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VI ZB 78/21

BUNDESGERICHTSHOF VI ZB 78/21 BESCHLUSS vom 8. März 2022 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:

nein BGHR:

ja ZPO § 85 Abs. 2, § 130a Abs. 3, § 233 Satz 1 (B)

Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes gehört es zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.

BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - VI ZB 78/21 - OLG Nürnberg LG Nürnberg-Fürth ECLI:DE:BGH:2022:080322BVIZB78.21.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. März 2022 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller sowie die Richter Dr. Klein und Böhm beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 1. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Gegenstandswert: bis 9.000 €

Gründe:

I.

Der Beklagte wurde erstinstanzlich vom Landgericht zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Gegen das ihm am 26. Februar 2021 zugestellte Urteil legte der Beklagte fristgerecht Berufung ein. Am 26. April 2021 ging beim Oberlandesgericht aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein qualifiziert signierter Schriftsatz ein, der mit "Berufungsbegründung" überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Nach Mitteilung der Geschäftsstelle des Berufungssenats, dass der angefügte Schriftsatz nur aus der ersten Seite bestehe, ging am Morgen des 27. April 2021 sodann die vollständige, fünfseitige Berufungsbegründung ein. Am 3. Mai 2021 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.

Zur Begründung hat der Beklagte vorgetragen, seine Rechtsanwältin habe am Morgen des 26. April 2021 ihre Sekretärin angewiesen, die fertige Berufungsbegründung zur Signierung in die Anwaltssoftware einzustellen. Unmittelbar vor dem Signierungsvorgang habe seine Rechtsanwältin das eingestellte Dokument darauf geprüft, ob es sich um das richtige Dokument gehandelt habe. Ferner habe sie den Schriftsatz, bestehend aus insgesamt fünf Seiten, auch nochmals im Hinblick auf das zuständige Gericht, Aktenzeichen, Parteibezeichnung, die gestellten Anträge und die Vollständigkeit des Schriftsatzes geprüft. Auf Seite 1 habe sie noch einen kleinen Tippfehler festgestellt und ihre Sekretärin angewiesen, diesen auszubessern und die Berufungsbegründung sodann abschließend zur Signatur einzustellen. Unmittelbar vor dem erneuten Signaturvorgang habe die Rechtsanwältin den Schriftsatz nochmals geöffnet und überprüft, ob die angewiesene Änderung auf Seite 1 übernommen worden sei. Die Rechtsanwältin habe dabei festgestellt, dass die Büroangestellte den Tippfehler weisungsgemäß ausgebessert habe, und habe anschließend das Dokument signiert. Danach habe die Büroangestellte das Dokument per beA verschickt.

Im Nachgang habe sich herausgestellt, dass die Sekretärin weisungsgemäß den Fehler auf Seite 1 ausgebessert habe. Die geänderte Seite habe sie für die Papier-Handakte ausgedruckt. Anschließend habe sie das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, um es sodann in die Anwaltssoftware zur Signierung einzustellen. Bei dem Print-to-PDF-Vorgang habe das Programm die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs, nämlich Ausdruck nur der Seite 1, übernommen. Das habe die sonst sehr zuverlässige, geschulte und erfahrene Sekretärin übersehen. Die Rechtsanwältin sei ihren Pflichten nachgekommen. Nach der korrekten Änderung des Tippfehlers habe sie davon ausgehen können und müssen, dass der Schriftsatz im Übrigen genau wie zuvor vollständig eingestellt worden sei. Für die Rechtsanwältin habe daher kein Anlass bestanden, den restlichen Schriftsatz nochmals bis zum Ende durchzusehen.

Zur Glaubhaftmachung hat der Beklagte eine anwaltliche Versicherung seiner Rechtsanwältin und eine eidesstattliche Versicherung von deren Sekretärin vorgelegt.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt nicht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet, weil es zu den Pflichten eines Rechtsanwalts gehöre, für einen mangelfreien Zustand des ausgehenden Schriftsatzes zu sorgen. Die Rechtsanwältin des Beklagten habe sich daher nicht darauf verlassen dürfen, dass das von ihrer Sekretärin erneut in die Anwaltssoftware zur Signatur eingestellte PDFDokument vollständig war; sie habe das Dokument, das sie nach eigenem Vorbringen geöffnet habe, vielmehr nochmals vollständig überprüfen müssen. Dann wäre ihr aufgefallen, dass das Dokument nur eine Seite umfasst habe.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

a) Es gehört zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2021 - XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 14; vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 9; vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 12). Ein Rechtsanwalt handelt daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 - XII ZB 39/92, VersR 1993, 79, juris Rn. 2).

Dies gilt auch, wenn ein Schriftsatz zum zweiten Mal vorgelegt wird. Dass ein Rechtsanwalt bei der ersten Vorlage des fehlerhaften Schriftsatzes seiner Kontrollpflicht nachgekommen und die richtigen Anweisungen zur Korrektur gegeben hat, ist nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr, dass der - bislang nicht unterzeichnete - Schriftsatz ein weiteres Mal in seinen eigenen Kontroll- und damit auch Verantwortungsbereich gelangt. Unterzeichnet er ihn diesmal ungeprüft, ist dies einer stets schuldhaften Blankounterzeichnung gleichzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 - XII ZB 39/92, VersR 1993, 79, juris Rn. 2).

b) Nichts anderes kann im elektronischen Rechtsverkehr für die elektronische Signatur gelten. Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift (vgl. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung [EU] Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG [eIDAS-VO]). Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (vgl. zu letzterem BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 21; vom 29. September 2021 - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 12). Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.

c) Nach diesen Grundsätzen hat die Instanzbevollmächtigte des Beklagten sorgfaltswidrig gehandelt, als sie das ihr im zweiten Durchgang zur Signierung zugeleitete elektronische Dokument zwar geöffnet und auf Korrektur des im ersten Durchgang monierten Tippfehlers, nicht aber auf Vollständigkeit im Übrigen überprüft hat.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war eine erneute Überprüfung hier nicht deshalb entbehrlich, weil die Instanzbevollmächtigte des Beklagten im ersten Durchgang das ihr zur Signierung zugeleitete Dokument vollständig überprüft und ihrer Sekretärin die Einzelanweisung erteilt hatte, den Tippfehler auf der ersten Seite der Berufungsbegründung zu korrigieren. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine solche Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03, NJW-RR 2004, 711, 712, juris Rn. 4 f.; BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2021 - XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 15; vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 11; vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; vom 20. März 2012 - VIII ZB 41/11, NJW 2012, 1737 Rn. 10).

Doch unterscheidet sich der hier vorliegende Fall von den der genannten Rechtsprechung zugrundeliegenden Fällen maßgeblich. Dort war ein von dem Rechtsanwalt bereits unterzeichneter und mit der Korrekturanweisung dem Büropersonal übergebener Schriftsatz nicht mehr in den Einflussbereich des Rechtsanwalts gelangt. Hier indessen wurde der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein - nur die erste Seite der Berufungsbegründung enthaltendes, nicht signiertes - Dokument zur Signierung zugeleitet. Ursächlich dafür, dass dieses fehlerhafte Dokument per beA an das Berufungsgericht übermittelt und dadurch die Berufungsbegründungsfrist versäumt wurde, war der Umstand, dass die Instanzbevollmächtigte des Beklagten es ungeprüft signiert hat. Damit hat sie eine neue Gefahr geschaffen. Diese bereits für den herkömmlichen Schriftverkehr entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 - XII ZB 39/92, VersR 1993, 79, juris Rn. 4) gelten umso mehr für den elektronischen Rechtsverkehr, bei dem in einer vergleichbaren Situation nicht lediglich eine Seite eines handschriftlich korrigierten konkreten Schriftsatzes ausgetauscht, sondern - wie der Streitfall zeigt - durch Scan-, Kopier- und Speichervorgänge ein letztlich neues elektronisches Dokument - und damit eine gänzlich neue Gefahrenquelle geschaffen wird.

3. War dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen (§ 520 Abs. 2 und 3 ZPO).

Seiters Oehler Müller Klein Böhm Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 24.02.2021 - 8 O 6187/20 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 01.06.2021 - 2 U 649/21 -

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Häufigkeit Paragraph
2 574 ZPO
1 2 GG
1 3 ZPO
1 85 ZPO
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1 238 ZPO
1 520 ZPO
1 522 ZPO

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