AK 30/25
BUNDESGERICHTSHOF AK 30/25 BESCHLUSS vom 15. Mai 2025 in dem Strafverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:150525BAK30.25.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeschuldigten und seines Verteidigers am 15. Mai 2025 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg übertragen.
Gründe:
I. 1 Der Angeschuldigte wurde am 25. Juli 2024 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2024 (2 BGs 591/24), sodann aufgrund dessen Haftbefehls vom 24. Oktober 2024 (2 BGs 1013/24), schließlich aufgrund des Haftbefehls des mit der Sache befassten Strafsenates des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 8. April 2025 (8 St 1/25). 2 Gegenstand der derzeit vollzogenen Haftentscheidung ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe seit Mai 2022 in Deutschland durch 13 selbständige Taten (Taten 1 bis 13) gemeinschaftlich handelnd jeweils tateinheitlich
– sich „in einem besonders schweren Fall“ an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von in § 100b Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b StPO genannten Straftaten gerichtet gewesen sei,
– eine Vereinigung im Ausland unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen,
– dem Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Nr. 881/2002, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme gedient habe, jeweils als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden gehabt habe, zuwidergehandelt sowie durch zehn weitere selbständige Taten (Taten 14 bis 23) jeweils tateinheitlich
– eine Vereinigung im Ausland unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen,
– dem Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Nr. 881/2002 zuwidergehandelt, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme gedient habe,
strafbar gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 3, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 Abs. 1 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 in der jeweils gültigen Fassung.
Durch Beschluss vom 19. Februar 2025 (AK 13/25) hat der Senat entschieden, dass für den Angeschuldigten eine Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO – trotz des zu diesem Zeitpunkt mehr als sechs Monate dauernden Untersuchungshaftvollzugs – nicht veranlasst gewesen ist, weil wegen der dem Angeschuldigten mit dem Haftbefehl vom 24. Oktober 2024 erstmals vorgeworfenen Taten eine neue Sechsmonatsfrist begonnen hatte, deren Ablauf noch nicht bevorgestanden hat.
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 11. März 2025 gegen den Angeschuldigten und drei Mitangeschuldigte Anklage zum Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg erhoben. Der dort mit der Sache befasste Strafsenat hat auf der Grundlage des Anklagevorwurfs den Haftbefehl vom 8. April 2025 erlassen und ihn dem Angeschuldigten am 10. April 2025 verkündet.
II.
Die nunmehr vorzunehmende Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO ergibt, dass die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus vorliegen.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 8. April 2025 vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von dem in diesem Haftbefehl geschilderten Sachverhalt auszugehen, der im Wesentlichen demjenigen entspricht, der die tatsächliche Grundlage für den Senatsbeschluss vom 19. Februar 2025 (AK 13/25, Rn. 10 ff.) gewesen ist. Die Taten 12 bis 30 des vormaligen Haftbefehls vom 24. Oktober 2024, die für die Senatsentscheidung über den Beginn der Sechsmonatsfrist maßgebend gewesen sind, entsprechen den Taten 1, 4 bis 8 und 11 bis 23 des vollzogenen Haftbefehls. Dieser wirft dem Angeschuldigten außerdem als Taten 2, 3, 9 und 10 vor, er habe in den Monaten März und April 2023 sowie im Monat April 2024 vier weitere Male als Mitglied der zur Unterstützung des „Islamischen Staates“ (IS) gebildeten inländischen Gruppierung an Geldzuwendungen zugunsten jener ausländischen terroristischen Organisation mitgewirkt. Auch diese zusätzlichen gleichgelagerten hochwahrscheinlichen deliktischen Handlungen sind der besonderen Haftprüfung zugrunde zu legen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse, die den dringenden Tatverdacht stützen, wird über den Senatsbeschluss vom 19. Februar 2025 hinaus auf den vollzogenen Haftbefehl sowie das in der Anklageschrift dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen.
b) In rechtlicher Hinsicht ist der dem Angeschuldigten angelastete Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass der Angeschuldigte dringend verdächtig ist der schweren Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union in 13 Fällen jeweils in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung und mit Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie der (einfachen) Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 3, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 Abs. 1 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 881/2002 und der Durchführungsverordnung [EU] Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom 28. Juni 2013 [ABl. L 179 vom 29. Juni 2013, S. 85]).
