II ZA 5/24
BUNDESGERICHTSHOF II ZA 5/24 BESCHLUSS vom 22. Januar 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:220125BIIZA5.24.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Born, die Richter Wöstmann, Dr. Bernau und Sander sowie die Richterin Adams beschlossen:
Der Antrag der Nebenintervenientin, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 25. November 2024 - 23 U 97/21 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Januar 2025 einstweilen einzustellen, und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gegen den vorbezeichneten Beschluss werden zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Das Kammergericht hat die Berufung der Nebenintervenientin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, gegen das Schlussurteil des Landgerichts Berlin II vom 10. Juni 2021 (Az. 104 O 19/15), mit dem die Beschlussfassungen der Gesellschafterversammlungen der Beklagten vom 6. Januar 2015 und vom
3. Januar 2018 über die Einziehung der Geschäftsanteile des zwischenzeitlich verstorbenen Klägers S.
für nichtig erklärt wurden, mit Beschluss vom 25. November 2024 zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat es der Nebenintervenientin auferlegt. Den im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 4. September 2021 gestellten Antrag der Nebenintervenientin, gemäß § 712 ZPO die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, hat das Kammergericht mit Beschluss vom 25. Juli 2024 zurückgewiesen. Durch ihren zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hat die Nebenintervenientin Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Kammergerichts vom 25. November 2024 für die Dauer des Prozesskostenhilfeverfahrens gemäß § 719 Abs. 2 ZPO analog beantragt.
II.
1. Der Antrag der Nebenintervenientin auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bleibt ohne Erfolg.
a) Der Antrag der Nebenintervenientin auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 544 Abs. 7 Satz 2, § 719 Abs. 2 ZPO ist unzulässig, weil er entgegen § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt gestellt worden ist. Der Antrag unterliegt auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - V ZA 4/04, WM 2004, 2370 unter II. 1.; Beschluss vom 9. Juni 2004 - VIII ZR 145/04, WuM 2004, 416 unter II. 1.; Beschluss vom 17. September 2008 - III ZA 7/08, juris; Beschluss vom 12. August 2009 - XII ZA 30/09, JurBüro 2010, 53 Rn. 3; Beschluss vom 30. März 2011 - IV ZA 23/10, juris; Beschluss vom 22. Februar 2012 - XI ZA 12/11, MDR 2012, 1432 Rn. 2; Beschluss vom 26. September 2018 - VIII ZR 290/18, NJW-RR 2019, 72 Rn. 3; Beschluss vom 21. Februar 2018 - XI ZR 547/17, juris Rn. 5; Beschluss vom 31. Januar 2023 - VIII ZA 27/22, WuM 2023, 303 Rn. 4).
Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Partei für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2004 - VIII ZR 145/04, WuM 2004, 416 unter II. 1.; Beschluss vom 17. September 2008 - III ZA 7/08, juris; Beschluss vom 12. August 2009 - XII ZA 30/09, JurBüro 2010, 53 Rn. 3; Beschluss vom 30. März 2011 - IV ZA 23/10, juris; Beschluss vom 22. Februar 2012 - XI ZA 12/11, MDR 2012, 1432 Rn. 2; Beschluss vom 26. September 2018 - VIII ZR 290/18, NJW-RR 2019, 72 Rn. 4; Beschluss vom 31. Januar 2023 - VIII ZA 27/22, WuM 2023, 303 Rn. 5). Aus § 78 Abs. 3 ZPO ergibt sich keine Ausnahme von dem vorbezeichneten Anwaltszwang, da diese Vorschrift über das Prozesskostenhilfeverfahren hinaus nicht auch den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung umfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1994 - VIII ZR 85/94, WuM 2004, 416 unter II. 1.; Beschluss vom 6. Mai 2004 - V ZA 4/04, WM 2004, 2370 unter II. 1.; Beschluss vom 12. August 2009 - XII ZA 30/09, JurBüro 2010, 53 Rn. 3; Beschluss vom 22. Februar 2012 - XI ZA 12/11, MDR 2012, 1432 Rn. 2; Beschluss vom 26. September 2018 - VIII ZR 290/18, NJW-RR 2019, 72 Rn. 4; a.A. Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl., § 78 Rn. 28; Vollkommer, MDR 2012, 1432, 1433).
