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AnwZ (Brfg) 29/22

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AnwZ (Brfg) 29/22 vom

31. Januar 2023 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ECLI:DE:BGH:2023:310123BANWZ.BRFG.29.22.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg, den Richter Dr. Remmert und die Richterin Grüneberg sowie den Rechtsanwalt Dr. Kau und die Rechtsanwältin Schäfer am 31. Januar 2023 beschlossen:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das am 9. Dezember 2021 verkündete Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist seit 1995 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 25. August 2020 widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die Klage gegen den Widerrufsbescheid hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Die Klägerin beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs. Hilfsweise beantragt sie die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Erlass beziehungsweise eine Ratenzahlung betreffend einen bei der T.

Krankenkasse bestehenden Zahlungsrückstand.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO).

1. a) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; vom 10. März 2014 - AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3 mwN und vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 60/17, juris Rn. 4).

Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 21. April 2016 - AnwZ (Brfg) 1/16, juris Rn. 6 und vom 15. Dezember 2017 - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 4; jeweils mwN).

Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO). Ein Rechtsanwalt, der in diesem Verzeichnis eingetragen ist, muss nach ständiger Senatsrechtsprechung zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (z.B. Senat, Beschluss vom 30. Mai 2022 - AnwZ (Brfg) 6/22, juris Rn. 6 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

b) Die Klägerin hat sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides vom 25. August 2020 in Vermögensverfall befunden. Der Anwaltsgerichtshof hat ihren Vermögensverfall zu Recht aus der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO hergeleitet, da die Klä- gerin im Zeitpunkt des Widerrufs wegen Forderungen der T.

Krankenkasse in Höhe von 53.963,26 € in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis eingetragen war. Die hiergegen gerichteten Rügen der Klägerin begründen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO.

aa) Dies gilt zunächst im Hinblick auf § 9 der - auf der Grundlage von § 217f Abs. 3 SGB V ergangenen - Einheitlichen Grundsätze zur Erhebung von Beiträgen, zur Stundung, zur Niederschlagung und zum Erlass sowie zum Vergleich von Beitragsansprüchen (Beitragserhebungsgrundsätze) des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband).

(1) Die vorgenannte Vorschrift bestimmt die Voraussetzungen des Erlasses von Beitragsansprüchen. Nach ihrem Absatz 2 sind Gründe für den Erlass insbesondere dann gegeben, wenn eine Gefährdung des wirtschaftlichen Fortbestehens oder des notwendigen Lebensunterhalts des Anspruchsgegners besteht. Nach Absatz 4 Satz 1 ist über den Erlassantrag nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind nach der Begründung zu § 9 der Beitragserhebungsgrundsätze an den Erlass strenge Anforderungen zu knüpfen. Er ist erst dann in Erwägung zu ziehen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre und eine Stundung nicht in Betracht kommt.

(2) Ein Erlass der Beitragsansprüche kann hier schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides vom 25. August 2020 nicht vorlag. Ob zu einem späteren Zeitpunkt auf den Widerspruch oder eine Klage der Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid der Krankenkasse vom 23. Februar 2022 ein Erlass ausgesprochen werden wird, ist nach den vorstehenden Grundsätzen allein für ein Wiederzulassungsverfahren von Bedeutung.

Dagegen kann vorliegend nicht - gleichsam in Vorwegnahme eines sozialgerichtlichen Verfahrens - geprüft werden, ob der Klägerin gegen die Krankenkasse ein Anspruch auf einen Erlass der Beitragsansprüche gemäß § 9 der Beitragserhebungsgrundsätze zusteht. In der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Tatbestandswirkung von Titeln und Vollstreckungsmaßnahmen anerkannt. Im Widerrufsverfahren nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO werden Titel und Vollstreckungsmaßnahmen - wie hier die Eintragung der Klägerin in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis - nicht auf ihre inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit überprüft. Behauptete Fehler sind in den jeweils vorgesehenen Verfahren geltend zu machen (z.B. Senat, Beschluss vom 22. November 2021 - AnwZ (Brfg) 3/21, juris Rn. 15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies gilt auch für den vorliegenden Fall eines Erlasses von Beitragsforderungen gemäß § 9 der Beitragserhebungsgrundsätze als Grundlage einer Tilgung der Eintragung der Klägerin im vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis.

bb) Die Klägerin hat auch nicht - wie zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls erforderlich - ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis ihrer Gläubiger und Verbindlichkeiten vorgelegt und konkret dargelegt sowie belegt, dass ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind. Hierzu genügt insbesondere nicht, dass sie nach ihrem Vortrag seit Januar 2020 monatliche Raten auf ihre Beitragsrückstände bei der Krankenkasse zahlt. In der "Annahme" dieser Raten durch die Krankenkasse liegt entgegen der Auffassung der Klägerin keine konkludente Ratenzahlungsvereinbarung, zumal die Krankenkasse nach dem eigenen Vortrag der Klägerin eine Ratenzahlungsvereinbarung gerade abgelehnt hat. Zudem beträgt die Höhe der Raten nach dem insoweit übereinstimmenden erstinstanzlichen Vortrag der Parteien lediglich 25 € monatlich und deckt damit noch nicht einmal die anfallenden Verzugszinsen ab.

2. a) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (st. Rspr.; z.B. Senat, Beschluss vom 3. November 2021 - AnwZ (Brfg) 29/21, juris Rn. 11).

b) Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere wird eine Gefährdung nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin zu keiner Zeit Geld von Mandanten unterschlagen oder veruntreut hat. Eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden kann völlig unabhängig von einem kriminellen Verhalten des Betroffenen eintreten, etwa dadurch, dass bei einem in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalt das Risiko eines Zugriffs von Gläubigern auf Fremdgelder erheblich größer ist als im Fall eines Rechtsanwalts mit geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen (Senat, Beschluss vom 23. April 2014 - AnwZ (Brfg) 8/14, juris Rn. 6 mwN).

Soweit die Klägerin angibt, sie nehme seit mehreren Jahren keinerlei Gelder mehr für Mandanten in Verwahrung, vermag dies eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht effektiv zu verhindern. Denn sie kann ihre Tätigkeit als Einzelanwältin jederzeit ausweiten und künftig - unüberwacht - wieder mit Mandantengeldern in Berührung kommen.

III.

Dem Hilfsantrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Erlass ihrer Beitragsrückstände beziehungsweise über eine Ratenzahlung (§ 112c Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 94 VwGO) war nicht stattzugeben, da die Entscheidung im vorliegenden Verfahren - wie ausgeführt (zu II 1 b aa (2)) - nicht von einer nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides ergehenden Entscheidung über den Erlass beziehungsweise eine Ratenzahlung abhängig ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

Limperg Remmert Grüneberg Kau Schäfer Vorinstanz: AGH Berlin, Entscheidung vom 09.12.2021 - I AGH 8/20 -

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