VIa ZR 516/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 516/23 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:180225UVIAZR516.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen und die Richter Messing, Dr. Katzenstein und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. März 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 50.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb im März 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer "von der Beklagten noch darzulegenden" Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiteren Schadens (Berufungsantrag zu 2), die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 weiter, soweit er sein Klagebegehren auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe:
Die mit Blick auf die Rechtfertigung des Klageziels aus Delikt uneingeschränkt zugelassene (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden.
Ein möglicherweise in Betracht kommender Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide jedenfalls deshalb aus, weil sich das Berufungsgericht nicht davon habe überzeugen können, dass die Beklagte schuldhaft, insbesondere fahrlässig, gehandelt habe. Hinsichtlich des von dem Kläger gerügten Thermofensters beruhe dies darauf, dass das KraftfahrtBundesamt (KBA), hätte die Beklagte seinerzeit zur Erlangung der Typgenehmigung diesem die Existenz eines Thermofensters mitgeteilt, die Funktion nicht als unzulässig beurteilt hätte, nachdem das KBA für solche Beanstandungen trotz vollständiger Kenntnis "im Detail" seit Jahren keinen Anlass sehe. Im Ergebnis nichts Anderes gelte hinsichtlich der von dem Kläger ebenfalls gerügten Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), nachdem diese Funktion vom KBA in vielen Fällen - auch bei dem hier gegebenen Motortyp - nicht beanstandet worden sei, wobei es entscheidend auf die Grenzwertkausalität abgestellt habe. Vor diesem Hintergrund könne die Implementierung dieser Funktion auch insoweit nicht als rechtlich unvertretbar und damit als fahrlässig bewertet werden, wie sie Fahrzeuge betreffe, die wie dasjenige des Klägers einem wenn auch noch nicht bestandskräftigen Rückruf unterlagen. Denn für die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs des Klägers nicht erkennbar gewesen, bei welchen Fahrzeugen die KSR grenzwertkausal gewesen sei und bei welchen nicht. Dass es sich bei der KSR um eine unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt habe, sei jedenfalls im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs des Klägers für die Beklagte nicht offenkundig gewesen, womit auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf gegen sie nicht erhoben werden könne.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Nicht frei von Rechtsfehlern sind allerdings die Erwägungen des Berufungsgerichts zu einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Dem Kläger kann jedoch - was das Berufungsgericht auch erwogen hat - nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
b) Einen Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV durfte das Berufungsgericht nicht gestützt auf die von ihm zum Verschulden angestellten Erwägungen verneinen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. Januar 2024 - VIa ZR 1284/22, juris Rn. 15 ff.; Urteil vom 30. Januar 2024 - VIa ZR 1291/22, juris Rn. 13 ff.; Urteil vom 20. Februar 2024 - VIa ZR 1283/22, juris Rn. 16 ff.; Urteil vom 16. April 2024 - VIa ZR 1080/22, juris Rn. 12).
aa) Der Senat hat nach Erlass des angegriffenen Urteils entschieden, dass ein Verschulden des Fahrzeugherstellers vermutet wird (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.). Der Fahrzeughersteller kann sich zwar durch einen von ihm darzulegenden und zu beweisenden unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63). Das setzt indessen zunächst die Darlegung und - erforderlichenfalls - den Nachweis eines entsprechenden Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus (BGH, Urteil vom 23. Januar 2024 - VIa ZR 1284/22, juris Rn. 16). Der Fahrzeughersteller muss dabei darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (BGH, Urteil vom 6. November 2018 - II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 15 ff.; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 14). Der Irrtum muss außerdem die Rechtmäßigkeit der konkreten, in Rede stehenden Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten betreffen. Nur in Bezug auf einen in diesen Einzelheiten konkret festgestellten Irrtum der maßgebenden Personen kann - zur maßgeblichen Zeit (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 61 f.; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 340/22, WM 2024, 225 Rn. 12; Urteil vom 20. Februar 2024 - VI ZR 589/20, WM 2024, 766 Rn. 13) - der Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit sachgerecht geprüft und die Unvermeidbarkeit festgestellt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Februar 2024 - VIa ZR 1283/22, juris Rn. 17). Die strengen Maßstäbe dafür hat der Senat in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2023 ebenfalls ausgeführt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63 bis 70). Danach setzt eine Entlastung aufgrund einer hypothetischen Genehmigung durch die für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Haben mehrere Abschalteinrichtungen Verwendung gefunden, muss der Tatrichter die Einzelheiten der konkret verwendeten Kombination für die Frage einer hypothetischen Genehmigung in den Blick nehmen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 66). Beruft sich der Fahrzeughersteller hingegen weder auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung der zuständigen Behörde noch auf einen externen qualifizierten Rechtsrat, sondern auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung eine nicht im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Ebenso scheitert eine Entlastung, wenn sich der Hersteller mit Rücksicht auf eine nicht in seinem Sinn geklärte Rechtslage erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 69; Urteil vom 23. Januar 2024 - VIa ZR 1284/22, juris Rn. 16).
bb) Diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht, das seine Entscheidung vor dem Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 (BGHZ 237, 245) gefällt hat, nicht gerecht geworden. Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann nicht unter Hinweis auf die Bewertung eines Thermofensters oder einer anderen Abschalteinrichtung durch das KBA ohne weiteres verneint werden. Bezüglich des Vorliegens des Verschuldens greift - was das Berufungsgericht nicht in gebotener Weise berücksichtigt hat - vielmehr zunächst eine Vermutung zulasten des Fahrzeugherstellers ein, dem seine Entlastung obliegt.
Die hypothetische Bewertung einer Abschalteinrichtung durch das KBA ist in diesem Zusammenhang nur für die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums des beklagten Fahrzeugherstellers bedeutsam. Der Fahrzeughersteller, der sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum beruft, muss aber zunächst seinen Rechtsirrtum darlegen und beweisen. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines solchen Rechtsirrtums bei der Beklagten allenfalls in Bezug auf die KSR unterstellt, indessen keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, sämtliche Repräsentanten der Beklagten hätten sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einem Rechtsirrtum befunden. Erst im Anschluss an die Darlegung und den Nachweis dieser Umstände Bedeutung gewinnen, ob eine festgestellte Abschalteinrichtung in all ihren für die Bewertung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten von der damit befassten nationalen Behörde genehmigt worden wäre. Dazu fehlen genügende und rechtsfehlerfreie Feststellungen. Für den Fall eines das Fahrzeug des Klägers betreffenden, von dem KBA veranlassten Rückrufs läge dies jedenfalls hinsichtlich der davon betroffenen Funktion auch fern.
Soweit das Berufungsgericht bezogen auf die KSR schließlich darauf abstellt, für die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs deren Einstufung als unzulässige Abschalteinrichtung nicht erkennbar gewesen, hätte das Berufungsgericht berücksichtigen müssen, dass die Bedeutung der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht höchstrichterlich und insbesondere nicht durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt war (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 15 am Ende). Dieser Umstand kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das im Übrigen selbst von einer "unsicheren Rechtslage" ausgeht - einer Entlastung der Beklagten gerade entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 69 f.), zumal diese selbst nicht vorgetragen hat, Rechtsrat eingeholt zu haben. Ohnehin kann aus dem Umstand, dass für die Beklagte die Einstufung der KSR als unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenkundig gewesen sein mag, nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf gegen sie nicht erhoben werden könne.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Katzenstein Brenneisen Messing F. Schmidt Vorinstanzen: LG Mainz, Entscheidung vom 21.07.2022 - 6 O 95/20 OLG Koblenz, Entscheidung vom 30.03.2023 - 2 U 1371/22 - Verkündet am: 18. Februar 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle