20 W (pat) 38/14
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 38/14 Verkündet am 22. März 2017
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2012 219 998.5 …
hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Dorn sowie die Richter Dipl.-Geophys. Dr. Wollny und Dipl.-Phys. Bieringer BPatG 154 05.11 beschlossen:
-2Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe I.
Die Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes, zuständig für die Klasse G 01 N, hat die Patentanmeldung mit der Nummer 10 2012 219 998.5 und der Bezeichnung
„Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen“,
mit Beschluss vom 6. Juni 2014 zurückgewiesen.
Die Prüfungsstelle führte in ihrem Zurückweisungsbeschluss insbesondere aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht so offenbart sei, dass dieser vom Fachmann ausgeführt werden könne.
Während des Verfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurden von der Anmelderin - vor dem Hintergrund u.a. in der Anhörung vom 21.01.2014 seitens der Prüfungsstelle geäußerter Zweifel an der Ausführbarkeit von Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 - mit ihrer Eingabe vom 23. Mai 2014 drei Druckschriften (A1 bis A3) zum Stand der Technik eingeführt; eine weitere Druckschrift (A4) nennt sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht; im Einzelnen:
A1 SCHWARZER, R.: Automated Crystal Lattice Orientation Mapping Using a Computer-controlled SEM. In: Micron, 1997, Vol. 28, No. 3, pp. 249-265 A2 WRIGHT, S.I. & ADAMS, B.L.: AUTOMATED LATTICE ORIENTATION DETERMINATION FROM ELECTRON BACKSCATTER KIKUCHI DIFFRACTION PATTERNS. In: Textures and Microstructures, 1991, Vols. 14-18, pp. 273-278 A3 ZAEFFERER, S. & SCHWARZER, R.A.: ON-LINE INTERPRETATION OF SPOT AND KIKUCHI PATTERNS. In: Materials Science Forum, 1994, Vols. 157-162, pp. 247-250 A4 DE 10 2004 006 431 B4 Gegen den o. g. Beschluss vom 6. Juni 2014, der Anmelderin zugestellt am 12. Juni 2014, richtet sich ihre am 11. Juli 2014 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Beschwerde.
Der Bevollmächtigte der Anmelderin beantragt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 N des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Juni 2014 aufzuheben und das nachgesuchte Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen: Patentansprüche: Patentansprüche 1 bis 6 vom Anmeldetag (1. November 2012) Beschreibung: Beschreibungsseiten 1 bis 5 vom Anmeldetag (1. November 2012) Hilfsantrag: Patentansprüche 1, 2 und 4 vom Anmeldetag (1. November 2012) als Patentanspruch 1, anzupassende übrige Ansprüche und Beschreibung.
Weiter hilfsweise beantragt er, die Sache zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
Ferner beantragt er, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
Die nebengeordneten Ansprüche 5 und 6 gemäß Hauptantrag lauten:
Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag wird der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag am Ende durch die kennzeichnenden Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 2 und 4 ergänzt:
„ … bei dem der Bewertungsfaktor s(i) aus Schritt e) als Kehrwert des Abstands oder Abstandsquadrats des normierten Vektors v der chemischen Zusammensetzung am Messpunkt vom jeweiligen normierten Vektor p(i) der chemischen Zusammensetzung der vermuteten Kristallstrukturen bestimmt wird, bei dem im Schritt b) die Normierung derart erfolgt, dass die Summe der Quadrate aller Elementhäufigkeiten eins ist.“ Die nebengeordneten Ansprüche 2 bis 4 gemäß Hilfsantrag entsprechen bis auf die Nummerierung wörtlich den nebengeordneten Ansprüchen 3, 5 und 6 gemäß Hauptantrag. Der Bevollmächtigte der Anmelderin hält die Gegenstände der beantragten Anspruchsfassungen für zulässig, ausführbar und patentfähig.
Wegen des Wortlautes der Unteransprüche und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da der Gegenstand des jeweiligen Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 PatG).
1. Die Patentanmeldung betrifft laut Ursprungsunterlagen, Seite 1, Absatz 1, ein Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen in einer mono- oder polykristallinen Probe.
Die Identifikation kristallographischer Mikrostrukturen sei in vielen Bereichen der Technik von Bedeutung, wie bei metallischen Werkstücken in der Automobil- und Flugzeugtechnik, wo diese hohen Belastungen ausgesetzt seien. In der Regel werde die chemische Zusammensetzung der zu untersuchenden Probe ermittelt, z. B. mittels der energiedispersiven Röntgenspektroskopie (EDX). Zur Anregung werde ein Elektronenstrahl einheitlicher Energie auf den jeweiligen Messpunkt der Probe gerichtet und die resultierende Röntgenemission detektiert. Die erfasste charakteristische Röntgenstrahlung gebe Aufschluss über die Elementzusammensetzung der Probe (Ursprungsunterlagen, S. 1, Abs. 2 und 3).
Die Elektronenrückstreubeugung (EBSD; electron backscatter diffraction) sei eine Methode der Strukturaufklärung, die zur Identifikation von Kristallen in einer Probe diene. Bei diesem Verfahren werde die Beugung von Elektronen am Kristallgitter zu Zwecken der Phasenanalyse bzw. Kristallstrukturanalyse ausgewertet. Ein Beugungsbild bestehe dabei aus einer Reihe von Beugungsbändern, deren Lage von der Kristallstruktur am Probenort und von der lokalen Orientierung des Kristalls abhänge. Die Auswertung der Beugungsbilder erfordere daher zwingend die Kenntnis der vorhandenen Kristallstruktur. Aus der Kenntnis dieser Kristallstruktur werde vorhergesagt, wie die Beugungsbänder bei einer gegebenen Orientierung im Beugungsbild liegen müssten (Ursprungsunterlagen, S. 1, Abs. 4).
Die zur Vorhersage der Beugungsbänder nötigen Strukturdaten vieler Tausend bekannter Kristallstrukturen seien in Datenbanken zusammengestellt und dienten als Referenzen zur Identifikation bisher unbekannter Phasen einer vermessenen Probe. In der Praxis würden anhand bestimmter Auswahlkriterien, zumeist der chemischen Zusammensetzung, Kristallstrukturen in der Datenbank vorseIektiert, die man in der Probe vermute. Mittels geeigneter Suchverfahren werde auf Grundlage des Beugungsbildes der unbekannten Probe die Orientierung bestimmt, bei der die Vorhersage am besten mit der Messung übereinstimme. Habe man die korrekte Kristallstruktur gewählt, so erhalte man eine gute Übereinstimmung, ansonsten sei die Übereinstimmung schlecht (Ursprungsunterlagen, S. 1, Abs. 5 bis S. 2, Abs. 1).
Der Grad der Übereinstimmung werde primär durch die Anzahl der innerhalb einer gewissen Toleranz erfolgreich erklärten Beugungsbänder angegeben. Man nehme also eine gewisse Abweichung der theoretischen Beugungsbänder von den tatsächlich gemessenen in Kauf. Der Grad dieser Abweichung - der Winkelfehler - sei ein sekundäres Maß der Übereinstimmung. Würden mehrere Kristallstrukturen in der Probe vermutet, dann werde das Auswerteverfahren für alle Kandidaten wiederholt. Der Kandidat mit der besten Übereinstimmung werde mit dem Probenort identifiziert (Ursprungsunterlagen, S. 2, Abs. 2).
Zwar wird in den Ursprungsunterlagen keine explizite Aufgabe der Erfindung benannt, jedoch könnten mehrere Nachteile des Standes der Technik behoben oder zumindest gemindert werden (Ursprungsunterlagen, S. 2, Abs. 3). Damit könne die Identifikation unbekannter kristalliner Phasen in einer polykristallinen Probe erheblich beschleunigt werden (Ursprungsunterlagen, S. 3, Abs. 7).
2. Die Anmeldung richtet sich ihrem technischen Sachgehalt nach an einen Diplom-Physiker mit Arbeitsschwerpunkt auf dem Gebiet der Werkstoffanalyse, der mehrjährige Berufserfahrung in der Projektierung, Entwicklung und Auswertung von elektronenmikroskopischen Analyseverfahren (insbesondere EDX und EBSD) besitzt.
3. Der Gegenstand des enger gefassten Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag umfasst die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Nachdem ersterer - wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist auch der weiter gefasste Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht patentfähig.
3.1 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag kann wie folgt gegliedert werden (wobei die gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügten Merkmale M8 und M9 durch Unterstreichen hervorgehoben sind):
M0 Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen in einer polykristallinen Probe, umfassend die Verfahrensschritte:
M1 a) Bereitstellen einer Liste von Kristallstrukturen, die in der Probe vermutet werden,
M1.1 wobei zu jeder Kristallstruktur zumindest seine chemische Zusammensetzung M1.2 und ein Elektronenbeugungsbild mit einer Vielzahl von Beugungsbändern oder zur Vorhersage der Beugungsbänder nötige Strukturdaten hinterlegt sind; M2 b) Für jede vermutete Kristallstruktur, Bestimmung eines normierten Vektors p(i) für die chemische Zusammensetzung,
dessen Koordinaten proportional zu den einzelnen Elementhäufigkeiten sind; M3 c) An jedem Messpunkt der Probe,
M3.1
(i) Aufnahme eines Spektrums mittels energiedispersiver Röntgenspektroskopie (EDX-Spektrum) und M3.2 Bestimmung der chemischen Zusammensetzung und M3.3 (ii) Aufnahme eines Elektronenbeugungsbildes und M3.4 Bestimmung der Beugungsbänder; M4 d) Bestimmung eines normierten Vektors v für die chemische Zusammensetzung am Messpunkt, dessen Koordinaten proportional zu den einzelnen Elementhäufigkeiten sind; M5 e) Vergleich des normierten Vektors v für die chemische Zusammensetzung am Messpunkt mit jedem der normierten Vektoren p(i) der vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe eines Bewertungsfaktors s(i) für die jeweilige Übereinstimmung der Vektoren; M6 f) Vergleich der am Messpunkt bestimmten Beugungsbänder mit den Beugungsbändern der vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe eines Bewertungsfaktors n(i) für die Übereinstimmung der Beugungsbänder; und M7 g) Bestimmung einer Gesamtgüte aus den beiden Bewertungsfaktoren s(i) und n(i) und Zuordnung der Kristallstruktur mit der höchsten Gesamtgüte zum Messpunkt,
M8 bei dem der Bewertungsfaktor s(i) aus Schritt e) als Kehrwert des Abstands oder Abstandsquadrats des normierten Vektors v der chemischen Zusammensetzung am Messpunkt vom jeweiligen normierten Vektor p(i)
der chemischen Zusammensetzung der vermuteten Kristallstrukturen bestimmt wird,
M9 bei dem im Schritt b) die Normierung derart erfolgt, dass die Summe der Quadrate aller Elementhäufigkeiten eins ist.
3.1.1 Der Fachmann versteht diese Anspruchsfassung wie folgt:
Das anmeldungsgemäße Verfahren zielt unter Berücksichtigung der ursprünglichen Offenbarung auf eine beschleunigte Datenverarbeitung im Gefolge von röntgenbasierten Strukturanalysen mit Hilfe von Elektronenstrahlen an polykristallinen Werkstoffen ab. Diese polykristallinen Werkstoffproben weisen eine Vielzahl unterschiedlicher monokristalliner Bereiche, „Phasen“ genannt, auf; dies sind volumetrische Bereiche einer Probe, in denen physikalische Eigenschaften und/oder der Chemismus der Probe als weitgehend homogen anzusehen sind; d.h. im vorliegenden Fall sind die chemische Zusammensetzung und die Kristallstruktur in jedem dieser Bereiche homogen, können sich aber von Kristall zu Kristall (also von Phase zu Phase) unterscheiden; eine „Identifikation“ der unterschiedlichen kristallinen Phasen in einer Probe entspricht somit einer Analyse der die Probe aufbauenden Substanzen sowie ihrer Struktur (Merkmal M0).
Zu diesem Zweck stellt das beanspruchte Verfahren zunächst eine „Liste von Kristallstrukturen, die in der Probe vermutet werden“ bereit; diese „Liste“ versteht der Fachmann zunächst als eine digital in einer Datenbank hinterlegte strukturierte Informationsquelle, wobei dem das Verfahren Durchführenden bereits grob bekannt ist, wonach er sucht; unter einer „Kristallstruktur“ ist die räumliche Ausbildung eines einzelnen Kristallits zu verstehen, d. h. seine Ausprägung in einem der 14 Bravais-Gittertypen, aus denen jeder einzelne Kristallit aufgebaut ist (Merkmal M1). Diesen bekannten Strukturinformationen sind in der Datenbank zusätzlich mögliche chemische Zusammensetzungen zugeordnet (Merkmal M1.1), sowie ein Abbild einer Elektronenbeugung („Elektronenbeugungsbild“) hinterlegt, das eine Vielzahl von „Beugungsbändern“ zeigt; letzteren Begriff setzt der Fachmann in diesem Kontext mit dem Fachbegriff Kikuchi-Band gleich. Sollten keine „Beugungsbänder“ angegeben sein, sind dort zumindest Strukturdaten über einen konkreten Kristall hinterlegt, die die Erscheinungsorte (hier mit „Vorhersage“ umschrieben) der Kikuchi-Bänder in einem Elektronenbeugungsbild bezeichnen (Merkmal M1.2).
Dieser inhaltlichen Charakterisierung der Daten aus der Datenbank schließen sich Verarbeitungsvorschriften für diese an und zwar zunächst dergestalt, dass ein „normierter Vektor p(i)“ „bestimmt“ - respektive berechnet - wird und zwar in Form einer nicht näher beschriebenen Proportionalität seiner Koordinaten von nicht weiter erläuterten „einzelnen“ Elementhäufigkeiten (Merkmal M2).
Die folgende Merkmalsgruppe stellt eine Verquickung aus physikalischen Messvorschriften und Datenverarbeitungsmaßnahmen dar; im Einzelnen wird zunächst an „jedem Messpunkt“ die Aufnahme eines EDX-Spektrums vorgeschrieben (Merkmal M3, M3.1), und daran anschließend die „Bestimmung“ der chemischen Zusammensetzung an diesem Messpunkt; dem Fachmann ist aus seiner Praxis bekannt, dass diese Auswertung der spektroskopischen Untersuchung mittels entsprechender Software, d. h. unter Einsatz von Rechner- und somit Datenverarbeitungskapazität erfolgt (Merkmal M3.2); die ebenfalls geforderte Aufnahme eines „Elektronenbeugungsbildes“ stellt einen weiteren messtechnischen Verfahrensschritt dar (Merkmal M3.3), wogegen die „Bestimmung der Beugungsbänder“ (Merkmal M3.4) wiederum eine rechnergestützte Maßnahme implizieren, jedoch auch eine händische Maßnahme seitens des Fachmanns darstellen kann.
Sämtliche daran anschließenden Verfahrensschritte stellen rechnertechnisch umzusetzende Datenverarbeitungsmaßnahmen dar, die in ihrer konkreten Umsetzung nicht weiter beschrieben werden, und zwar die Bestimmung eines normierten Vektors, der die chemische Zusammensetzung am Messpunkt repräsentiert (Merkmal M4); den Vergleich dieses Vektors mit jedem normierten Vektor der vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe einer die Übereinstimmung bewertenden Größe (Merkmal M5); den Vergleich der Beugungsbänder am Messpunkt mit Beugungsbändern der vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe einer die Übereinstimmung bewertenden Größe (Merkmal M6);
die Bestimmung der Gesamtgüte aus den beiden Größen und Zuordnung der Kristallstruktur höchster Gesamtgüte zum Messpunkt (Merkmal M7);
die Bestimmung des Bewertungsfaktors s(i) als Kehrwert des Abstands oder Abstandsquadrats des normierten Vektors v der chemischen Zusammensetzung am Messpunkt vom jeweiligen normierten Vektor p(i) der chemischen Zusammensetzung der vermuteten Kristallstrukturen (Merkmal M8);
die Normierung des Vektors p(i) dadurch, dass die Summe der Quadrate aller Elementhäufigkeiten eins ist (Merkmal M9).
3.1.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG). Der Fachmann entnimmt der Druckschrift SCHWARZER (1997) [A1] in Übereinstimmung mit dem Anspruchsgegenstand ein Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen in einer polykristallinen Probe, die zur strukturanalytischen Untersuchung derselben den Einsatz einer Elektronenbeugungsbilder liefernden und verarbeitenden Apparatur („computer-controlled SEM“) lehrt (A1, z.B. Figuren 1, 3, 4 und 5). In dieser Apparatur werden beschleunigte Elektronen, die auf ein zu untersuchendes Objekt treffen (A1, Figur 5: „accelerating voltage U“, „SEM“, „specimen“), am Objekt am Auftreffpunkt - dem Messpunkt im Sinne des Patentanspruchs 1 - aufgrund der Kristallstruktur desselben gestreut und im Anschluss daran mittels einer Sensorik registriert, was u. a. zu einem Elektronenbeugungsbild im Sinne des Patentanspruchs 1 führt (A1, Figur 4: KikuchiBänder auf dem „screen“ und Figur 5: z. B. „phosphor screen“, „BSE-detector“, „intensified CCD video camera“). Aus diesem Beugungsbild lassen sich mit der hier beschriebenen Apparatur über den Einsatz von Rechenkapazität (A1, z.B. Figur 5: „digital signal processor, „computer“) Strukturinformationen über den Kristall („specimen“) am Messpunkt sammeln und bezüglich der Orientierung einzelner Gitterebenen des Kristalls am Messort auswerten; die Zusammenschau der Ergebnisse an mehreren Messorten führt letztlich zu einer Art Karte der mittels der Apparatur untersuchten Kristallprobe (A1, z.B. „VIII. AUTOMATED CRYSTAL LATTICE ORIENTATION MAPPING (ACOM)”; Merkmale M0, M3.3, M3.4).
Um die Aussagekraft der auf diese Weise gewonnenen Information über die einzelne Kristallprobe weiter zu verbessern - aus der Kristallstruktur kann nicht auf die exakte chemische Zusammensetzung geschlossen werden -, liegt es in der Natur alltäglicher fachmännischer Arbeit, ein entsprechendes weiteres - dem Fachmann aus seiner Praxis bekanntes - Verfahren zu nutzen, das ihm die zusätzlich benötigten Daten zu liefern vermag, um die bisher gewonnenen Ergebnisse zu ergänzen. Aus der Praxis ist dem Fachmann zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung einer einzelnen Phase im Rahmen der elektronenmikroskopischen Analysemethoden das EDX-Verfahren bekannt, wie es auch die Anmelderin in der Anmeldungsbeschreibung einleitend ausgeführt hat. Eine Untersuchung der Kristallstruktur und der chemischen Zusammensetzung am gleichen Messpunkt ist hierbei für den Fachmann selbstverständlich, da sich diese von Kristall zu Kristall in der polykristallinen Probe ändern können. In diesem Zusammenhang sind keine besonderen Umstände feststellbar, die eine Anwendung des EDX-Verfahrens an jedem Messpunkt der Probe, an dem ein Elektronenbeugungsbild aufgenommen wurde, aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 11. März 2014 - X ZR 139/10 -; GRUR 2014, 647 - Farbversorgungssystem) (Merkmale M3.1, M3.2).
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag weist im Übrigen mehrere Merkmale auf, die gemäß ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Prüfung einer Erfindung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sind, da sie keine Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07 -; GRUR 2011, 125 - Wiedergabe topographischer Informationen).
Im Einzelnen betrifft dies die Merkmale M1 bis M2 und M4 bis M9, die nach dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag eine letztlich rein rechnerisch durchzuführende „Bestimmung“ (Merkmale M2, M4, M7, M8) bzw. einen „Vergleich“ (Merkmale M1 bis M1.2, M5, M6) von Daten oder eine Rechenvorschrift (Merkmale M8, M9) beinhalten, da aus diesen keine konkrete technische Wirkung erwächst. Dies betrifft auch eine beschleunigte Bestimmung der Kristallstruktur und -zusammensetzung durch die Verringerung der erforderlichen Rechen- bzw. Vergleichsschritte, wie vom Vertreter der Anmelderin vorgetragen. (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - X ZR 3/12 -, GRUR 2013, 275 - Routenplanung). Die Merkmale M1 bis M2 und M4 bis M9 können jedenfalls bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden (BGH a. a. O.). Dies betrifft auch eine beschleunigte Bestimmung der Kristallstruktur und -zusammensetzung durch die Verringerung der erforderlichen Rechen- bzw. Vergleichsschritte, wie vom Vertreter der Anmelderin vorgetragen.
Somit ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag in naheliegender Weise aus der Kenntnis der Druckschrift A1 und dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns, so dass er auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht und folglich nicht patentfähig ist.
3.2 Mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag sind im Einzelnen auch der abhängige Patentanspruch 2 und die nebengeordneten, aber abhängigen, Patentansprüche 3 und 4 nicht gewährbar, da ein Patent nur so erteilt werden kann, wie es beantragt ist (BGH, Beschluss vom 26. September 1996 - X ZB 18/95 , GRUR 1997, 120 m. w. N. - elektrisches Speicherheizgerät).
3.3 Aus o. g. Gründen ist auch der weiter gefasste Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht patentfähig. Damit fallen gleichfalls die Unteransprüche 2 bis 6.
4. Eine Zurückverweisung der Sache an das DPMA, wie von der Anmelderin weiter hilfsweise beantragt, kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Die Zurückverweisung steht nach § 79 Abs. 3 S. 1 PatG im Ermessen des Gerichts. Der Ermessensspielraum reduziert sich in dem Maße, in dem die Sache bereits geklärt ist (vgl. Benkard, PatG, 11. Auflage, § 79 Rn. 41; Schulte, PatG,
9. Auflage, § 79 Rn. 17 und 18). Ist die Sache entscheidungsreif, kommt eine Zurückverweisung regelmäßig nicht in Betracht (vgl. ebenda). So liegt der Fall hier, da die Sache gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag, wie oben ausgeführt, entscheidungsreif ist. Es kann deshalb in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 S. 1 PatG vorliegen.
5. Billigkeitsgründe, die eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80 Abs. 3 PatG rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich, insbesondere weist der Zurückweisungsbeschluss entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin keinen Begründungsmangel auf, auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor.
5.1 Keine ausreichende Begründung i. S. d. § 47 Abs. 1 PatG liegt vor, wenn aus dem Beschluss nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren, etwa weil eine Begründung gänzlich fehlt oder sie widersprüchlich, verworren oder sachlich inhaltslos ist (BGHZ 39, 333 m. w. N. - Warmpressen; Schulte, a. a. O., § 73 Rn. 143 und § 47 Rn. 24 f. m. w. N.).
Die Prüfungsstelle hat sich im angefochtenen Beschluss mit einem der gesetzlichen Zurückweisungsgründe nachvollziehbar und ohne logische Brüche auseinandergesetzt. So hat sie zunächst festgestellt, dass die mit dem Anspruch 1 beanspruchten Verfahrensschritte a), c) und f) auch aus ihrer Sicht der allgemein üblichen und dem Fachmann bekannten Vorgehensweise nach dem Stand der Technik entsprächen, wohingegen die Verfahrensschritte b), d) und e), die dies nicht täten, nicht so detailliert ausgeführt seien, dass diese vom Fachmann nachvollzogen und ohne Weiteres ausgeführt werden könnten. Sie hat hierzu ausreichend Bezug genommen auf konkrete Passagen in den Ursprungsunterlagen und ihre Sichtweise auch entsprechend begründet.
Die maßgeblichen Gründe für die Entscheidung sind somit erkennbar, weshalb kein Verstoß gegen die Begründungspflicht vorliegt.
5.2 Soweit die Beschwerdeführerin ferner eine Überraschungsentscheidung der Prüfungsstelle und damit eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt hat, da der Zurückweisungsbeschluss einzig auf den Aspekt der mangelnden Ausführbarkeit der Verfahrensschritte b), d) und e) abstellt, womit die Anmelderin nicht habe rechnen müssen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin hierzu, dass die im Bescheid der Prüfungsstelle vom 26. November 2012 geäußerten Bedenken hinsichtlich der Ausführbarkeit u.a. der Verfahrensschritte b), d) und e) (vgl. dort, S. 1, Abs. 13) - nach der erfolgten Reaktion der Anmelderin hierauf mit Eingabe vom 24.05.2013 – in der mündlichen Anhörung am 21. Januar 2014 eingehend diskutiert und „weitestgehend ausgeräumt“ worden seien bzw. „über diesen Punkt spätestens in der Anhörung bereits Einvernehmen bestand“, finden in der Niederschrift über die Anhörung so keine Stütze. Dort ist vielmehr dokumentiert:
„Die Bedenken der Prüfungsstelle bezüglich der im Erstbescheid angesprochenen Ausführbarkeit der Erfindung bestehen weiter. Zur Ausräumung der Bedenken wird vorgeschlagen druckschriftlichen Stand der Technik einzureichen, der geeignet ist diese Bedenken auszuräumen (z. B. bezüglich der eingesetzten Suchverfahren zur Substanzbestimmung anhand der aufgenommenen Beugungsmuster in entsprechenden Datenbanken). …“
Von einer Ausräumung der Bedenken der Prüfungsstelle hinsichtlich der Ausführbarkeit bzw. einem Einvernehmen über diesen Punkt kann nach den protokollierten Feststellungen in der Niederschrift daher keine Rede sein. Anhaltspunkte, an der Richtigkeit des Inhalts der Niederschrift zu zweifeln, sind für den Senat nicht ersichtlich. Die Anmelderin hat auch keine Berichtigung der Niederschrift, die jederzeit (auch nach der Beschwerde) zulässig ist (vgl. Schulte a. a. O., § 47 Rn. 53), beantragt. Somit ist davon auszugehen, dass die Prüfungsstelle auch im Rahmen der Anhörung weiterhin die - bereits im Bescheid vom 26. November 2012 angesprochenen - Bedenken hinsichtlich der Ausführbarkeit der fraglichen Verfahrensschritte geäußert und zu deren Ausräumung die Beibringung von druckschriftlichem Stand der Technik angeregt hat. Sie hat in diesem Zusammenhang auch lediglich beispielhaft (und nicht ausschließlich, wie von der Anmelderin vorgetragen) die beanspruchten „eingesetzten Suchverfahren zur Substanzbestimmung“ als nicht nachbearbeitbar genannt. Diese Bedenken bezüglich der Ausführbarkeit der fraglichen Verfahrensschritte wurden aus Sicht der Prüfungsstelle durch den mit der Eingabe der Anmelderin vom 23.05.2014 beigebrachten Stand der Technik in Form der Druckschriften A1 bis A3 nicht beseitigt, weshalb die Zurückweisung auch ausschließlich auf diesen Grund gestützt werden konnte, ohne dass es eines weiteren Hinweises hierzu gegenüber der Anmelderin bedurft hätte. Vor dem o. g. Hintergrund musste diese vielmehr damit rechnen, dass ihre Anmeldung wegen mangelnder Ausführbarkeit der Schritte b), d) und e) zurückgewiesen wird. Eine Überraschungsentscheidung liegt damit nicht vor.
Rechtsbehelfsbelehrung Gegen diesen Beschluss des Beschwerdesenats steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten die Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Absatz 2, § 100 Absatz 1, § 101 Absatz 1 des Patentgesetzes). Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist (§ 100 Absatz 3 des Patentgesetzes). Die Rechtsbeschwerde ist beim Bundesgerichtshof einzulegen (§ 100 Absatz 1 des Patentgesetzes). Sitz des Bundesgerichtshofes ist Karlsruhe (§ 123 GVG). Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof schriftlich einzulegen (§ 102 Absatz 1 des Patentgesetzes). Die Postanschrift lautet: Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe. Sie kann auch als elektronisches Dokument eingereicht werden (§ 125a Absatz 2 des Patentgesetzes in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) vom 24. August 2007 (BGBl. I S. 2130)). In diesem Fall muss die Einreichung durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes erfolgen (§ 2 Absatz 2 BGH/BPatGERVV). Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass der Beschluss auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 101 Absatz 2 des Patentgesetzes). Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Begründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 102 Absatz 3 des Patentgesetzes). Die Begründung muss enthalten: 1. die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird; 2. die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm; 3. insoweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben (§ 102 Absatz 4 des Patentgesetzes).
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 102 Absatz 5 des Patentgesetzes).
Dr. Mayer Dorn Dr. Wollny Bieringer Me