V ZB 165/13
BUNDESGERICHTSHOF V ZB 165/13 BESCHLUSS vom 15. Januar 2015 in der Zurückschiebungshaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Januar 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 13. September 2013 und der Beschluss des Landgerichts Deggendorf - 1. Zivilkammer - vom 14. Oktober 2013 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Deggendorf auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe: I.
Der Betroffene, ein ivorischer Staatsangehöriger, reiste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 13. September 2013 Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 14. Oktober 2013 zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 24. Oktober 2013 hat der Senat die Vollziehung der Sicherungshaft einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene will mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung der Verletzung seiner Rechte erreichen.
II. 2 Das Beschwerdegericht meint, aus dem Haftantrag ergebe sich in hinreichend konkretem Maße die beantragte Haftdauer. Zudem sei aus anderen Verfahren bekannt, dass in der Justizvollzugsanstalt München für Abschiebungshäftlinge eine eigene Abteilung eingerichtet sei. Daher sei Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG Rechnung getragen.
III. 3 Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. 4 1. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war schon deshalb rechtswidrig, weil der Haftantrag unzulässig war. 5 a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 9. Oktober 2014 - V ZB 127/13, juris Rn. 6; vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 15; vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).
In Haftanträgen zur Sicherung einer Zurückschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf der Grundlage eines Aufnahme oder Wiederaufnahmeersuchens nach Art. 16 ff. der Dublin-II-Verordnung muss ausgeführt werden, dass und weshalb der Zielstaat nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rn. 10). Hierzu muss die Behörde auch angeben, in welchem Verfahren die Überstellung erfolgen und in welcher Reihenfolge bei den in Betracht kommenden Staaten nachgefragt werden soll. Erst wenn dem Richter dies mitgeteilt wird, kann er in die Prüfung eintreten, ob eine Zurückschiebung in den angegebenen Zielstaat durchführbar ist (Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 5; Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132, Rn. 10). Dass die Entscheidung darüber nicht bei der beteiligten Behörde, sondern bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegt, macht solche Darlegungen nicht entbehrlich. Notfalls muss die Behörde zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 1 FamFG beantragen und den Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft im Hauptsachverfahren bis zum Eingang der Unterrichtung durch das Bundesamt zurückstellen (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132 Rn. 11).
b) Der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 13. September 2013 entspricht - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - diesen Anforderungen nicht. Aus ihm geht ein EURODAC-Datenabgleich hervor, wonach der Betroffene in Bulgarien und Ungarn jeweils einen Asylantrag gestellt hat. Allerdings soll nach dem Haftantrag zunächst ein Übernahmeersuchen an Österreich gestellt werden. Ausführungen dazu, in welchem Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll und aus welchen Gründen Österreich zur Zurücknahme des Betroffenen verpflichtet ist, fehlen jedoch. Nichts anders gilt im Übrigen auch in Bezug auf Ungarn und Bulgarien, die ebenfalls als Zielstaaten aufgeführt sind.
c) Mängel in der Antragsbegründung wegen fehlender Angaben zu der erforderlichen Haftdauer und zu der Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 FamFG) führen zur Rechtswidrigkeit der auf Grund eines solchen Antrags erlassenen Haftanordnung. Der Mangel ist vorliegend weder durch eine Ergänzung des Haftantrages seitens der Behörde noch durch ergänzende Feststellungen des Haftrichters mit Wirkung für die Zukunft (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.) geheilt worden.
2. Unabhängig davon hat die Haftanordnung des Amtsgerichts den Betroffenen auch deshalb in seinen Rechten verletzt, weil aufgrund des Vollstreckungsplans für den Freistaat Bayern in der Fassung vom 1. Dezember 2011 abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt München und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 17. September 2014 - V ZB 56/14, juris Rn. 4 f.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.
Stresemann Roth Brückner Weinland Kazele Vorinstanzen: AG Deggendorf, Entscheidung vom 13.09.2013 - XIV 548/13 (B) LG Deggendorf, Entscheidung vom 14.10.2013 - 12 T 141/13 -