D-Kamera beobachtet wird und eine Position und/oder Bewegung der Hand (24) auf der Grundlage von 3D-Bilddaten der 3D-Kamera (26)* ermittelt werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
(D) die optische Sensoreinrichtung (26) einen Erfassungsbereich (28) aufweist und der Erfassungsbereich (28) einen Raumbereich (30) oberhalb einer Mittelkonsole des Kraftfahrzeugs umfasst, wobei es sich bei dem Raumbereich (30) um einen quaderförmigen Volumenbereich handelt, dessen Kanten jeweils Abmessungen aufweisen, die in einem Bereich von 20 cm bis 50 cm liegen, und wobei
(E) für den Fall, dass ein Telefon des Kraftfahrzeugs läutet, durch die Sensoreinrichtung (10 26*) detektiert wird, ob die Bedienperson mit der Hand (24) in einen den vordefinierten Raumbereich (30) hineinfasst, und nach Detektieren der Hand (24) in dem Raumbereich (30) eine binäre Wischgeste nach rechts oder links erkannt wird, durch welche die Bedienperson festlegt, ob sie den Telefonanruf entweder annimmt oder das Telefonat ablehnt,
(F) und hierzu eine Berechnungseinheit (26 16*) anhand der 3DBilddaten der optischen Sensoreinheitrichtung* (26) erkennt, dass es sich bei der Hand (24) der Bedienperson um ein bewegtes Objekt mit der Form einer Hand handelt, und eine Bewegungstrajektorie der Hand (24) in dem Erfassungsbereich (28) verfolgt und dabei überprüft, ob sich die Hand (24) in dem vorbestimmten Raumbereich (30) befindet, und
(G) falls die Berechnungseinheit (16) erkennt, dass sich die Hand (24) in dem Raumbereich (30) befindet, eine Funktionsauswahl aktiviert wird, bei welcher eine Wischbewegung der Hand (24) zu einem Rand des Raumbereichs (30) hin erkannt wird und eine durch die Wischbewegung definierte Bewegungsrichtung (32, 34) ermittelt wird und eine der Bewegungsrichtung (32, 34) zugeordnete Funktion (40, 42) ausgewählt wird, sodass die Bedienperson mit einer einzigen Bediengeste eine binäre Auswahl trifft.
7.6. Kraftfahrzeug mit einer Bedienschnittstelle (10) zum Aktivieren von zumindest einer Funktion des Kraftfahrzeugs, wobei die Bedienschnittstelle (10) eine optische Sensoreinrichtung (10 26*) aufweist und dazu ausgelegt ist, ein Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche durchzuführen, wobei die Sensoreinrichtung (10 26*) eine TOF-Kamera (26)* zum Beobachten der Hand aufweist.
Zu den Unteransprüchen 2 bis 5 wird auf die Akte verwiesen.
Der Senat bemängelt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass die „Eingabe vom 8. Januar 2015“ mit einen neuen Haupt- und Hilfsantrag, auf welche die Prüfungsstelle sich im Ladungszusatz vom 8. Januar 2015 bezieht, nicht Bestandteil der elektronischen Amts-Akte geworden ist und dem Senat daher nicht zur Verfügung stand.
Als der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe ist angegeben, eine Bedienschnittstelle für ein Gerät (bzw. für ein Kraftfahrzeug) bereitzustellen, mit welcher eine Bedienperson das Gerät auch mit geringer Aufmerksamkeit bedienen kann (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0005]).
II.
Die von einer der beiden Anmelderinnen eingelegte, rechtzeitig eingegangene und auch sonst zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß PatG § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3.
1. Ausgehend von den nunmehr geltenden Patentansprüchen betrifft die vorliegende Patentanmeldung eine berührungslose Bedienschnittstelle eines Kraftfahrzeugs zur Annahme oder Ablehnung eines Telefonanrufs, im Fall dass das Telefon läutet (siehe Offenlegungsschrift Absätze [0001], [0008], [0012]); sowie ein Kraftfahrzeug mit einer solchen Bedienschnittstelle.
Aus dem Stand der Technik war grundsätzlich auch für Kraftfahrzeuge bereits eine berührungslose Gesteneingabe zur Auswahl von Bedienfunktionen bekannt.
Mit den Merkmalen des neuen Patentanspruchs 1 soll eine solche Gesteneingabe auf die Anwendung im Kraftfahrzeug und insbesondere auf die Bedienung bei einem ankommenden Telefonanruf hin optimiert werden. So ist als optische Sensoreinrichtung für die Gesteneingabe eine 3D-Kamera vorgesehen, mit welcher die Position und / oder Bewegung einer Hand des Benutzers berührungslos ermittelt werden kann. Wenn die Bedienperson bei einem ankommenden Telefonanruf mit ihrer Hand in einen definierten Raumbereich innerhalb des Erfassungsbereichs der 3D-Kamera hineinfasst, wird daraufhin die Erkennung einer Handbewegung entweder nach rechts oder nach links („binäre Wischgeste“) erkannt und eine Funktionsauswahl, nämlich die Annahme oder die Ablehnung des Anrufs, aktiviert. Dadurch kann die Bedienperson mit einer einzigen Bediengeste eine binäre Auswahl treffen. In technischer Hinsicht erfordert die Erkennung des Hineinfassens in den Raumbereich und einer darauf folgenden Handbewegung wesentlich weniger Aufwand als ein vollständiges Gestenerkennungs-System.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, eine Bedienschnittstelle für ein Kraftfahrzeug bereitzustellen, mit welcher eine Bedienperson Funktionen des Kraftfahrzeugs auch mit geringer Aufmerksamkeit bedienen kann, ist ein Entwicklungsingenieur für Bedienschnittstellen mit Bachelor- oder Master-Abschluss in der Elektrotechnik, Datenverarbeitungstechnik oder Informatik und mehrjähriger Berufserfahrung anzusehen.
2. Die geltenden Patentansprüche sind zulässig.
Der Patentanspruch 1 entspricht mit seinen Merkmalen (A) und (B) sowie einem Teil der Merkmale (E) und (G) dem ursprünglichen Anspruch 1. Merkmal (C) geht aus dem ursprünglichen Unteranspruch 5 hervor. Das neue Merkmal (D) geht auf die ursprüngliche Beschreibung, Seite 8 Zeile 8 / 9, Zeile 13 / 14 und Zeile 23 bis 25 zurück. Der über den ursprünglichen Anspruch 1 hinausgehende Teil des Merkmals (E) entspricht der Lehre nach Seite 4 Zeile 15 bis 19 der Beschreibung; der Begriff „binäre Wischgeste“ stammt aus Seite 9 Zeile 27. Merkmal (F) ist der ursprünglichen Beschreibung Seite 8 Zeile 17 bis 22 entnehmbar. Die erste Einfügung in Merkmal (G) entspricht der Lehre nach Seite 8 Zeile 27 bis 29, der am Ende angehängte Nebensatz geht auf Seite 10 Zeile 1 zurück.
Die Unteransprüche 2 bis 5 stimmen mit den ursprünglichen Unteransprüchen 2 bis 4 und 6 überein. Der neue Nebenanspruch 6 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 7, unter Hinzunahme des ursprünglichen Unteranspruchs 8.
Die beanspruchte technische Lehre ist verständlich umschrieben und in Verbindung mit der Beschreibung auch ausführbar.
3. Die generelle Nicht-Berücksichtigung einer „durch den Raum hindurchschwenkenden Wischbewegung“ bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ist nicht angemessen.
