VIa ZR 1488/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 1488/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:100924UVIAZR1488.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 23. August 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen, Liepin und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 13. September 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers - hinsichtlich der mit dem Berufungsantrag zu I verlangten Zahlung von 33.500 € jedoch nur abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.933,85 € sowie abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 11.650 €, ferner mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten - betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 22.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb im September 2014 von dritter Seite ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz C 220 CDI, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von dem Kläger im Juni 2021 zum Preis von 11.650 € weiterveräußert worden.
Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren erheblich - in erster Instanz zunächst die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises in Höhe von 33.500 € nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt, den Zahlungsantrag im Laufe des Verfahrens vor dem Landgericht unter Klagerücknahme im Übrigen jedoch dahin angepasst, dass die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 19.047,83 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen sowie abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 11.650 € begehrt werde. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er ausweislich des die Berufung zurückweisenden Beschlusses die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu II) begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision hat der Kläger zunächst seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt. Er hat die Antragstellung im Laufe des Revisionsverfahren aber dahin angepasst, dass der Berufungsantrag zu I mit dem Inhalt weiterverfolgt werde, dass die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen sowie abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 11.650 € begehrt werde.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
A.
Die Berufung des Klägers war - was als Prozessfortsetzungsvoraussetzung von dem Senat von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Februar 2024 - VIa ZR 368/22, juris Rn. 6 mwN) - zulässig. Der Kläger hat mit seiner Berufung - wie sich aus dem die Berufung zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts ergibt - insbesondere die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs begehrt. Soweit er damit die erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt hat, geschah dies mit einer § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügenden Begründung. Im Übrigen kam es - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - auf die Einhaltung dieser Vorschrift nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2022 - III ZR 242/20, juris Rn. 10).
B.
Die - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung zulässige - Revision des Klägers führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Insbesondere hinsichtlich des Thermofensters und der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die der Kläger beanstande, könne - unterstellt, diese Einrichtungen seien als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren - eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht angenommen werden. Nach dem Vortrag des Klägers verhielten sich das Thermofenster und die KSR unter vergleichbaren Bedingungen im realen Fahrbetrieb nicht anders als in der Prüfungssituation. Das Vorbringen des Klägers zu weiteren Abschalteinrichtungen sei unbeachtlich. Er habe keine konkreten Anhaltspunkte für deren Vorhandensein aufgezeigt. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil diese Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Soweit das Berufungsbegehren des Klägers über die von ihm zuletzt erstinstanzlich gestellten Anträge hinausging, hätte das Berufungsgericht darüber nicht sachlich entscheiden dürfen, da die darin liegende zweitinstanzliche Klageerweiterung angesichts der Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO wirkungslos war (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. November 2016 - III ZR 84/15, NJW-RR 2017, 56 Rn. 13 ff.).
2. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
C.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
Möhring Liepin Götz Rensen Katzenstein Vorinstanzen: LG Amberg, Entscheidung vom 17.08.2021 - 12 O 197/21 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 13.09.2022 - 5 U 3426/21 - Verkündet am: 10. September 2024 Bachmann, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle