3 StR 220/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 220/23 URTEIL vom 7. März 2024 in der Strafsache gegen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:070324U3STR220.23.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 22. Februar 2024 in der Sitzung am 7. März 2024, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schäfer,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Erbguth, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kreicker, Dr. Voigt als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
- in der Verhandlung - Justizhauptsekretärin
- in der Verhandlung -,
Justizamtsinspektorin
- bei der Verkündung - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 24. Januar 2023 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
1. im Strafausspruch;
2. soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Unter Einbeziehung von drei Vorverurteilungen hat es ihn zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I.
1. Zur Person und den einbezogenen rechtskräftigen drei Vorverurteilungen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
a) Der Angeklagte wuchs unter schwierigen Bedingungen und Gewalteinwirkung bei seiner psychisch kranken Mutter auf. Er erlangte nach mehreren Schulwechseln, Klassenwiederholungen und Schulunterbrechungen den Hauptschulabschluss. Nachdem er drei Berufsausbildungen abgebrochen hatte, wurde ihm ein viertes Arbeitsverhältnis wegen wiederholten Zuspätkommens gekündigt. In der Vergangenheit konsumierte er gelegentlich Kokain und nahezu täglich Cannabis. Letzteres hat er mittlerweile reduziert.
b) Im Juni 2018 verurteilte das Amtsgericht Neuss den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Um 50 g abhandengekommenes Cannabis zurückzuerlangen, hatte er im September 2017 im Alter von 17 Jahren mit anderen Tätern gemeinsam zwei Geschädigte zum Einsteigen in ein Fahrzeug beziehungsweise dessen Kofferraum gezwungen, sie zu einem entlegenen Feldweg verbracht und dort massiv mit einem Messer, einem Teleskopschlagstock sowie Tritten verletzt. Das eine Opfer hatte unter anderem Stiche in den Thorax sowie an allen vier Extremitäten, eine Schädelprellung und eine Nasenfraktur erlitten. Der Angeklagte hatte wenigstens einmal selbst zugeschlagen. Das Amtsgericht hatte bei ihm sowohl schädliche Neigungen als auch die Schwere der Schuld bejaht.
c) Im April und Mai 2019 und damit unter laufender Bewährung besaß der inzwischen 18-jährige Angeklagte knapp 24 g Marihuana zum Eigenkonsum und entwendete in einem Kaufhaus Waren im Wert von 1.349,99 €. Deshalb verurteilte ihn das Amtsgericht Ratingen am 29. Juli 2020 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln und Diebstahls unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils zu einer ebenfalls zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.
d) Am 25. Juli 2020 betitelte der Angeklagte zwei Polizeibeamte unter anderem als „Hurensöhne“ sowie „Bullen“ und drohte ihnen an, sie zu „ficken“. Am 30. November 2021 verurteilte ihn deshalb das Amtsgericht Neuss wegen Beleidigung unter Einbeziehung der beiden vorgenannten Urteile zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung es abermals zur Bewährung aussetzte.
2. In dieser Sache hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte als mittlerweile 20-Jähriger gemeinsam mit dem Mitangeklagten im März 2021 und damit vor der unter I.1.d) genannten Verurteilung über etwa 150 g Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 20,9 g THC verfügte. Je 25 g hiervon wollten die Angeklagten selbst verbrauchen. Die verbleibenden 100 g waren zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt, der ihren Konsum finanzieren sollte. Die Angeklagten lagerten die Betäubungsmittel neben einem griffbereiten Butterflymesser in einer Wohnung, zu der sie Zutritt besaßen. Das Marihuana wurde sichergestellt, nachdem die Polizei die Angeklagten bei einem Verkaufsgeschäft beobachtet hatte.
3. Das Landgericht hat Jugendstrafrecht zur Anwendung gebracht. Es hat schädliche Neigungen beim Angeklagten festgestellt und eine Jugendstrafe verhängt. Deren Maß hat es am Erziehungsbedarf ausgerichtet und dabei auf die Notwendigkeit der Bearbeitung der Drogenproblematik abgestellt. Außerdem hat es verschiedene, die Tatmodalitäten der hiesigen Tat betreffende Strafzumessungsumstände berücksichtigt und bedacht, dass der Angeklagte in diesem und den früheren Verfahren geständig gewesen ist sowie an „das“ Opfer der Tat vom September 2017 eine Entschädigung zahlte. Es hat auch die in jenem Fall „festzustellende schwere individuelle Schuld … nicht unberücksichtigt gelassen“, allerdings ohne sich im Übrigen zur Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG zu verhalten. Abschließend hat das Landgericht ausgeführt, dem Angeklagten solle „durch die Verhängung einer bewährungsfähigen Jugendstrafe … die Chance gegeben werden, … Hilfestellungen … wahrzunehmen und seinen Alltag in geregelte Bahnen zu lenken(,) … den Realschulabschluss … zu absolvieren und sich eine berufliche Perspektive aufzubauen“.
Eine mögliche Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Jugendkammer nicht erörtert.
II.
1. Die Revision ist wirksam auf den gesamten Rechtsfolgenausspruch beschränkt und umfasst sowohl die verhängte Jugendstrafe als auch die unterbliebene Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB.
Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsmittelschrift nur zu der aus ihrer Sicht „unvertretbar niedrig“ bemessenen Einheitsjugendstrafe ausgeführt und damit gegebenenfalls eine Beschränkung auf den Strafausspruch zum Ausdruck hat bringen wollen, wäre eine solche unwirksam. Denn nach § 5 Abs. 3 JGG besteht im Jugendstrafrecht grundsätzlich ein untrennbarer sachlicher Zusammenhang zwischen Strafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (BGH, Beschlüsse vom 12. März 2012 - 3 StR 42/12, juris Rn. 2 f.; vom 21. März 2017 - 1 StR 19/17, NStZ-RR 2017, 346; vom 10. November 2021 - 2 StR
433/20, juris Rn. 14, 34; Urteil vom 9. November 2022 - 2 StR 250/22, StV 2023, 840 Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. April 2015 - 3 StR 5/15, juris Rn. 10; Beschlüsse vom 9. September 2015 - 4 StR 334/15, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 22; vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 314/15, StV 2016, 734 Rn. 7; vom 21. März 2017 - 1 StR 19/17, juris Rn. 3; vom 5. April 2017 - 5 StR 111/17, StV 2019, 262 Rn. 3; vom 6. Juli 2018 - 1 StR 261/18, juris Rn. 12; vom 24. Oktober 2018 - 4 StR 314/18, NStZ-RR 2019, 32; vom 8. Januar 2020 - 4 StR 548/19, juris Rn. 10; vom 21. Februar 2023 - 6 StR 493/22, juris Rn. 10; vom 8. August 2023 - 6 StR 328/23, juris Rn. 7). Diese Einheitlichkeit der Sanktionsbestimmung ist ein grundlegendes Prinzip des Jugendstrafrechts (vgl. BeckOK JGG/Kunkel, 32. Ed., § 55 Rn. 21; MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 137; Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Aufl., § 5 Rn. 29 ff., § 7 Rn. 17, § 55 Rn. 20 f.). Ein Ausnahmefall, in dem anderes gelten könnte (s. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - 3 StR 436/21, juris Rn. 12; Beschluss vom 7. Februar 2023 - 3 StR 481/22, juris Rn. 19), liegt nicht vor.
2. Die Revision ist begründet. Sowohl die Festsetzung der Jugendstrafe (a) als auch die Nichterörterung der Maßregel nach § 64 StGB (b) sind rechtsfehlerhaft.
a) Die Einheitsjugendstrafe hat aus zwei Gründen keinen Bestand.
aa) Zum einen hat das Landgericht es versäumt, die Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG zu erörtern, obwohl hierzu Anlass bestanden hat.
(1) Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von den Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen hat, die wesentlichen zumessungsrelevanten Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Auch bei der Prüfung, ob überhaupt eine Jugendstrafe verhängt wird, ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; s. etwa Urteil vom 29. August 2018 - 5 StR 214/18, NStZ-RR 2018, 358 mwN).
(2) Wenn - wie hier - Vorverurteilungen nach § 31 Abs. 2 JGG einzubeziehen sind, verliert ihr bisheriger Strafausspruch seine Wirkung. Das nunmehr zur Verhängung einer einheitlichen Maßnahme oder Jugendstrafe berufene Tatgericht hat diese selbständig und losgelöst von dem bisherigen Strafausspruch der einzubeziehenden Entscheidung zu bestimmen. Die Taten aus den einzubeziehenden Entscheidungen und die aktuellen Delikte sind im Rahmen einer Gesamtbewertung neu zu beurteilen (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2008 - 2 StR 162/08, NStZ 2009, 43; vom 16. Juni 2020 - 4 StR 228/20, StV 2020, 683 Rn. 4). Es begegnet deshalb im Ansatz keinen Bedenken, dass die Höhe der hier verhängten Einheitsjugendstrafe diejenige aus dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Neuss vom November 2021 nicht übersteigt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2015 - 2 StR 274/15, StV 2016, 706 Rn. 5; s. aber auch BeckOK JGG/Schlehofer, 32. Ed., § 31 Rn. 44.1).
(3) Die notwendige vollständige Neubewertung aller zu beurteilender Taten verlangt jedoch, dass das Tatgericht sie insgesamt prüft und gegebenenfalls bewertet, ob sie in ihrer Gesamtheit schädliche Neigungen oder eine Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG offenbaren. Die Jugendkammer hat mit den schädlichen Neigungen hier nur einen der beiden Anordnungsgründe für Jugendstrafe erörtert. Die Schwere der Schuld hat sie nicht bedacht. Dies erweist sich als lückenhaft. Denn die Schwere der Schuld ist immer dann zu erörtern und in einer umfassenden Abwägung nach jugendspezifischen Kriterien zu bestimmen, wenn nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt der inneren Tatseite und dem hierfür relevanten äußeren Unrechtsgehalt der Tat(en) die Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld in Betracht kommt, so unter anderem bei schweren Gewaltdelikten (zu Einzelheiten s. ausführlich BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428 Rn. 8 ff. mwN).
(4) Diesen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden.
Die aktuelle Tat vom März 2021 hat die Jugendkammer im Rahmen der konkreten Strafzumessung in einer Parallelwertung als minder schwer im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG eingeordnet. Ob das Tatgeschehen eine Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG begründet, hat sie nicht erörtert, obgleich der Gesetzgeber das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln grundsätzlich der Schwerkriminalität zurechnet, wie der Regelstrafrahmen von fünf bis 15 Jahren Freiheitsstrafe zeigt (§ 30a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BtMG). Selbst § 30a Abs. 3 BtMG sieht im Erwachsenenstrafrecht sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe vor. Angesichts des zugleich verwirklichten, bisher nicht berücksichtigten Waffendelikts und des Bewährungsversagens liegt die Annahme von Schwere der Schuld schon für das aktuelle Tatgeschehen trotz der vom Landgericht aufgezeigten Milderungsgründe nicht fern (zur Schuldschwere bei Betäubungsmitteldelikten s. etwa BGH, Beschluss vom 24. Juli 1997 - 1 StR 287/97, StV 1998, 335).
Zur Tat von September 2017 hat das Landgericht ausgeführt, dass sie eine hohe Gewaltbereitschaft des Angeklagten und eine „schwere individuelle Schuld“ belege, dabei aber ebenfalls nicht berücksichtigt, dass schwere Gewaltdelikte in der Regel auch die Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG begründen (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - 3 StR 471/21, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 9 Rn. 11 mwN).
Entscheidend für die vollständige Neubewertung sind jedoch alle fünf abzuurteilenden Taten in ihrer Gesamtheit. Es wäre deshalb zu prüfen gewesen, ob der Angeklagte dadurch, dass er diese Vielzahl von zum Teil gravierenden Straftaten beging, ein Verhalten an den Tag legte, das die Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 JGG begründet. Hierfür hätte die Jugendkammer den gesamten Zeitraum seit 2017 bewerten und insbesondere die schweren Verletzungen der zwei Opfer aus der ersten Tat, das wiederholte Bewährungsversagen und das unter Bereithaltung eines verbotenen Gegenstands begangene Betäubungsmitteldelikt in den Blick nehmen müssen.
(5) Der Strafausspruch beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Beachtung der aufgezeigten Maßstäbe die Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG bejaht und im Folgenden auf eine höhere Jugendstrafe erkannt hätte.
bb) Die Einheitsjugendstrafe hat zum anderen deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht die Zumessung der Strafhöhe unzulässig mit Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung vermengt hat. Insoweit gilt:
Das Tatgericht hat zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden; erst wenn sich ergibt, dass die der Schuld entsprechende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder 2 StGB liegt, ist Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind. Der Umstand, dass die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung bei der Auswahl schuldangemessener Sanktionen mitberücksichtigt worden ist, begründet allerdings allein noch keinen durchgreifenden Rechtsfehler. Denn das Gericht hat auch die Wirkungen, die von einer Strafe ausgehen, in den Blick zu nehmen (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Liegt daher die - schuldangemessene - Strafe in einem Spielraum, in dem grundsätzlich noch eine ausset- zungsfähige Strafe in Betracht kommt, dürfen bereits bei der Strafzumessung die Wirkungen einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe berücksichtigt werden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123 Rn. 41 ff.; vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18, juris Rn. 31; jeweils mwN).
