IX ZB 28/21
BUNDESGERICHTSHOF IX ZB 28/21 BESCHLUSS vom 24. Februar 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:240222BIXZB28.21.0 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Grupp, die Richterin Möhring, die Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, Röhl und Dr. Harms am 24. Februar 2022 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 6. April 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.348,99 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger vertrat den Beklagten anwaltlich in einem familiengerichtlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht. Der Kläger stellte für den Beklagten einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe. Nachdem der Beklagte die ihm übersandten Vordrucke nicht zurückreichte, übersandte der Kläger ihm eine Kostenrechnung und bat um Ausgleich bis zum 1. Dezember 2015. Zugleich wies er darauf hin, dass anderenfalls eine Kündigung des Mandatsverhältnisses angezeigt sei. Der Beklagte übersandte die ausgefüllten Vordrucke an den Kläger, der diese an das Oberlandesgericht weiterleitete. Dieses setzte einen Verhandlungstermin auf den
14. April 2016 fest und wies mit Telefax vom 29. März 2016 darauf hin, dass mangels Bedürftigkeit des Beklagten eine Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht in Betracht käme. Der Kläger forderte den Beklagten am 30. März 2016 auf, die Kostenrechnung bis zum 8. April 2016 zu begleichen; anderenfalls werde er den Termin nicht wahrnehmen und das Mandat niederlegen. Mit Schreiben vom 1. April 2016 lehnte der Beklagte eine Bezahlung ab. Mit Schreiben vom 8. April 2016, welches dem Beklagten am 12. April 2016 zuging, kündigte der Kläger das Mandatsverhältnis; den Termin nahm er nicht wahr.
Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht Wedding am 8. Januar 2019 einen Mahnbescheid und am 4. Februar 2019 einen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung in Höhe von 1.348,99 € erlassen. Gegen den am 12. Januar 2019 zugestellten Mahnbescheid hat der Beklagte am 6. Februar 2019 Widerspruch erhoben. Das Mahngericht hat den verspäteten Widerspruch als Einspruch behandelt und die Sache an das Amtsgericht abgegeben.
Das Amtsgericht hat den Vollstreckungsbescheid aufrechterhalten. Der Kläger habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Vergütung. Die Kündigung des Klägers sei durch das vertragswidrige Verhalten des Beklagten veranlasst worden, den mit der Kostenrechnung geforderten Vorschuss zu verweigern. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht durch eine konkludent erklärte Aufrechnung des Beklagten erloschen. Die Kündigung des Klägers sei nicht zur Unzeit erfolgt. Überdies fehle es an einem kausalen Schaden. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung des Beklagten noch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO genüge. Mit der Berufungsbegründung seien die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe nicht hinreichend angegriffen worden. Der Beklagte habe sich nicht gegen die Ausführungen des Amtsgerichts gewandt, dass der Kläger berechtigt gewesen sei, jedes weitere Tätigwerden von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen. Gleiches gelte, soweit das Amtsgericht die Entstehung eines aufrechenbaren Gegenanspruchs daran habe scheitern lassen, dass die Kündigung nicht zur Unzeit erfolgt sei.
2. Mit dieser Begründung überspannt das Berufungsgericht unter den Umständen des vorliegenden Falles die Anforderungen, die gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO an eine Berufungsbegründung zu stellen sind.
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt.
Wird die Berufung darauf gestützt, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruhe (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO), muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2012 - III ZB 24/12, NJW 2012, 3581 Rn. 8 mwN).
b) Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung des Beklagten genüge den Erfordernissen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht, überspannt die Anforderungen, die an eine Berufungsbegründung zu stellen sind.
aa) Der Beklagte hat mit der Berufungsbegründung die Auffassung vertreten, der Kläger habe seinen Honoraranspruch durch die Kündigung des Mandats verloren. Hierzu hat er vorgetragen, das Amtsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, die Kündigung des Mandats sei durch das vertragswidrige Verhalten des Beklagten veranlasst worden, den angeforderten Kostenvorschuss nicht in der gesetzten Frist bezahlt zu haben. Dabei habe das Amtsgericht übersehen,
dass es der Kläger in Bezug auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe pflichtwidrig unterlassen habe, die Interessen des Beklagten dahingehend zu wahren, den kostengünstigsten und sichersten Weg einzuschlagen.
bb) Die Berufungsbegründung des Beklagten wird den Anforderungen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unter den besonderen Umständen des Streitfalls noch gerecht. Der Zweck des Begründungserfordernisses ist gewahrt, weil sich der Berufungsbegründung in noch ausreichender Weise entnehmen lässt, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Beklagte bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen entgegensetzt.
Der Beklagte hat sich mit der Berufung gegen den dem Kläger zuerkannten Vergütungsanspruch mit der Begründung gewandt, der Kläger sei in Bezug auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe pflichtwidrig untätig geblieben. Diese Pflichtverletzung habe zur Folge, dass der Kläger seinen Honoraranspruch verloren habe, weil er den Kündigungsgrund selbst durch seine Untätigkeit provoziert habe. Damit ist ein Umstand angeführt worden, der aus der Sicht des Beklagten die Entscheidung des Amtsgerichts in Frage stellt. Insoweit ist es ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind.
3. Das Berufungsgericht hat die Berufung rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Grupp Möhring Schoppmeyer Röhl Harms Vorinstanzen: AG Eisenhüttenstadt, Entscheidung vom 15.08.2019 - 5 C 31/19 LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 06.04.2021 - 16 S 326/19 -