21 W (pat) 78/09
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 78/09 Verkündet am 13. September 2012
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BESCHLUSS In der Einspruchsbeschwerdesache …
betreffend das Patent 10 2005 037 043
hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2012 unter Mitwirkung des Richters Dipl.-Phys. Dr. Müller als Vorsitzender sowie der Richterin Hartlieb, des Richters Dipl.-Ing. Veit und der Richterin Dipl.-Phys. Zimmerer beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe I.
Die Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2005 037 043.8 wurde am 5. August 2005 unter der Bezeichnung
"Stoßwellentherapiegerät mit Bildgewinnung" beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 19. Juli 2007.
Gegen das Patent hat die S… AG, München,
mit dem Schriftsatz vom 15. Oktober 2007, eingegangen beim Deutschen Patentund Markenamt am 17. Oktober 2007 Einspruch erhoben.
Die Einsprechende hat mangelnde Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit geltend gemacht.
Ihren Vortrag hat die Einsprechende auf die folgenden Druckschriften gestützt:
E1 US 5 143 073 E2 DE 42 05 030 C2 E3 DE 37 03 335 C2 E4 DE 41 13 697 A1 E5 DE 37 03 338 A1 E6 DE 36 17 032 A1 E7 DE 31 19 295 A1 E8 DE 203 15 924 U1 E9 EP 0 460 536 A1.
In der Anhörung vom 5. Mai 2009 hat die Patentabteilung 1.35 des Deutschen Patent- und Markenamtes den Einspruch als zulässig erachtet und das Patent im Umfang der erteilen Patentansprüche 1 bis 15 beschränkt aufrechterhalten.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet unter Einfügung einer Gliederung:
M1 Stoßwellentherapiegerät mit: M2 einer Stoßwellenquelle zum Aussenden einer Stoßwelle und M3 einer Ultraschalleinheit zur Bildinformationsgewinnung mittels Aussendung und Empfang von Ultraschall dadurch gekennzeichnet, dass M4 die Ultraschalleinheit zum Empfang von reflektierten und/oder gestreuten Anteilen der Stoßwelle für die Bildinformationsgewinnung vorgesehen ist.
Gegen den Beschluss der Patentabteilung richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden vom 8. Juli 2009, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 9. Juli 2009.
Mit einem Ladungszusatz zur mündlichen Verhandlung war vom Senat noch auf folgende Druckschrift hingewiesen worden:
E10 WO 00/13598 A1.
Die Einsprechende ist, wie schriftsätzlich angekündigt, zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
Sie beantragt,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts über die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden hat keinen Erfolg.
1. Die seitens des Senats von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung des Einspruchsvorbringens hat ergeben, dass der Einspruch zulässig ist. Denn der auf mangelnde Patentfähigkeit gestützte Einspruch ist innerhalb der gesetzlichen Einspruchsfrist im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG ausreichend substantiiert worden. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist im Übrigen von der Patentinhaberin nicht bestritten worden.
2. Die Erfindung betrifft ein Stoßwellentherapiegerät mit einer Stoßwellenquelle zum Aussenden einer Stoßwelle und einer Ultraschalleinheit zur Bildgewinnung mittels Aussendung und Empfang von Ultraschall (siehe Streitpatent Abs. [0001]).
Bei der Stoßwellentherapie werden beispielsweise Nieren- oder Gallensteine (Konkremente) mittels fokussierter Stoßwellen zertrümmert. Um den Fokus der Stoßwellenquelle auf das Konkrement oder das Zielgebiet zu richten, ist es nötig, das Konkrement oder entsprechende Strukturen des Zielgebiets zu orten.
Hierzu ist sowohl die Ortung mittels Röntgenstrahlen als auch mittels Ultraschall, beispielsweise aus der DE 203 15 924 U1 und der DE 37 03 335 C2, bekannt (siehe Streitpatent Abs. [0003], [0004], [0008]).
Gemäß der Beschreibungseinleitung wird der physikalische Stoßwellenfokus mit der bekannten Bildkontrolle nicht messtechnisch nachgewiesen und dargestellt. Deshalb kann es durch Fehljustage bei der mechanischen Kopplung der Stoßwellenquelle zu Abweichungen zwischen der angezeigten und der tatsächlichen Fokusposition kommen (siehe Streitpatent Abs. [0007]).
Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Stoßwellentherapiegerät zu schaffen, mit dem in möglichst kostengünstiger Weise und möglichst fehlerunanfällig die Position des Fokus und des Konkrements oder des Zielgebiets kontrolliert werden kann (siehe Streitpatent Abs. [0014]).
Dies wird dadurch gelöst, dass bei dem Stoßwellentherapiegerät mit ein- und derselben Ultraschalleinheit, die zur normalen Bildgewinnung eingesetzt wird, auch Anteile der Stoßwelle zur Bildinformationsgewinnung registriert werden, die im Fokusbereich der Stoßwelle reflektiert oder gestreut werden (siehe Streitpatent Abs. [0015]).
3. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist im Vergleich mit dem entgegengehaltenen Stand der Technik neu (§ 3 Abs. 1 PatG) und ergibt sich für den Fachmann, einen mit der Entwicklung von Ultraschall- und Stoßwellengeräten befassten, berufserfahrenen Medizinphysiker oder Diplom-Ingenieur mit Kontakt zu einem Mediziner, auch nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik (§ 4 PatG).
3a. Der Begriff "Bildinformationsgewinnung" in Merkmal M4 bedarf näherer Erörterung.
Ständiger Rechtsprechung folgend setzt die Prüfung, ob der Gegenstand eines Patentes nach den §§ 1 bis 5 PatG patentfähig ist, grundsätzlich die Ermittlung des Gegenstandes der Patentansprüche voraus.
Im Rahmen der Auslegung sind der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Ergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen.
Dazu ist der Patentanspruch unter Heranziehung der Beschreibung und ggfls. der Zeichnungen aus Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmannes auszulegen und festzustellen, was sich aus den Merkmalen des Patentanspruches im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt.
Die an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung führt zu folgendem Ergebnis bezüglich des Merkmals M4:
Nach dem Merkmal M4 ist die Ultraschalleinheit zum Empfang von reflektierten und/oder gestreuten Anteilen der Stoßwelle für die Bildinformationsgewinnung vorgesehen.
Unter Bildinformation werden die Daten verstanden, die mit mit dem B-Bild-Prozessor und Stoßwellensignalprozessor gewonnen wurden (vgl. Streitpatent Abs. [0065]). Weiter ist in der Streitpatentschrift Abs. [0045] bezüglich des Stoßwellensignalprozessors ausgeführt, dass die Signale, die von den Echos der Stoßwellen resultieren, einem Stoßwellen-Signalprozessor zur Bildgewinnung zugeführt werden. Dem Abs. [0047] der Streitpatentschrift entnimmt der Fachmann weiter, dass der Stoßwellensignalprozessor das Stoßwellenbild berechnet.
Der Fachmann wird daher das Merkmal M4 zweifelsfrei so verstehen, dass aus den reflektierten und/oder gestreuten Anteilen der Stoßwelle ein Stoßwellenbild ermittelt wird. Hierfür ist - entgegen der Auffassung der Einsprechenden - nicht bereits ausreichend, dass ein Ultraschallgerät reflektierte Stoßwellen empfangen kann und diese dann auch (als Artefakte) im Ultraschallbild darstellen wird. Dies entspricht nicht der in Merkmal M4 beanspruchten Verarbeitung der Bildinformation als eigenständiges (Stoßwellen-)Bild.
3b. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist neu (§ 3 PatG).
Die Druckschrift E1 zeigt ein Stoßwellentherapiegerät, das eine Stoßwellenquelle (emitter 3, high frequency electric pulse emitter 21) zum Aussenden einer Stoßwelle und eine Ultraschalleinheit (ultrasound scanning auxiliary transducer 2) zur Bildgewinnung mittels Aussenden und Empfangen von Ultraschall aufweist (vgl. E1 Sp. 1 Z. 27-29: "The invention combines a generator exciting a pulsed focused elastic shock wave treatment beam comprising a main wave emitter and a main transducer, ...", Sp. 3 Z. 7-12, Sp. 4 Z. 1-3, Fig. 1) [= Merkmale M1 bis M3].
In keinem Betriebsmodus erfolgt jedoch eine Bildgewinnung auf Grundlage der reflektierten und/oder gestreuten Anteile der Stoßwelle [Merkmal M4]:
- Im ersten Mode (treatment and checking) erfolgt die Bildaufnahme über die Ultraschalleinheit (checking) alternierend zur Behandlung mit Stoßwellen (treatment) (vgl. E1 Sp. 3 Z. 29-47: "the echography device forms an image ... in the intervals or interruptions between the treatment waves").
- Im zweiten Mode (locating) ist die Stoßwellenquelle (emitter 3) inaktiv (vgl. E1 Sp. 3 Z. 48-58: "... the focused treatment beam is not emitted").
- Im dritten Mode (checking the focal region) empfängt die Ultraschalleinheit Signale, jedoch gibt die Stoßwellenquelle (emitter 3) in diesem Mode keine Stoßwellen, sondern Ultraschallwellen ab (vgl. E1 Sp. 3 Z. 66 - Sp. 4 Z. 3:"...the echographic device ist therefore formed by emitter 3, transducer 1 operating for emission and transducer 2 operating for reception. The result is that an image is obtained ...").
In keiner der vorhandenen Betriebsmodus ist somit vorgesehen, dass eine Stoßwelle ausgesendet wird und außerdem die Ultraschalleinheit die reflektierten und/oder gestreuten Anteile der Stoßwelle für die Bildinformationsgewinnung empfängt [Merkmal M4].
Aus der Druckschrift E10 ist ein Ultraschall-Therapiegerät (ultrasound system 10) mit einer Ultraschallquelle (HIFU array portion 38) und einer Bilderfassungseinheit (imaging array portion 36) bekannt, wobei HIFU (high intensity focused ultrasound = hochintensiver fokussierter Ultraschall) - Wellen zur Behandlung ausgesendet werden (vgl. E10 S. 9 Z. 3-5, S. 11 Z. 7-22, Fig. 2, 4). Damit unterscheidet sich die Vorrichtung bereits im Merkmal M1 von der beanspruchten Vorrichtung, da kein Stoßwellentherapiegerät, sondern ein HIFU-Therapiegerät offenbart ist. HIFU-Wellen sind im Gegensatz zu Stoßwellen kontinuierlich (vgl. E10 Fig. 1a).
3c. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit (§ 4 PatG):
Wie bereits zur Neuheit ausgeführt offenbart die Druckschrift E10 ein Therapiegerät, das zur Therapie kontinuierlich hochintensive fokussierte Ultraschallwellen aussendet. Lediglich zur Kalibrierung können von der Ultraschallquelle (HIFU array portion 38) auch Ultraschall-Impulsbündel ("burst") - ähnlich einer Stoßwelle – ausgesendet werden (vgl. E10 S. 11 Z. 16-19: "In one embodiment the beam is transmitted as a burst at a prescribed frequency for less than 5 microseconds in duration, resulting in a moderate intensity beam,...", Fig. 8 Bz. 84).
Die reflektierten Anteile des Impulsbündels werden von Ultraschall-Empfangselementen (imaging elements 34) und den HIFU-Elementen (32) empfangen (vgl. E10 S. 12 Z. 30-32: "The reflected echoes from the treatment volume act as a point source reflecting a nonlinear ultrasound burst (at the fundamental frequency and harmonics) to both the imaging elements 34 and the HIFU elements 32").
Die Ultraschall-Empfangselemente (imaging elements 34) dienen bei der Aussendung von Ultraschall zur Bildgewinnung (vgl. E10 S. 11 Z. 10-13: "In doing so, diagnostic ultrasound pulses are transmitted from the imaging array portion 36 of the transducer array 12. The reflected ultrasound energy then is processed to view an image of the patient.").
Die reflektierten Wellen des Impulsbündels ("burst") zur Bildinformationsgewinnung auszuwerten, ist jedoch in der Druckschrift E10 nicht erwähnt. Vielmehr werden die Signale der reflektierten Anteile des Impulsbündels zur Laufzeitbestimmung verwendet (vgl. E10 S. 12 Z. 3 – S. 13 Z. 3: "Presence of the specific harmonic allows for measurement of the propagation time from the treatment volume. …").
Damit ist der Druckschrift E10 nicht zu entnehmen, dass die reflektierten und/oder gestreuten Anteile des Impulsbündels für die Bildinformationsgewinnung verwendet werden und dies ergibt sich für den Fachmann auch nicht in nahe liegender Weise. Zusätzlich wird bei der Verwendung von HIFU-Wellen in der Druckschrift E10 darauf verwiesen, dass Ultraschallenergie einer zu hohen Intensität nicht für eine Verwendung zur Bildgebung geeignet ist, weil unerwünschte nichtlineare Fluktuationen auftreten (vgl. E10 S. 13 Z. 4-6, S. 12 Z. 2). Der Fachmann konnte somit der E10 keine Bildinformationsgewinnung gemäß Merkmal M4 entnehmen.
Auch der Druckschrift E1 ist keinerlei Hinweis oder Anregung zu entnehmen, ein Stoßwellenbild aus den reflektierten und/oder gestreuten Anteilen der Stoßwelle zu erzeugen, da - wie bereits zur Neuheit erläutert - die Bildinformationsgewinnung jeweils nur mit den Ultraschallwellen erfolgt.
3d. Die weiteren, eingangs genannten Entgegenhaltungen E2 bis E9 liegen, wie der Senat im Einzelnen überprüft hat, noch weiter ab; sie haben dementsprechend in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt.
Auch aus diesem im Verfahren befindlichen Stand der Technik erhält der Fachmann keinen Hinweis, die Ultraschalleinheit zum Empfang von reflektierten und/oder gestreuten Anteilen der Stoßwelle für die Bildinformationsgewinnung vorzusehen, da in keiner dieser Druckschriften ein Auswerten der reflektierten und/oder gestreuten Anteile einer Stoßwelle für die Bildinformationsgewinnung erwähnt ist.
Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist nach alledem patentfähig.
4. Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 15 betreffen vorteilhafte Ausgestaltungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1. Sie haben deshalb zusammen mit dem Patentanspruch 1 Bestand.
Die übrigen Unterlagen erfüllen insgesamt die an sie zu stellenden Anforderungen.
Dr. Müller Hartlieb Veit Zimmerer Pü