VIa ZR 400/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 400/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:180924UVIAZR400.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 5. September 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, den Richter Liepin, die Richterin Dr. VogtBeheim und den Richter Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Februar 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 50.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der vorsteuerabzugsberechtigte Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2018 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW T6 Multivan Trendline 2.0 TDI (Baujahr 2017), der mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Erstattung des Nettokaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Freistellung von möglichen Erstattungsansprüchen hinsichtlich der an den Kläger zurückerstatteten Umsatzsteuer, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Berufung des Klägers sei zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe und auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorlägen. Der Senat habe sich mit dem klägerischen Vorbringen intensiv auseinandergesetzt, sehe aber keinen nicht schon durch den Berufungssenat oder andere Senate des Oberlandesgerichts München gewürdigten Sachvortrag. Es werde deshalb auf die Rechtsprechung des Hauses und insbesondere auf drei näher bezeichnete Verfahren verwiesen, an denen die Prozessbevollmächtigten des Klägers beteiligt gewesen seien. Der Senat mache sich die Erwägungen der dort getroffenen Entscheidungen zu eigen, Wiederholungen seien nicht veranlasst. Die Gegenerklärung, die sich zu den im Hinweis in Bezug genommenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts München nicht verhalte, gebe keinen Anlass zu einer Änderung der Bewertung.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Die vor dem Hintergrund des § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht unbedenkliche Vorgehensweise des Berufungsgerichts, seine Entscheidung unter pauschaler Bezugnahme auf Verfahren bei dem Oberlandesgericht München, an denen der Kläger selbst nicht beteiligt war, zu begründen, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Denn in einer Bezugnahme auf eine nicht zwischen den Parteien ergangene Entscheidung zu Begründungszwecken liegt kein Verstoß gegen § 547 Nr. 6 ZPO, sofern die in Bezug genommene Entscheidung Gegenstand des Berufungsverfahrens war und die Parteien deshalb Gelegenheit hatten, sich damit auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 21/16, juris Rn. 43; Beschluss vom 29. September 2022 - I ZB 15/22, WM 2023, 1300 Rn. 11). Dies ist entgegen der Auffassung der Revision der Fall. Der Kläger hatte wegen der Bezugnahme schon im Hinweis des Berufungsgerichts hinreichend Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung; er hat in der Gegenerklärung keine Einwände gegen die Bezugnahme erhoben. Hinsichtlich der von ihr erhobenen Verfahrensrüge zeigt die Revision eine Entscheidungserheblichkeit im Sinne des § 545 Abs. 1 ZPO nicht auf. Ebenso wenig ist nach dem Revisionsvorbringen ersichtlich, dass das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers nicht umfassend berücksichtigt und geprüft hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2024
- VIa ZR 612/22, juris Rn. 9; Urteil vom 20. Februar 2024 - VIa ZR 593/22, juris Rn. 9).
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zutreffend einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Vogt-Beheim Möhring Liepin Katzenstein Vorinstanzen: LG München I, Entscheidung vom 28.10.2021 - 31 O 141/21 OLG München, Entscheidung vom 22.02.2022 - 28 U 8424/21 - Verkündet am: 18. September 2024 Breit, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle