Paragraphen in VIa ZR 190/23
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
3 | 103 | GG |
2 | 826 | BGB |
1 | 823 | BGB |
1 | 544 | ZPO |
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Häufigkeit | Paragraph | |
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1 | 823 | BGB |
2 | 826 | BGB |
3 | 103 | GG |
1 | 544 | ZPO |
BUNDESGERICHTSHOF VIa ZR 190/23 BESCHLUSS vom 21. Januar 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:210125BVIAZR190.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Januar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring und die Richter Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. Januar 2023 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 65.000 € festgesetzt.
Gründe: I.
Die Kläger nehmen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Gestalt eines sogenannten "Thermofensters" und einer sogenannten "Timerfunktion" in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarben am 15. Mai 2016 ein neues Wohnmobil Capron Carado T 448 einschließlich zusätzlicher Einbauten. Das von der Beklagten hergestellte Basisfahrzeug Fiat Ducato ist mit einem 2,3-Liter-Dieselmotor des Typs Multijet mit 96 kW (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet. Für den Typ des Basisfahrzeugs hatte eine Behörde der Italienischen Republik eine EG-Typgenehmigung erteilt.
Die Kläger haben zuletzt den Ersatz des Kaufpreises nebst Prozesszinsen abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung, hilfsweise einer auf 14.222,02 € bezifferten Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs begehrt. Ferner haben sie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung entstandener oder entstehender Schäden, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Mit der zuzulassenden Revision möchten sie ihre Berufungsanträge weiterverfolgen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch der Kläger ergebe sich nicht aus § 826 BGB. Zwar komme im Fahrzeug nach dem von der Beklagten insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Kläger eine Timerfunktion jedenfalls in der Weise zum Einsatz, dass nach 22 Minuten eine Modulation der Abgasrückführung stattfinde. Diese rein zeitgesteuerte, mit der Dauer des Prüfverfahrens nahezu identische Programmierung der Abgasrückführung erwecke zwar den Anschein der Prüfstandsbezogenheit. Diesen habe die Beklagte jedoch plausibel widerlegt, indem sie für die Programmierung Motorschutzgründe angeführt habe. Nach diesem Vorbringen, dem die Kläger nicht hinreichend substantiiert widersprochen hätten, erscheine es dem Senat plausibel, dass die Abgasrückführung nach den seinerzeitigen technischen Möglichkeiten nicht (zeitlich) unbeschränkt habe aufrechterhalten werden können. Vor diesem Hintergrund habe es den Klägern oblegen, diesen Funktionszusammenhang nachweislich in Abrede zu stellen. Auch mit Blick auf den nicht erfolgten Rückruf durch die zuständigen italienischen Behörden und die fehlende Aufnahme in die "Liste der betroffenen Fahrzeuge außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des KBA" lägen in der Gesamtschau des Vortrags der Kläger keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Motor ihres Fahrzeugs eine Abschalteinrichtung enthalte, deren konkrete Ausgestaltung unzulässig sei. Jedenfalls aber fehle es an ausreichendem Vortrag zur Verwirklichung des subjektiven Tatbestands.
Ein Anspruch der Kläger aus § 826 BGB im Hinblick auf das in ihrem Fahrzeug unstreitig implementierte Thermofenster bestehe ebenfalls nicht. Zu den Voraussetzungen eines solchen Anspruchs fehle es an hinreichendem Vorbringen der Kläger. Ein Anspruch der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem europarechtlichen Schutzgesetz scheitere jedenfalls daran, dass die Kläger zu keinem Zeitpunkt zur Fahrlässigkeit der Beklagten hinsichtlich der Schutzgesetzverletzung vorgetragen hätten.
2. Durch seine Annahme, die im Fahrzeug der Kläger vorhandene Timerfunktion sei zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs nicht geeignet, hat das Berufungsgericht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, wenn ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Daraus ergibt sich eine Pflicht des Gerichts, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (BVerfG, FamRZ 2023, 1870 Rn. 25; BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2023 - I ZR 42/23, GRUR-RR 2024, 130 Rn. 12; Beschluss vom 23. Januar 2024 - VI ZR 213/22, NJW-RR 2024, 705 Rn. 8).
b) Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung unterlaufen. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht Vortrag der Kläger zur Prüfstandsbezogenheit der Timerfunktion übergangen hat.
aa) Die Kläger haben im Berufungsverfahren anhand eines dort vorgelegten Software-Gutachtens zu einem Fahrzeug mit identischem Motorkennzeichen unter Verweis auf ihren erstinstanzlichen Vortrag vorgebracht, die Motorsteuerung des Fahrzeugs erkenne anhand verschiedener Parameter die Prüfsituation und aktiviere in diesem Fall das "Kennfeld NEFZ". Eine weitere Strategie sorge dafür, dass innerhalb des Zeitraums von 22 Minuten, nach dem das "Kennfeld NEFZ" spätestens verlassen und die Abgasreinigung reduziert werde, im Abstand weniger Sekunden überprüft werde, ob bestimmte - im Prüfstand nicht vorkommende - Störgrößen aufträten. Bei mehrfachem Auftritt dieser Störgrößen werde das "Kennfeld NEFZ" vor Ablauf von 22 Minuten verlassen und die Abgasreinigung abgeschaltet.
bb) Das Berufungsgericht hat zwar berichtet, die Kläger brächten vor, aufgrund von bestimmten eingebauten Störgrößen werde von einem weiteren Timer andauernd das mögliche vorzeitige Verlassen der Prüfsituation untersucht, so dass bei wiederholtem Auftreten der Störgrößen die Abgasreinigung noch vor Überschreitung von 22 Minuten abgeschaltet werde. Im Rahmen seiner zur Unzulässigkeit beziehungsweise zu einer - auch aus seiner Sicht eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde indizierenden (BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 mwN) - Prüfstandsbezogenheit der von den Klägern beanstandeten Timerfunktion angestellten Erwägungen ist das Berufungsgericht auf dieses Vorbringen indessen nicht eingegangen.
Es hat im Gegenteil eine Prüfstandsbezogenheit der Timerfunktion ausschließlich unter der Annahme geprüft, dass die zeitliche Steuerung der Modulation der Abgasrückführung auch im realen Fahrbetrieb nach 22 Minuten einsetze. Von hier aus hat das Berufungsgericht eine Prüfstandsbezogenheit angenommen, wenn die einschlägigen Parameter nahezu dem Prüfstandbetrieb entsprächen und der Hersteller den Sinn der betroffenen Funktionalität im realen Fahrbetrieb nicht zu erklären vermöge. Das sei der Beklagten hier allerdings plausibel mit dem Verweis auf Erfordernisse des Motorschutzes, dem die Kläger nicht hinreichend entgegengetreten seien, gelungen, zumal gewichtige weitere Indizien (bereits) gegen die Unzulässigkeit einer solchen Timerfunktion sprächen.
Diesen Erwägungen fehlt indessen ein inhaltlicher Bezug zu dem Vortrag der Kläger, wonach die in ihrem Fahrzeug verbaute Motorsteuerungssoftware anhand auf den Realbetrieb zugeschnittener Störgrößen erkenne, dass sich das Fahrzeug nicht mehr auf dem Prüfstand befindet, und in diesem Fall bereits vor Ablauf von 22 Minuten die Abgasrückführung verringere. Die Prüfstandsbezogenheit der Timerfunktion auch und gerade unter diesem Gesichtspunkt zu erörtern, war aber offensichtlich angezeigt. Dass es unterblieb, lässt sich nur damit erklären, dass das Berufungsgericht dieses - zentrale - Vorbringen der Kläger entweder aus dem Blick verloren oder ihm keine eigenständige Bedeutung beigemessen hat. Die Begründung der angegriffenen Entscheidung des Gerichts lässt insoweit nur den Schluss zu, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - VI ZR 493/19, NJW 2021, 1886 Rn. 8).
3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Kläger bejaht hätte, wenn es ihre Behauptung zu einer den Prüfstand erkennenden Timerfunktion und das hierzu vorgelegte Software-Gutachten auch in diesem Zusammenhang in seine Erwägungen einbezogen hätte. Ob das Berufungsgericht dem Gutachten letztlich hinreichende, nachvollziehbare und aussagekräftige Ausführungen zu einer prüfstandsbezogenen Funktionsweise entnimmt, ist seiner tatgerichtlichen Beurteilung vorbehalten, die der Senat nicht ersetzen kann.
4. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Sollte das Berufungsgericht erneut von einer Obliegenheit der Kläger ausgehen, einer von der Beklagten geltend gemachten Notwendigkeit einer bestimmten Funktionalität zum Motorschutz "hinreichend substantiiert" zu widersprechen beziehungsweise diese "nachweislich in Abrede zu stellen", wird es zu beachten haben, dass von den Klägern Vortrag zu technischen Details nicht verlangt werden könnte, sofern es auf das (bloße, objektive) Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ankommen und es nur noch um die technischen Einzelheiten einer Funktion gehen sollte, deren Existenz zwischen den Parteien ebenso unstreitig ist wie die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2024 - VIa ZR 347/22, juris Rn. 15).
b) Im Zusammenhang mit einer etwaigen Überprüfung einer von der Beklagten geltend gemachten Notwendigkeit einer bestimmten Funktionalität zum Motorschutz am Maßstab von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Ausnahme fallen kann (EuGH, Urteil vom Urteil vom 14. Juli 2022 - C-128/20, NJW 2022, 2605 Rn. 70) und dass zu solchen normalen Betriebsbedingungen bei Wohnmobilen - schon um diese Gruppe von Fahrzeugtypen nicht aufgrund abstrakter, mit ihrer Bauart zusammenhängender Erwägungen ohne Bezug insbesondere zu Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 auszuklammern (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2023 - VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 29) - auch längere beziehungsweise außerstädtische Fahrten gehören.
c) Schließlich wird das Berufungsgericht eine etwa erhebliche Fahrlässigkeit der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 f.) Beklagten nicht - wie in der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die Verantwortung der Beklagten für die Verwendung des Thermofensters indessen geschehen - ohne weiteres mit der Begründung verneinen können, ein Unternehmen dürfe bei Bestehen einer rechtlich unsicheren Lage, in der auch die Einholung von Rechtsrat keine eindeutige Antwort zur Zulässigkeit eines Thermofensters erbringe, die "sich daraus ergebenden technischen und wirtschaftlichen Spielräume" … "ohne Fahrlässig- keitsvorwurf nutzen" (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 68 f. mwN; Urteil vom 23. Januar 2024 - VIa ZR 1284/22, juris Rn. 16).
C. Fischer Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Koblenz, Entscheidung vom 15.07.2022 - 12 O 396/21 OLG Koblenz, Entscheidung vom 18.01.2023 - 5 U 1342/22 -
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