b) Ob das Begehren der Nebenintervenientin deshalb als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für die Stellung eines Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auszulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 - XI ZA 12/11, juris Rn. 3 mwN) und ob die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung über den Wortlaut von § 544 Abs. 7 Satz 2 ZPO und § 719 Abs. 2 ZPO hinaus zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes bereits während der Dauer des Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt noch einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde zulässig sein kann (ablehnend BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 - I ZA 1/01, juris Rn. 19; offengelassen in BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 - XI ZA 12/11, juris Rn. 3; Beschluss vom 26. September 2018 - VIII ZR 290/18, NJW-RR 2019, 72 Rn. 5; Beschluss vom 18. Juli 2023 - VIII ZA 6/23, juris Rn. 7; Beschluss vom 31. Januar 2023 - VIII ZA 27/22, WuM 2023, 303 Rn. 6; Beschluss vom 9. Februar 2023 - V ZA 3/23, juris Rn. 2), bedarf keiner Entscheidung, da der Prozesskostenhilfeantrag zurückzuweisen ist.
2. Der Prozesskostenhilfeantrag ist unbegründet. Die Nebenintervenientin hat nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
a) Eine inländische juristische Person oder parteifähige Vereinigung erhält gemäß § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Durch dieses Erfordernis soll verhindert werden, dass mittellose Verbände eigene wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen. Es trägt den besonderen Verhältnissen der juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen Rechnung, die eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung nur dann besitzen, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09, ZIP 2011, 540 Rn. 9; Beschluss vom 5. März 2015 - IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648 Rn. 8; Beschluss vom 23. Juli 2019 - II ZR 56/18, NZI 2019, 764 Rn. 7; Beschluss vom 9. November 2021 - II ZR 224/20, ZInsO 2022, 143 Rn. 7).
Der Anwendungsbereich des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO beschränkt sich mithin auf Sachverhalte, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können (BGH,
Beschluss vom 20. September 1957 - VII ZR 62/57, BGHZ 25, 183, 185; Beschluss vom 5. November 1985 - X ZR 23/85, WM 1986, 405, 406; Beschluss vom 23. Juli 2019 - II ZR 56/18, NZI 2019, 764 Rn. 8; Beschluss vom 9. November 2021 - II ZR 224/20, ZInsO 2022, 143 Rn. 8). Ein allgemeines Interesse im Sinne dieser Vorschrift kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in Mitleidenschaft gezogen würde, die Vereinigung gehindert würde, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen, oder wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhinge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09, ZIP 2011, 540 Rn. 10; Beschluss vom 5. März 2015 - IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648 Rn. 9; Beschluss vom 23. Juli 2019 - II ZR 56/18, NZI 2019, 764 Rn. 8; Beschluss vom 9. November 2021 - II ZR 224/20, ZInsO 2022, 143 Rn. 8). Diese Voraussetzungen können auch erfüllt sein, wenn eine erfolgreiche Rechtsverfolgung die Befriedigung einer Vielzahl von Kleingläubigern ermöglichen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1985 - X ZR 23/85, WM 1986, 405, 406; Beschluss vom 24. Oktober 1990 - VIII ZR 87/90, ZIP 1990, 1565; Beschluss vom 23. Juli 2019 - II ZR 56/18, NZI 2019, 764 Rn. 8; Beschluss vom 9. November 2021 - II ZR 224/20, ZInsO 2022, 143 Rn. 8).
b) Im Streitfall ist nicht, wie erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2019 - V ZB 111/18, MDR 2019, 660 Rn. 14), dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich, dass ohne die beabsichtigte Rechtsverteidigung allgemeine Interessen gefährdet wären. Die von der Nebenintervenientin zur Begründung angeführten Umstände, dass andernfalls, entsprechend ihrer Darstellung, der Mehrheitsgesellschafter nur deswegen gewinnen würde, weil er die Beklagte "ausgeplündert",
den Minderheitsgesellschaftern dadurch die Ausschüttung von Gewinnen verweigert habe und sie nach Belieben mit Prozessen vor sich "hertreibe", begründen das Vorliegen allgemeiner Interessen nicht. Die (Minderheits-)Gesellschafter der Beklagten wären danach nicht als Träger allgemeiner Interessen in Mitleidenschaft gezogen, sondern es sind nur wirtschaftliche Interessen Einzelner angesprochen, die die Nebenintervenientin aus eigener Kraft verfolgen können muss.
Born V. Sander Wöstmann Adams Vorinstanzen: LG Berlin II, Entscheidung vom 10.06.2021 - 104 O 19/15 KG, Entscheidung vom 25.11.2024 - 23 U 97/21 - Bernau