VIa ZB 7/24
BUNDESGERICHTSHOF VIa ZB 7/24 BESCHLUSS vom 6. Mai 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:060525BVIAZB7.24.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Messing, Dr. F. Schmidt und die Richterin Pastohr beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 16. August 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert beträgt bis 6.000 €.
Gründe:
I.
Der Beklagte wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.
Der Beklagte wurde durch das Landgericht zur Rückzahlung einer Überzahlung auf einen Vergleich verurteilt. Das Urteil wurde ihm am 23. April 2024 zugestellt. Gegen dieses Urteil hat er fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2024 hat er beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung "um einen Monat, mithin bis einschließlich 23. Juli 2024" zu verlängern. Die zuständige Einzelrichterin hat am 26. Juni 2024 verfügt, die Frist werde "antragsgemäß verlängert bis 22. Juli 2024".
Nachdem am 23. Juli 2024 die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen war, hat das Berufungsgericht den Beklagten auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und die beabsichtigte Verwerfung der Berufung hingewiesen. Hierauf hat der Beklagte mit am 29. Juli 2024 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt, eine teilweise sein Fristverlängerungsgesuch ablehnende gerichtliche Verfügung sei ihm nicht bekannt gegeben worden. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass seinem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben werde. Vorsorglich hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der vom Berufungsgericht bis zum 22. Juli 2024 verlängerten Frist begründet worden sei. Ein Vertrauen des Beklagtenvertreters auf das Ende der Frist am 23. Juli 2024 sei aufgrund der offensichtlich klärungsbedürftigen Differenz zwischen der datumsmäßigen Festsetzung und der "antragsgemäßen" Verlängerung nicht gerechtfertigt gewesen. Zweifel hätten jedenfalls durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten geklärt werden müssen. Eine Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil der Beklagte die organisatorischen Vorkehrungen zur Fristenkontrolle in dem Büro seines Prozessbevollmächtigten nicht dargetan habe. Es sei ungeprüft geblieben, ob die notierte hypothetische Fristverlängerung mit der gewährten Fristverlängerung übereinstimme.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann bereits eine Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch den Beklagten nicht angenommen werden; auf den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 Abs. 1 ZPO) kommt es daher nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 1985 - VIII ZB 18/84, NJW 1985, 1558, 1559; Beschluss vom 20. September 2022 - VI ZB 48/21, NJW-RR 2022, 1650 Rn. 11).
a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass nach § 520 Abs.1, Abs. 2 Satz 1 ZPO die Berufung innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden muss, wobei die Frist mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils beginnt. Nach der am 23. April 2024 erfolgten Zustellung des landgerichtlichen Urteils an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten lief die Frist zur Begründung der Berufung demnach gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 24. Juni 2024 (Montag) ab.
b) Mit Rechtsfehlern behaftet ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die innerhalb der vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten beantragten verlängerten Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. Juli 2024 eingegangene Berufungsbegründung sei verspätet.
aa) Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist ohne Einwilligung des Gegners um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Rechtsanwalt im Allgemeinen erwarten kann, einem ersten Verlängerungsantrag werde bei Angabe eines erheblichen Grundes (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) entsprochen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16, WM 2018, 145 Rn. 10; Beschluss vom 2. Dezember 2020 - XII ZB 324/20, NJW-RR 2021, 636 Rn. 8 jeweils mwN). Gemessen hieran durfte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten darauf vertrauen, dass seinem innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag auf - erstmalige - Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. Juli 2024 stattgegeben wird. Innerhalb dieser Frist, nämlich am 23. Juli 2024, ist die Berufungsbegründung eingegangen.
bb) Soweit das Berufungsgericht meint, dem Antrag des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei durch die Verfügung vom 26. Juni 2024 mit einer Fristverlängerung nur bis zum 22. Juli 2024 entsprochen worden, verletzt der angefochtene Beschluss den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
(1) Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, NJW 2024, 3583 Rn. 23; BGH, Urteil vom
13. Dezember 2023 - IV ZR 12/23, r+s 2024, 125 Rn. 18; Beschluss vom 25. Juli 2022 - VIa ZR 622/21, juris Rn. 8; Beschluss vom 23. April 2024 - VIa ZR 1346/22, juris Rn. 8). Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass Gerichte diesen Pflichten nachgekommen sind, auch wenn sie das Vorbringen nicht ausdrücklich beschieden haben (vgl. BVerfG, NJW 1978, 989; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; BGH, Beschluss vom 19. März 2009 - V ZR 142/08, NJW 2009, 1609 Rn. 8; Beschluss vom 15. Oktober 2015 - IX ZR 170/14, juris Rn. 3; Beschluss vom 23. August 2016 - VIII ZR 46/15, juris Rn. 3). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Kenntnisnahme und zur Erwägung des Vorgetragenen nicht nachgekommen ist (BVerfG, NVwZ 2016, 1475 Rn. 15; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; BGH, Urteil vom 10. Februar 2012 - V ZR 105/11, NJW 2012, 1884 Rn. 15; Beschluss vom 19. März 2009, aaO; Beschluss vom 15. Oktober 2015, aaO). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies grundsätzlich auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des erkennenden Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, NVwZ 2016, 1475 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 21. Januar 2025 - VIa ZR 190/23, juris Rn. 9).
(2) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Beklagten, ihm sei die Verfügung vom 26. Juni 2024 über die teilweise ablehnende Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht bekannt gegeben worden, nicht berücksichtigt. Es stellt allein darauf ab, die Verlängerungsverfügung sei nicht vergleichbar mit einer "antragsgemäßen" Fristverlängerung. Das Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auf das Ende der Frist am 23. Juli 2024 sei nicht gerechtfertigt gewesen, weil nach dem Wortlaut der Verfügung eine offensichtliche klärungsbedürftige Differenz zwischen der datumsmäßigen Festsetzung des Endes der Frist einerseits und der "antragsgemäßen" Verlängerung andererseits bestanden habe. Aufgrund der eindeutigen Nennung des Datums vom 22. Juli 2024 gelte die Frist bis zu diesem Zeitpunkt als verlängert. Mit dieser Begründung setzt das Berufungsgericht die Kenntniserlangung des Beklagtenvertreters von der Verlängerungsverfügung vom 26. Juni 2024 voraus, die vom Beklagten aber gerade in Abrede gestellt wird. Der Kern des Vorbringens des Beklagten in dem Schriftsatz vom 29. Juli 2024 auf den Hinweis des Berufungsgerichts über die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist liegt darin, dass eine unter teilweiser Ablehnung des Fristverlängerungsantrags ergangene Verlängerungsverfügung mit einer Fristverlängerung nur bis zum 22. Juli 2024 dem Beklagtenvertreter nicht bekannt sei. Weder hat sich das Berufungsgericht mit diesem Vortrag in seinen Entscheidungsgründen auseinandergesetzt noch hat es Feststellungen zum Zugang der Verfügung vom 26. Juni 2024 getroffen.
(3) Das Berufungsgericht durfte auch nicht auf den Einwand des Beklagten ohne weitere Feststellungen davon ausgehen, dass dessen Prozessbevollmächtigten die Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag zugegangen ist. Es gibt keine Vermutung, dass vom Gericht übersandte Mitteilungen oder Hinweise die Beteiligten auch erreicht haben (vgl. BVerfGE 36, 85, 88 f. = NJW 1974, 133). Der Bürger trägt weder das Risiko des Verlusts im Übermittlungswege noch eine irgendwie geartete Beweislast für den Nichtzugang (BVerfGK 20, 344, 346 = NJW 2013, 2658). Vielmehr müssen sich die Gerichte einen Nachweis des Zugangs eines Hinweises verschaffen (vgl. BVerfGE 42, 243, 246 = NJW 1976, 1837, 1838; NJW 2019, 1433 Rn. 17).
cc) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem Gehörsverstoß, weil eine Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich nur dann als unzulässig verworfen werden darf, wenn der Antrag des Rechtsmittelführers auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2004 - V ZB 33/03, juris Rn. 5). Eine Verfügung des Vorsitzenden, mit der er die Berufungsbegründungsfrist verlängert - bzw. wie hier teilweise ablehnt -, wird erst wirksam, wenn sie dem Prozessbevollmächtigten der Partei bekanntgegeben wird, die die Verlängerung beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 1999 - V ZB 31/98, NJW 1999, 1036). Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Beklagtenvorbringens über den fehlenden Zugang der Verlängerungsverfügung vom 26. Juni 2024 den Eingang der Berufungsbegründung als fristgemäß erachtet.
IV.
Der Senat hat die Sache aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 562 Abs. 2 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil noch Feststellungen dazu getroffen werden müssen, ob den Beklagtenvertreter die Benachrichtigung über den Umfang der bewilligten Fristverlängerung erreicht hat.
C. Fischer F. Schmidt Möhring Messing Pastohr Vorinstanzen: LG Gera, Entscheidung vom 18.04.2024 - 8 O 875/23 OLG Jena, Entscheidung vom 16.08.2024 - 7 U 435/24 -