VIa ZR 242/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 242/21 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR242.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 8. November 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Wille, die Richter Liepin und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. August 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 3 begehrten Freistellung von Zinsen auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q5 3.0 TDI, der mit einem Sechszylinder-Turbodieselmotor der Baureihe EA 897 ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage nebst diverser Hilfsanträge abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er die Hilfsanträge nicht mehr weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat (mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 3 begehrten Freistellung von Zinsen auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten) zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge im Umfang der Zulassung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die zulässige Berufung sei unbegründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückgängigmachung des über das streitgegenständliche Fahrzeug geschlossenen Kaufvertrages. Ein solcher Anspruch folge weder aus § 826 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz. Es könne im Ergebnis dahinstehen, ob das sogenannte Thermofenster - die Abschalteinrichtung greife spätestens bei Temperaturen von unter 7 Grad Celsius ein - eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 darstelle. Denn durch die Entwicklung und den Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems habe die Beklagte den Kläger nicht sittenwidrig vorsätzlich geschädigt.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine Einwendungen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.
BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Liepin Möhring Wille Katzenstein Vorinstanzen: LG Bad Kreuznach, Entscheidung vom 29.12.2020 - 2 O 106/20 OLG Koblenz, Entscheidung vom 27.08.2021 - 8 U 141/21 - Verkündet am: 20. November 2024 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle