VIa ZR 850/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 850/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:250325UVIAZR850.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Katzenstein, Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Kammergerichts vom 20. Mai 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch. Er erwarb am 9. Juni 2012 einen von der Beklagten hergestellten neuen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC BlueEfficiency, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse 5) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt Zahlung in Höhe von 23.063,52 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Soweit er mit der Klageschrift die Zahlung eines um 1.363,11 € höheren Betrags geltend gemacht hat, hat er den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ansprüche des Klägers gemäß § 826 BGB bestünden nicht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei die vorliegende Fallkonstellation nicht mit der in den VW-Motoren des Typs EA 189 enthaltenen Umschaltlogik vergleichbar. Selbst wenn man unterstelle, dass es sich bei dem von der Beklagten eingesetzten außentemperaturabhängigen Abgasrückführungssystem ("Thermofenster") und der seitens des Klägers beanstandeten "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" um europarechtlich unzulässige Einrichtungen handele, fehle es an hinreichend substantiiertem Vortrag des Klägers zu einer sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheide aus, weil es sich hierbei nicht um Schutzgesetze handele.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 ff.).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 ff.; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Berlin, Entscheidung vom 14.12.2020 - 64 O 162/19 KG Berlin, Entscheidung vom 20.05.2022 - 17 U 6/21 - Verkündet am: 25. März 2025 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle