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AK 61/18

BUNDESGERICHTSHOF AK 61/18 BESCHLUSS vom 30. Januar 2019 in dem Strafverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung ECLI:DE:BGH:2019:300119BAK61.18.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie der Angeschuldigten und ihrer Verteidiger am 30. Januar 2019 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.

Gründe:

I.

Die Angeschuldigte wurde am 29. Juni 2018 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2018 (2 BGs 507/18) festgenommen und befindet sich seit dem 30. Juni 2018 in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich von Sommer 2014 bis Herbst 2015 in Falludscha und Mossul/Irak als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB.

Wegen dieses Vorwurfs sowie wegen weiterer Tatvorwürfe hat der Generalbundesanwalt unter dem 13. Dezember 2018 Anklage gegen die Angeschuldigte vor dem Oberlandesgericht München erhoben.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Die Angeschuldigte ist der ihr in dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des "Kalifats" im Juni 2014 von ISIG in IS umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm - hat seit 2010 der "Emir" Abu Bakr al-Baghdadi inne. Al-Baghdadi war von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Hinweise darauf, dass dieser zwischenzeitlich getötet wurde, konnten bisher nicht bestätigt werden. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "Shura-Räte". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-l’tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel" (einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah - Rasul - Muhammad") auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete teilte die Vereinigung in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellen, sahen sich der Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom ISIG bzw. IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland, die Verantwortung übernommen.

bb) Die Angeschuldigte reiste Ende August 2014 über Istanbul zunächst nach Syrien und weiter in den Irak, um sich dem IS anzuschließen. Ab September 2014 gliederte sie sich in Falludscha und Mossul/Irak als Mitglied in den IS und dessen Entscheidungs- sowie Befehlsstruktur ein und steigerte dadurch die Präsenz und Aktivität der Vereinigung. Sie war sodann in beiden Städten als Mitglied der "Sittenpolizei" des IS tätig. Ihre Aufgabe bestand darin, abends durch Parks zu patrouillieren und bei den Frauen auf die Einhaltung der von der Vereinigung vorgegebenen Verhaltens- und Kleidungsvorschriften zu achten. Für ihre Tätigkeit erhielt sie vom IS eine monatliche Vergütung in Höhe von etwa 70 bis 100 Dollar. Anfang Februar 2016 kehrte die Angeschuldigte nach Deutschland zurück.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der außereuropä- ischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" aus den "Strukturerkenntnissen", die der Generalbundesanwalt zu dieser Organisation in den Sachakten "Strukturordner IS" zusammengetragen hat, insbesondere aus den islamwissenschaftlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. S.

und Dr. K.

und den Auswerteberichten des Bundeskriminalamts sowie den dort in Bezug genommenen und dargestellten weiteren Quellen.

Im Hinblick auf die mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen der - bislang zur Sache schweigenden - Angeschuldigten beruht der dringende Tatverdacht im Wesentlichen auf der Auswertung ihrer Chatkommunikation. Danach berichtete sie ihrem Chatpartner unter anderem von ihrem Leben beim IS und ihrer Tätigkeit für dessen "Sittenpolizei". Ihre sehr detailreichen Angaben sind nach islamwissenschaftlichen Erkenntnissen realistisch und damit glaubhaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird auf die eingehenden Ausführungen in dem Haftbefehl und in der Anklageschrift Bezug genommen.

c) Danach hat sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB.

Deutsches Strafrecht ist anwendbar (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).

Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern des IS liegt vor.

2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).

Die Angeschuldigte hat im Falle ihrer Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Die Angeschuldigte verfügt zwar über soziale Kontakte in Deutschland. Diese sind aber nicht geeignet, sie von einer Flucht abzuhalten, zumal sich ihrer Chatkommunikation entnehmen lässt, dass sie vor ihrer Festnahme konkret beabsichtigte, sich von einem Fahrer nach Griechenland fahren zu lassen, um von dort aus über die Türkei nach Syrien zu gelangen und in das Gebiet des IS zurückzukehren. In Anbetracht dessen ist zu erwarten, dass sich die Angeschuldigte, sollte sie in Freiheit gelangen, dem Strafverfahren entziehen wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

Daneben begründen die genannten Umstände die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung der Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass - auch bei der verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) - der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft trägt.

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind aus den oben genannten Gründen nicht erfolgversprechend.

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.

Nach der Festnahme der Angeschuldigten am 29. Juni 2018 waren zahlreiche Mobiltelefone, Speicherkarten, zwei Laptops und Tablets, die im Rahmen der Durchsuchungen bei der Angeschuldigten sowie einer Zeugin sichergestellt worden waren, auszuwerten; die Inhalte bedurften teilweise einer Übersetzung. Auf den einzelnen Datenträgern befanden sich zum Teil mehrere Tausend Bilder, die einzeln aufgerufen und gesichtet werden mussten. Überdies waren Zeugen zu vernehmen und ein Rechtshilfeersuchen nach Österreich zu stellen.

Ungeachtet des beträchtlichen Ermittlungsaufwands wurde bereits unter dem 13. Dezember 2018 Anklage vor dem Oberlandesgericht München erhoben. Der Vorsitzende des 8. Strafsenats beim Oberlandesgericht München hat am 19. Dezember 2018 die Zustellung der Anklageschrift an die Angeschuldigte und ihre Verteidiger verfügt; dabei hat er gemäß § 201 Satz 1 StPO eine angemessene Frist zur Stellungnahme von vier Wochen gesetzt.

Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

4. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer Wimmer Berg

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1 3 StGB
1 211 StGB
1 212 StGB
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