VIa ZR 842/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 842/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:240724UVIAZR842.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 28. Juni 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2013 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten BMW X3, der mit einem Motor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 39.778,24 € nebst Verzugszinsen aus 9.500 € Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) und zur Zahlung von Deliktszinsen (Berufungsantrag zu II) zu verurteilen. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu III) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz zu I, zu III und zu IV weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs nicht gegen die guten Sitten verstoßen und dem Kläger auch nicht vorsätzlich einen Schaden zugefügt.
Ein Schadensersatzanspruch folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn diese Haftungsvorschriften setzten Vorsatz zumindest im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung voraus, ohne die das Schutzgesetz nicht verletzt sei. Ein solcher Vorsatz könne hier nicht festgestellt werden. Überdies scheitere eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV daran, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liege.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27).
Dem Kläger kann jedoch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
Mit den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen zum fehlenden Vorsatz der Beklagten im Hinblick auf die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung kann ein solcher Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens nicht verneint werden. Da § 37 Abs. 1 EG-FGV den vorsätzlichen und fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV als Ordnungswidrigkeit behandelt, genügt für eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB der fahrlässige Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung im Sinne des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 38).
III.
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Krüger Wille Liepin Vorinstanzen: LG Itzehoe, Entscheidung vom 20.09.2021 - 3 O 226/21 OLG Schleswig, Entscheidung vom 23.05.2022 - 5 U 178/21 - Verkündet am 24. Juli 2024 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle