3 Ni 11/15 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 11/15 (EP) (Aktenzeichen)
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IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In der Patentnichtigkeitssache Verkündet am 28. März 2017 Paffrath Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BPatG 253 08.05
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betreffend das europäische Patent 2 330 407 (DE 602 45 048)
hat der 3. Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung am 28. März 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, der Richter Dipl.-Chem. Dr. Egerer, Dipl.-Chem. Dr. Wismeth, Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich und der Richterin Seyfarth für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 330 407 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 30. August 2002 beim Europäischen Patentamt in englischer Sprache angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Patents 2 330 407 (Streitpatent), das die Priorität der japanischen Patentanmeldung JP 2001-278966 vom 14. September 2001 in Anspruch nimmt und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 602 45 048 geführt wird.
Das Streitpatent, das beschränkt mit Hauptantrag und hilfsweise weiter beschränkt mit sieben Hilfsanträgen verteidigt wird, trägt die Bezeichnung „Method, tool and device for measuring concentration“ („Verfahren, Werkzeug und Vorrichtung zur Messung der Konzentration“) und umfasst 19 Patentansprüche, deren nebengeordnete Patentansprüche 1 und 10 in der maßgeblichen englischen Sprache wie folgt lauten:
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 und 10 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 2 330 407 B1 verwiesen.
Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ und der unzulässigen Erweiterung gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 c) EPÜ geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:
(NK4)
(NK5) (NK6) (NK7) (NK8) (NK9)
(NK10) (NK11)
(NK12)
CUI, Gang [et al.]: Disposable amperometric glucose sensor electrode with enzyme-immobilized nitrocellulose strip. In: Talanta, Vol. 54, 2001, S. 1105-1111 WO 01/33216 A1 US 6 143 164 A US 5 185 256 A US 6 193 873 B1 CHEN, Liang; GORSKI, Waldemar: Bioinorganic Composites for Enzyme Electrodes. In: Anal. Chem., Vol. 73, 2001, No. 13, S. 2862-2868 US 5 620 579 A MORRIS, N. A. [et al.]: An Electrochemical Capillary Fill Device for the Analysis of Glucose Incorporating Glucose Oxidase and Ruthenium (III) Hexamine as Mediator. In: Electroanalysis, Vol. 4, 1992, S. 1-9 DANKOOK INDUSTRY: Testing Certificate. Certificate No.: DCRF-1512-053; Client: Infopia Co., Ltd.; Test Sample: one touch ultra electrode etc.; Date of Receipt: 21.12.2015; Date of Test: 21.12.2015; Test Instrument: SEM/EDS; Test by: Kyungin Choi. 119, Dandae-ro, Dongnam-gu, Cheonan-si, Chungnam, 330-714, Korea, 23. Dezember 2015. 9 Seiten
(NK13)
(NK14) (NK15) (NK16) (NK17) (NK18)
(NK19)
(NK20) (NK21) (NK22)
(NK23)
(NK24) (NK25)
(NK29) (NK30)
TIFFANY, T. O. [et al.]: Enzymatic Kinetic Rate and EndPoint Analyses of Substrate, by Use of a GeMSAEC Fast Analyzer. In: Clinical Chemistry, Vol. 18, 1972, No. 8, S. 829-840 EP 0 969 097 A2 DE 691 13 923 T2 EP 1 394 535 B1 US 5 366 609 A Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, Entscheidung vom 9. April 2014, T 0405/13 - 3.4.02. 11 Seiten LIFESCAN: OneTouch® Ultra. Blood Glucose Monitoring System. Milpitas, CA 95035, USA, 2000. Titelseite, S. ii-viii, S. 1-55, 1 Seite Impressum – Firmenschrift US 5 708 247 A US 5 951 836 A LIFESCAN: OneTouch® Ultra Test Strips For Testing Glucose in Whole Blood. Milpitas, CA 95035, USA. 2 Seiten – Packungsbeilage CUI, Gang: Thick-Film Amperometric Glucose Sensors. Kwangwoon University, Seoul, Korea, Juni 2000. S. i-xiii, S. 1-138 – Dissertation Screenshot der Eingabemaske der Online-Bibliothek der Kwong-Won University. Ohne Datum. 1 Seite Screenshot der RISS (Research Information Sharing Service; [URL: http://www.RISS.kr]). Ohne Datum. 1 Seite - Online-Datenbank für wissenschaftliche Artikel US 5 620 579 A (identisch mit NK10) (a) dispergieren. In: Chemgapedia. URL: http://www. chemgapedia.de/vsengine/glossary/de/dispergieren.glos.htm I [abgerufen am 10. Februar 2017]. 1 Seite
(NK31) (NK32)
(NK33) (NK34)
(NK35)
(b) Dispersion (Chemie). In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: unbekannt. URL:
https://de.wikipedia.org/ wiki/Dispersion (Chemie) [abgerufen am 10. Februar 2017]. 2 Seiten US 8 305 564 B2 Diabetes update: Monitor options. In: Modern Medicine Network. Originally posted June 2001. URL: http://www.
modernmedicine.com/modern-medicine/content/diabetesupdate-monitor-options?page=fuII
[abgerufen am
20. Februar 2017]. 16 Seiten HOWELL, Jonathon O.; et al.: Glucose Test Strips and Electroanalytical Chemistry in the Undergraduate Laboratory.
Ohne Ort, ohne Jahr. URL: https://www.basinc.com/assets/
library/presentations/pdf/JOH-01.pdf [abgerufen: unbekannt]
Whatman International Ltd.: Filter Papers and Membranes:
Take a Whatman filter paper, run a water sample through it and test for suspended solids. A simple but essential test undertaken throughout the world. Ohne Ort, ohne Jahr.
Seiten Deckblatt, S. 34-37 US 5 288 636 A Auf Grundlage der erteilten Fassung hat die Klägerin ihr Begehren im Wesentlichen wie folgt begründet.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 10 sei gegenüber der Ursprungsoffenbarung unzulässig erweitert, da die Merkmale 10.1.3 und 10.1.4 (Computer wandelt den Ansprechstromwert in einen Spannungswert um und vergleicht den Spannungswert mit einer vorherbestimmten Kalibrierungskurve, welche die Beziehung zwischen Spannung und Konzentration der Testsubstanz ausdrückt) in der nunmehr beanspruchten Allgemeinheit nicht Gegenstand der ursprünglichen Offenbarung gewesen seien.
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 10 seien nicht neu gegenüber den Druckschriften NK4, NK5 und NK23. Dem Gegenstand nach Patentanspruch 1 fehle es zudem an der Neuheit gegenüber NK6. Jedenfalls beruhten die Patentansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Klage führt diesbezüglich NK4, NK4 mit NK7, NK4 mit NK19, NK7 in Kombination mit NK11 sowie die NK23 an.
Sofern die Erfindung in der Bereitstellung von schnellen Messsensoren bzw. Messungen in sehr kurzer Zeit gesehen werde, sei eine über die Verwendung eines Ruthenium-Mediators hinausgehende Lehre in der Patentschrift nicht ausführbar offenbart.
Die Klägerin wendet sich darüber hinaus ausgehend von der aktuellen Antragslage gegen das Streitpatent im Wesentlichen wie folgt.
In dem neuen Merkmal 1.3aH des Hauptantrags („Detektieren der zugehörigen Testsubstanz durch das Anlegen einer Spannung“) liege eine Erweiterung in Gestalt einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung. Im Übrigen sei diese Detektionsart des Probenauftrags mit anschließendem Wegnehmen der Spannung dem Fachmann aus der NK17 wie auch der NK10/NK29 bekannt.
Zudem sei der Zeitraum zwischen Probenzugabe und Beginn des ersten Schrittes bei t0 streitpatentgemäß undefiniert. Die drei Verfahrensschritte gemäß Patentanspruch 1 liefen deshalb in einem Zeitraum von mehr als 15 Sekunden ab, was zum Prioritätszeitpunkt fachüblich gewesen sei, wie die NK32 zeige.
Die Änderung des Merkmals 1.4.1H von 0 bis 10 Sekunden in 10 Sekunden oder weniger ändere am früheren Grenzwert von 0 Sekunden nichts.
Der Einschub „mit dem Oxidationsreduktionsenzym und der Ru-Verbindung“ (Merkmal 10.2.7H) ändere an der Definition der „Reagenzschicht" bzw. des „Flüssigphasenreaktionssystems“ in Patentanspruch 6 nach Hauptantrag nichts. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass keiner der unabhängigen Patentansprüche nach Haupt- oder Hilfsanträgen nach seinem Wortlaut verlange, dass das Enzym in die flüssige Phase übergehe, geschweige denn, dass dies vollständig erfolge. Die nachveröffentlichte NK26 der Patentinhaberin mit vergleichbarem Messsystem belege zudem, dass schnelle Messzeiten nicht von der Mobilisierung oder lmmobilisierung des Enzyms abhingen. Das System sei im Übrigen nicht notwendigerweise eine Lösung, sondern könne eine Dispersion darstellen.
Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge. Zudem wendet sich die Klägerin gegen die Hilfsanträge im Wesentlichen wie folgt:
Die Auswahl der Untergrenze von 1 Sekunde in Hilfsantrag 1 sei willkürlich, da das Streitpatent eine Zeit von 0 bis 3 Sekunden bevorzuge. Es handle sich zudem um eine unzulässige Erweiterung, da die Untergrenze von 1 Sekunde aus einem konkreten Beispiel stamme und dort auch nicht als bevorzugt beschrieben sei. Im Übrigen seien derartige Verfahrensschritte aus der NK17 bzw. NK10/NK29 bekannt.
Die Fassung von Hilfsantrag 2 ändere nichts an der Eigenschaft des „Flüssigphasenreaktionssystems“. Sie könnten daher aus denselben Gründen - wie zum Hauptantrag ausgeführt - die erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
Der Begriff „Mediatordiffusionsstrom“ in Hilfsantrag 3 führe zu einer unzulässigen Erweiterung. Im Übrigen sei in diesem Kontext der Verweis der Patentinhaberin auf Cyclovoltammogramme verfehlt. Darüber hinaus könne die erfinderische Tätigkeit damit nicht hergestellt werden.
Die Änderungen in Hilfsantrag 4 seien nicht ursprünglich offenbart. Im Übrigen könne die erfinderische Tätigkeit damit nicht begründet werden. Diese gelte sinngemäß auch für Hilfsantrag 5.
Mit dem Merkmal 10.2.26 in Hilfsantrag 6 zur Arbeits- und Gegenelektrode entstehe ein Klarheitsproblem, da der Patentanspruch in Merkmal 10.1.1 weiterhin von einer ersten und zweiten Elektrode spreche. Im Übrigen seien derartige Anordnungen z.B. aus der NK23, Fig. 5.2 bekannt.
Auch die Änderung des Zeitregimes im ersten Schritt auf 1 bis 3 Sekunden gemäß Hilfsantrag 7 könne eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
Der Vertreter der Nebenintervenientin hat sich in der mündlichen Verhandlung den Ausführungen der Klägerin angeschlossen und zur Begründung seines rechtlichen Interesses am Beitritt auf folgenden Beschluss des Landgerichts Mannheim verwiesen.
(AR1)
Landgericht Mannheim, Beschluss vom 26. Januar 2016, 7 O 116/15. 24 Seiten (identisch mit HE-4)
Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen,
das europäische Patent 2 330 407 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen,
dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags, hilfsweise eines der Hilfsanträge 1 bis 6 gemäß Schriftsatz vom 23. Januar 2017,
weiter hilfsweise die Fassung des Hilfsantrags 7 gemäß Schriftsatz vom 21. März 2017, sämtliche in der Verfahrenssprache Englisch, erhält.
Die Beklagte verteidigt das Streitpatent nur mehr eingeschränkt mit den Patentansprüchen 1 bis 14 gemäß Hauptantrag vom 23. Januar 2017. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 6 des Hauptantrags haben folgenden Wortlaut:
Die Patentansprüche 2 bis 5 sowie 7 bis 14 entsprechen den erteilten Patentansprüchen 4 bis 7 sowie 11, 12 und 14 bis 19. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, mit dem Unterschied, dass die Wortfolge „[…] a first step of producing a reductant of the Ru compound in the reaction system lasting 10 seconds or less while not applying voltage; […]“ ersetzt wird durch:
Der nebengeordnete Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 1 und alle Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags.
- 12 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet wie folgt:
Der nebengeordnete Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 2 und alle Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 mit der Maßgabe, dass die Wortfolge „[…] and measuring the response current value correlated with a quantity of electrons released by the reductant, […]“ ersetzt wird durch:
Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 3 entspricht dem Patentanspruch 6 nach Hauptantrag mit der Maßgabe, dass die Wortfolge „[…] a current value measurer for measuring the response current value when voltage is applied between the first and second electrodes; […]“ ersetzt wird durch:
Alle Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 mit der Maßgabe, dass in der Wortfolge „[…] and the reagent layer comprising the oxidation-reduction enzyme and the Ru compound is constituted so as to dissolve and construct the liquid phase reaction system […]“ die Worte „the reagent layer comprising“ gestrichen sind.
Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 4 entspricht dem Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 3 mit der Maßgabe, dass zwischen den Wortfolgen „[…] when a sample liquid containing the test target is supplied,“ und „wherein the Ru compound is as defined in claim 1; […]“ folgende Wortfolge eingefügt wird:
Zudem werden zwischen den Wortfolgen „[…] a current value measurer for measuring the diffusion current of the mediator in form of the response current value” und „when voltage is applied […]” die Worte „in a second step” eingefügt. Zwischen den Wortfolgen „[…] when voltage is applied between the first and second electrodes;” und „and a computer for computing the concentration of the test target […]” wird unter Streichung des Wortes „and” vor „a computer” folgende Wortfolge eingefügt:
Die Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags mit der Maßgabe, dass Unteranspruch 14 gestrichen ist (entsprechend Unteranspruch 19 des Streitpatents). Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 5 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 mit der Maßgabe, dass zwischen den Wortfolgen „[…] a third step of computing the concentration of the test target on the basis of the response current value measured in the second step” und „wherein the Ru compound is an oxidative Ru(III) complex” folgende Wortfolge eingefügt wird:
Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 5 entspricht dem Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 4 mit der Maßgabe, dass er an seinem Ende um folgende Wortfolge ergänzt wird:
Die Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags mit der Maßgabe, dass Unteranspruch 14 gestrichen ist (entsprechend Unteranspruch 19 des Streitpatents). Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6 ist identisch mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 5. Lediglich in der Wortfolge „[…] relationship between voltage and test target concentration […]” ist das Wort „concentration“ gestrichen. Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 6 entspricht dem Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 5 mit der Maßgabe, dass die Wortfolge „at least first and second electrodes formed on the substrate;“ ersetzt ist durch:
Die Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags mit der Maßgabe, dass Unteranspruch 14 gestrichen ist (entsprechend Unteranspruch 19 des Streitpatents).
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 7 ist identisch mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6, mit dem Unterschied, dass die Wortfolge „[…] a first step of producing a reductant of the Ru compound in the reaction system lasting 10 seconds or less while not applying voltage; […]“ ersetzt wird durch:
Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 7 entspricht dem Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 6 mit der Maßgabe, dass die Wortfolge „whereupon in a first step lasting 10 seconds or less, a reductant of the Ru compound is produced in the reaction system while not applying voltage,“ ersetzt ist durch:
Die Unteransprüche sind identisch mit denjenigen des Hauptantrags mit der Maßgabe, dass Unteranspruch 14 gestrichen ist (entsprechend Unteranspruch 19 des Streitpatents).
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:
(HE-1) (HE-2)
(HE-3)
Videosequenz (CD-ROM). 15 Sekunden GARCIA ROIG, Manuel [et al.]: Methods for ImmobiIizing Enzymes. In: Biochemical Education, Vol. 14, 1986, Iss. 4, S. 180-185 CUI, Gang [et al.]: A Disposable Amperometric Sensor Screen Printed on a Nitrocellulose Strip: A Glucose Biosensor Employing Lead Oxide as an lnterference-
(HE-4) (HE-5)
(HE-6)
(HE-7)
(HE-8) (HE-9) (HE-10)
(HE-11)
Removing Agent. In: Anal. Chem., Vol. 72, 2000, No. 8, S. 1925-1929 Landgericht Mannheim, Beschluss vom 26. Januar 2016, 7 O 116/15. 24 Seiten PEARSALL, Judy (Ed.): The New Oxford Dictionary of English. New York: Oxford University Press, 1998. S. 74, Eintrag „any”. – ISBN 0-19-861263-X CUI, Gang [et al.]: Differential Thick-Film Amperometric Glucose Sensor with an Enzyme-Immobilized Nitrocellulose Membrane. In : Electroanalysis, Vol. 13, 2001, No. 3, S. 224-228 CASS, A. E. G. (Ed.): Biosensors. A Practical Approach. New York: Oxford University Press, 1990, S. 22. – ISBN 019-963046-1 Vergleichsaufnahmen der Teststreifen „OneTouch Ultra“ und „GlucoCheck Excellent“. Ohne Ort: Ohne Datum. 2 Seiten EP 2 330 407 A1 (Offenlegungsschrift des Streitpatents) BURGER, Artur; WACHTER, Helmut: Hunnius pharmazeutisches Wörterbuch. Berlin, New York: de Gruyter, 1998, S. 581. Eintrag „Gele“. – ISBN 3-11-015793-4 CASS, A. E. G. (Ed.): Biosensors. A Practical Approach. New York: Oxford University Press, 1990, S. 22-31. – ISBN 0-19-963046-1 Nach Auffassung der Beklagten sind die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 nach Hauptantrag neu. Weder die Druckschrift NK4 noch die Druckschrift NK23 offenbare sämtliche Merkmale dieser Patentansprüche.
Zudem beruhten die Patentansprüche 1 und 6 bei zutreffender Auslegung ihrer Merkmale auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Beklagte wendet sich gegen die Auslegung des Begriffs „Flüssigphasenreaktionssystem", die der Senat in seinem vorterminlichen Hinweis vorläufig vertreten hat. Diese Auslegung sei zu breit und von der Offenbarung des Streitpatents nicht gedeckt. Der erteilte Patentanspruch 11 unterscheide nicht zwischen der Ru-Verbindung und dem Enzym. Vielmehr lägen beide Reaktanden im Flüssigphasenreaktionssystem vor, so dass es keinen Grund gebe, die Ru-Verbindung und das Enzym unterschiedlich zu behandeln und eine initiale Auflösung allein der Ru-Verbindung bei gleichzeitigem Vorliegen des Enzyms im nichtgelösten Zustand zu vermuten. Der Wortlaut des Patentanspruchs 6 nach Hauptantrag sei jedenfalls dahingehend eindeutig, dass sich mit der Auflösung der Reagenzschicht nach Probenzugabe die Ru-Verbindung sowie das Enzym auflösten und gemeinsam ein Flüssigphasenreaktionssystem ausbilden. Die Ausbildung eines Flüssigphasenreaktionssystems sei Teil der Definition der Reagenzschicht, welche sich auflöse, wenn eine flüssige Probe zugeführt werde. Die NK4 offenbare aber keine Reagenzschicht, die sich auflöse. Gleiches gelte für die NK23.
Die NK4 beschreibe deshalb kein Flüssigphasenreaktionssystem im Sinne des Streitpatents, welches die Auflösung der Reagenzschicht einschließlich ihrer reaktiven Bestandteile erfordere. Dies zeige auch die geringere Leistungsfähigkeit des in der NK4 beschriebenen Glucosesensors, welcher eine zuverlässige Bestimmung der Glucosekonzentration nur bis 27,7 mM (499 mg/dL) erlaube, wohingegen das Streitpatent dies bis zu 600 mg/dL ermögliche.
Mit Verweis auf BGH-Bauschalungsstütze meint die Beklagte, dass die Messung des Diffusionsstroms gemäß der neuen Hilfsanträge 3 und 4 eine Zweckbestimmung sei, welche eine Abgrenzung zum relevanten Stand der Technik erlaube. So sei der Glucosesensor der NK4 aufgrund des Vorliegens einer NC-Membran mit einem darauf immobilisierten Enzym für die Messung eines Diffusionsstroms nicht geeignet. Stattdessen werde dort der Katalysestrom gemessen.
Zwischen der Messung der Glucosekonzentration mittels des im Kapitel 5 der NK23 beschriebenen Glucosesensors einerseits und dem Glucosesensor des Streitpatents andererseits bestehe auch keine Ähnlichkeit. Denn die Untersuchungen der NK23 seien in Abwesenheit von Enzym, Mediator und Glucose durchgeführt worden.
Die auf den Teststreifen der NK19 gebildete gelartige Reaktionszone und das streitpatentgemäße Flüssigphasenreaktionssystem würden zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze zur Herstellung der Reagenzschicht auf einem amperometrischen Glucosesensor darstellen, was auch der Definition eines Gels gemäß der HE-10 zu entnehmen sei. Ein Gel bilde sich nach Probenzugabe durch Rehydratation, wie dies in der zur NK19 zugehörigen NK20 in Sp. 4, Z. 35-44 beschrieben sei. Dagegen löse sich im Streitpatent die Reagenzschicht auf.
Auch die erfinderische Tätigkeit stehe ausgehend von der NK4 in Verbindung mit der NK19/NK20 nicht in Frage. Abgesehen von den gegenständlichen Unterschieden zum Streitpatent habe bereits die Veranlassung gefehlt, die wesentlichen Merkmale – eine Ru-Verbindung als Elektronenmediator und eine NC-Membran des Glucoseteststreifens – zu trennen und selektiv die Ru-Verbindung für die Kombination mit einem anderen System, wie z. B. dem aus NK19 bekannten OneTouch Ultra Glucosesensor, auszuwählen. Der vom Senat geäußerte Verzicht auf eine Membran, um die time-to-first-result zu erniedrigen, sei spekulativ und unbegründet. Bei der NC-Membran handle es sich um ein zwingendes Schlüsselmerkmal der in NK4 und NK23 offenbarten Teststreifen.
Zudem werde mit der Entfernung der NC-Membran nicht automatisch anstelle des in der NK4 gemessenen Katalysestroms ein Diffusionsstrom gemessen. Denn der Katalysestrom sei durch die Immobilisierung des Enzyms auf der NC-Membran bedingt, weshalb die Messung des Diffusionsstroms zusätzlich (zur nicht-immobilisierten Ru-Verbindung) ein nicht-immobilisiertes Enzym erfordere. Werde die NCMembran weggelassen, würde auch das Enzym aus dem System entfernt, weshalb sich der Fachmann als allererstes wieder um die Immobilisierung des Enzyms kümmern würde. Hierzu seien ihm die fachüblichen Maßnahmen z. B. aus der HE-11 im Kapitel 3.1.3 bekannt. Gleiches gelte für den Elektronenmediator (Ru-Verbindung).
Alle Gegenstände der Anspruchsfassungen nach Hauptantrag und Hilfsanträgen seien im Übrigen ursprünglich offenbart. Die Ausführungsbeispiele des Streitpatents gäben dem Fachmann ausreichende Angaben, um das erfindungsgemäße Verfahren bzw. die erfindungsgemäße Vorrichtung in die Praxis umzusetzen.
Entscheidungsgründe Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) und der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 c) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und in der Sache begründet. Auch die Nebenintervention ist zulässig (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 66 ZPO), da von der Beklagten Rechte aus dem Streitpatent gegen die Nebenintervenientin geltend gemacht werden, und dies ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin am Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens begründet.
Die Klage erweist sich auch als begründet.
Soweit das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung nicht mehr verteidigt wird, war es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (zur st. Rspr. im Nichtigkeitsverfahren vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 404, 405 – Carvedilol II; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 82 Rdn. 119 m. w. Nachw.; Schulte/Voit, PatG, 9. Aufl., § 81 Rdn. 127).
Im Übrigen hat das Streitpatent weder im Umfang der Fassung gemäß Hauptantrag noch in einer der Fassungen gemäß den Hilfsanträge 1 bis 7 Bestand.
I.
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung, um die Konzentration einer Substanz, wie Glucose oder Cholesterin, in Blut zu messen (NK1a: [0001]). Derartige Testverfahren sind insbesondere für Blutzuckermessungen bekannt. Diese Messungen nutzen dabei Enzymreaktionen. Typischerweise wird das Enzym Glucoseoxidase (GOD) verwendet, welche Glucose zu Gluconolacton oxidert (eine Oxidation bezeichnet in diesem Zusammenhang auch die Abgabe eines oder mehrerer Elektronen). Gleichzeitig wird das als Coenzym auf der Glucoseoxidase gebundene Flavoenzym Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD) reduziert (Aufnahme von Elektronen) zu FADH2 (NK1a: [0002]).
Die bekannte Reaktionsfolge zur elektrochemischen Bestimmung der Konzentration an Glucose im Blut erfolgt im Wesentlichen in drei Stufen.
Im Folgenden wird zur besseren Unterscheidbarkeit in Abweichung zum Streitpatent für diese Reaktionsfolgen der Begriff „Stufe 1, 2, 3“ verwendet (Streitpatent: „first, second, third step“). Diese sind nicht identisch mit dem „ersten Schritt“ und „zweiten Schritt“ (Streitpatent: „first, second step“) der nachfolgenden Merkmale 1.4 und 1.5 der Patentansprüche. Im vorliegenden Fall lässt sich die Enzymreaktion mit Glucose wie folgt schreiben
– Stufe 1:
Glucose Red 1
+ GOD/FAD Ox 2
→ δ-Gluconolacton + Ox 1 GOD/FADH2 Red 2 Eine bekannte und einfache Form, die Konzentration eines chemischen Stoffes zu messen, ist die Amperometrie. Dabei wird der Stromfluss an einer Elektrode während einer Redoxreaktion gemessen (NK1a: [0003]). Da dieser oxidative Stromfluss und damit die Konzentration der reduzierten Form GOD/FADH2 nicht so einfach direkt gemessen werden kann, wird ein Elektronenüberträger eingesetzt, wel- cher die reduzierte Form GOD/FADH2 wieder oxidiert und dabei selbst reduziert wird. Diese als Elektronenmediator eingesetzte Substanz ist üblicherweise Hexacyanoferrat(III) ([Fe(CN)6]3-, Ferricyanid; die in Klammern angegebenen römischen Zahlen bezeichnen die Oxidationsstufen des Eisen, nämlich +II und +III), welches durch Aufnahme eines Elektrons zu Hexocyanoferrat(II) ([Fe(CN)6]4-, Ferrocyanid) reduziert wird (NK1a: [0004])
– Stufe 2:
GOD/FADH2 + Red 2
[FeIII(CN)6]3- → GOD/FAD +
Ox 3 Ox 2
[FeII(CN)6]4- + 2 H+ Red 3 Das reduzierte Hexacyanoferrat(II) (Ferrocyanid) wird nun amperometrisch durch Anlegen einer Spannung zu Hexacyanoferrat(III) (Ferricyanid) oxidiert, wobei der Stromfluss von der Konzentration des Hexacyanoferrats(II) abhängt [NIK1a: [0005])
– Stufe 3:
[FeII(CN)6]4Red 3
→ [FeIII(CN)6]3Ox 3
+ e- Ein herkömmliches Testsystem auf Glucose enthält daher das Enzym GOD/FAD und (Kalium-) Hexacyanoferrat(III) (Ferricyanid). Nun kann Blut von sich aus bereits reduzierte Substanzen, d.h. Substanzen in niedriger Oxidationsstufe (Ascorbinsäure, Glutathion, Fe(II)2+), enthalten, welche an den Elektroden durch Anlegen einer Spannung in Stufe 3 oxidiert werden können. Dadurch werden ein höherer Strom und damit eine zu hohe Konzentration an Glucose gemessen (NIK1a: [0009]).
Gleichzeitig ist Kalium-Hexacyanoferrat(III) (Kaliumferricyanid) empfindlich gegenüber Wasser und Licht, was die Chemikalie in Kalium-Hexacyanoferrat(II) (Kali- umferrocyanid) umwandeln kann, wodurch bereits vor Beginn der Messung im Testsystem neben dem gewünschten III-wertigen auch II-wertiges Eisen vorliegen kann. Dies erhöht wiederum den Stromfluss von Stufe 3 und führt zu einer vermeintlich höheren Glucosekonzentration (NiK1a: [0010]).
2. Davon ausgehend ist es die Aufgabe des Streitpatents, eine Technik zu verwenden, die kostengünstig störende Hintergrundströme reduziert und es ermöglicht, eine Testsubstanz in einer Testflüssigkeit mit höherer Präzision zu messen (NiK1a: [0011]).
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch ein Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und eine Vorrichtung gemäß Patentanspruch 6 nach Hauptantrag.
3.1 Der nach Hauptantrag verteidigte Patentanspruch 1 lautet nach Merkmalen gegliedert wie folgt, wobei die in den erteilten Patentanspruch aufgenommenen Merkmale der Unteransprüche durch ein hochgestelltes „H“ und kursiver Schrift gekennzeichnet werden.
1.1 Verfahren zur Messung A method for measuring,
1.1.1 im Blut in blood,
1.1.2 einer Konzentration a concentration
1.1.3 einer Testsubstanz,
of a test target,
wobei die Messung umfasst: the method comprising:
1.2
1.2.1 1.2.2
1.2.3 Herstellen eines Reaktions- constructing a reaction system systems,
containing das die Testsubstanz,
the test target,
ein Oxidations-Reduktions-En- an oxidation-reduction enzyme zym und einen Elektronenmediator and an electron mediator; enthält;
1.3 1.3.1 1.3.2 Messen der Konzentration der measuring the concentration Testsubstanz of the test target unter Verwendung eines elekt- by utilizing an electrochemical rochemischen Verfahrens; process; wobei eine Ru Verbindung als wherein a Ru compound is Elektronenmediator verwendet used as the electron mediator,
wird und wobei das Verfahren fer- and further wherein the ner umfasst:
method comprises:
1.3aH Detektieren der Zugabe der detecting supply of the test Testsubstanz durch das Anle- target by applying voltage; gen einer Spannung;
1.4 1.4.1H einen ersten Schritt des Er- a first step of producing a rezeugens eines Reduktionsmit- ductant of the Ru compound in tels aus der Ru Verbindung im the reaction system Reaktionssystem, der 10 Sekunden oder weniger lasting 10 seconds or less dauert, ohne dass eine Span- while not applying voltage; nung angelegt wird;
1.5.
1.5.1 1.5.2 einen zweiten Schritt des An- a second step of applying legens einer Spannung an das voltage to the reaction system Reaktionssystem zur Oxidation des Reduktions- to oxidize the reductant, mittels und des Messens des An- and measuring the response sprechstromwertes, der einer current value correlated with a Menge von Elektronen ent- quantity of electrons released spricht, die durch das Redukti- by the reductant,
1.5.3H onsmittel freigesetzt werden,
wobei der Wert des Ansprech- wherein the response current stroms gemessen wird, wenn value is measured when a peeine Periode von 3 bis 5 Se- riod of 3 to 5 seconds has kunden vom Start des zweiten elapsed from the start of the Schritts verstrichen ist; second step;
1.6 sowie einen dritten Schritt des and a third step of computing Berechnens der Konzentration the concentration of the test der Testsubstanz auf Grund- target on the basis of the relage des Wertes des An- sponse current value meassprechstroms, der im zweiten ured in the second step, Schritt gemessen wird,
1.7H wobei die Ru Verbindung ein wherein the Ru compound is oxidativer Ru(lll) Komplex ist, an oxidative Ru(lll) complex der durch die folgende chemi- expressed by the following sche Formel ausgedrückt wird: chemical formula:
[Ru(NH3)5X]n+
[Ru(NH3)5X]n+
(wobei X in der Formel NH3, (where X in the formula is NH3, ein Halogenion, CN, Pyridin, a halogen ion, CN, pyridine, Nicotinamid oder H2O ist und nicotinamide or H2O, and n+ in n+ in der Formel die Valenz the formula is the valence of des oxidativen Ru(lll) Komple- the oxidative Ru(lll) complex xes, wie durch einen Typ X as determined by a type of X). bestimmt, darstellt).
3.2 Der erteilte Patentanspruch 10 wird gemäß Hauptantrag als Patentanspruch 6 mit zusätzlichen Merkmalen verteidigt.
Vorrichtung umfassend A device comprising
10.1 ein Gerät zur Konzentrations- a concentration measuring messung apparatus
10.2 gemeinsam mit einem Konzen- together with a concentration trationstestinstrument, wobei: test instrument, wherein:
10.2
10.2.1 10.2.2
10.2.3 das Konzentrationstestinstru- the concentration test instrument ment comprises einen Träger umfasst; a substrate; wenigstens erste und zweite at least first and second elec- Elektroden,
trodes die auf dem Träger gebildet formed on the substrate; werden
10.2.4 10.2.5 10.2.6 10.2.7H sowie eine Reagenzschicht, and a reagent layer formed as die als Feststoff ausgebildet a solid; ist, wobei die Reagenzschicht ein in which the reagent layer Oxidations-Reduktions-Enzym comprises an oxidation-reduction enzyme und eine Ru Verbindung um- and a Ru Compound, fasst und die Reagenzschicht mit and the reagent layer comdem Oxidations-Reduktions- prising the oxidation-reduction Enzym und der Ru Verbindung enzyme and the Ru compound so aufgebaut ist, dass sie sich is constituted so as to dissolve auflöst und ein Flüssigphasen- and construct a liquid phase reaktionssystem ausbildet, reaction system when a samwenn eine flüssige Probe, wel- ple liquid containing the test che die Testsubstanz enthält, target is supplied,
10.2.8H zugeführt wird; wobei die Ru Verbindung wie wherein the Ru compound is in Anspruch 1 definiert vorliegt; as defined in claim 1; und wobei and wherein:
10.1 10.1.1 10.1.2
10.1.3 10.1.4 das Gerät zur Konzentrations- the concentration measuring messung umfasst:
apparatus comprises:
eine Spannungsquelle zum a voltage applier for applying Anlegen von Spannung zwi- voltage between the first and schen der ersten und zweiten second electrodes; Elektrode; ein Stromstärkenmessgerät zur a current value measurer for Messung des Ansprechstrom- measuring the response curwerts, wenn zwischen der rent value when voltage is apersten und zweiten Elektrode plied between the first and Spannung angelegt wird second electrodes; sowie einen Computer zur Be- and a computer for computing rechnung der Konzentration the concentration of the test der Testsubstanz auf Grund- target on the basis of the relage des Ansprechstromwerts; sponse current value; wobei der Computer den An- wherein said computer consprechstromwert in einen verts the response current Spannungswert umwandelt value into a voltage value, and und den Spannungswert mit checks the voltage value einer vorherbestimmten Kalib- against a predetermined calirierungskurve vergleicht, wel- bration curve expressing the che die Beziehung zwischen relationship between voltage Spannung und Konzentration and test target concentration.
der Testsubstanz ausdrückt.
4. Durch die Hilfsanträge 1 bis 7 ergeben sich gegenüber den Patentansprüchen 1 und 6 nach Hauptantrag Änderungen bzw. Ergänzungen, welche im Folgenden kursiv gesetzt sind. Mit den hochgestellten Ziffern wird angegeben, ab welchem Hilfsantrag das Merkmal in die Fassung eines Patentanspruchs aufgenommen ist.
4.1 Mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 wird gegenüber dem Hauptantrag das Merkmal 1.4.1H wie folgt abgeändert.
1.4.11 der 1 bis 10 Sekunden dauert, lasting from 1 to 10 seconds ohne dass eine Spannung an- while not applying voltage; gelegt wird; Der nebengeordnete Patentanspruch 6 bleibt gegenüber dem Hauptantrag unverändert.
4.2 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 entspricht dem Hauptantrag, wobei die Merkmale 1.2.42, 1.82, 1.8.12, 1.8.22 und 1.8.32 hinzukommen. Die Merkmalsgruppe 1.82 entspricht im Wesentlichen den Merkmalen 10.2.4, 10.2.5, 10.2.6 und 10.2.7H.
1.2.42 wobei das Reaktionssystem ein with the reaction system being Flüssigphasenreaktionssystem a liquid phase reaction sysist; tem;
1.82 1.8.12 und wobei das Flüssigphasen- and wherein the liquid phase reaktionssystem aus einer Re- reaction system is formed from agenzschicht gebildet wird, die a reagent layer formed as a als Feststoff ausgebildet ist, solid,
umfassend das Oxidations- comprising the oxidation-re- Reduktions-Enzym duction enzyme
1.8.22 1.8.32 und die Ru Verbindung,
and the Ru compound,
und die Reagenzschicht mit and the reagent layer comdem Oxidations-Reduktions- prising the oxidation-reduction Enzym und der Ru Verbindung enzyme and the Ru compound so aufgebaut ist, dass sie sich is constituted so as to dissolve auflöst und das Flüssigphasen- and construct the liquid phase reaktionssystem ausbildet, reaction system when a samwenn eine flüssige Probe, wel- ple liquid containing the test che die Testsubstanz enthält, target is supplied.
zugeführt wird.
Der nebengeordnete Patentanspruch 6 bleibt gegenüber dem Hauptantrag unverändert. 4.3 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 hat gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 1.2.42, 1.82, 1.8.12, 1.8.22 und 1.8.32 des Hilfsantrags 2. Zusätzlich wird das Merkmale 1.5.2 wie folgt abgeändert.
1.5.23 und des Messens des Medi- and measuring the diffusion atordiffusionsstroms in Form current of the mediator in form des Ansprechstromwertes, der of the response current value einer Menge von Elektronen correlated with a quantity of entspricht, die durch das Re- electrons released by the reduktionsmittel freigesetzt wer- ductant, den,
Der Patentanspruch 6 wird gegenüber dem Hauptantrag im Merkmal 10.1.2 wie folgt abgeändert.
10.1.23 ein Stromstärkenmessgerät zur a current value measurer for Messung des Mediatordiffusi- measuring the diffusion curonsstroms in Form des An- rent of the mediator in form of sprechstromwerts, wenn zwi- the response current value schen der ersten und zweiten when voltage is applied Elektrode Spannung angelegt between the first and second wird electrodes;
4.4 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 hat gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 1.2.42, 1.5.23, 1.82, 1.8.12 und 1.8.22 der Hilfsanträge 2 und 3. Merkmal 1.8.32 ist gegenüber Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 nur in der maßgeblichen englischsprachigen Fassung verschieden.
1.8.34 und die Reagenzschicht mit and the reagent layer comdem Oxidations-Reduktions- prising the oxidation-reduction Enzym und der Ru Verbindung enzyme and the Ru compound so aufgebaut ist, dass sie sich is constituted so as to dissolve auflöst und das Flüssigphasen- and construct the liquid phase reaktionssystem ausbildet, reaction system when a wenn eine flüssige Probe, wel- sample liquid containing the che die Testsubstanz enthält, test target is supplied. zugeführt wird.
Der Patentanspruch 6 umfasst gegenüber dem Hauptantrag das geänderte Merkmal 10.1.23 von Hilfsantrag 3. Zudem kommt Merkmal 10.2.7a4 neu hinzu, welches vergleichbar ist mit den Merkmalen 1.4 und 1.4.1H. Folgerichtig wird dann der Schritt in Merkmal 10.1.24 als „zweiter Schritt“ benannt. Das Merkmal 10.1.2a4 kommt neu hinzu.
10.2.7a4 woraufhin in einem ersten whereupon in a first step Schritt, der 10 Sekunden oder lasting 10 seconds or less, a weniger dauert, ohne dass reductant of the Ru compound eine Spannung angelegt wird, is produced in the reaction ein Reduktionsmittel aus der system while not applying Ru Verbindung im Reaktions- voltage, system erzeugt wird,
10.1.24 ein Stromstärkenmessgerät zur a current value measurer for Messung des Mediatordiffusi- measuring the diffusion curonsstroms in Form des An- rent of the mediator in form of sprechstromwerts, wenn in ei- the response current value nem zweiten Schritt zwischen when in a second step voltage der ersten und zweiten Elekt- is applied between the first rode Spannung angelegt wird, and second electrodes;
10.1.2a4 und ferner ein Kontrollsystem and further a controller for zur Kontrolle der Stromstär- controlling the current value kenmessung durch das Strom- measurement performed by stärkenmessgerät, wobei das the current measurer, wherein Kontrollsystem so aufgebaut the controller is constituted ist, dass der Wert des An- such that the response current sprechstroms, der zur Berech- value necessary for computanung durch den Computer er- tion by the computer is measforderlich ist, durch das Strom- ured by the current value stärkenmessgerät gemessen measurer when a period of 3 wird, wenn eine Periode von 3 to 5 seconds has elapsed bis 5 Sekunden vom Start des from the start of the second zweiten Schritts verstrichen ist, step,
4.5 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 5 hat gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 1.2.42, 1.5.23, 1.82, 1.8.12, 1.8.22 und 1.8.32, der Hilfsanträge 2 und 3. Zudem kommt das Merkmal 1.6.15 hinzu.
Dieses ist vergleichbar dem Merkmal 10.1.4.
1.6.15 durch Umwandeln des An- by converting the response sprechstromwerts, der dem current correlated with the Mediatordiffusionsstrom ent- diffusion current of the medi- spricht, in einen Spannungs- ator into a voltage value and wert und anschließendes Be- then determining the concenstimmen der Konzentration der tration of the test target using Testsubstanz unter Verwen- a predetermined calibration dung einer vorherbestimmten curve expressing the relationKalibrierungskurve, welche die ship between voltage and test Beziehung zwischen Span- target concentration, nung und Konzentration der Testsubstanz ausdrückt,
Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 5 hat gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 10.1.23, 10.2.7a4, 10.1.24 und 10.1.2a4. Zudem kommt Merkmal 10.1.55 hinzu.
10.1.55 wobei der Ansprechstromwert wherein the response current dem Mediatordiffusionsstrom is correlated with the diffusion entspricht.
current of the mediator.
4.6 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6 ist wortidentisch mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 5. Jedoch fehlt in der englischsprachigen Fassung das Wort „concentration“ in Merkmal 1.6.15.
Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 6 hat gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 10.1.23, 10.2.7a4, 10.1.24, 10.1.2a4 und 10.1.55. Das Merkmal 10.2.2 ist wie folgt abgeändert.
10.2.26 wenigstens eine Arbeitselek- at least a working electrode trode und eine Gegenelekt- and a counter electrode rode,
4.7 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 7 ist wortidentisch mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6. Er weist also gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 1.2.42,1.5.23, 1.82, 1.8.12, 1.8.22, 1.8.32, 1.6.15 [„concentration“ fehlt] der Hilfsanträge 2, 3 und 5 auf. Zudem wird Merkmal 1.4.1H wie folgt abgeändert.
1.4.17 der 1 bis 3 Sekunden dauert, ohne dass eine Spannung angelegt wird; lasting from 1 to 3 seconds while not applying voltage; Der Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 7 hat gegenüber dem Hauptantrag die zusätzlichen bzw. abgeänderten Merkmale 10.1.23, 10.2.7a4, 10.1.24, 10.1.2a4, 10.1.55 und 10.2.26 der Hilfsanträge 3, 4, 5 und 6. Zudem ist Merkmal 10.2.7a4 wie folgt abgeändert.
10.2.7a7 Woraufhin in einem ersten whereupon in a first step Schritt, der 1 bis 3 Sekunden lasting from 1 to 3 seconds or dauert, ohne dass eine Span- less, a reductant of the Ru nung angelegt wird, ein Re- compound is produced in the duktionsmittel aus der Ru Ver- reaction system while not bindung im Reaktionssystem applying voltage, erzeugt wird,
5. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Diplom-Chemiker mit Hochschulabschluss, der über eine mehrjährige Berufserfahrung bei der Herstellung und Anwendung von Biosensoren verfügt und – ggf. im Team mit einem Ingenieur der Elektrotechnik – mit der Entwicklung von auf elektrochemischen Messungen basierenden Diagnose-Verfahren betraut ist, insbesondere mit der Entwicklung von amperometrischen Biosensoren auf der Basis von Redoxenzymen zur Bestimmung von Blutzucker.
II.
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 nach Hauptantrag sind nicht patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ i. V. m. Art. 56 EPÜ). Sie beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Zunächst erfordern die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 eine Auslegung von Merkmalen. Sofern die Auslegung sich auch auf Merkmale der Hilfsanträge auswirkt, wird zu diesen ebenfalls bereits Stellung genommen.
1.1 Die Merkmale 1.4.1H und 10.2.7a4 möchte die Klägerin dahingehend verstanden wissen, dass sie auch den Zeitpunkt von 0 Sekunden, ohne dass eine Spannung angelegt wird, umfassen. Dieser Auslegung schließt sich der Senat nicht an. Zum besseren Verständnis ist zunächst eine kurze Erläuterung der Vorgehensweise des Streitpatents erforderlich.
Anstelle des herkömmlichen Hexacyanoferrats als Elektronenmediator verwendet das Streitpatent Ruthenium-Komplexe. Dabei wird vergleichbar der Reaktionsgleichung von Stufe 2 im obigen Abschnitt I.1 der oxidative (d.h. der oxidierend wirkende) Ru(III)-Komplex durch Aufnahme von Elektronen in den reduktiven (d. h. den reduzierend wirkenden) Ru(II)-Komplex überführt, während das Coenzym Pyrrolochinolinchinon (engl. pyrroloquinoline quinone, kurz PQQ), welches an das Enzym Glucosedehydrogenase (GDH) gebunden ist, Elektronen abgibt (vgl. NK1a: Fig. 4A). Der reduktive Ru(II)-Komplex wird dann an der Arbeitselektrode 26a des Glucosesensors 2 zu (oxidativem) Ru(III) oxidiert (NK1a: [0061]). Auf S. 7, Z. 41 und in den Absätzen [0064] bis [0067] des Streitpatents sind die Oxidationsstufen II und III zu den Ru-Komplexen vertauscht. Für den Fachmann ohne weiteres erkennbar muss es jeweils korrekt heißen „reductive Ru(II) complex“ und „oxidative Ru(III) complex“.
Da das Standardpotential der Reaktion Ru(II) zu Ru(III) deutlich niedriger ist (+100 mV) als dasjenige der Reaktion von Fe(II) zu Fe(III) (+360 mV // NK1a: [0056], Z. 13-14), ist die Gefahr, dass andere reduktive Substanzen als Ru(II) oxidiert werden, wodurch unerwünschte Hintergrundströme auftreten, deutlich verringert (NK1a: [0065], Z. 6-10). Die Ru(III)-Komplexe sind auch weniger anfällig gegenüber Licht und Feuchtigkeit (NK1a: [0067]).
Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Gemäß Streitpatent kann der erste Schritt – welcher die Stufen 1 und 2 umfasst – bevorzugt zwischen 0 und 10 Sekunden betragen (NK1a: [0018]).
Aus Fig. 5 des Streitpatents mit dazugehöriger Beschreibung (NK1a: [0062][0069]) geht hervor, dass an das System eine Spannung (beginnend mit dem Einlegen eines Teststreifens in das Messgerät) zunächst nur solange angelegt wird, bis ein Detektor 5 erkennt, dass eine Testlösung aufgegeben worden ist, nämlich wenn zum Zeitpunkt t0 ein Schwellenwert I1 des Stromflusses überschritten ist. Dieser (erste) Stromfluss erfolgt aufgrund von erstem bereits durch die Redoxreaktionen erzeugten Ru(II), welches an die Arbeitselektrode diffundiert und dort zu Ru(III) oxidiert wird (Stufe 3). Ist der Schwellenwert I1 überschritten, werden (in einer ersten Ausführungsform) die erste und zweite Elektrode in der Zeit zwischen t0 und t1 spannungslos geschaltet. Dadurch reichert sich in dem System der reduktive Ru(II)-Komplex an, welcher ab dem Zeitpunkt t1 wieder zu Ru(III) oxidiert wird (NK1a: [0063], Z. 48-54). Der Ansprechstromwert dieser Oxidation korreliert mit der Konzentration an Glucose (NK1a: [0068], Z. 37-39, [0069]). Er wird nach einer gewissen Zeit (3 bis 5 Sekunden, Merkmale 1.5.3H bzw. 10.1.2a4) zum Zeitpunkt t2 gemessen (NK1a: [0069], Z.54-55, „at the point t2“).
Andererseits kann (in einer zweiten Ausführungsform) die spannungslose Zeit auch 0 Sekunden betragen (t1 – t0 = 0 bis 10 Sekunden // NK1a: [0063], Z. 52), wodurch der Ru(II)-Komplex fortlaufend an die Arbeitselektrode transportiert wird (NK1a: [0063], Z. 54-56). Dann fällt mit anderen Worten der Beginn des ersten Schritts mit dem Beginn des zweiten Schritts zusammen, so dass t0 = t1 ist und die Messung gemäß Merkmal 1.5.3H bzw. 10.1.2a4 3 bis 5Sekunden nach dem Zeitpunkt t0 erfolgt, nämlich nachdem der Detektor erkannt hat, dass eine Probe zur Reagenzschicht zugeführt wurde (vgl. auch Patentanspruch 19 des Streitpatents). Diese beiden Messmöglichkeiten sind zunächst im Streitpatent offenbart. Mit den Merkmalen 1.3aH und 1.4.1H sowie 10.2.7.a4 beschränkt sich die Beklagte nunmehr auf die erste Ausführungsform, bei der das Messsystem nach dem Zeitpunkt t0 bis zum Zeitpunkt t1 (erster Schritt) spannungslos geschaltet wird, um den reduktiven Ru(II)-Komplex im System anzureichern. Denn in jedem Fall erfordert das Merkmal 1.4.1H einen von 0 Sekunden abweichenden – wenn auch möglicherweise sehr kurzen – Zeitraum, währenddessen keine Spannung angelegt wird.
1.2 Einer Auslegung bedürfen auch die Begriffe „Reagenzschicht“ (Merkmale 10.2.4, 10.2.5, 10.2.6, 1.82, 1.8.12, 1.8.22), „Flüssigphasenreaktionssystem“ (Merkmale 10.2.7H, 1.2.42) und damit zusammenhängend „auflöst“ (Merkmale 10.2.7, 1.8.32).
a) Nach Abs. [0058] des Streitpatents wird die gesamte („entire“) Reagenzschicht ohne weiteres und sofort („readily and instantly“) aufgelöst. Dies ist durch die Verwendung des Ru-Komplexes als Mikropulver bedingt (NK1a: [0058]; „[…] if a Ru complex is contained in the form of a micropowder in the reagent layer 28, the entire reagent layer 28 will readily and instantly dissolve when the glucose Solution is supplied.“). Die Reagenzschicht umfasst bzw. enthält (beides Übersetzungen von „comprise“) einen Ru-Komplex, der in dem Oxidations-ReduktionsEnzym dispergiert ist, weshalb die Enzymreaktion gleichmäßig („uniformly“) an jedem Ort der Reagenzschicht erfolgt. Deshalb kann die Glucose-Konzentration genau und in kurzer Zeit gemessen werden.
Die streitpatentgemäße Löslichkeit ist also bedingt durch den Ru-Komplex und die Schnelligkeit durch die einheitliche Verteilung. Dies entspricht auch dem Wortlaut von Merkmal 10.2.7H bzw. der Merkmalsgruppe 1.82, wonach die Reagenzschicht nicht so aufgebaut sein muss, dass sie sich vollständig auflöst, um ein Flüssigphasenreaktionssystem zu bilden. Mit anderen Worten ist es entscheidend für das Streitpatent, dass sich die Ru-Verbindung auflöst und in eine flüssige Phase übergeht, um an die Elektrode diffundieren zu können. Andere Bestandteile, wie das Enzym, können (zunächst) durchaus ungelöst sein, denn auch gemäß Unteranspruch 11 nach Streitpatent, muss das Enzym nur im Flüssigphasenreaktionssystem „vorliegen“. Der Begriff „Flüssigphasenreaktionssystem“ ist folglich streitpatentgemäß mit der darin gelösten Ru-Verbindung verknüpft.
Für diese Auslegung spricht auch, dass (erst) mit Unteranspruch 5 nach Streitpatent (Unteranspruch 3 nach Hauptantrag), das Enzym in dem Flüssigphasenreaktionssystem im Wesentlichen einheitlich dispergiert vorliegt. Das bedeutet aber umgekehrt, dass nach Patentanspruch 1 das Enzym auch uneinheitlich vorliegen kann und gar nicht dispergiert sein muss, also auch gebunden an einen Träger sein kann.
Auch das sich dem Fachmann erschließende streitpatentgemäße Verständnis des Begriffes „Reagenzschicht“ führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Auftragung des Enzyms und des Mediators auf ein Substrat, wie sie in Abs. [0072] des Streitpatents geschildert ist, lässt den Fachmann annehmen, dass nur die in Tabelle 1 genannten Verbindungen auf das Substrat aufgebracht werden. Gleichwohl stellt die Herstellung der Reagenzschicht keinen Schwerpunkt im Streitpatent dar. Die Reagenzien werden streitpatentgemäß schlicht nach ihrem Auftragen getrocknet (NK1a: [0072], letzter Satz). Auch hieraus ergeben sich dem Fachmann keine besondere Maßnahmen, welche an eine vom fachüblichen abweichende Löslichkeit des streitpatentgemäßen Reaktionssystems denken lassen.
Unter einer streitpatentgemäßen „Reagenzschicht“ ist deshalb eine auf einem Träger (wie auch immer) gebildete, beliebige „Schicht“, umfassend zumindest den Mediator und das Enzym, zu verstehen. Es handelt sich also nicht um eine Schicht beispielweise bestimmter Dicke auf einer ebenen Oberfläche. Vielmehr umfasst das Streitpatent Beschichtungen beliebig geformter Topografien. Denn dass die gute Löslichkeit durch eine Schicht bestimmter Dicke auf der Oberfläche der Elektrode oder bestimmter Zusammensetzung (abgesehen von einer Ru-Verbindung) verursacht wird, konnte der Fachmann dem Streitpatent nicht entnehmen.
Für diese Auslegung spricht weiter, dass die Reagenzschicht gemäß Streitpatent auf die erste und zweite Elektrode aufgebracht wird, welche durch Drucken mit Kohlenstoffpaste gebildet werden (NK1a: [0071]). Es zählt aber zum allgemeinen Wissen des Fachmanns, dass auf Kohlenstoffoberflächen eine Physisorption ohne weiteres erfolgt. Gemäß Streitpatent bleibt aber offen, ob bezüglich des Enzyms und/oder des Mediators eine derartige Physisorption gegeben ist oder (ausnahmsweise) nicht erfolgt. Deshalb hat der Fachmann auch hier von den üblichen chemisch-physikalischen Reaktionen auszugehen.
b) Die Beklagte widerspricht dieser Auslegung des Senats bezüglich des Merkmals 10.2.7H.
Nach ihrer Ansicht gehen alle Bestandteile der als Feststoff ausgebildeten Reagenzschicht (Merkmal 10.2.4) mittels der Glucoselösung in einen (vollständig) gelösten Zustand über. Deshalb sei ein auf einer NC-Membran aufgebrachtes Enzym wie in der NK4, welches immobilisiert ist (NK4: S. 1110, rechte Sp., Abs. 1, Satz 1), damit nicht vergleichbar. Die Beklagte verweist hierzu auf die Absätze [0043], [0057], [0058] und [0092] des Streitpatents.
Dem tritt der Senat nicht bei. Denn eine Auflösung der Reagenzschicht im Sinne des Streitpatents ist – wie oben gezeigt – bereits dann gegeben, wenn sich die Reagenzschicht teilweise löst, indem zumindest die Ru-Verbindung in Lösung geht.
Nichts anderes ist den Beispielen des Streitpatents zu entnehmen. So ist das Beispiel 6 des Streitpatents das einzige Beispiel, welches sich mit der Löslichkeit der Reagenzschicht beschäftigt (NK1a: [0090]-[0092] i. V. m. Fig. 14). Darin werden der erfindungsgemäße Glucosesensor 1 aufweisend eine Ru-Verbindung als Elektronenmediator und der Vergleichssensor 1 aufweisend eine Fe-Verbindung gegenübergestellt (NK1a: S. 9, Tabelle 1). Beide Reagenzschichten sind bis auf den Elektronenmediator gleich aufgebaut. Insbesondere haben sie das gleiche Enzym, nämlich PQQGDH (das Coenzym Pyrrolochinolinchinon kurz PQQ), welches an das Enzym Glycosedehydrogenase (GDH) gebunden ist).
In Fig. 14 werden die Ansprechstromwerte von Reagenzschichten, enthaltend eine Ru-Verbindung ohne Dispersionsmittel und eine Fe-Verbindung mit und ohne Dispersionsmittel, gegenüber gestellt. Die schlechteste Linearität der Ansprech- stromwerte zeigt dabei die (herkömmliche) Fe-Verbindung. Die Linearität der Ansprechstromwerts verbessert sich, wenn zu der Reagenzschicht enthaltend eine Fe-Verbindung ein anorganisches Gel als Dispersionsmittel zugegeben wird (NK1a: [0090], Z. 17-18). Die beste Linearität der Ansprechstromwerte, auch bei hohen Glucosekonzentrationen, zeigt aber die Ru-Verbindung, ohne dass auf ein Dispersionsmittel zurückgegriffen werden muss (NK1a: [0092], Z. 24-25). Denn die Reagenzschicht hat, wenn die Ru-Verbindung verwendet wird, eine ausgezeichnete Löslichkeit, weshalb die gesamte Reaktionsschicht ein einheitliches Reaktionssystem bildet (NK1a: [0092], Z. 22-24). Auch diese Stellen versteht der Fachmann dahingehend, dass die Besonderheit des streitpatentgemäßen Systems in der Verwendung der Ru-Verbindung liegt, welche sich im Unterschied zur Fe-Verbindung besser löst und mit der Zugabe der Glucoselösung die gesamte („entire“) Reaktionsschicht in ein streitpatentgemäßes einheitliches („uniform“) Flüssigphasenreaktionssystem überführt.
Mit den Beispielen 7 und 8 wird dann gezeigt, dass die hervorragenden Ergebnisse der Ru-Verbindung bezüglich des Ansprechstromwerts unabhängig von dem verwendeten Enzym sind (NK1a: [0093]-[0094], insbesondere Z. 37-39 i. V. m. Fig. 15 sowie [0095]-[0097], insbesondere Z. 49-50 i. V. m. Fig. 16). Mit anderen Worten kommt es streitpatentgemäß auf das Enzym (und dessen Löslichkeit) nicht an, um eine ausreichende („adequate“) Löslichkeit der Reagenzschicht sicherzustellen (vgl. NK1a: [0097]: Z. 48-49).
Dagegen fehlt im Streitpatent, um die Auslegung der Beklagten zu stützen, ein Vergleich bezüglich der Löslichkeit einer Reagenzschicht (mit einer Ru-Verbindung), die sich vollständig mit allen Komponenten auflöst, gegenüber einer gleich aufgebauten Reagenzschicht (mit einer Ru-Verbindung), welche sich nicht vollständig auflöst. Auch daraus folgt, dass ein streitpatentgemäßes Flüssighasenreaktionssystem gemäß Merkmal 10.2.7H bereits dann verwirklicht ist, wenn sich die Ru-Verbindung löst, was aber – auch nach Streitpatent – eine stofflich immanente Eigenschaft der Ru-Verbindung ist.
Sinngemäßes gilt auch für die Merkmalsgruppe 1.82 und das Merkmal 1.2.42.
c) Soweit die Klägerin anführt, die Videosequenz HE-1 zeige, dass sich die Reagenzschicht „ohne weiteres und sofort“ auflöse (NK1a: [0058]), kann dahingestellt bleiben, ob dies der Videosequenz überhaupt zu entnehmen ist. Denn auf die Löslichkeit aller Bestandteile der gesamten Reagenzschicht ist im Streitpatent kein Fokus gelegt. Die streitpatentgemäße Löslichkeit wird vielmehr durch den RuKomplex als Mikropulver verursacht (NK1a: [0058], Satz 1). Ansonsten wird die Reagenzschicht schlicht durch Auftragen eines Punktes („spot“) auf das Substrat und anschließendes Trocknen hergestellt (NK1a: [0072], letzter Satz). Nicht anders handelt z.B. die NK20 (NK20: Sp. 4, Z. 35-38), auch wenn dort ein Gel verwendet wird. Im Übrigen hängt – wie dem Fachmann bekannt ist – die leichte und sofortige („readily and instantly“) Löslichkeit einer Schicht nicht nur von der hierzu verwendeten Ru-Verbindung ab, sondern z. B. auch davon, wie der Prozess des Trocknens geführt wird oder welche Dicke die getrocknete Reagenzschicht hat. Zu all dem gibt das Streitpatent aber – außer der Verwendung eines Ru-Komplexes als Mikropulver – keine Auskunft. Damit wird auch verständlich, weshalb gemäß Streitpatent, Abs. [0097], eine ausreichende („adequate“) Löslichkeit (durch die Verwendung der Ru-Verbindung) für den Erfolg des streitpatentgemäßen Verfahrens genügt.
2. Die Zulässigkeit des erteilten Patentanspruchs 1 ist unstreitig. Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, dass in Merkmal 1.3aH von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag eine unzulässige Erweiterung liegt. Zudem ginge der Gegenstand des Patentanspruchs 6 nach Hauptantrag in Merkmal 10.1.4 über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
Dem tritt der Senat nicht bei. Alle Gegenstände der Patentansprüche nach Hauptantrag sind ursprünglich offenbart (ursprüngliche Teilungsanmeldung des Streitpatents NK1b // Offenlegungsschrift des Streitpatents HE-9 // Stammanmeldung NK1c) und Gegenstand des Streitpatents (NK1a).
2.1 Das Merkmal 10.1.4 ist ursprünglich offenbart. Denn das Merkmal ist der NK1b auf S. 26, Z. 28 bis S. 27, Z. 5 zu entnehmen (HE-9: S. 9, Z. 52-54 // NK1c: S. 9, Z. 2-4).
Zwar ist die Bestimmung der Konzentration der Testsubstanz dort auf Glucose bezogen und ist eingebettet in die Beschreibung der Figuren 1 bis 5, jedoch verallgemeinert der Fachmann diese Stelle ohne weiteres als zur Erfindung gehörend. Denn anders als die Klägerin meint, handelt es sich dabei nicht um eine bevorzugte Ausführungsform, welche erfordern würde, dass weitere oder alle strukturellen Merkmale der Vorrichtung der Fig. 1 genannt werden. Zudem hängen diese strukturellen Merkmale in Ihrer Wirkung nicht von Merkmal 10.1.4 ab (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 30. August 2011, X ZR 12/10 – Antriebseinheit für Trommelwaschmaschine, Rdn. 28, 30 und Orientierungssatz; BGH, Beschluss vom 11. September 2013, X ZB 8/12 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren, Leitsatz; BGH, Urteil vom 25. November 2014, X ZR 119/09 – Schleifprodukt, Leitsatz a; BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990, X ZB 9/89 – Spleißkammer, Leitsatz).
2.2 Das Merkmal 1.3aH ist zwar wörtlich nicht offenbart, es entspricht jedoch dem Sinngehalt der Absätze [0062] und [0063] des Streitpatents, wie sie der Fachmann dem Streitpatent und auch der ursprünglichen Offenbarung entnimmt (NK1a: [0062], [0063] // NK1b: S. 21, Z. 26 bis S. 22, Z. 22 // HE-9: [0060], [0061] // NK1c: [0060], [0061] // jeweils i. V. m. Fig. 5). Demnach wird bis zum Zeitpunkt t0, wenn der Schwellenwert I1 des Ansprechstromstroms („response current“) erreicht ist, Spannung an das System angelegt. Denn erst das Anlegen einer Spannung (mit dem Einlegen des Teststreifens) führt zu einem Ansprechstrom und nachfolgend zur Detektion einer Probenaufgabe.
Eine unzulässige Erweiterung (Zwischenverallgemeinerung), wie die Klägerin meint, ist darin jedenfalls nicht zu sehen. Denn die mit den Absätzen [0062] und [0063] des Streitpatents (HE-9: [0060], [0061]) beschriebene Ausführungsform ist für den Fachmann ersichtlich nicht auf den beispielhaft beschriebenen Aufbau des (speziellen) Glucosesensors der Fig. 2 (NK1a: [0038]-[0043]) beschränkt. Viel- mehr steht der von der Klägerin hierzu beispielhaft erwähnte Kanal 25 in keinem ausschließlichen (Wirk-) Zusammenhang mit dem Detektieren der Zugabe einer Testsubstanz gemäß Merkmal 1.3aH.
2.3 Das Merkmal 1.4.1H ist im allgemeinen Teil der Beschreibung des Streitpatents so nicht offenbart. Jedoch geht aus den Absätzen [0016] und [0018] zum ersten Schritt, welcher dem Zeitraum t0 bis t1 entspricht, hervor, dass dieser 0 bis 10 Sekunden dauern kann. Mit anderen Worten dauert der erste Schritt im spannungslosen Fall der ersten Ausführungsform > 0 bis 10 Sekunden und gemäß der zweiten Ausführungsform 0 Sekunden (vgl. NK1b: S. 6, Z. 4-11; S. 6, Z. 23 bis S. 7, Z. 4 // HE-9: [0014], [0016] // NK1c: [0014], [0016]). Dies wird auch durch das Ausführungsbeispiel 3 belegt, wo wörtlich offenbart ist, dass 10 Sekunden oder weniger eine angemessene Zeit für den spannungslosen Zustand sind (NK1a: [0083], Z. 12-16; „10 seconds or less is an adequate time in a non-application state“ // NK1b: S. 33, Z. 1-9 // HE-9: [0081] // NK1c: [0081]).
2.4 Die Merkmale 1.5.3H und 1.7H des Hauptantrags sind unstreitig ebenfalls Gegenstand des Streitpatents und ursprünglich offenbart. Zu Merkmal 1.5.3H siehe NK1a, Patentanspruch 9 (NK1b: S. 7, Z. 1-3 // HE-9: S. 4, Z. 40-41 // NK1c: S. 3, Z. 45-46) und zu Merkmal 1.7H siehe NK1a, Patentanspruch 3 (NK1b, HE-9, NK1c: jeweils Patentanspruch 4).
Das Merkmal 10.2.7H besagt, dass sich die Reagenzschicht umfassend die RuVerbindung und das Oxidations-Reduktions-Enzym auflöst und ein Flüssigphasenreaktionssystem bildet. Es drückt damit nichts anderes aus, als bereits die vorherigen Merkmale 10.2.5, 10.2.6 und 10.2.7 zusammengenommen. Es doppelt also nur die Merkmale 10.2.5 und 10.2.6 und ist deshalb zulässig.
Auch das Merkmal 10.2.8H des Hauptantrags, welches die Rutheniumverbindung auf Patentanspruch 1 bezieht, ist unstreitig zulässig (vgl. NK1a: Patentanspruch 13 // NK1b, HE-9, NK1c: jeweils Patentanspruch 12).
3. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 nach Hauptantrag beruhen gegenüber der Druckschrift NK4 (bzw. NK23) in Verbindung mit der Druckschrift NK19 (und NK20) und dem mit NK17 bzw. NK10/NK29 dokumentiertem fachüblichen Handeln nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Im Folgenden werden zunächst diese Druckschriften mit den Merkmalen des Streitpatents verglichen. Sofern in diesem Zusammenhang auch Merkmale der Hilfsanträge betroffen sind, werden diese bereits benannt.
3.1 Die Druckschrift NK4 beschreibt einen amperometrischen Einmal-Glucosesensor, mit einem Nitrocellulose-Streifen, an dem die Glucoseoxidase immobilisiert ist (NK4: Titel, Abstract).
Dabei geht die NK4 von herkömmlichen Glucosesensorstreifen aus, bei welchen die Glucoseoxidase zusammen mit Ferrocen als Mediator (und ggf. weiteren Bestandteilen wie Puffersalzen, ähnlich den Beispielen des Streitpatents) in einer Reagenzschicht verwendet werden. Diese Reagenzschicht ist (üblicherweise) direkt auf die Elektroden aufgebracht und wird bei Vollblutproben verwendet (NK4: Satz von S. 1105, rechte Sp. auf S. 1106, linke Sp.; S. 1106, linke Sp., Abs. 2, Satz 1). Ferrocen hat jedoch den Nachteil der Wechselwirkung mit leicht oxidierbaren Verbindungen, da die benötigte Spannung für die Redoxreaktion nicht ausreichend niedrig ist (NK4: S. 1106, linke Sp., Z. 6-10). Davon ausgehend wird anstelle von Ferrocen ein System mit einer Ru(III)-Verbindung auf Siebdruckelektroden untersucht (NK4: Abstract; S. 1106, linke Sp. Abs. 1, letzter Satz).
Der Aufbau des in der NK4 verwendeten Glucosesensorstreifens wird ausgehend von herkömmlichen Teststreifen erklärt. Die meisten herkömmlichen Teststreifen verwenden einen Kunststoffstreifen, auf den Elektroden aufgedruckt sind und darüber eine Reagenzschicht aufgebracht ist (NK4: S. 1106: linke Sp., Abs. 2, Satz 1). Über der Reagenzschicht kann eine permselektive Membran angebracht sein, also eine Membran mit selektiver Permeabilität (Durchlässigkeit), die Partikel und störende Verbindungen herausfiltert. Der Nachteil dieser Membranen ist je- doch, dass dadurch die Zeit bis zum ersten Ergebnis (time-to-first-result, TTFR) erhöht wird (NK4: S. 1106, linke Sp., Abs. 2, Z. 5-13). Ein anderes Problem bei Glucosesensorstreifen ist die variierende Menge an Probe, die aufgegeben wird, was zu ungenauen Ergebnissen führen kann. Deshalb verwenden manche käufliche Teststreifen mikrokapillare Füllkanäle, welche jedoch störendes Hämatokrit (zelluläre Bestandteile des Blutes) aus den Blutproben nicht eliminieren (NK4: S. 1106, linke Sp., Abs. 2, Z. 13-20). Um die Vorteile der membranbasierten Sensorstreifen mit denjenigen, welche mikrokapillare Füllkanäle aufweisen, zu kombinieren, verwendet die NK4 einen Nitrocellulosestreifen (NC-Streifen) als Membran, der mit Glucoseoxidase und dem [Ru(NH3)6]3+ als Elektronenmediator imprägniert wird (Merkmale 1.2.2, 1.2.3, 1.3.2, 1.7H, 1.8.12, 1.8.22, 10.2.5, 10.2.6, 10.2.8H). Dieser Streifen wird in den Kapillarkanal gegeben (NK4: S. 1106: rechte Sp., Abs. 1, Z. 11-20). Der in der NK4 verwendete Aufbau eines Streifens wird auf S. 1107 in Fig. 1 gezeigt.
Auf dem Polyestersubstrat (8) sind Elektroden (1, 2, 3) aus Kohlenstoff aufgedruckt. Darüber wiederum befindet sich die NC-Membran (4), welche mit einem Polyesterfilm (5) bedeckt wird (NK4: S. 1107, rechte Sp., letzter Satz // Merkmale 10.2, 10.2.1, 10.2.2, 10.2.3).
Die Imprägnierung der NC-Membran mit einer Reagenzlösung ist aber gemäß dem breit auszulegenden Sinngehalt der Streitpatentschrift nichts anderes als eine Beschichtung, wodurch eine Reagenzschicht entsprechend dem Merkmal 10.2.4 gebildet wird (NK4; S. 1107, rechte Sp. Abs. 2, Z. 1-10).
Zur amperometrischen Messung wird eine Glucoselösung an einer Ecke des Sensorstreifens aufgegeben und für 30 s äquilibriert, bevor eine Spannung angelegt wird (NK4: S. 1107, rechte Sp., Abs. 3, Z. 1-5 // Merkmale 1.3.1, 1.2.1, 1.5). Damit liegt ein streitpatentgemäßes Reaktionssystem vor (Merkmal 1.2), weshalb auch die Merkmale 1.4 und 1.5.1 erfüllt sind (vgl. auch NK4: S. 1108, rechte Sp., Abs. 2, Satz 1). Für die elektrochemische Messung wird ein mit einem Computer gesteuerter Potentiostat/Galvanostat verwendet, so dass damit auch die Merkmale 10.1, 10.1.1, 10.1.2 vorbeschrieben sind (NK4: S. 1106, rechte Sp., Satz 1).
Der Grund für die genannte Äquilibrierzeit dürfte – wie die Beklagte zu Recht anmerkt – in der als HE-6 vorgelegten Referenz [24] von NK4 liegen, wonach es üblicherweise 30 s dauert, bis die NC-Pads vollständig mit der aufgebrachten Probe gefüllt sind (HE-6: S. 226, rechte Sp., Abs. 2, Z. 4-7). Die Konzentration an Glucose in einer unbekannten Probe, welche auch Vollblut sein kann (NK4: S. 1105, rechte Sp., Satz 1; S. 1110, Fig. 8, Kurve c // Merkmal 1.1.1), wird dann über eine Kalibrierkurve bestimmt, welche den nahezu konstanten Stromfluss (= Ansprechstrom) nach weiteren 30 s (NK4: S. 1107, rechte Sp., Abs. 2, Z. 9-13) gegenüber der zugehörigen Glucosekonzentration aufträgt (NK4: Satz S. 1107 auf 1108 i. V. m: S. 1110, Fig. 6 // Merkmale 1.1, 1.1.2, 1.1.3, 1.3, 1.5.2, 1.6). Dabei ist es für den Fachmann selbstverständlich, dass ein Computer zur Berechnung der Konzentration verwendet wird (Merkmale 1.6, 10.1.3) bzw. der Steuercomputer für den Potentiostaten/Galvanostaten dafür eingesetzt wird (Merkmal 10.1).
Die Beklagte meint, dass der gemäß NK4 der gemessene Ansprechstromwert nicht explizit in einen Spannungswert umgewandelt wird, so dass die Merkmale 10.1.4 und 1.6.15 nicht expressis verbis vorbeschrieben seien. Die Umwandlung eines Stromwerts in einen Spannungswert ist jedoch die für den Fachmann fachübliche Vorgehensweise zur Messung eines Stromwerts, auch dann wenn Ströme mittels eines Computers erfasst werden sollen. Mit einem Analog-Digital-Wandler wird der durch das Konzentrationstestinstrument fließende elektrische Strom gemessen, indem der Spannungsabfall an einem Messwiderstand bestimmt wird. Dadurch wird der zu bestimmende Strom in eine dazu proportionale digital erfassbare Spannung umgeformt. Dies ist eine zwangsläufige Vorgehensweise, welche, wenn sie nicht sogar von einem Fachmann mitgelesen wird, zumindest dem fachüblichen Handeln entspricht. Zugunsten der Beklagten kann angeführt werden, dass aus der NK4 offen bleibt, ob derjenige Computer, welcher die Konzentrationsberechnung durchführt (Merkmal 10.1.3), identisch ist mit dem Computer, welcher den Ansprechstromwert misst (Merkmal 10.1.4).
Weiter macht die Beklagte geltend, dass die Glucoseoxidase auf der Nitrocellulose im Unterschied zum Streitpatent immobilisiert sei, weshalb die Merkmale 10.2.7H und 1.2.42 sowie die Merkmale 1.82 und 1.832 nicht vorbeschrieben seien. Zwar ist es zutreffend, dass die Glucoseoxidase auf der Nitrocellulose (zunächst) physisorbiert ist (vgl. HE-2: S. 181, linke Sp., Abs. 2; S. 182-182, Abschnitt „Physical Adsorption“; S. 184, rechte Sp., unten, Ziffer 5). Zutreffend verweist die Klägerin aber auf die HE-2, nach welcher die Physisorption zumindest in gewissem Ausmaß reversibel ist (HE2: S. 184, rechte Sp., unten, Ziffer 5). Im Übrigen ist es gemäß der gebotenen breiten Auslegung des Begriffs „Flüssigphasenreaktionssystem“ streitpatentgemäß ausreichend, wenn die mit der Arbeitselektrode reagierende Ru-Verbindung in flüssiger Phase vorliegt, was jedoch eine der Ru-Verbindung immanente Eigenschaft ist.
Im Ergebnis sind alle Merkmale 1.1, 1.1.1, 1.1.2, 1.1.3, 1.2, 1.2.1, 1.2.2, 1.2.3, 1.2.42, 1.3, 1.3.1, 1.3.2, 1.4, 1.5, 1.5.1, 1.5.2, 1.6, 1.7H, 1.8, 1.8.12, 1.8.22, 1.8.32, sowie 10, 10.1, 10.1, 10.1.1, 10.1.2, 10.1.3, 10.2, 10.2.1, 10.2.2, 10.2.3, 10.2.4,
10.2.5, 10.2.6, 10.2.7H, 10.2.8H des Streitpatents aus der NK4 bekannt oder entsprechen der fachüblichen Handlungsweise, wie die Merkmale 10.1.4 [bezüglich der Umwandlung eines Stromwerts in einen Spannungswert] und 1.6.15.
Nicht unmittelbar gehen aus der NK4 die Merkmale 1.3aH, 1.4.1H, 1.5.3H sowie 10.1.4 [bezüglich der Identität von Mess- und Berechnungs-Computer] hervor.
3.2 Die Druckschrift NK23 ist die der Veröffentlichung NK4 zugrunde liegende Doktorarbeit des Erstautors Gang Cui. Der Einmal-Glucosesensor wird in Kapitel 4 auf den Seiten 75 bis 97 beschrieben. Inhaltlich ist dieses Kapitel nahezu identisch mit der NK4. Insofern geht also die NK23 zunächst nicht über die NK4 hinaus.
3.3 Die Druckschrift NK19 beschreibt ein zum Anmeldezeitpunkt (NK19: letzte S., Copyrightvermerk „2000“) kommerziell verfügbares Messsystem (Merkmale 10, 10.1, 10.2) für die Blutzuckermessung (NK19: S. ii). Die NK19 verweist auf der letzten Seite auf die Patentschriften US 5 708 247 (NK20) und US 5 951 836 (NK21), welche den Teststreifen selbst zum Inhalt haben.
Die Messung startet offensichtlich, sobald der Blutstropfen den Kapillarkanal vollständig gefüllt hat (NK19: S. 24, Abs. 2). Dies bedeutet für den Fachmann aber, dass ein Kontrollsystem entsprechend dem Merkmal 10.1.2a4 vorhanden sein muss. Das Ergebnis der Messung in Form eines Blutzuckerwertes liegt dann nach 5 Sekunden vor (NK19: S. ii, Ziffer 4; S. 15, Step 3; S. 25, Step 3; S. 52, „Test Time“). Dies entspricht aber nichts anderem als dem Merkmal 1.5.3H. Darüber hinaus sind damit im Grundsatz auch die Merkmale 1.1, 1.1.1, 1.1.2, 1.1.3, 1.2, 1.2.1, 1.3, 1.6 vorbeschrieben. Als Enzym wird Glucoseoxidase genannt (NK19: S. 52, „Assay Method“ // Merkmal 1.2.2).
Der mit dem als OneTouch Ultra bezeichneten Messsystem der NK19 verwendete Teststreifen wird offensichtlich in den Druckschriften NK20 und NK21 beschrieben, wogegen sich die Beklagte auch nicht wendet.
Der Teststreifen der NK20 (Merkmal 10.2) umfasst ein Substrat (Merkmal 10.2.1) und darauf Referenz- und Arbeitselektroden (Merkmale 10.2.2, 10.2.3, 10.2.4 // NK20: Sp. 2, Z. 44-46; Sp. 3, Z. 29-38). Die Reagenzschicht umfasst neben dem Enzym, wie Glucoseoxidase, und dem Mediator, wie Ferricyanid, ein Verdickungsmittel, wie Hydroxyethylcellulose, und einen Füllstoff, wie Siliziumdioxid (NK20: Sp. 4, Z. 58 bis Sp. 5, Z. 2). Dies führt dazu, dass es nach der Rehydrierung durch die Probe zu einer gelartigen Reaktionszone kommt, in der sich Enzym, Mediator und Glucose frei bewegen können, jedoch störende Verbindungen wie rote Blutkörperchen ausgeschlossen werden (NK20: Sp. 4, Z. 35-44 // Merkmale 1.2, 1.2.1, 1.2.2, 1.2.3, 10.2.4, 10.2.5).
Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt dies entsprechend der gebotenen breiten Auslegung ein streitpatentgemäßes Flüssigphasenreaktionssystem dar (Merkmale 1.2.42, 10.2.7H).
Somit sind aus der NK19 bzw. NK20 zumindest die Merkmale 1.1, 1.1.1, 1.1.2, 1.1.3, 1.2, 1.2.1, 1.2.2, 1.2.3, 1.2.42, 1.3, 1.5.3H, 1.6 sowie 10, 10.1, 10.2, 10.2.1, 10.2.2, 10.1.2a4, 10.2.3, 10.2.4, 10.2.5, 10.2.7H expressis verbis beschrieben oder werden von einem Fachmann mitgelesen.
3.4 Die Druckschrift NK17 handelt von einem Sensor für biologische Proben, insbesondere zur Bestimmung von Glucose im Blut (NK17: Sp. 1, Z. 6-10 i. V. m. Sp. 5, Z. 27-29). Dabei wird mit Fig. 4 beschrieben, dass eine Spannung 62 angelegt wird, nachdem ein Teststreifen in das Gerät eingelegt wurde (NK17: Sp. 6, Z. 23-25 i. V. m. Z. 35-38). Sobald nach dem Auftragen eines Blutstropfens der Strom zwischen den Elektroden eine vorgegebene Schwelle übersteigt, wird dieses Signal 64 an einen Mikroprozessor gegeben, der damit das Auftragen eines Blutstropfens detektiert (NK17: Sp. 6, Z. 53-54 // Merkmal 1.3aH). Anschließend wird die Spannung („Exitation Voltage“ vor dem Zeitpunkt 0) weggenommen. Es beginnt die Inkubationszeit ti 74 („incubation period“ // Merkmale 1.4.1H, 1.4.11), in der der Blutstropfen mit dem Enzym reagiert (NK17: Sp. 7, Z. 4-9) und das Enzym wiederum mit einem Mediator (NK17: Sp. 5, Z. 46-53). Anschließend wird wieder
- 50 Spannung angelegt („measurement period“ // Merkmal 1.5) und mittels des resultierenden Stroms wird die Glucosekonzentration bestimmt (NK17: Sp. 5, Z. 53-65 i.V.m.Sp. 7, Z. 10-26).
3.5 Die Druckschrift NK10/NK29 beschreibt (insbesondere) die amperometrische Bestimmung von Glucose in Blut (NK10/NK29: Sp. 4, Z. 58-61 i. V. m. Sp. 5, Z. 58-59). Dabei wird gemäß den Figuren 1A und 1B wie folgt vorgegangen.
Mit dem Einstecken des Sensorstreifens („sensor“) in das Gerät wird sofort eine Spannung von 0,4 V angelegt. Zum Zeitpunkt t0 wird das Auftragen einer Probe detektiert, wenn der Strom eine vorbestimmte Schwelle übersteigt (z. B. 250 nA) (NK10/NK29: Sp. 6, Z. 30-37 // Merkmal 1.3aH). Zwischen der Zeit t0 und t1 erfolgt für einen Zeitraum von üblicherweise 5 bis 10 Sekunden ein sogenannter „burnoff“. Dabei wird ein Potential von 0,4 V angelegt (Sp. 6, Z. 40, „The potential is 0,4 V at t1“), um das anfänglich gebildete Fe2+ („ferrocyanide“) oder andere oxidierbare Verunreinigungen bzw. Störstoffe („interferent“) zu oxidieren, damit der Sensor seine Messung ausgehend von einem definierten Hintergrund beginnt (NK10/NK29; Sp. 5, Z. 18-21, „clean background“; Sp. 6, Z. 50-53). Deshalb wird am Ende t1 des „burn-off“ Zeitraums der (verbleibende) Strom i1 gemessen, welcher zusammen mit dem zum Zeitpunkt t3 gemessenen Strom i2 in die Berechnungen der Glucosekonzentration eingeht (NK10/NK29: Sp. 7-8, Example I). Dadurch ist die Genauigkeit der Messung zwar schlechter, aber die Störungen („bias“) werden besser kompensiert (NK10/NK29: Sp. 7, Z. 15-19).
Nach dem Zeitpunkt t1 bis zum Zeitpunkt t2 wird für 10 bis 40 Sekunden die Spannung entweder ganz weggenommen („open circuit“) oder soweit verringert, dass die Reaktionsrate an der Arbeitselektrode minimiert ist (NK10/NK29: Sp. 6, Z. 3845 // Merkmale 1.4.1H, 1.4.11). Anschließend wird bei einer Spannung von 0,4 V im Zeitraum zwischen t2 und t3, welcher 5 bis 10 Sekunden dauert, gemessen
(NK10/NK29: Sp. 6, Z. 45-49 // Merkmal 1.5). Dies entspricht nicht in Gänze dem Merkmal 1.5.3H, da die Messung gemäß der NK10/NK29 während des gesamten Zeitraums t3-t2 erfolgt, wohingegen streitpatentgemäß erst nach 3 bis 5 Sekunden gemessen wird.
Die Klägerin möchte den Zeitraum zwischen t0 und t1 als Detektionszeitraum (Zeitraum bis zur Detektion der Probenaufgabe) verstanden wissen, was aber nicht zutreffend ist. Der Detektionszeitraum ist vielmehr der Zeitraum vor dem Zeitpunkt t0. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen dem Fachmann bereits allgemein bekannten Lehre der NK10/NK29, dass mittels Anlegen einer Spannung die Probenaufgabe detektiert wird und anschließend spannungslos geschaltet wird. Denn im (zusätzlichen) „burn-off“ liegt gerade die Erfindung der NK10/NK29 (NK10/NK29: Sp. 5, Z. 11-14, „method of our invention“), was aber umgekehrt nichts anderes belegt, als dass die ansonsten beschriebene Detektion der Probenaufgabe einschließlich einer sich anschließenden spannungslosen Zeit fachüblich ist.
3.6 In Übereinstimmung mit der Streitpatentschrift und ausgehend von dem ermittelten Stand der Technik besteht die Aufgabe darin, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Messung der Konzentration einer Testsubstanz, insbesondere von Glucose, in Blut zu Verfügung zu stellen, bei welchen kostengünstig störende Hintergrundströme reduziert sind und es ermöglicht wird, eine Testsubstanz in einer Testflüssigkeit mit höherer Präzision zu messen (NiK1a: [0011]).
Diese Aufgabe wird bereits durch das Verfahren und den Glucosesensor der Druckschriften NK4 bzw. NK23 gelöst, welche in gleicher Weise wie das Streitpatent den Nachteil Ferrocen-basierter Systeme in ihrer Anfälligkeit gegenüber Störungen durch leicht oxidierbare Verbindungen sehen, da die benötigte Spannung für die Redoxreaktion nicht ausreichend niedrig ist (NK4: S. 1106, linke Sp., Z. 610). Hierzu schlägt die NK4 eine Ru(III)-Verbindung als Mediator vor.
Davon ausgehend ist die objektive Aufgabe dahingehend zu ergänzen, das in der NK4 bzw. NK23 beschriebene Reaktionssystem auf herkömmliche, kommerzielle erhältliche Messsysteme und Glucosesensoren anzuwenden. Unter Berücksichtigung der bereits aus der NK4 bzw. NK23 bekannten Merkmale der Patentansprüche 1 und 6 nach Hauptantrag stellt sich daher die Frage, inwieweit es nahe gelegen hat, die Merkmale 1.4.1H, 1.5.3H zum Zeitregime des Verfahrens vorzusehen sowie gemäß den Merkmalen 10.1.3 und 10.1.4 denselben Computer sowohl zur Messung des Ansprechstromwerts als auch zur Berechnung der Konzentration der Testsubstanz zu verwenden.
3.7 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie bereits in den Abschnitten I.1 und II.1.1 erläutert wurde, erfolgt die Reaktion, mittels derer die Konzentration der Glucose bestimmt wird, in mehreren Stufen. Die Reaktionsfolge und das Reaktionssystem als solches sind bekanntermaßen zeitabhängig, wie dies beispielsweise den Fig. 8 und 9 des Streitpatents oder Fig. 8 der NK4 zu entnehmen ist. Deshalb wird der Fachmann bei derartigen Systemen für die Durchführung der Messung die genaue Feststellung, ab wann die Probe als auf das System aufgebracht gelten soll, benötigen und eine entsprechende Detektierung der Probenaufgabe vorsehen. Nur auf diese Weise kann der zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine unbekannte Probe gemessene Ansprechstromwert mit einer Kalibrierungskurve verglichen werden. Die Kalibrierungskurve erfordert dabei Messwerte bei verschiedenen Konzentrationen, aber jeweils nach dem gleichen Zeitpunkt nach Probenaufgabe bzw. dem gleichen Zeitregime. Dies ist eine für den Fachmann vollkommen übliche Vorgehensweise in der Analytischen Chemie. Eine Dokumentation dieses Fachwissens ist in der NK17 bzw. NK10/NK29 zu finden.
Es ist also zwingend erforderlich, dass das streitpatentgemäße Verfahren einen definierten Startpunkt gemäß Merkmal 1.3aH hat. Wie zudem mit den Druckschriften NK17 und NK10/29 gutachtlich belegt wird, ist es bei den streitpatentgemäßen Messsystemen ebenso fachüblich, einen spannungslosen Zeitabschnitt zur Anreicherung des Analyten (Mediators) an der Arbeitselektrode gemäß Merkmal 1.4.1H vorzusehen.
Anschließend bieten sich dem Fachmann zahlreiche Möglichkeiten den Ansprechstromwert zu messen. Dabei stellt es eine im Belieben des Fachmanns liegende messtechnische Ausgestaltung dar, ob der mit der Glucosekonzentration zu korrelierende Ansprechstrom kontinuierlich während eines Zeitraums gemessen wird (NK10/NK29: Sp. 6, Z. 47-48), ob mehrere Intervalle gemessen werden (NK17: Fig. 6 i. V. m. Sp. 7, Z. 43-50) oder ob streitpatentgemäß nach 3 bis 5 Sekunden (wohl ein einzelner Wert: NK1a: [0069], erster Satz, insbesondere Z. 54, „at the point t2“) gemessen wird. Der Fachmann wird die für das jeweilige System geeignete Messweise wählen, zumal das Streitpatent keine mit einer dieser bekannten Messmöglichkeiten verbundenen Vor- oder Nachteile nennt. Im Übrigen bleibt zumindest mit dem Wortlaut von Merkmal 1.5.3H offen, ob ein einziger Wert gemessen wird oder mehrere Werte. Eine Verzögerung der Messung erfolgt zudem auch in der NK17 (NK17: Fig. 6, erstes Messintervall nach 3 Sekunden).
Die Anwendung einer im Fachwissen des Fachmanns liegenden und in der NK17 bzw. NK10/NK29 dokumentierten Vorgehensweise zur Bestimmung des Ansprechstromwerts vermag insoweit die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag nicht zu begründen.
3.8 Auch der Gegenstand des Patentanspruchs 6 nach Hauptantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Ausgehend von der NK4 war es für den Fachmann naheliegend in einem kommerziellen Messgerät, wie dies z. B. in der NK19/NK20 beschrieben ist, den dort zwingend vorhandenen internen Computer sowohl für die Berechnung der Konzentration an Glucose als auch für die Erfassung der Messwerte zu nutzen, so dass diesbezüglich die Merkmale 10.1.3 und 10.1.4 keine erfinderische Tätigkeit begründen können.
3.9 Soweit die Beklagte meint, dass eine Messung entsprechend dem Zeitregime der Merkmale 1.4.1H und 1.5.3H mit einem Glucosesensor der NK4 nicht möglich ist, da die NC-Membran eine schnelle Messung verhindere, und die gelartige Reaktionszone der NK19/NK20 einen völlig anderen Ansatz zur Herstellung einer Reagenzschicht darstelle, tritt dem der Senat nicht bei.
Die NK4 geht nämlich von herkömmlichen Glucosesensoren aus, bei denen auf einen Kunststoffstreifen zwei oder drei Elektroden mittels Siebdruck aufgebracht werden. Auf die Elektroden wird unmittelbar eine Reagenzschicht aus Enzym, Mediator und Puffersalzen gegeben (NK4: S. 1106, linke Sp., Abs. 1, Z. 10-27). Diese Vorgehensweise wird beispielsweise auch in der Druckschrift NK35 verfolgt, was nochmals untermauert, dass es fachüblich war, gattungsgemäße Reaktionssysteme aus Lösung direkt auf die Elektroden aufzugeben und zu trocknen (NK35: Sp. 2, Z. 21-24 i. V. m. Sp. 9, Z. 6-7). Nichts anderes erfolgt streitpatentgemäß (NK1a: [0071], i. V. m: [0072]). Die Verwendung einer NC-Membran dient allgemein und ebenso in der NK4 dazu, rote Blutkörperchen abzufiltern (NK4: S. 1106, Abs. 2, Z. 5-10 i. V. m. NK23: S. ii, Z. 9-10; S. 18, Ziff. 2, Satz 2; S. 65, Abs. 2, Satz 1 und insbesondere letzter Satz; S. 70, Z. 6 von unten). Dabei ist es bekannt, dass Membranen mit selektiver Permeabilität die Zeit bis zum ersten Ergebnis (time-to-first-result, TTFR) erhöhen.
Bei all dem hätte der Fachmann selbstverständlich darauf geachtet, dass die Messungen, wie in der NK19 beschrieben, möglichst schnell zu einem Ergebnis für den Nutzer führen (Merkmale 1.4.1H, 1.5.3H), zumal dies ein allgemeines Bedürfnis darstellt (vgl. NK14, NK15). Die grundsätzliche Eignung der Ru-Verbindung für schnelle Messungen war dem Fachmann jedenfalls aus der NK4 ersichtlich, selbst für NC-Membran basierte Teststreifen (NK4: Fig. 8), denn ein Gleichgewichtszustand wird hier relativ schnell erreicht (nach etwa 5 Sekunden).
Die Veranlassung, auf eine NC-Membran zu verzichten, um möglichst schnell zu einem Messergebnis zu kommen oder die Zeitdauer nochmals zu verkürzen, ist daher bereits aus der NK4 selbst gegeben, sofern die NC-Membran hierfür überhaupt störend wirkt. Jedenfalls stellt die NC-Membran kein entscheidendes nicht zur Disposition stehendes Merkmal der NK4 dar, wie die Beklagte meint. Vielmehr ist sie der Untersuchung der NK4 geschuldet, welche die Vorteile der membranbasierten Sensorstreifen mit denjenigen, welche mikropkapillare Füllkanäle aufweisen, kombinieren möchte (NK4: S. 1106: rechte Sp., Abs. 1, Z. 11-20).
Die Auftragung des Reaktionssystems unmittelbar auf die Elektroden ausgehend von der NK4 stellt folglich eine für den Fachmann nahliegende Handlungsweise dar – sofern dies für den Erfolg der Merkmale 1.4.1H und 1.5.3H überhaupt erforderlich ist. Dabei zählt es zu seinem Fachwissen, dass eine Reaktion wie diejenige der NK4, welche trägergebunden katalysiert wird (heterogene Katalyse) ohne weiteres auf eine Reaktionsführung übertragbar ist, bei welcher der Katalysator im Reaktionssystem ungebunden vorliegt (homogene Katalyse).
III.
Das Streitpatent hat auch in der Fassung der insgesamt sieben Hilfsanträge keinen Bestand.
1. Die Begriffe „Diffusionsstrom” bzw. „Mediatordiffusionsstrom“ in den Merkmalen 1.5.23, 10.1.23, 10.1.24, 1.6.15 und 10.1.55 bedürfen zunächst einer Auslegung und Erläuterung.
Der Begriff „Mediatordiffusionsstrom“ bedeutet gemäß Abs. [0061], letzter Satz des Streitpatents, nichts anderes, als dass der Ansprechstromwert gemessen wird, welcher einer Menge von Elektronen entspricht, die im zweiten Schritt – Merkmal 1.5 – durch das Reduktionsmittel Ruthenium ll (Mediator) an der Elektrode freigesetzt werden (so auch Merkmal 1.5.2). Mit dem Begriff „Diffusionsstrom“ soll zudem die Kinetik des Reaktionssystems beschrieben werden.
Eine fachübliche Methode, um grundlegende Informationen über die Kinetik eines Redoxsystems zu erhalten, ist die Cyclovoltammetrie. Vereinfacht gesagt wird mit dieser Methode der Stromfluss an einer Elektrode gemessen, während die Spannung zwischen den Elektroden verändert wird. Da sich die Spannung nicht nur – wie bei der linearen Voltammetrie – in eine Richtung verändert, sondern ansteigt und auch wieder abfällt, werden die in der HE-7 mit Fig. 3 gezeigten typischen Kurven erhalten (vgl. auch NK4: S. 1108, Fig. 2 und 3).
Aus dem Verlauf der Kurven lassen sich auch Aussagen über die Kinetik von Redoxreaktionen treffen. Zum Beispiel ist dann, wenn vor den Elektroden die Konzentration an oxidierter und reduzierter Komponente gleich ist, das Standardpotential der Redoxreaktion erreicht, was sich in einem Peak des Stromes in der Strom-Spannung-Kurve zeigt (HE-7: Fig. 3a). Dieser Strom heißt auch Grenzstrom (limiting current) oder Diffusionsstrom (diffusion current). Bei weiter steigender Spannung steigt jedoch der Strom nicht mehr, sondern fällt wieder ab, da sich an der Elektrode eine Diffusionsschicht bildet, welche den Stromfluss behindert.
Wenn sich der genannte Peak nicht zeigt, deutet dies darauf hin, dass die Kinetik der Reaktion nicht durch die Diffusion an die Elektrode, sondern durch andere Einflüsse limitiert ist, z. B. durch die katalytische Reaktion der Glucoseoxidase (vgl. HE-7: Fig. 3c).
Die Begriffe „Diffusionsstrom“ und „Katalysestrom“ sind streitpatentgemäß nicht dahingehend zu verstehen, dass der Strom einer Diffusion oder einer Katalyse als solcher gemessen wird. Gemeint ist vielmehr, dass die katalytische Enzym-Mediator-Reaktion oder die Diffusion eines Bestandteils des Reaktionssystems den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt für die Elektrodenreaktion darstellen.
Wenn nun nach den Merkmalen 1.5.22 und 10.1.55 ein Mediatordiffusionsstrom gemessen wird, bedeutet dies, dass das Verfahren nach Patentanspruch 1 durch den geeigneten Aufbau des Reaktionssystems bzw. des Konzentrationstestinstruments (Sensorstreifen) nach Patentanspruch 6 so gestaltet wird, dass ein diffusionskontrollierter Ansprechstrom gemessen werden kann.
2. Die Zulässigkeit von Merkmalen der Hilfsanträge ist streitig. Die Klägerin sieht unzulässige Erweiterungen in den Merkmalen 1.4.11 sowie 1.5.23, 10.1.23 (letztere beiden wegen „Mediatordiffusionsstrom“; gleiches sinngemäß dann bei 1.6.15 und 10.1.55) und 10.2.7a4, 10.1.24, 10.1.2a4 (jeweils da keine Offenbarungsstelle bekannt) sowie 10.2.26 (da unklar).
Dies trifft nicht zu. Die zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge 1 bis 6 sind sowohl ursprünglich offenbart als auch Gegenstand des Streitpatents und damit zulässig.
2.1 Gemäß Abs. [0082] des Streitpatents NK1a wird 0, 1, 2 oder 10 Sekunden nach Probenaufgabe Spannung angelegt. Der Fachmann entnimmt dem unmittelbar, dass mit Probenaufgabe die Detektion der Probenaufgabe gemeint ist (vgl. auch NK1a: [0083], Z. 10 „before voltage application (the time in non application state)“). Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass die spannungslose Zeit 0, 1, 2 oder 10 Sekunden beträgt, wie dies auch z.B. in Fig. 8 gezeigt ist (vgl. auch NK1b: S. 32, Z. 11-19 // NK1c: [0080] // HE-9: [0080]). Der Wert von 1 Sekunde als untere Grenze ist somit nicht nur mit der Bereichsangabe 0 bis 10 Sekunden offenbart (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 1992 – X ZB 11/90 – Chrom-NickelLegierung; BGH, Beschluss vom 20. März 1990 – X ZB 10/88 – Crackkatalysator), sondern expressis verbis. Das Merkmal 1.4.11 ist deshalb zulässig. Eine unzulässige Erweiterung im Sinne einer Zwischenverallgemeinerung – wie die Klägerin meint – erfolgt hierbei nicht (vgl. hierzu auch Abschnitt II.2.2).
2.2 Das Merkmal 1.2.42 ist im Streitpatent in Patentanspruch 10 offenbart (NK1b: Patentanspruch 8 // HE-9: Patentanspruch 10 // NK1c: Patentanspruch 9). Die neue Merkmalsgruppe 1.82 ist ebenfalls zulässig, da sie lediglich das Flüssigphasenreaktionssystem von Merkmal 1.2.42 näher definiert und dabei die zulässigen (siehe oben) Merkmale 10.2.4, 10.2.5, 10.2.6 und 10.2.7H aus der Vorrichtung in den Verfahrensanspruch aufnimmt.
2.3 Die Merkmale 1.5.23 und 10.1.23 zur Messung des Diffusionsstroms in Form des Ansprechstroms sind in zulässiger Weise den Absätzen [0061], Z. 42-43, [0063], Z. 54-56 und [0068] des Streitpatents zu entnehmen (NK1b: S. 21, Z. 2125, S. 22, Z. 18-22, S. 25, Z. 11 bis S. 26, Z. 21 // HE-9: S. 8, Z. 37-39, [0061], letzter Satz, [0066] // NK1c: S. 7, Z. 45-47, [0061], letzter Satz, [0066]), denn dort wird der Ansprechstrom für den in der Reagenzschicht diffundierenden reduktiven Ru(II)-Komplex als Diffusionsstrom bezeichnet. Sie sind auch in der Ergänzung „of the mediator“ zulässig, da gemäß Abs. [0068], Satz 1 des Streitpatents NK1a der Diffusionsstrom des reduktiven Ru(II)-Komplexes (= Elektronenmediator) gemessen wird (vgl. auch NK1b: S. 25, Z. 11-14 // HE-9: [0066] // NK1c: [0066]). Sinngemäßes gilt bezüglich des Mediatordiffusionsstroms auch für die Merkmale 10.1.24,10.1.55 und 1.6.15.
2.4 Das Merkmal 1.8.34 ist zulässig, sofern eine Abänderung gegenüber Merkmal 1.8.32 überhaupt beabsichtigt ist, da es sich in Verbindung mit den vorausstehenden Merkmalen 1.8.12 und 1.8.22 zwangsläufig auf die Reagenzschicht bezieht.
2.5 Das Merkmal 10.2.7a4 ist vergleichbar mit den Merkmalen 1.4 und 1.4.1H. Es stammt deshalb aus dem erteilten Patentanspruch 1 sowie den Absätzen [0016] und [0018] des Streitpatents i. V. m. Abs. [0083], Z. 14. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in Abschnitt II.1.1 zu Merkmal 1.4.1H verweisen. Das Merkmal 10.1.2a4 ergibt sich aus Unteranspruch 19 des Streitpatents.
2.6 Das Merkmal 1.6.15 ist im Streitpatent NK1a in Patentanspruch 10 bzw. in Abs. [0069], Z. 56-58 i. V. m. den Absätzen [0061], Z. 41-43 bzw. [0068], Satz 1 offenbart (NK1b: S. 26, Z. 28 bis S. 27, Z. 5 i. V. m. S. 21, Z. 21-25 bzw. S. 25, Z. 11-14 // NK1c: [0067], S. 9, Z. 2-4 i. V. m. [0059], Z. 45-47 bzw. [0066], Z. 38-39 // HE-9: [0067], Z. 52-54 i. V. m. [0059], Z. 37-39 bzw. [0066], Satz 1).
In den Hilfsanträgen 6 und 7 ist das Wort „concentration“ in „test target concentration“ in der englischsprachigen Fassung des ansonsten identischen Merkmals 1.6.15 gestrichen. Sofern diese Streichung beabsichtigt war, ergibt sich inhaltlich für den Fachmann kein anderes Verständnis, als dass die Konzentration der Testsubstanz gemessen wird.
2.7 Das Merkmal 10.2.26 ist im Streitpatent NK1a sinngemäß offenbart in den Absätzen [0040] und [0041] (NK1b: S. 15, Z. 8-16 // NK1c: [0038], [0039] // HE-9: [0038], [0039]). Auch wenn diese Offenbarungsstellen zu einem bevorzugten Ausführungsbeispiel gehören, ist das Merkmal für den Fachmann als allgemein zur Erfindung gehörig erkennbar.
Eine Unklarheit kann der Senat in Verbindung mit Merkmal 10.1.2 nicht erkennen, da der Fachmann die dort genannte erste und zweite Elektrode ohne weiteres als Arbeits- und Gegenelektrode identifiziert.
3. Die geänderten oder zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge können den Gegenständen der unabhängigen Patentansprüche keine Patentfähigkeit verleihen. Ihre Gegenstände beruhen gegenüber der Druckschrift NK4 (bzw. NK23) in Verbindung mit der Druckschrift NK19 (und NK20) und dem mit NK17 bzw.
NK10/NK29 dokumentierten fachüblichen Handeln nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bei der folgenden Abhandlung der Hilfsanträge werden jeweils auch Merkmale von nachfolgenden Hilfsanträgen genannt, soweit sie sich aus den zitierten Stellen der Entgegenhaltungen bereits ergeben.
3.1 Mit dem Merkmal 1.4.11 von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 wird die Dauer des ersten spannungslosen Schritts auf 1 bis 10 Sekunden festgelegt. Durch die Untergrenze von 1 Sekunde möchte die Beklagte verdeutlichen, dass sich die spannungslose Zeit von 0 Sekunden abhebt. Das Verfahren erhält aber dadurch gegenüber dem Merkmal 1.4.1 keinen anderen Inhalt, welcher es vom Stand der Technik abheben könnte. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 beruht ebenso wie der gegenüber dem Hauptantrag unveränderte Gegenstand des Patentanspruchs 6 aus den in Abschnitt II.4 genannten Gründen auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
3.2 Mit dem Merkmal 1.2.42 und der Merkmalsgruppe 1.82 von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 werden das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 als Flüssigphasenreaktionssystem charakterisiert und weitere Eigenschaften der Reagenzschicht beschrieben. Die Merkmale entsprechen dabei den bereits in Patentanspruch 6 nach Hauptantrag vorhandenen Merkmalen 10.2.4, 10.2.5, 10.2 6 und 10.2.7H. In Abschnitt II.3.1 wurde bereits dargelegt, dass diese Merkmale entsprechend der gebotenen Auslegung des Begriffs „Flüssigphasenreaktionssystem“ durch die NK4 bzw. NK23 vorbeschrieben sind. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 beruht daher ebenso wie der gegenüber dem Hauptantrag unveränderte Gegenstand des Patentanspruchs 6 aus den in Abschnitt II.3.6 genannten Gründen auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
3.3 Gemäß den Merkmalen 1.5.23 und 10.1.23 von Hilfsantrag 3 soll der gemessene Ansprechstromwert dem Mediatordiffusionsstrom entsprechen, das heißt der die Geschwindigkeit des Gesamtsystems limitierende Schritt soll diffusionskontrolliert sein.
a) Ein Fachmann, der das in der NK4 oder NK23 beschriebene System mit einem Ruthenium Elektronenmediator an einen kommerziellen Schnelltest anpasst, wird immer darauf achten, dass die Messung der Konzentration an Glucose möglichst schnell, also diffusionskontrolliert, erfolgt. Er wird somit auch die Enzymmenge in seinem System so wählen, dass die enzymatische, das heißt die katalytische Reaktion, nicht geschwindigkeitsbestimmend wird. Deshalb kann mit der Messung des Mediatordiffusionsstroms gemäß den Merkmalen 1.5.23 und 10.1.23 eine erfinderische Tätigkeit nicht begründet werden.
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 nach Hilfsantrag 3 beruhen daher in Verbindung mit den in Abschnitt II.3.6 genannten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
b) Die Beklagte wendet dagegen ein, dass die Kinetik des Systems der NK4, bei dem das Enzym im Wesentlichen immobilisiert ist, anders sei, als wenn das Enzym (vollständig) in Lösung vorliege. Aus der (eher) sigmoidalen Form des Cylovoltammogramms (CV) von Fig. 2, Kurve b der NK4 könne abgelesen werden, dass es sich bei dem System der NK4 um einen „Katalyse-Strom“ handle. Die Beklagte verweist hierzu auch auf die HE-7. Zudem verwende die NK4 an mehreren Stellen auch die Bezeichnung „catalytic current“, weshalb dort ein katalytischer Strom im Sinne des Streitpatents gemessen werde, das heißt die Geschwindigkeit des Gesamtsystems durch die katalytische/enzymatische Reaktion limitiert sei.
Hierbei verkennt die Beklagte jedoch, dass die Untersuchungen des Reaktionssystems der NK4 mittels Cyclovoltammmetrie dazu dienen, Informationen über das System als solches zu erhalten, um es optimieren zu können und seine Einsatzfähigkeit in Glucoseteststreifen zu zeigen. Deshalb wird gemäß Abschnitt 3.1 mit Verweis auf die Figuren 2 und 3 z. B. die Störanfälligkeit („cross-reactivity“) des Reaktionssystems untersucht (NK4: S. 1108: Abschnitt 3.1). Daraus kann je- doch nicht abgeleitet werden, dass die NK4 einen Teststreifen propagiert, bei welchem der katalytische Schritt der Enzymreaktion geschwindigkeitsbestimmend für das Gesamtsystem sein soll. Diese Messungen sagen nämlich nichts über einen kommerziell erhältlichen Glucosesensor aus. Die NK4 zeigt vielmehr, dass eine schnelle Messung ohne Probleme möglich ist, selbst wenn eine NC-Membran vorhanden ist (NK4: S. 1110, Fig. 8).
Zudem hängt die Form eines Cyclovoltammogramms auch stark von der Vorschubgeschwindigkeit ab (vgl. auch HE-7: S. 22, Fig. 3b, „sweep rate“). Die Cyclovoltammogramme der NK4 (NK4: Fig. 2, „scan rate 1 mV s-1“; Fig. 3, „scan rate 60 mV s-1“) sind schon deshalb nicht mit den Formen der HE-7 vergleichbar.
Auch die Verwendung des Begriffs „catalytic current“ in der NK4 vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen (NK4: S. 1108-1109, Abschnitt 3.2). Der Begriff „catalytic current“ in der NK4 bezieht sich nämlich – anders als das Streitpatent – nicht auf die Kinetik des Systems. Vielmehr bezeichnet hier der „catalytic current“ einen Strom, welcher gemäß Abschnitt 3.2 durch die katalytische/enzymatische Reaktion der Glucoseoxidase (GOx) mit der Ru-Verbindung verursacht ist, im Gegensatz zur Untersuchung in Abschnitt 3.1, wonach das System auch in Abwesenheit von Glucoseoxidase untersucht wird (NK4: S. 1108, linke Sp., Abschnitt 3.1, Satz 1), also mit anderen Worten ein „non-catalytic current“ gemessen wird. Deshalb bezeichnet die NK4 die Redoxreaktionen von Enzym und Elektronenmediator auch als „catalytic reaction“ (NK4: S. 1111, linke Sp., Abs. 1, letzter Satz), welche an der Arbeitselektrode einen Stromfluss bedingen.
Folglich handelt es sich bei dem in der NK4 tatsächlich an den Elektroden gemessenen Strom – ebenso wie im Streitpatent – um nichts anderes, als die Reaktion der Ru(II)-Verbindung an der Elektrode unter Abgabe von Elektronen. Eine katalytische Kontrolle des Reaktionssystems beabsichtigt die NK4 daher ebenso wenig, wie sich in ihr eine Lehre findet, dass das an der NC-Membran immobilisierte Enzym ursächlich für den langsamsten Schritt im Reaktionssystem der NK4 sei.
c) Auch meint die Beklagte, dass die NK20 keine diffusionskontrollierte Reaktion des Mediators ermögliche, da dort wegen der gequollenen, gelartigen Reagenzschicht (ausschließlich) ein „Diffusionsstrom“ der Glucose gemessen werde.
Diese Argumentation vermag den Senat nicht zu überzeugen. Denn der Fachmann hätte bei kommerziellen Glucosesensoren für schnelle Messungen das Reaktionssystem derart gestaltet, dass insgesamt eine diffusionskontrollierte Gesamtreaktion erhalten wird. Der Passus in der NK20, dass der Antwortstrom des dort beschriebenen Teststreifens von der Diffusionsrate der Glucose und nicht von der Rate mit welcher das Enzym die Glucose oxidiert abhängt (NK20: Sp. 2, Z. 6166), bezieht sich auf die streitpatentgemäße Stufe 1 der Reaktionsfolge. Daraus folgt vielmehr, dass die Vorrichtung der NK20 im gesamten eher eine Limitierung der Reaktion aufgrund der Diffusion des Enzyms und darüber auch des Mediators bedingt (NK20: Sp. 4, Z. 51-53), als eine kinetische Limitierung aufgrund der enzymatischen Reaktion zwischen Enzym und Glucose, was der streitpatentgemäßen katalytischen Limitierung entsprechen würde.
Die NK4 geht dagegen – wie in Abschnitt II.3.9 gezeigt – von Reaktionssystemen aus, bei denen die Reaktionsschicht in gleicher Weise wie beim Streitpatent auf die Elektroden aufgetragen wird. Sofern daher die NC-Membran der NK4 oder eine gelartige Schicht der NK20 überhaupt der Diffusionskontrolle des Mediators entgegenstehen sollten, ist die streitpatentgemäße Auftragung des Reaktionssystems auf die Elektroden ausgehend von der NK4 – wie gezeigt – eine naheliegende Maßnahme. Sie führt folglich zwangsläufig zu einem Reaktionssystem mit allen streitpatentgemäßen Eigenschaften.
3.4 Das Merkmal 1.8.34 von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 ist nicht anders zu beurteilen, als Merkmal 1.8.32. Da im Übrigen der Gegenstand von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 identisch ist mit Hilfsantrag 3, ist er aus den gleichen Gründen wie in Abschnitt III.3.3 aufgeführt nicht patentfähig.
Mit Merkmal 10.2.7a4 wird ein Verfahrensmerkmal zur Charakterisierung der Vorrichtung von Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 4 verwendet. Dieses Merkmal entspricht den Merkmalen 1.4 und 1.4.1H von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag. Sein Gegenstand kann aus den bereits in den Abschnitten II 3.6 bis 3.9 genannten Gründen, da für den Fachmann naheliegend, nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.
Bezüglich des Begriffs „Mediatordiffusionsstrom“ in Merkmal 10.1.24 wird auf Abschnitt III.3.3 zu Hilfsantrag 3 verwiesen. Eine erfinderische Tätigkeit ist damit ebenfalls nicht zu begründen.
Ein Kontrollsystem entsprechend Teilmerkmal 10.1.2a4 ist für ein kommerzielles Messgerät zwingend erforderlich und wird vom Fachmann zumindest in naheliegender Weise vorgesehen (vgl. auch Abschnitt II.3.3). Was das Zeitregime betrifft, sei auf die Ausführungen zu Merkmal 1.5.3H des Hauptantrags in Abschnitt II.3.7 verwiesen.
Im Ergebnis vermögen die Gegenstände der Merkmale 10.2.7a4, 10.1.24 und 10.1.2a4 des Patentanspruchs 6 nach Hilfsantrag 4 die erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen.
3.5 Das Merkmal 1.6.15 von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 5 entspricht nichts anderem als dem Merkmal 10.1.4, was eine fachübliche Strommessung darstellt. Dabei ist es naheliegend, dass der Computer, welcher die Messung vornimmt, gleichzeitig auch die Konzentrationsberechnung durchführt (vgl. hierzu auch Abschnitt II.3.8). Eine erfinderische Tätigkeit kann damit nicht begründet werden.
Auch das Merkmal 10.1.55 von Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 5 bezüglich des Mediatordiffusionsstroms trägt aus den in Abschnitt III.3.3 genannten Gründen nicht zur Patentfähigkeit bei.
3.6 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6 ist inhaltlich identisch mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 5. Sein Gegenstand beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die obigen Ausführungen in Abschnitt III.3.5 gelten sinngemäß.
Die Elektrodenanordnung gemäß Merkmal 10.2.26 von Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag 6 ist die fachübliche Ausgestaltung eines streitpatentgemäßen elektrochemisch arbeitenden Messgeräts (vgl. z. B. NK20: Sp. 3, Z. 31-33). Denn eine Arbeitselektrode („working electrode“) benötigt immer eine Gegenelektrode („counter electrode“). Die in der NK20 genannte Referenzelektrode („reference electrode“), deren Potential in der elektrochemischen Spannungsreihe definiert ist, stellt bei einer sogenannten Drei-Elektroden-Anordnung den Referenzpunkt dar und wird stromlos betrieben (vgl. z. B. NK23: S. 28, Abschnitt 2.2.3).
Sofern die Beklagte meint, dass mit Merkmal 10.2.26 die Elektroden auf demselben Substrat angeordnet sind, mag dies unter Rückgriff auf Fig. 3 und den dort mit Bezugszeichen 26a („working portion“) 27a („counter portion“) dargestellten Elektroden zutreffen. Gleichwohl geht dies weder aus dem Wortlaut des Merkmals 10.2.26 in Verbindung mit Merkmal 10.2.3 unmittelbar hervor noch wird hierzu in der Beschreibung des Streitpatents vorgetragen. Die Elektrodenanordnung liegt streitpatentgemäß vielmehr im Belieben des Fachmanns.
Selbst wenn die NK23 mit Fig. 5.7 darauf hinweist, dass der Gleichgewichtszustand nach Aufgabe einer Testprobe bei paralleler Elektrodenanordnung (NK23: S. 104, Fig. 5.2) in weniger als 2 Sekunden erreicht wird (NK23: S. 112, Fig. 5.7, Kurve a i. V. m. Satz von S. 110 auf 114), was dort eine (besonders) schnelle Messung ermöglicht, führt dies nicht dazu, dass der Fachmann ausgehend von der NK4 oder NK23 nicht (auch) eine übliche Elektrodenanordnung auf demselben Substrat in Betracht gezogen hätte (vgl. NK4: S. 1107, Fig. 1 // NK23: S. 81, Fig. 4.1). Denn die auf S. 110 ff. der NK23 dargelegten Ausführungen zum Vorteil der parallelen Elektrodenanordnung (Gleichgewichtszustand < 2 s) schließen nicht aus, dass mit einer Elektrodenanordnung auf demselben Substrat nicht innerhalb der 3 bis 5 Sekunden entsprechend Merkmal 1.5.3H gemessen werden kann. Die von der Beklagten hierzu zitierte Passage auf S. 87 der NK23 muss dazu in ihrer Gesamtheit gelesen werden. Denn die Änderung des Stroms wurde deshalb bei 30 s gemessen, um die optimale Arbeitsspannung der chronoamperometrischen Messungen herauszufinden (vgl. NK23: S. 88, Fig. 4.5 i. V. m. S. 87, Abschnitt 4.3.2, Satz 3 // NK4: S. 1109, Fig. 4). Zu welchem Zeitpunkt nach dem Anlegen eines Potentials (am besten) gemessen werden soll, wird an dieser Stelle nicht diskutiert und bleibt sowohl in der NK23 als auch in der NK4 offen.
Im Übrigen wird im Streitpatent an den Stellen, welche das Wiederanlegen einer Spannung betreffen, kein Fokus auf das schnelle Erreichen eines Gleichgewichtszustandes gelegt (NK1a: [0069], Z. 53-56); [0083], Z. 11 „at least 3 seconds“) oder auf eine vom bisher fachüblichen (vgl. NK32) abweichende schnelle Messzeit (NK1a: [0091], „the reagent layer dissolves well within 15 seconds of the supply of the Standard Solution, regardless of the glucose concentration” // NK32: S. 8 „AccuChek Instant“ 12 s; S. 9, „AtLast“, 15 s; „FreeStyle“, 15 s; S. 11, „One Touch Ultra“, 5 s – dabei stellt die NK32, mit der Angabe „Originally posted June 2001“ vorveröffentlichten Stand der Technik dar). Der Fokus des Streitpatents liegt vielmehr auf der Möglichkeit, auch bei Hintergrundströmen und hohen Glucosekonzentrationen genaue Messungen zu erzielen (NK1a: [0011], [0091]), was streitpatentgemäß auf die Verwendung der Ru-Verbindung zurückzuführen ist. Sollten darüber hinaus streitpatentgemäß (ungewöhnlich) schnelle Messzeiten realisiert werden können, ist dies allenfalls der Ru-Verbindung geschuldet und nicht einer Anordnung der Elektroden. Die Untersuchung der NK23 zur Elektrodenanordnung stellt demgegenüber und auch gegenüber der Verwendung einer Ru-Verbindung in der NK23 einen eigenständigen Komplex dar.
Insoweit ist die Erfindung des Streitpatents bezüglich des Zeitregimes und schneller Messzeiten zwar ausführbar offenbart – anders als die Klägerin meint. Gleichwohl beschränkt sie sich auch hierin auf die bekannte Verwendung einer Ru-Verbindung als Mediator und grenzt sich daher gegenüber der fachüblichen Handlungsweise nicht ab.
3.7 Mit den Merkmalen 1.4.17 und 10.2.7a7 der Patentansprüche 1 und 6 nach Hilfsantrag 7 wird die spannungslose Zeit des ersten Schritts auf 1 bis 3 Sekunden festgelegt.
Auch damit vermag eine erfinderische Tätigkeit nicht begründet zu werden.
Die Beklagte möchte sich mit der Festlegung des ersten spannungslosen Schritts auf 1 bis 3 Sekunden von der Offenbarung der NK17 abgrenzen, welche mit Fig. 4 das Nichtanlegen einer Spannung für 9 Sekunden offenbart. Sie begründet die erfinderische Tätigkeit damit, dass die Vorhersage eines optimalen Zeitraums aufgrund der jeweiligen speziellen Kombination des Reaktionssystems aus Enzym und Mediator nicht möglich sei.
Dies bedeutet aber zutreffend nichts anderes, als dass der Fachmann, sofern er in naheliegender Weise eine Kombination aus einer Ru-Verbindung als Mediator und einem Enzym verwendet, dieses System auf ein geeignetes Zeitregime der Redoxreaktion optimieren muss. Dabei handelt es sich jedoch um reine Routinemaßnahmen.
Auch die NK35 legt dar, dass die Reaktionsdauer und die Diffusions- oder Katalyse-Kontrolle der Reaktion auch z. B. von der Konzentration des Enzyms (NK35: Sp. 6, Z. 1-6), der Menge an Redox-Mediator in oxidierter Form (NK35: Sp. 6, Z. 30-66) und dem Zeitpunkt der Messung abhängt (Sp. 10, Z. 51-62, insbesondere Z. 55-58). Insbesondere Sp. 10, Z. 55-58 der NK35, wonach die Reaktion unterhalb von 0,5 s nicht diffusionskontrolliert sein soll und andererseits dann nach über 30 s störende Konvektionen im System auftreten, verdeutlicht, dass der Fachmann in routinemäßiger Weise geeignete Zeitregime für sein System zu finden hat.
4. Auch die Unteransprüche 2 bis 5 und 7 bis 13 nach Hilfsantrag 7 haben keinen Bestand.
a) Die Reaktion des Redoxsystems in den in den Unteransprüchen 2 und 10 genannten beiden Schritten ist die fachübliche. Im Übrigen siehe auch NK4: S. 1107, rechte Sp., Abschnitt 2.4, Abs. 1, Z. 1-9 i. V .m. S. 1108, linke Sp., Abschnitt 3.1, Abs. 1, Z. 1-5).
b) Da das Enzym katalytisch wirkt, ist im Vergleich zum Mediator eine geringe Menge gemäß Unteranspruch 3 ausreichend. Dabei ist es für den Fachmann selbstverständlich, das Enzym und den Mediator möglichst homogen in der Reagenzschicht zu verteilen, um eine schnelle, gleichmäßige und reproduzierbare Reaktion zu erreichen. Im Übrigen siehe NK4: S. 1106, rechte Spalte, erster Satz unter Abschnitt 2.2 (180.000 units/g Glucoseoxidase) i. V. m. S. 1108, Bildunterschrift zu Fig. 2 (80 mM [Ru(NH3)6]3+).
c) Wie bei den Unteransprüchen 4 und 9 wird auch in der NK4 Glucose als Testsubstanz verwendet (NK4: Abstract, letzter Satz („glucose“)).
d) Das in der NK4 eingesetzte Enzym ist Glucoseoxidase, wie es auch gemäß den Unteransprüchen 5 und 8 des Streitpatents verwendet wird (NK4: Abstract, Satz 1 („glucose oxidase“)).
e) Nach Aufgabe der Probenflüssigkeit liegen auch in der NK4 Mediator und Enzym in dem Flüssigphasenreaktionssystem vor. Ein Unterschied zu Unteranspruch 7 ist nicht gegeben.
f) Bei der Ausgestaltung der Vorrichtung entsprechend der Unteransprüche der 11, 12, und 13 handelt es sich um fachübliche Vorgehensweisen, siehe hierzu z.B. NK4: S. 1106, rechte Sp., Abschnitt 2.1 i. V. m. S. 1107, rechte Sp. Abschnitt 2.4, Satz 2 („-0,1 to +0,2 V“).
5. Da die Patentanspruchssätze gemäß Haupt- und Hilfsanträgen jeweils als in sich geschlossene Einheit zu verstehen sind, mit der Maßgabe, dass jeder unabhängige Patentanspruch gesondert verteidigt wird, braucht auf die Unteransprü- che der weiteren Hilfsanträge nicht weiter eingegangen zu werden. Für eine abweichende Beurteilung der Patentfähigkeit der Gegenstände der untergeordneten Patentansprüche ist von der Beklagten weder etwas geltend gemacht noch sonst aufgrund des festgestellten Sachverhalts erkennbar (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 Rn. 42 – Schussfädentransport; BGH, Urteil vom 29. September 2011 – X ZR 109/08, GRUR 2012, 149 Rn. 96 – Sensoranordnung).
6. Die Beklagte hat zur Stützung ihres Vorbringens in der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung BGH, Urteil vom 4. November 2008 – X ZR 154/05 verwiesen. In dem darin entschiedenen Fall handle es sich um ein Patent und eine Entscheidung, welche mit dem Streitpatent vergleichbar seien.
Dort erforderte die Verbesserung eines Testgeräts für Immunoassays, insbesondere für einen Schwangerschafts- oder Ovulationstest, die gegenständliche Ausgestaltung der Geräte dem Bedürfnis eines unkomplizierten Einsatzes in Laienhand anzupassen. Ineinandergreifend mit dieser konstruktiven Aufgabe musste das mithilfe des Geräts durchzuführende Testverfahren hin zu der angestrebten Ein-Schritt-Analyse weiterentwickelt werden (a. a. O.: Rdn. 33).
Damit ist aber weder die Aufgabe noch die Lösung dieses Immunoassays mit dem vorliegenden streitpatentgemäßen Gegenstand vergleichbar. Denn im vorliegenden Fall ist sowohl die Verwendung eines spezifischen Reagenzstoffes (hier: RuVerbindung als Mediator aus NK4 bzw. NK23) als auch dessen Verwendung in einem fachüblichen Messgerät (NK19 i. V. m. NK20) nahegelegt. Eine vom fachüblichen abweichende konstruktive Weiterentwicklung des Messgerätes oder die Verwendung eines nicht naheliegenden Reagenzstoffes ist streitpatentgemäß nicht gegeben.
Anders als die Klägerin meint, handelt es sich nämlich bei dem streitpatentgemäßen Auflösen des Enzyms und des Mediators in einem Flüssigphasenraktionssystem, dem beanspruchten Zeitregime, der Messung des Diffusionsstroms und dem schnell erhaltenen Messergebnis nicht um ein Zusammenwirken von Merkmalen, welche einen gegenüber den Stand der Technik unerwarteten, synergistischen Effekt bewirken. Ein solcher Effekt ist im Streitpatent weder geltend gemacht noch daraus ersichtlich. Vielmehr handelt es sich dabei – wie gezeigt – um Maßnahmen, welche ausgehend vom Stand der Technik nahegelegen haben und fachüblichen Handlungsweisen entsprechen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich der Nebenintervention ergibt sich die Kostenfolge aus § 101 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
V.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
Schramm Dr. Egerer Dr. Wismeth Dr. Freudenreich Seyfarth Pr