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19 W (pat) 29/10

BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 29/10 Verkündet am 22. Juli 2013

…

BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2006 053 107.8-51 …

hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Hartung, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dr.-Ing. Scholz und Dipl.-Phys. Bieringer BPatG 154 05.11 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe I

Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse B 60 W - hat die am 10. November 2006, unter Inanspruchnahme der Priorität der JP 2005-327605 vom 11. November 2005, eingereichte Patentanmeldung mit Beschluss vom 3. November 2009 mit der Begründung zurückgewiesen, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergebe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Die Anmelderin beantragt,

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 60 W des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. November 2009 aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag vom 17. Juli 2013, mit anzupassender Beschreibung,

Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 5, vom Anmeldetag,

hilfsweise,

Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag 1 vom 17. Juli 2013,

weiter hilfsweise,

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 vom 17. Juli 2013,

weitere Unterlagen jeweils wie Hauptantrag.

Der Gegenstand der Anmeldung betrifft laut Beschreibungseinleitung eine Kurvenfahrt-Regelvorrichtung (vgl. Beschreibung, Seite 1, Zeile 7). Die Anmeldung geht von einem Stand der Technik aus, der dahingehend nachteilig sei, dass bei einer Kurvenfahrt eine herkömmliche Regelung, welche Antriebsmomente zwischen linken und rechten Rädern variiert, Schwierigkeiten bereite, ein Über- und Untersteuern während der Kurvenfahrt zu beseitigen und dass die Beschleunigungsfähigkeit des Fahrzeugs verloren ginge (vgl. Seite 2, Zeilen 14 bis 22).

Daher sei es Aufgabe der Erfindung, die Kurvenfahrfähigkeit zu verbessern und eine Verschlechterung der Beschleunigung zu verhindern (vgl. Seite 2, Zeile 33 bis Seite 3, Zeile 2).

Diese Aufgabe werde mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gelöst.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag vom 17. Juli 2013 lautet unter Einfügung einer Gliederung:

„a) Verfahren zur Regelung einer Kurvenfahrt eines Fahrzeugs mit wenigstens vier Rädern mittels einer Kurvenfahrt-Regelvorrichtung, die b1) ein erstes Giersteuergerät (31) zur Einstellung wenigstens eines Antriebsmoments eines linken Rades (14L) und eines rechten Rades (14R),

b2) ein zweites Giersteuergerät (32) zur Einstellung unterschiedlicher Drehzahlen zwischen den Vorderrädern (8) und den Hinterrädern (14),

b3) ein drittes Giersteuergerät (33) zur Einstellung des Bremsdrucks wenigstens einer der Bremseinheiten (21R, 21L, 22R, 22L) eines rechten Rades (8R, 14R) und eines linken Rades (8L, 14L), wobei die Drehzahl jedes Rades (8R, 8L, 14R, 14L) durch individuelles Verändern des Bremsdruckes mittels Bremseinheiten (21R, 21L, 22R, 22L) an allen Rädern (8R, 8L, 14R, 14L) reduziert wird, und b4) ein integriertes Giersteuergerät (43) zur Regelung des Giermoments des Fahrzeugs (1) durch Verwalten des ersten Giersteuergeräts (31), des zweiten Giersteuergeräts (32) und des dritten Giersteuergeräts (33) aufweist, bei dem c) ein relativer Soll-Gierwert durch eine Setzeinrichtung (41) gesetzt wird, der auf ein Gieren bezogen ist, das an dem Fahrzeug erzeugt werden soll,

wobei,

c1) wenn die Setzeinrichtung (41) für den relativen Soll-Gierwert den relativen Soll-Gierwert verringert, was eine Verringerung des Gierens des Fahrzeugs (1) bedeutet,

d) das integrierte Giersteuergerät (43)

d1) das erste Giersteuergerät (31) so steuert, dass das Antriebsmoment an einem während der Kurvenfahrt innen liegenden Rad (14L, 14R) erhöht wird, und d2) das zweite Giersteuergerät (32) so steuert, dass der Drehzahlunterschied zwischen den Vorderrädern (8) und den Hinterrädern (14) verringert wird,

dadurch gekennzeichnet, dass d3) wenn der verringerte relative Soll-Gierwert nicht erfüllt ist, auch wenn das erste Giersteuergerät (31) und das zweite Giersteuergerät (32) funktionieren, das integrierte Giersteuergerät (43) das dritte Giersteuergerät (33) so steuert, dass der Bremsdruck an einem während der Kurvenfahrt außen liegenden Rad (8R, 14R; 8L, 14L) erhöht wird.“

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ergänzt den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag um die Merkmale (Gliederung eingefügt):

„, und wobei c1‘) wenn die Setzeinrichtung (41) für den relativen Soll-Gierwert den relativen Soll-Gierwert erhöht, was eine Erhöhung der Gierung des Fahrzeugs bedeutet,

d‘) das integrierte Giersteuergerät (43) das erste Giersteuergerät (31) so steuert, dass das Antriebsmoment an einem während der Kurvenfahrt außen liegenden Rad (14L, 14R) erhöht wird, während das integrierte Giersteuergerät (43) das zweite Giersteuergerät (32) nicht steuert.“

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ergänzt den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 um die weiteren Merkmale (Gliederung eingefügt):

„, und d3‘) wenn der erhöhte relative Soll-Gierwert nicht erfüllt ist, auch wenn das erste Giersteuergerät (31) funktioniert, das integrierte Giersteuergerät (43) das dritte Giersteuergerät (33) so steuert, dass der Bremsdruck an einem während der Kurvenfahrt innen liegenden Rad (8R, 14R; 8L, 14L) erhöht wird.“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg, da das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 sowohl nach Hauptantrag als auch gemäß Hilfsantrag 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und deshalb nicht patentfähig ist (§ 1 i. V. m. § 4 PatG).

2. Als Fachmann legt der Senat einen Ingenieur der Fahrzeugtechnik zugrunde, der mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Fahrzeugstabilitätssysteme und der einschlägigen Steuerungs- und Regeltechniken hat.

3. Der Fachmann legt den Hauptansprüchen gemäß Haupt- und Hilfsanträgen folgendes Verständnis zugrunde:

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag betrifft im Merkmal a) ein Verfahren zur Regelung einer Kurvenfahrt eines Fahrzeugs mit (mindestens) vier Rädern. Der Fachmann entnimmt den weiteren Merkmalen b1) und b2) im Kontext mit der Ausführungsform nach Figur 1, dass es sich um ein Kraftfahrzeug mit zwei Rädern auf einer Vorderachse und zwei Rädern auf einer Hinterachse handeln soll, wobei die Antriebsmomente eines linken und eines rechten Rades einstellbar sein sollen (Merkmal b1), was gemäß Beschreibung, Seite 5, Zeilen 16 bis 33 und Seite 7, Zeilen 13 bis 21 mittels Ansteuerung eines Hinterachsdifferenzials ausgeführt werden soll. Das Merkmal b1) umfasst jedoch auch die Ansteuerung eines Vorderachsdifferenzials (vgl. Beschreibung, Seite 15, Zeilen 17 bis 19). Gemäß Merkmal b2) sollen verschiedene Drehzahlen zwischen den Vorderrädern und den Hinterrädern einstellbar sein, was gemäß Beschreibung, Seite 4, Zeilen 27 bis 30 mittels eines Zentraldifferenzials ausgeführt werden kann. Gemäß Merkmal b3) soll der Bremsdruck an jedem Rad individuell steuerbar sein, was dem Fachmann als selektives Bremsen geläufig ist.

Das Verfahren gemäß Hauptantrag erfordert drei Giersteuergeräte mit verschiedenen Funktionalitäten gemäß den Merkmalen b1), b2) und b3) sowie ein integriertes Giersteuergerät, welches die drei anderen Giersteuergeräte verwaltet (Merkmal b4)).

Gemäß Merkmal c) verwendet das Verfahren eine Setzeinrichtung, welche einen relativen Soll-Gierwert setzt. Der Fachmann versteht im Kontext der Beschreibung (Seite 9, Zeilen 1 bis 9 und Figur 1, Bezugszeichen 41), dass es sich bei der Setzeinrichtung um einen Rechner handeln kann und der relative Soll-Gierwert eine Soll-Regelgröße für die Gierrate ist.

Unter Heranziehen der Beschreibung, Seite 11, Zeilen 1 bis 7, legt der Senat das Merkmal c1) dahingehend aus, dass das Fahrzeug sich in einem Übersteuerzustand befindet und das Gieren des Fahrzeugs verringert werden soll. In diesem Fall werden die beiden ersten Giersteuergeräte durch das integrierte Giersteuergerät (Merkmal d)) so angesteuert, dass die Aktionen gemäß dem Merkmal d1), d. h. Erhöhen des Antriebskraftmoments am innen liegenden Rad und dem Merkmal d2), d. h. Verringern des Drehzahlunterschiedes zwischen Vorderrädern und Hinterrädern, bewirkt werden. Gegebenenfalls wird für diesen Fall auch noch das dritte Giersteuergerät so angesteuert, dass der Bremsdruck am außen liegenden Rad erhöht wird, falls die durch die ersten beiden Giersteuergeräte initiierte Wirkung nicht ausreichen sollte, um den gesetzten Soll-Gierwert zu erreichen (Merkmal d3)).

Dieses Verständnis gilt auch für die mit den Hilfsanträgen 1 und 2 im jeweiligen Anspruch 1 beanspruchten Verfahren.

Ergänzend entnimmt der Fachmann den Merkmalen c1‘) und d‘) des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, dass sich das Fahrzeug in einem Untersteuerzustand befindet und das Gieren des Fahrzeugs erhöht werden soll (Merkmal c1‘)), womit - nach Auffassung des Senats - die Verfahrensschritte c1) bis d3) nicht zur Wirkung kommen, da sich das Fahrzeug dann nicht in einem Übersteuerzustand befinden kann. In diesem Fall (d. h. Untersteuerzustand) wird gemäß Merkmal d‘) das erste Giersteuergerät so angesteuert, dass das Antriebskraftmoment am außen liegenden Rad erhöht wird. Das zweite Giersteuergerät wird in diesem Fall nicht angesteuert (Merkmal d‘), zweiter Halbsatz). Unter Beachtung der Beschreibung, Seite 5, Zeilen 8 bis 12 versteht der Fachmann dies u. a. als eine Nicht-Begrenzung des Drehzahlunterschiedes zwischen Vorderrädern und Hinterrädern, d. h. es gilt ein ungeregelter Standarddrehzahlunterschied. Der Fachmann geht dann üblicherweise von etwa 36:64 zwischen Vorderrädern und Hinterrädern aus.

Weiter ergänzend entnimmt der Fachmann dem Merkmal d3‘) des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2, dass für den Fall des Untersteuerzustandes (Merkmal c1)) das dritte Giersteuergerät so angesteuert wird, dass der Bremsdruck nun am innen liegenden Rad erhöht wird, falls die durch das erste Giersteuergerät initiierte Wirkung (Merkmals d‘) nicht ausreichen sollte, um den gesetzten Soll-Gierwert zu erreichen (Merkmal d3‘)).

4. Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags ergibt sich unter Einbeziehung des vorstehend genannten Wissens des Fachmanns in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Der Senat erachtet die Lehre der US 2002/0156581 A1 als Ausgangspunkt für die beanspruchte Lehre des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag.

Aus der US 2002/0156581 A1 mit der Bezeichnung „Vehicle controlling apparatus and method“ ist mit den Worten des Anspruchs 1 nach Hauptantrag Folgendes bekannt (nicht zutreffendes durchgestrichen):

a) Verfahren zur Regelung einer Kurvenfahrt eines Fahrzeugs mit wenigstens vier Rädern mittels einer Kurvenfahrt-Regelvorrichtung (siehe unten), die b1) ein erstes Giersteuergerät zur Einstellung wenigstens eines Antriebsmoments eines linken Rades und eines rechten Rades (vgl. Fig. 1, Bz. 65: „R-L torque split control“; Abs. [0082]-[0085]),

b2) ein zweites Giersteuergerät zur Einstellung unterschiedlicher Drehzahlen zwischen den Vorderrädern und den Hinterrädern (vgl. Fig. 1, Bz. 60, „F-R torque split control 60“; Abs. [0075]), und b3) ein drittes Giersteuergerät zur Einstellung des Bremsdrucks wenigstens einer der Bremseinheiten des rechten Rades und des linken Rades, wobei die Drehzahl jedes Rades durch individuelles Verändern des Bremsdruckes mittels Bremseinheiten an allen Rädern reduziert wird (Fig. 1, Bz. 75 und Abs. [0105]: „The braking force is then applied to a selected wheel via the brake controller 76, for generating an appropriate yaw moment to the wheel“), und b4) ein integriertes Giersteuergerät zur Regelung des Giermoments des Fahrzeugs durch Verwalten des ersten Giersteuergeräts, des zweiten Giersteuergeräts und des dritten Giersteuergeräts aufweist (vgl. Fig. 2, Bz. 88; Abs. [0118] und [148]: „control alteration setting unit 88“, welche u. a. den R-L torque split controler 65, den F-R torque split controller 60 und den braking force controller 75 mit verschiedenen Signalen steuert), bei dem c) ein relativer Soll-Gierwert durch eine Setzeinrichtung gesetzt wird, der auf ein Gieren bezogen ist, das an dem Fahrzeug erzeugt werden soll (vgl. Fig. 2, Bz. 85, 86, 88; und im Abs. [147] beschriebene Signalfolge: „Supplied to the control-alteration setting unit 88 are […] the target yaw rate t from the target yaw rate calculation unit 85, the yaw rate de from the yaw rate deviation calculation unit 86, and […]“) wobei,

c1) wenn die Setzeinrichtung für den relativen Soll-Gierwert den relativen Soll-Gierwert verringert, was eine Verringerung des Gierens des Fahrzeugs bedeutet (vgl. Fig. 4, Schritte S114 bis S116 mit Beschreibung; Dies entspricht dem Modus „enhanced stability“. Wenn der Übersteuerzustand bei der Abfrage S114 mit Ergebnis „NO“ festgestellt wird, werden u. a. die Controller 60, 65 und 75 mit Steuersignalen versorgt, vgl. Abs. [164]. Dabei wird der Sollgierwert dahingehend verringert, dass er mit einem Faktor kleiner 1 multipliziert wird, vgl. Abs. [165], [166] und [168]),

d) das integrierte Giersteuergerät (entprechend der Wirkweise der „control-alteration setting unit 88“ wie im Kontext der Abs. [150] und [164] beschrieben und den in Fig. 2 dargestellten Signalpfaden, werden die Steuersignale von der „control-alteration setting unit 88“ u. a. an die controller 60, 65 und 75 gegeben)

d1) das erste Giersteuergerät so steuert, dass das Antriebsmoment an einem während der Kurvenfahrt innen liegenden Rad erhöht wird (vgl. Abs. [166] i. V. m. Abs. [0085], „[…] to apply a smaller torque, for example, to the left wheels than the right wheels in turning right to achieve high stability.[…], thus causing the tendency of overdersteering“. Die Verringerung der Antriebskraft bei den außenliegenden Rädern (hier: linke Räder bei einer Rechtskurvenfahrt) ist gleichbedeutend mit der Erhöhung der Antriebskraft bei den innen liegenden Rädern, da die Gesamtantriebskraft bedingt durch das Differential 22 nicht verändert wird), und d2) das zweite Giersteuergerät so steuert, dass der Drehzahlunterschied zwischen den Vorderrädern und den Hinterrädern verringert wird (vgl. Abs. [165] i. V. m Abs. [0078], „[…] increase in clutch torque to have equal torque split to the front and rear wheels to achieve high stability.“),

dadurch gekennzeichnet, dass d3) wenn der verringerte relative Soll-Gierwert nicht erfüllt ist, auch wenn das erste Giersteuergerät und das zweite Giersteuergerät funktionieren, das integrierte Giersteuergerät das dritte Giersteuergerät so steuert, dass der Bremsdruck an einem während der Kurvenfahrt außen liegenden Rad erhöht wird (vgl. Abs. [168] i. V. m Abs. [107]: „[…] the braking force is applied, for example, to the left front wheel in turning right against oversteering […]“. Denn bei einer Rechtskurvenfahrt ist das linke Rad ein außen liegendes Rad).

Die US 2002/0156581 A1 beschreibt zwar nicht ausschließlich ein Verfahren zur Regelung einer Kurvenfahrt, jedoch betrifft sie ein Fahrzeugsteuergerät und Verfahren für ein Ausweichmanöver (vgl. Abs. [0001]: „[…] vehicle controlling apparatus and method for taking an evasive action [...]“). Das Ausweichmanöver gemäß US 2002/0156581 A1 wird durchgeführt, wenn ein Bremsen allein nicht ausreichend ist, um eine Kollision mit einem Hindernis zu vermeiden (vgl. Abs. [0113]). Ein derartiges Ausweichen beinhaltet ebenfalls eine Kurvenfahrt, vgl. Fig. 4, Schritt S113, denn der Lenkwinkel des Fahrzeugs ist größer als ein vorgegebener Winkel. Nach Überzeugung des Senats liest der Fachmann das Merkmal a) direkt mit dem Verfahren zur Steuerung des Ausweichmanövers der US 2002/0156581 A1 mit.

Die US 2002/0156581 A1 offenbart das Merkmal d3) nur teilweise, denn ihr ist nicht entnehmbar, in welcher Reihenfolge die Fahrzeugsteuerungen angesteuert werden.

Der Fachmann entnimmt dem Kontext der US 2002/0156581 A1, dass das Fahrzeug im Falle eines Ausweichmanövers zwei mögliche Steuerungszustände einnehmen kann, welche als „enhanced steering“ (vgl. Abs. [0159]) und „enhanced stability“ (vgl. Abs. [0164]) bezeichnet werden, welches jeweils eine Regelung für den Untersteuerzustand (vgl. Abs. [0159]: „[...] if the absolute value of the target yaw rate t is larger than that of the actual yaw rate  (|t|>||) and hence the vehicle 1 has a tendency of understeering [...]“) bzw. für den Übersteuerzustand (vgl. Abs. [0164]: „[...] if the absolute value of the target yaw rate t is equal to or smaller than that of the actual yaw rate  (|t|||) and hence the vehicle 1 has a tendency of oversteering [...]“) entspricht. In beiden Fällen werden entsprechende Signale an die drei oben genannten Fahrzeugsteuerungen („vehicle controller“) 60, 65, 75 sowie an eine Steuerung 70 für eine lenkbare Hinterachse geliefert, um die Kurvenfahrt um das Hindernis in Abhängigkeit des Lenkwinkels H zu regeln (vgl. Fig. 4, Schritte S113 bis S116).

In der Gefährdungssituation (Hindernis) der US 2002/0156581 A1 werden sämtliche Fahrzeugsteuerungen vom Controller 88 angesteuert, insbesondere wird regelmäßig von einem Einsatz der Bremsregelung auszugehen sein, um möglichst hohe Sicherheit beim Umfahren des Hindernisses zu gewährleisten. In dieser Situation wird eine Beschleunigung des Fahrzeugs nicht angebracht sein.

Der Fachmann, der die Aufgabe zu lösen hat, die Kurvenfahrfähigkeit eines Fahrzeugs zu verbessern, wird die Lehre der US 2002/0156581 A1 heranziehen und die dort angegebenen Fahrzeugsteuerungen nutzen, um ein Übersteuern zu verhindern. Er wird der US 2002/0156581 A1 dabei den Nachteil entnehmen, dass der Einsatz des „enhanced stability“-Modus zu einer Verschlechterung des Beschleunigungsverhaltens führt, insbesondere auch dann, wenn das Hindernis umfahren worden ist, aber die Steuerung das Fahrzeug noch nicht aus dem Ausweichmanöver-Modus („evasive driving mode“) freigegeben hat (vgl. Abs. [0149]), weil entweder der Lenkradeinschlag noch zu groß ist oder eine vorgegebene Gierrate noch nicht erreicht ist.

Der Fachmann, der zugleich die Aufgabe zu lösen hat, eine Verschlechterung der Beschleunigung zu verhindern, wird ausgehend von der US 2002/0156581 A1 eine die Geschwindigkeit reduzierende Regelung nach Möglichkeit zunächst nicht ansteuern. Ohne Ansteuern der Bremsregelung 75 besteht bei starker Beschleunigung und großem Lenkwinkeleinschlag die Gefährdungssituation, dass das Fahrzeug infolge des Übersteuerns von der Fahrbahn wegrutscht. In diesem Fall kann der Soll-Gierwert durch Ansteuern des Zentraldifferenzials, des Hinterachsdifferenzials und des Stellwinkels der lenkbaren Hinterräder durch die Fahrzeugsteuerungen 60, 65 und 70 nicht erreicht werden. Der Fachmann wird also die Bremsregelung 75 zuschalten, wenn die anderen Fahrzeugsteuerungen nicht ausreichen, um ein Wegrutschten des Fahrzeugs von der Fahrbahn zu verhindern.

So würde der Fachmann bei diesen Aufgabenstellungen ausgehend von der US 2002/0156581 A1 in naheliegender Weise auch den Teil des Merkmals d3) vorsehen, wonach das integrierte Giersteuergerät, das dritte Giersteuergerät (Bremsregelung) ansteuert, wenn die Wirkung der beiden anderen Giersteuergeräte nicht ausreichend ist und im Rahmen seines Fachwissens zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gelangen.

5. Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 ergibt sich unter Einbeziehung des vorstehend genannten Wissens des Fachmanns ebenfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Zusätzlich zu den unter Ziffer 4. benannten Merkmalen ist aus der US 2002/0156581 A1 mit den Worten der zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 Folgendes bekannt (nicht zutreffendes durchgestrichen):

c1‘) wenn die Setzeinrichtung für den relativen Soll-Gierwert den relativen Soll-Gierwert erhöht, was eine Erhöhung der Gierung des Fahrzeugs bedeutet (vgl. Fig. 4, Schritte S114 bis S116 mit Beschreibung; Dies entspricht dem Modus „enhanced steering“. Wenn ein Untersteuerzustand bei der Abfrage S114 mit Ergebnis „YES“ festgestellt wird, werden u. a. die Controller 60, 65 und 75 mit Steuersignalen versorgt, vgl. Abs. [0159]. Dabei wird der Sollgierwert dahingehend erhöht, dass er mit einem Faktor größer 1 multipliziert wird, vgl. Abs. [0160], [0161] und [163]),

d‘) das integrierte Giersteuergerät das erste Giersteuergerät so steuert, dass das Antriebsmoment an einem während der Kurvenfahrt außen liegenden Rad erhöht wird (vgl. Abs. [0161], „[…] This correction allows a larger torque to be applied, for example, to the left wheels than the right wheels in turning right to achieve high steering performance“. Die Erhöhung des Antriebsmoments für die linken Räder bei einer Rechtskurvenfahrt ist gleichbedeutend mit der Erhöhung der Antriebsmoments für außen liegende Räder), während das integrierte Giersteuergerät das zweite Giersteuergerät nicht steuert.

Der zweite Halbsatz des Merkmals d') betrifft den Grenzfall, dass die Begrenzung des Drehzahlunterschieds zwischen Vorderrädern und Hinterrädern nicht wirkt, was gleichbedeutend damit ist, dass das Zentraldifferenzial nicht geregelt wird und die übliche Standarddrehzahlverteilung von ca. 36:64 vorliegt.

Der in der US 2002/0156581 A1 beschriebenen Kurvenfahrtsteuerung entnimmt der Fachmann aus Abs. [0080], dass das Moment der Kupplung, welche die Antriebskraftverteilung zwischen Vorderrädern und Hinterrädern verringert, dahingehend reduziert werden soll, dass die Antriebskraftverteilung zwischen Vorderrädern und Hinterrädern vergrößert werden soll (vgl. Abs. [0080]: „This correction decreases the clutch torque to apply a larger torque to the rear wheels than the front wheels to achieve high steering performance.“). Im Kontext mit dem Ausführungsbeispiel des Absatzes [0031] entnimmt der Fachmann, dass die Standardverteilung von 36:64 hergestellt werden, soll. Dies entspricht aber der Nicht-Begrenzung des Anmeldegegenstandes im Falle des Untersteuerns.

Zwar wird das integrierte Giersteuergerät („Controller 88“) gemäß US 2002/0156581 A1 aktiv, indem der Soll-Gierwert erhöht wird (vgl. Abs. [0080] i. V. m. Abs. [0160]), und infolge dessen die Fahrzeugsteuerung 60 angesteuert wird, jedoch wird auch bei US 2002/0156581 A1 die Begrenzung des Drehzahlunterschieds zwischen Vorderrädern und Hinterrädern mittels des Korrekturfaktors verringert. Für den Fachmann ist es daher naheliegend, im Grenzfall die Kupplung auszukuppeln, was der Nicht-Begrenzung der Antriebskraftverteilung im Falle des Untersteuerns entspricht und somit dem nicht Ansteuern der Begrenzung des zweiten Giersteuergerätes gemäß Merkmal d‘).

6. Auch das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 2 ergibt sich unter Einbeziehung des vorstehend genannten Wissens des Fachmanns in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Zusätzlich zu den unter Ziffern 4. und 5. benannten Merkmalen ist aus der US 2002/0156581 A1 mit den Worten des Merkmals d3‘) des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 Folgendes bekannt (nicht zutreffendes durchgestrichen):

d3‘) wenn der erhöhte relative Soll-Gierwert nicht erfüllt ist, auch wenn das erste Giersteuergerät funktioniert, das integrierte Giersteuergerät das dritte Giersteuergerät so steuert, dass der Bremsdruck an einem während der Kurvenfahrt innen liegenden Rad erhöht wird (vgl. Abs. [0163] i. V. m Abs. [106]: „[…] the braking force is applied, for example, to the right rear wheel in turning right against understeering […]“. Denn bei einer Rechtskurvenfahrt ist das rechte Rad ein innen liegendes Rad).

Die US 2002/0156581 A1 offenbart nicht den ersten Halbsatz des Merkmals d3‘), denn eine Reihenfolge der Ansteuerungen durch den Controller 88 ist dort nicht entnehmbar.

Jedoch wird der Fachmann auch im Falle des Untersteuerns analoge Überlegungen vornehmen wie in Ziffer 4. ausgeführt, wenn die Aufgaben zu lösen sind, die Kurvenfahrfähigkeit zu verbessern und eine Verschlechterung der Beschleunigung zu verhindern. Der Fachmann wird daher ausgehend von der US 2002/0156581 A1 in nahe liegende Weise während eines Beschleunigungsvorgangs die Bremssteuerung erst einsetzen, wenn andere Giersteuergeräte das Gieren nicht in ausreichendem Maße reduzieren können. Daher sieht der Senat für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 eine erfinderische Tätigkeit nicht vorliegen.

7. Somit lag mangels erfinderischer Tätigkeit weder im Hauptantrag noch in einem der Hilfsanträge ein patentfähiger Hauptanspruch vor. Somit war die Beschwerde zurückzuweisen.

Dr. Hartung Kirschneck Dr. Scholz Bieringer Pü

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