Im Zurückweisungsbeschluss hat die Prüfungsstelle ausgeführt, das Merkmal der „durch den Raum hindurchschwenkenden Wischbewegung“ sei bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, weil es ausschließlich der Erhöhung des Komforts für den Benutzer bei der Handhabung des Geräts diene. Das gelöste Problem sei damit nicht ein technisches, welches außerhalb der Datenverarbeitungsanlage liege, sondern eine Adaptation des Programms an die menschlichen Möglichkeiten für eine schnellere Aktivierung der Funktion. Technische Probleme, die sich aus einer technischen Vorrichtung oder einem technischen Ablauf außerhalb einer Datenverarbeitungsanlage ergeben würden, hätten für dieses Merkmal ebenso wenig eine Bedeutung wie die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage selbst.
Dieser Argumentation kann nur zum Teil gefolgt werden.
In einer seiner neueren Entscheidungen (BGH GRUR 2015, 1184 – Entsperrbild) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass eine Anzeige, welche dem Benutzer einen gegebenen Steuerbefehl zum Entsperren eines Bildschirmgerätes und den Fortgang von dessen Ausführung symbolisiert, das technische Problem löst, dem Benutzer den Entsperrvorgang optisch kenntlich zu machen. Hingegen betreffe die Anweisung, diese Anzeige als Bewegung eines Entsperrbildes entlang eines angezeigten Pfades auf dem Bildschirm auszuführen, (nur) die inhaltliche Ausgestaltung der mit graphischen Mitteln gegebenen Information; damit werde allein dem menschlichen Vorstellungsvermögen Rechnung getragen.
Eine ähnlich differenzierte Betrachtungsweise ist auch im vorliegenden Fall angebracht. Eine Lehre zur „schnelleren“ oder „bequemeren“ Aktivierung von Funktionen darf nicht generell als un-technische Problemlösung abqualifiziert werden. Vorliegend enthält Merkmal (E) den Aspekt der Erkennung einer „binären Wischgeste nach links oder rechts“ als unmittelbare Steuerungs-Eingabe für eine besondere Situation, nämlich dass auf ein spezielles Ereignis hin (Telefon läutet) eine bestimmte Handbewegung unmittelbar (d. h ohne weitere Vorbereitung wie etwa eine Initialgeste) die eine mögliche Funktion auslöst (Gesprächsannahme), und die entgegengesetzte Handbewegung die andere mögliche Funktion (Ablehnung des Gesprächs). Dieser Aspekt des Merkmals (E) beruht u. a. auf der technischen Überlegung, dass eine solche einfache Richtungsunterscheidung kein komplettes Gestenerkennungs-System erfordert, und trägt ferner zur Lösung des grundsätzlich auch technischen Problems bei, die mentale Belastung des Benutzers zu verringern und die Geräte-Bedienung auch mit geringer Aufmerksamkeit zu ermöglichen.
Andererseits dürfte die konkrete Orientierung der Geste (Bewegung nach links oder rechts), soweit bisher ersichtlich, nicht auf technischen Überlegungen beruhen, sondern allenfalls dem menschlichen Vorstellungsvermögen Rechnung tra- gen. Insoweit ist bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nur auf die technisch einfache Richtungsentscheidung zur Auslösung einer Funktion abzustellen, wohingegen die Orientierung (rechts/links im Gegensatz zu oben/unten, vor/zurück o. ä.) nicht zu berücksichtigen sein dürfte.
4. Der bisher ermittelte Stand der Technik steht dem geltenden Patentanspruch 1 nicht patenthindernd entgegen.
Im Laufe des Verfahrens sind folgende Druckschriften entgegengehalten worden:
D1 US 2012 / 105 613 A1 D2 US 2010 / 231 509 A1 D3 US 2012 / 293 402 A1 D4 US 2005 / 063 564 A1 D5 US 2011 / 060 499 A1 D6 US 2011 / 286 676 A1 D7 ZOBL, Martin et al.: Gesture Components for Natural Interaction with In-Car Devices. In: Lecture Notes in Artificial Intelligence, Springer-Verlag, 2004, S. 448 bis 459 D8 Benutzerhandbuch: ALCATEL onetouch 997, TCT Mobile Ltd. (2012), Seiten 1 bis 4, 22 / 23, 37, 143 Anmerkung: Im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes und auf der Offenlegungsschrift wird außerdem die Druckschrift US 2008 / 13 826 A1 als Entgegenhaltung genannt; sie ist im Prüfungsverfahren aber nicht zitiert oder diskutiert worden, und sie berührt inhaltlich den Gegenstand des geltenden Patentbegehrens nur ganz allgemein, ohne dass beanspruchte Details entnehmbar wären. Im Register fehlt dafür die o. g. Druckschrift D2.
Druckschrift D1 beschreibt eine Gestensteuerung für Kraftfahrzeuge. Mit Hilfe einer optischen Kamera 16 (Figur 2) wird die Hand einer Bedienperson beobachtet, und in Abhängigkeit von der Bewegung (Absatz [0082]: Bestimmung der Bewegungstrajektorie) wird eine Fahrzeug-Funktion ausgelöst (Absatz [0009]). Jedoch wird hier als „Geste“ ein mit einem Finger auf eine (beliebige) Oberfläche gezeichneter Buchstabe oder eine Zahl verstanden (Absätze [0036], [0044], [0066]), keine Bewegungsrichtung oder binäre Bewegung im Raum. Eine 3DKamera ist nicht erforderlich und wird auch nicht beschrieben, ebenfalls fehlt ein definierter Volumenbereich, in den die Hand hineinfassen soll, innerhalb eines (größeren) Erfassungsbereiches. Auch ein Auslöse-Ereignis wie ein eingehender Telefonanruf ist nicht beschrieben. Der von der Prüfungsstelle in diesem Zusammenhang zitierte Absatz [0050] bezieht sich ersichtlich auf eine Funktion zur Bestätigung der getroffenen Gesten-Auswahl durch den Benutzer („Did you write ‚defrost‘?“ … the user may speak „yes“) und alternative Bestätigungsmöglichkeiten. Eine konkrete Anregung, Fahrzeug-Funktionen durch Bewegungsrichtungen der Hand auszulösen, ist hingegen nicht erkennbar.
Aus der Druckschrift D2 ist eine Gesten-Steuerung für ein chirurgisches Werkzeug bekannt, wobei aber die Funktionsweise der Gesten-Erkennung nicht näher beschrieben ist. Zwar lässt sich den Figuren 2A/2B und Absatz [0023] eine SchwenkBewegung der Hand entnehmen, jedoch (nur) zur Kalibrierung eines kontinuierlich begrenzbaren Bewegungsbereiches („von – bis“); das hat mit einer binären Entscheidungsgeste nichts zu tun. Auch die übrigen Bewegungen dienen weniger zur Auslösung von Funktionen als vielmehr zur Navigation in der Bild-Anzeige und zur proportionalen Steuerung von Geräte-Bewegungen (siehe etwa Absatz [0024]).
Auch die Druckschrift D3 beschreibt eine Bedienschnittstelle mit einer optischen Sensoreinrichtung (depth camera) zur berührungslosen Beobachtung einer Hand (Figur 3, Absatz [0033]). Hier ist aber ein Projektor 312 vorgesehen zur Projizierung einer Bedien-Oberfläche 308 auf einen Untergrund 304. Die Auswertung erfolgt nicht durch Erkennen einer Bewegungsrichtung, sondern durch Bestimmung ob ein Objekt der Projektion 308 berührt wird oder ob der Finger nur darüber schwebt (Absatz [0035]: „hover state or touch state“). Das Auslösen von Funktionen auf ein Auslöse-Ereignis wie einen eingehenden Telefonanruf hin ist dabei ebensowenig beschrieben wie eine binäre Entscheidungsgeste. Allerdings beschreibt Absatz [0022] als eine Technik zur Erstellung der „depth map“ das in der Anmeldung angegebene „time of flight“-Verfahren (Hinweis auf 3D-Kamera bzw. TOF-Kamera des Nebenanspruchs 6).
Die Druckschrift D4 beschreibt eine Bedienschnittstelle für ein Kraftfahrzeug mit einer optischen Sensoreinrichtung (video camera 3) zur berührungslosen Beobachtung einer Hand in einem Erfassungsbereich (image pickup zone 3a), siehe Figur 1 / 2, Figur 11 und die Absätze [0003], [0028]; jedoch findet keine 3DErfassung in einem definierten Volumenbereich des Erfassungsbereichs statt (Absatz [0032]: „The image pickup zone is a rectangle in shape“). In Abhängigkeit von der erfassten Geste (Figur 11, Absatz [0046]) können verschiedenste Funktionen des Fahrzeugs (Absätze [0008], [0073]) ausgewählt und aktiviert werden. Im Unterschied zur Anmeldung sind vier verschiedene Hand-Muster beschrieben (Figur 6A bis 6D; Absatz [0045]), denen unterschiedliche Funktionen zugeordnet sind. Dabei wird zunächst gemäß Absatz [0048] / Figur 7 S13 ein bestimmtes Muster (Fig. 6D: hand pattern 4) als Startgeste erwartet. Der Benutzer erhält dann eine akustische Rückmeldung (Absatz [0031]: guidance section 19), die es ihm ermöglicht, Menüfunktionen mit anderen Hand-Mustern gezielt auszuwählen (Figur 11); das hand pattern 2 (Figur 6B) dient beispielsweise in Verbindung mit einer Bewegungserkennung zur Einstellung eines variablen Parameters (Figur 11 P5a / P5b – amount setting mode, siehe die Absätze [0067] und [0062]). Von einer „binären Wischgeste“ zur Auswahl zweier unterschiedlichen Funktionen ist aber keine Rede, ebensowenig wie von der Steuerung eines Telefons oder der Frage, ob ein eingehender Anruf angenommen oder abgelehnt werden soll.
Auch die Druckschrift D5 beschreibt für ein Kraftfahrzeug eine Bedienschnittstelle mit einer optischen Sensoreinrichtung (camera 41) zur berührungslosen Beobachtung einer Hand 25. Allerdings ist die „eigentliche“ Bedienschnittstelle hier ein Touchpanel 42 in Verbindung mit einem Bildschirm 50. Die optische Sensorik erkennt keine Gesten, sondern die Anzahl der ausgestreckten Finger, und leitet daraus das zu bedienende Fahrzeug-System ab (Figur 2: ein Finger für audio operation window 15c, zwei Finger für destination setup window 15d for car navigation usw., siehe auch die Absätze [0037], [0038], [0043], [0044]). Dazu wird nun das zugeordnete Untermenü auf dem Bildschirm 50 angezeigt, und durch entsprechendes Berühren des Touchpanels („then the touch panel 42 is pressed“) kann dann z. B. eine Menüauswahl getroffen oder ein Parameter verstellt werden (vgl. etwa Absatz [0043]). Das Berühren von Feldern des Touchpanels kann aber nicht als „Gesteneingabe“ verstanden werden. Ferner ist von einem definierten Volumenbereich innerhalb des Erfassungsbereiches der Kamera und von einer 3DKamera oder 3D-Bilddaten keine Rede.