Da mit großer Wahrscheinlichkeit die auf die Unterstützung des IS gerichtete Gruppierung auf schwere – da bandenmäßig begangene – Zuwiderhandlungen gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG, damit auf Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b StPO, gerichtet war, ist bei den dem Angeschuldigten angelasteten Taten 1 bis 13 der Qualifikationstatbestand des § 129 Abs. 5 Satz 3 StGB erfüllt. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung (zur Tenorierung s. BGH, Urteil vom 12. September 2023 – 3 StR 306/22, BGHR StGB § 129 Abs. 5 Satz 3 Qualifikation 1 Rn. 66; ferner BGH, Urteil vom 9. Januar 2025 – 3 StR 111/24, juris Rn. 38) vermag die gleichwohl deutlich gewichtigeren strafbewehrten Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht nicht zu Tateinheit zu verklammern (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2025 – AK 13/25, Rn. 44; allgemein zu den Konkurrenzen bei mitgliedschaftlicher Beteiligung BGH, Urteil vom 14. November 2024 – 3 StR 189/24, NJW 2025, 456 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 5. März 2025 – 3 StR 35/24, juris Rn. 19 f.).
2. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für den Erlass des modifizierten Haftbefehls ergibt sich bereits aus § 125 Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2023 – AK 29/23, BGHR GVG § 120 Zuständigkeit 3 Rn. 10).
3. Aus den im Senatsbeschluss vom 19. Februar 2025 (AK 13/25, Rn. 53) dargelegten Gründen besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Das gilt umso mehr, als zur Tatsachengrundlage der Beurteilung vier weitere hochwahrscheinliche Taten (s. oben 1. a]) hinzugetreten sind.
Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
4. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gegeben. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.
a) Das Ermittlungsverfahren ist durchgehend mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Es hat sich durch einen hohen Umfang auszuwertender Kommunikationsinhalte des Angeschuldigten, der Mitangeschuldigten und mutmaßlich an den Taten beteiligter gesondert Verfolgter ausgezeichnet. In Deutschland, Belgien und Österreich haben Durchsuchungen stattgefunden, die zur Sicherstellung einer Vielzahl von Telekommunikationsgeräten mit allein über 1,7 Millionen gesicherten Chatnachrichten geführt haben. Der Ermittlungsaufwand ist neben der erforderlichen Rechtshilfe dadurch erhöht worden, dass die auszuwertenden Chatnachrichten fast ausschließlich in russischer oder tschetschenischer Sprache verfasst wurden und daher zunächst zu übersetzen gewesen sind.
Auf die näheren Darlegungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 15. April 2025 und dem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 6. Januar 2025 wird verwiesen.
b) Der Generalbundesanwalt hat unter dem 11. März 2025 Anklage zum Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg erhoben. Am 18. März 2025 hat die Vorsitzende des dort mit der Sache befassten Strafsenats die Zustellung der Anklage mit einer Erklärungsfrist bis zum 9. April 2025 verfügt. Zugleich ist die Übersetzung der Anklageschrift in die russische Sprache in Auftrag gegeben worden. Ausweislich der Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 1. April 2025 sind
– auf der Grundlage einer Abfrage der terminlichen Verfügbarkeiten der beteiligten Verteidiger – für den Fall der Eröffnung des Haupterfahrens 19 Hauptverhandlungstage ab dem 26. Mai 2025 geplant.
5. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das gilt auch unter Berücksichtigung der Dauer der insgesamt gegen ihn vollzogenen Untersuchungshaft von mehr als neun Monaten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2023 – AK 54/23, NStZ-RR 2023, 349, 350 f. mwN).
Schäfer Berg Munk