Vorliegend hat die Jugendkammer die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung bei der Festsetzung der Strafhöhe jedoch nicht nur mitberücksichtigt, sondern die Strafhöhe unter den Leitgedanken gestellt, dass dem Angeklagten „durch die Verhängung einer bewährungsfähigen Jugendstrafe“ die Chance eingeräumt werden „soll“, von Hilfestellungen zu profitieren, die nur in Freiheit greifen. Die vom Landgericht gewählten Formulierungen lassen besorgen, dass es unter Vernachlässigung der Schuldangemessenheit den Sanktionskorridor von vornherein auf das Höchstmaß von zwei Jahren verengt hat, um den Angeklagten in jedem Fall auf freiem Fuß belassen zu können.
Ein solches Vorgehen ist im Erwachsenen- wie im Jugendstrafrecht rechtsfehlerhaft. Auch nach dem Jugendgerichtsgesetz sind die Fragen der Verhängung einer Jugendstrafe und ihrer Höhe einschließlich des gerechten Schuldausgleichs sowie des Erziehungsbedarfs grundsätzlich von denen der Strafaussetzung zur Bewährung zu trennen.
b) Die Nichterörterung einer Maßregel der Besserung und Sicherung hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
Eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist über die aus § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO folgende Pflicht hinaus auch ohne entsprechenden Antrag im Urteil zu begründen, wenn sich die Anordnung nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt (BGH,
Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11, juris Rn. 24; Beschlüsse vom 2. Oktober 2019 - 3 StR 406/19, juris Rn. 3 mwN; vom 15. April 2020 - 5 StR 44/20, StV 2021, 354 Rn. 5). Das ist hier der Fall.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen liegt ein Hang im Sinne von § 64 StGB beim Angeklagten nicht fern (zu den Voraussetzungen nach der am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Neufassung s. etwa BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2023 - 3 StR 411/23, juris Rn. 11). Die Jugendkammer hat ihm ein „Drogenproblem“ bescheinigt und damit den erhöhten Erziehungsbedarf begründet. Früher konsumierte er gelegentlich Kokain und zur Zeit der aktuellen Tat nahezu täglich Cannabis. Letzteres hat er mittlerweile reduziert, ohne den Konsum vollständig im Griff zu haben. Seine Vita ist bis in die Gegenwart von stetigen Abbrüchen und einer Unfähigkeit zur Bewältigung seines Alltags gekennzeichnet.
Der Angeklagte ist außerdem mehrfach einschlägig vorbestraft. Bereits die Tat aus 2017 nahm ihren Ursprung in einem Handeltreiben nach dem Betäubungsmittelgesetz. Im April 2019 besaß der Angeklagte etwa 25 g Marihuana zum Eigenverbrauch. Nunmehr hat ihn die Jugendkammer erneut wegen eines Betäubungsmitteldelikts verurteilt, bei dem er unter anderem wieder über 25 g Cannabis für den eigenen Konsum verfügte.
Der Angeklagte beging die aktuelle Tat zudem zur Deckung und Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums. Ihr Symptomcharakter steht damit auch nach den neuen Anforderungen des § 64 StGB außer Frage (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 - 3 StR 185/23, juris Rn. 10; Beschluss vom 2. Januar 2024 - 5 StR 545/23, juris Rn. 2).
Nach der Würdigung des Landgerichts ist der Angeklagte überdies gefährlich im Sinne des § 64 Satz 1 StGB. Es hat ihm eine Neigung zur Begehung von Betäubungsmitteldelikten attestiert und befürchtet solche für die Zukunft.
Die für die Anordnung der Maßregel erforderliche tatsachenbasierte Erfolgsaussicht (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 - 3 StR 225/23, juris Rn. 12) scheidet ebenfalls nicht von vornherein aus. Der Angeklagte wurde bisher nicht therapiert, nahm über mehrere Monate Gespräche mit der Drogenberatung wahr und ist motiviert, seine Drogenproblematik zu bearbeiten.
Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird nach allem - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu zu verhandeln und entscheiden sein.
3. Um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen, werden auch die zugehörigen Feststellungen aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Einen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (§ 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils im Anfechtungsumfang nicht ergeben. Dass die Jugendkammer bei der Bewertung der Tat vom März 2021 schärfend berücksichtigt hat, der Angeklagte sei „erst sieben Monate zuvor mit Urteil vom 30.11.21“ zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, stellt ein offensichtliches Schreibversehen dar. Das Landgericht hat hier ersichtlich auf die Verurteilung durch das Amtsgericht Ratingen vom 29. Juli 2020 (s.o. unter I.1.c)) abstellen wollen, was es durch die Formulierung zum Ausdruck gebracht hat, dort sei dem Angeklagten „zum zweiten Mal“ eine Bewährungschance eingeräumt worden.
Schäfer Berg Erbguth Kreicker Voigt Vorinstanz: Landgericht Düsseldorf, 24.01.2023 - 007 KLs-60 Js 2106/21-14/22