Die Druckschrift D6 (siehe Absatz [0002] der Anmeldung) betrifft eine GestenErkennung im Kraftfahrzeug mittels einer time-of-flight-Kamera 110 (3D-Kamera). In welcher Weise das beschriebene System auf erkannte Gesten reagiert, ist jedoch nur kurz und „grundsätzlich“ in Absatz [0035] beschrieben, konkrete Hinweise in Richtung der Anspruchsmerkmale (D) bis (G) sind nicht entnehmbar. Einzige Ausnahme ist der Vorschlag einer Kontext-Abhängigkeit bei der GestenErkennung – siehe z. B. Absatz [0033]: wenn das Bild auf ein angezeigtes Objekt zentriert ist, sind nur noch zwei Gesten möglich, entweder zur Auswahl des Objekts oder um das Bild aus dem Zentrum fortzuschieben. Dies entspricht einer automatischen Anpassung des Gestenrepertoires an die momentane Betriebssituation und könnte dem Fachmann eine Anregung geben, im Falle eines eingehenden Telefonanrufs eine Einschränkung der vom Benutzer zu erwartenden Gesten vorzusehen.
Die Druckschrift D7 ist aus der PCT-Recherche zu einer Nachanmeldung bekannt. Sie beschreibt statische und dynamische Gesten für eine „natürliche Interaktion“ mit Fahrzeug-Geräten wie Radio, CD, Telefon und Navigationssystem. Dabei beobachtet eine optische Sensoreinrichtung (CCD-Kamera) berührungslos die Hand einer Bedienperson (Seite 452). U. a. in Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung der Hand kann eine Funktion des Kraftfahrzeugs ausgewählt und aktiviert werden (Figur 2a in Verbindung mit Figur 3b: Auswahl „Radio“, „CD“ usw.; Figur 4a: Kanalwechsel beim Radio). Auch hier findet sich aber kein Hinweis auf einen definierten Volumenbereich innerhalb des Erfassungsbereiches oder auf eine 3D-Bilderfassung.
Aus Druckschrift D8 ist ein Smartphone mit Gestenerkennung (Seite 23) bekannt, wobei die Gesten hier aber nicht berührungslos erfolgen, sondern durch Berühren eines Touchscreens. Im Falle eines eingehenden Telefonanrufs (Seite 37) wird detektiert, ob die Bedienperson mit einem Finger einen vordefinierten Bereich des Touchscreens (rundes Feld mit Hörer-Symbol) anfasst, und nach dem Detektieren des Fingers auf dem Feld wird eine binäre Wischgeste nach rechts oder links erkannt, durch welche die Bedienperson festlegt, ob sie den Telefonanruf entweder annimmt oder das Telefonat ablehnt (siehe Abschnitt 3.1.2). Im Unterschied zur Anmeldung ist hier allerdings ein Touchscreen zur Gestenerkennung vorgesehen.
Nach allem ist nicht erkennbar, wie der Fachmann in Kenntnis der genannten Druckschriften zur Lehre des Patentanspruchs 1 hätte gelangen können. Lediglich die Druckschriften D3 und D6 geben Hinweise auf eine 3D-Kamera, ohne dass aber ein Hineinfassen in einen definierten Volumenbereich als Teil des Erfassungsbereiches in irgendeiner Weise beschrieben oder nahegelegt wäre. Auch wenn den einzelnen Druckschriften Teile der beanspruchten Lehre entnehmbar sind, so fehlt es jedoch an einer Anregung, jeweils ausgesuchte Teil-Aspekte genau in der beanspruchten Zusammenstellung zu verknüpfen. Insbesondere lehrt der bisher bekannt gewordene Stand der Technik keinen definierten Volumenbereich innerhalb des Erfassungsbereiches einer 3D-Kamera, wobei das Erkennen einer binären Wischgeste durch das Hineinfassen der Hand der Bedienperson in diesen Volumenbereich ausgelöst würde.
5. Angesichts der neuen Merkmale, die zum größten Teil aus der Beschreibung stammen, muss jedoch festgestellt werden, dass der Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung bisher nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt war. Eine die neuen Merkmale berücksichtigende Recherche steht noch aus.
Die Anmeldung war daher – auch um den Anmelderinnen keine Tatsacheninstanz zu nehmen – an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen (vgl. Busse, PatG, 8. Auflage (2016), § 79 Rn. 88 / 89).
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek Eder Baumgardt Hoffmann Fa
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