VIa ZR 1713/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1713/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:180225UVIAZR1713.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen und die Richter Messing, Dr. Katzenstein und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. November 2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29. Dezember 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 22.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
Der Kläger erwarb im Jahr 2012 von der Beklagten einen von dieser hergestellten Neuwagen Mercedes-Benz Viano, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichteten Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger entsprechend seinen Schlussanträgen in der Berufungsinstanz unter einseitig erklärter Teilerledigung hinsichtlich zwischenzeitlich entstandener Nutzungsentschädigung die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit er seine Ansprüche auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe:
Die mit Blick auf die Rechtfertigung des Klageziels aus Delikt uneingeschränkt zugelassene (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg. Die von dem Kläger insoweit vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gegenstandslos (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2024 - VIa ZR 635/23, juris Rn. 4 mwN).
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden, so dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen. Dem steht grundsätzlich nicht entgegen, dass sich der Kläger im Berufungsverfahren darauf beschränkt hat, der Berufung der Beklagten entgegenzutreten, und von der Erhebung einer Anschlussberufung absah. Denn der Übergang vom Antrag auf "großen" Schadensersatz zum Antrag auf Ersatz des Differenzschadens unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts setzt eine Anschlussberufung grundsätzlich nicht voraus (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2024 - VIa ZR 1132/22, WM 2024, 1143 Rn. 12 ff.).
C. Fischer Brenneisen Messing Katzenstein F. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 10.06.2022 - 29 O 39/22 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 29.11.2022 - 24 U 1934/22 - Verkündet am: 18. Februar 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle