IV ZR 164/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 164/23 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:200825UIVZR164.23.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Piontek im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 18. Juli 2025 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juli 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 111.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Parteien streiten über Leistungsansprüche des Klägers aus einer Erwachsenen-Existenzschutzversicherung.
Der Kläger unterhält diese Versicherung bei der Beklagten seit dem 13. Oktober 2011. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Existenzschutzversicherung (im Folgenden: AB ESV 2011) der Beklagten zugrunde. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
"Der Versicherungsumfang Was ist versichert und wann sind die Leistungen fällig?
Wir bieten der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages in der ganzen Welt Versicherungsschutz für die Folgen von schweren Krankheiten und Unfällen. …
1.1 Versichert sind folgende vier Leistungsfälle:
- dauerhafte Invalidität von mindestens 50% infolge eines Unfalles (Ziffer 2)
-… -… - Feststellung einer Pflegestufe gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) (Ziffer 5) …
Leistung einer Rente aus Pflegestufe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB)
Voraussetzung für die Leistung Die versicherte Peron erhält auf Grund eines Unfalles oder wegen einer während der Vertragslaufzeit aufgetretenen oder diagnostizierten Krankheit eine Einstufung der Pflegestufe I, II oder III nach SGB. Für die Leistungsabwicklung sind ausschließlich diese Bewertungsmaßstäbe maßgebend." Die Voraussetzungen der Einstufung in die Pflegestufen I bis III waren bis zum 31. Dezember 2016 in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der damals geltenden Fassung (im Weiteren: SGB XI a.F.) geregelt. Mit dem Inkrafttreten der Pflegereform zum 1. Januar 2017 durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II) vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2424) traten an die Stelle der Pflegestufen I bis III und der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz die gemäß § 15 SGB XI zu ermittelnden Pflegegrade 1 bis 5. Die Beklagte passte ihre Versicherungsbedingungen im Tarif des Klägers nicht an.
Mit Bescheid der zuständigen Landespolizeidirektion vom 22. November 2017 wurde der Kläger mit Ablauf des 30. November 2017 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. In einem Gutachten vom 26. April 2018, das zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers angefertigt wurde, stufte der Gutachter ihn aufgrund der festgestellten Erkrankungen ab November 2017 in den Pflegegrad 2 ein. Am 23. Februar 2018 beantragte der Kläger Leistungen aus der Existenzschutzversicherung. Die Beklagte berief sich auf Leistungsfreiheit wegen behaupteter vorvertraglicher Obliegenheitsverletzung und meinte ferner, ein Versicherungsfall liege nicht vor, weil der Kläger die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nicht erfülle. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Zahlung von 48.000 € nebst Zinsen und für den Zeitraum von Juli 2020 bis zu seinem Tod, längstens bis zum Vertragsende am 13. Oktober 2036, eine Rente in Höhe von monatlich 1.500 € sowie Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten hat das Oberlandesgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens dieses Urteil teilweise abgeändert. Auf die Berufung der Beklagten hat es die Klage insgesamt abgewiesen; die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der Anspruch des Klägers fällig sei und die Beklagte sich auf Leistungsfreiheit wegen vorvertraglicher Obliegenheitsverletzung berufen könne, denn der Kläger habe nicht bewiesen, dass er aufgrund der behaupteten Erkrankungen in die Pflegestufe I einzustufen gewesen wäre. Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass der Kläger nicht in die Pflegestufe I nach dem SGB in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung eingestuft worden sei. Dies sei aufgrund der am 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Änderung des SGB XI auch nicht mehr möglich gewesen, weil die Pflegestufen nicht mehr existierten, sondern nur noch "die Pflegegrade 1 bis 4". Entgegen der Feststellung des Landgerichts seien die zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen hinsichtlich Ziff. 5 weder unklar noch enthielten sie einen dynamischen Verweis auf das SGB XI. Die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung seien ebenfalls nicht gegeben. Das Landgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage hier zu einer Unklarheit der Allgemeinen Versicherungsbedingungen geführt habe. Dies sei nicht der Fall, denn im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses seien diese nicht unklar gewesen; sie hätten sich auf die seinerzeit maßgebliche Rechtslage nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden SGB XI bezogen. Daher habe auch kein Bedarf für eine ergänzende Vertragsauslegung bestanden. Eine Gesetzesänderung lasse grundsätzlich die vertraglichen Vereinbarungen unberührt. Zwar sei zuzugeben, dass eine erleichterte Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch Vorlage des Pflegegutachtens nicht mehr geführt werden könne. Der Leistungsinhalt habe sich insoweit aber nicht verändert, so dass gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - wie geschehen - der Versicherungsfall festgestellt werden könne.
Auch das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage führe nicht zu einer Vertragsanpassung in dem vom Landgericht festgestellten Sinn. Denn der Gesetzgeber habe in § 143 SGB XI eine Sonderregelung getroffen, die zeige, dass ihm die Konsequenzen des Paradigmenwechsels des Pflegebedürftigkeitsbegriffs bekannt gewesen seien und er dies für die Pflegeversicherung dahingehend gelöst habe, dass diese ein Änderungsrecht, mithin keine Änderungspflicht, habe und dies mit dem Recht der Neufestsetzung der Prämie für die Versicherung einhergehe. Zwar handele es sich vorliegend nicht um eine Pflegeversicherung. Der Versicherungsfall knüpfe aber an den Pflegebedürftigkeitsbegriff an und die Beklagte habe von der Änderung ihres Pflegebedürftigkeitsbegriffs in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen keinen Gebrauch gemacht und daher auch nicht die Versicherungsprämie neu festgesetzt.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Leistungen aus der Existenzschutzversicherung nach Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011 nicht verneint werden.
1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil er nicht bewiesen habe, dass er aufgrund der behaupteten Erkrankungen in die Pflegestufe I einzustufen gewesen wäre.
a) Noch zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen des Anspruchs nach dem Wortlaut der zwischen den Parteien vereinbarten Bedingungen infolge des Wegfalls der Pflegestufen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. nicht vorliegen.
b) Zu Unrecht hat es jedoch gemeint, die Versicherungsbedingungen der Beklagten enthielten trotz des Wegfalls der Pflegestufen keine planwidrige Regelungslücke, sondern der Kläger habe nunmehr beweisen müssen, dass er aufgrund der behaupteten Erkrankungen in die Pflegestufe I einzustufen gewesen wäre.
aa) Eine die ergänzende Vertragsauslegung eröffnende Regelungslücke liegt vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 11 m.w.N.). Unerheblich ist, ob die Lücke von Anfang an bestanden oder sich erst nachträglich ergeben hat (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 aaO).
bb) Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht hier eine Regelungslücke nicht verneinen dürfen.
(1) Den Parteien ist der Anknüpfungspunkt für den in Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011 bestimmten Leistungsfall der Pflegerente abhandengekommen. Die Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I bis III nach dem Sozialgesetzbuch kommt ab dem 1. Januar 2017 aufgrund der Änderung des § 15 SGB XI nicht mehr in Betracht, weil die Versicherten in der gesetzlichen Pflegeversicherung seither nicht mehr auf das Vorliegen von Pflegestufen, sondern von Pflegegraden begutachtet werden (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 13).
(2) Die Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Pflegerente regeln deren Leistungsvoraussetzungen bei Fortfall der Pflegestufen aus § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. nicht. Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 i.V.m. Ziff. 5 AB ESV 2011 ist, wie das Berufungsgericht allerdings zutreffend erkannt hat, nicht dahingehend auszulegen, dass die Klausel eine dynamische Verweisung auf den jeweils aktuellen sozialrechtlichen Pflegebedürftigkeitsbegriff enthielte.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 18. Dezember 2024 - IV ZR 151/23, r+s 2025, 210 Rn. 26 m.w.N.; st. Rspr.).
Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut von Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011, dass Leistungsvoraussetzung für die Pflegerente der Beklagten eine Pflegebedürftigkeit ist, die durch Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I, II oder III nach dem Sozialgesetzbuch belegt wird (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 16 m.w.N.). Aus der Überschrift von Ziff. 5 AB ESV 2011, die mit der Formulierung "Leistung einer Rente aus Pflegestufe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB)" den Versicherungsfall nur grob umreißt, schließt er nicht, dass Versicherungsfall jede Pflegebedürftigkeit der versicherten Person ist, sondern er wird vielmehr erkennen, dass der in der Überschrift und in der Klausel Ziff. 5 Satz 1 AB ESV 2011 verwendete Begriff der Pflegebedürftigkeit mit der Anknüpfung an die drei Pflegestufen nach dem Sozialgesetzbuch konkretisiert wird. Etwas anderes wird er auch nicht Ziff. 5 Satz 2 AV ESV 2011 entnehmen, wonach für die Leistungsabwicklung "ausschließlich diese Bewertungsmaßstäbe maßgebend" sind. Dafür, dass damit eine in den Versicherungsbedingungen nicht näher definierte Pflegebedürftigkeit genügen soll, enthält auch diese Formulierung aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers keine Anhaltspunkte.
(3) Die Planwidrigkeit der Regelungslücke hat das Berufungsgericht ebenfalls zu Unrecht verneint. Ohne Ergänzung der Versicherungsbedingungen liefe das im Rahmen der Pflegerente gegebene Leistungsversprechen der Beklagten hier infolge des Wegfalls der sozialrechtlichen Pflegestufen leer (vgl. OLG Stuttgart r+s 2021, 279 Rn. 57; LG Bonn Urteil vom 28. April 2021 - 3 O 134/20, juris Rn. 65). Einer angemessenen und interessengerechten Umsetzung des Versicherungsvertrages steht dies schon deshalb entgegen, weil Leistungspflichten und Ansprüche der Vertragsparteien betroffen sind (vgl. Senatsurteile vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 17; vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 309 [juris Rn. 28]), was das Berufungsgericht verkannt hat.
2. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann die Lücke im Versicherungsvertrag nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahingehend geschlossen werden, dass nunmehr - ohne weiteres - eine Pflegerente bei Einstufung mindestens in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu zahlen ist.
a) Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung ist der hypothetische Parteiwille, so dass darauf abzustellen ist, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (BGH, Urteil vom 27. April 2023 - VII ZR 144/22, VersR 2023, 1248 Rn. 26 m.w.N.). Die ergänzende Auslegung von Versicherungsbedingungen hat nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss; die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein (Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 19 m.w.N.). Sie erfordert hinreichend konkrete Anhaltspunkte und darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstands führen (Senatsurteil vom 30. April 2025 aaO m.w.N.).
b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts folgt aus der Umstellung aber nicht, dass im Fall des Fehlens einer Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III nunmehr eine diesen Pflegestufen entsprechende Pflegebedürftigkeit im Einzelfall stets nachzuweisen ist (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 30; OLG Stuttgart r+s 2021, 279 Rn. 56; LG Bonn, Urteil vom 28. April 2021 - 3 O 134/20, juris Rn. 65; a.A. OLG Schleswig BeckRS 2021, 59005 Rn. 28). Schon dem Klauselwortlaut entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass die Leistungsvoraussetzungen der Pflegerente nicht auf die Pflegebedürftigkeit der versicherten Person, sondern auf deren Einstufung in eine Pflegestufe nach deutschem Sozialgesetzbuch abstellen. Dies wird nochmals verdeutlicht durch die Formulierung in Ziff. 5 Satz 2 AB ESV 2011, wonach für die Leistungsabwicklung ausschließlich "diese Bewertungsmaßstäbe" maßgebend sind. Auch der erkennbare Sinn und Zweck dieser Anknüpfung spricht dagegen, im Einzelfall den Nachweis der Pflegebedürftigkeit zu verlangen. Die Anknüpfung soll eine zusätzliche Begutachtung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der versicherten Person im Rahmen der Leistungsprüfung entbehrlich machen. In der Pflegerente knüpft das Leistungsversprechen nicht unmittelbar an den körperlichen oder geistigen Zustand der versicherten Person, sondern allein an dessen sozialrechtliche Einordnung an. Dem entspricht es, dass Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011 im Zusammenhang mit den Leistungsvoraussetzungen der Pflegerente über den Verweis auf die sozialrechtlichen Pflegestufen hinaus keine Beurteilungskriterien für eine bedingungsgemäße Pflegebedürftigkeit enthalten. Diese Anknüpfung der Leistungspflicht führt dem Versicherungsnehmer vor Augen, dass als Nachweis seiner Beeinträchtigung die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. durch den Medizinischen Dienst oder einen anderen unabhängigen Gutachter maßgebend, aber auch ausreichend sein soll. Die Beklagte hat sich erkennbar an die Einstufung im sozialrechtlichen Verfahren binden wollen. Eine Überprüfung dieser Begutachtung eröffnen ihr die Versicherungsbedingungen nicht. In diesem Verzicht erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer einen angemessenen Interessenausgleich. Während die versicherte Person davon profitiert, sich im Rahmen der Leistungsprüfung keiner zusätzlichen, oftmals belastenden Begutachtung unterziehen zu müssen, macht sich die Beklagte den Sachverstand des Medizinischen Dienstes oder eines vergleichbaren unabhängigen Gutachters zunutze und erspart die mit einer erneuten Begutachtung verbundenen Aufwendungen (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 30).
c) Nicht auszuschließen ist allerdings, dass es mit Zuerkennung einer Pflegerente bei Einstufung der versicherten Person in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstands kommt. Das Berufungsgericht erkennt insoweit zutreffend, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz in § 14 SGB XI eine deutliche Erweiterung erfahren hat, so dass die Beklagte unter Umständen bei Anknüpfung ihrer Leistungspflicht an die Einstufung in den Pflegegrad 2 in erheblichem Umfang Pflegerenten an solche versicherten Personen zu zahlen hätte, die nicht in eine der Pflegestufen I bis III nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. eingestuft worden wären. Durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz sind nicht nur der Begriff der Pflegebedürftigkeit, sondern auch seine Definition in den §§ 14, 15 SGB XI gegenüber dem zuvor geltenden Recht deutlich erweitert worden (BT-Drucks. 18/5926, S. 109). Die nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 SGB XI bei der Begutachtung maßgeblichen kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten und die gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 SGB XI zu berücksichtigenden Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen erfassen auch solche Kriterien, die nach der bis Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht für die Einstufung in eine Pflegestufe, sondern im Rahmen der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. von Bedeutung gewesen sind (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 110 f.). Diese Kriterien können zu einer Einstufung in den Pflegegrad 2 oder höher führen, obwohl sie keine Bedeutung für die Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III gehabt hätten (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 21 f.). Eine Anpassung des Leistungsversprechens auf eine Pflegerente ab einer Einstufung in den Pflegegrad 2 könnte daher eine entsprechende versicherungsmathematische Kalkula- tion voraussetzen. Die im Pflegegrad 2 beschriebenen Risiken sind möglicherweise in ihren versicherungsmathematischen Auswirkungen nicht mit denjenigen vergleichbar, die in Pflegestufe I beschrieben werden und erforderten unter Umständen höhere Rückstellungen für zu erwartende Leistungsansprüche (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 aaO Rn. 24), was die Beklagte im Einzelnen darzulegen und zu beweisen hätte.
Zwar ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei Fehlen einer Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III nicht stets eine diesen Pflegestufen entsprechende Pflegebedürftigkeit durch den Versicherungsnehmer nachzuweisen. Ergibt die vorzunehmende Aufklärung des Sachverhalts aber, dass die Anknüpfung des Versicherungsfalls an die Einstufung in einen Pflegegrad nach dem deutschen Sozialgesetzbuch eine Prämienanpassung zulässt, kann das Interesse des Versicherungsnehmers, im Rahmen der Leistungsprüfung von einer Begutachtung verschont zu bleiben, in einem solchen Fall hinter sein Interesse an einer Vermeidung steigender Prämien zurücktreten (Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 31). Das wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch zu prüfen haben.
III. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Sinne von § 561 ZPO als richtig dar. Insbesondere lässt sich aufgrund fehlender vom Berufungsgericht getroffener Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob gegebenenfalls ein Anspruch der Beklagten auf Anpassung der Versicherungsbedingungen ihres Tarifs unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.
Die Grenzen zwischen ergänzender Vertragsauslegung und Vertragsanpassung nach den Regeln des Fehlens oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind fließend. Ist für eine ergänzende Vertragsauslegung kein Raum, weil sie das Vertragsverhältnis derart umgestaltet, dass eine Herleitung aus dem Vertragswillen ausscheidet, bleibt gleichwohl der Anwendungsbereich für eine Vertragsanpassung wegen gestörter Geschäftsgrundlage eröffnet (Senatsurteil vom 26. April 2017 - IV ZR 126/16, VersR 2017, 741 Rn. 17; BGH, Urteile vom 27. April 2023 - VII ZR 144/22, VersR 2023, 1248 Rn. 22; vom 28. Mai 2013 - II ZR 67/12, BGHZ 197, 284 Rn. 26 f.). Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtigt allerdings noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr muss gemäß § 313 Abs. 1 BGB als weitere Voraussetzung hinzukommen, dass dem Vertragsteil, der die Anpassung verlangt, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände festgestellt werden (vgl. Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 26 m.w.N.).
Dem Willen des Gesetzgebers widerspricht eine Vertragsanpassung allerdings nicht. Allein aus der Beschränkung der Anpassungsmöglichkeiten in § 143 Abs. 1 und 2 SGB XI bei nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Pflegeversicherungen, bei denen das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen ist, folgt für Versicherungsbedingungen in anderen Versicherungsverträgen, die auf die Pflegestufen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zurückgreifen, kein Anpassungsverbot (Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 27).
Nach den bisher getroffenen Feststellungen lässt sich wiederum nicht beurteilen, ob im Rahmen der Abwägung durchgreifende Interessen der Beklagten betroffen sind und inwieweit ihr grundrechtlicher Schutz mit Blick auf ihre Vertragsfreiheit als Unternehmerin aus Art. 12 Abs. 1 GG (Senatsurteil vom 30. April 2025 - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 28 m.w.N.) bei Anpassung eines zivilrechtlichen Versicherungsvertrags im Wege mittelbarer Drittwirkung zugutekommt. Die Störung der Geschäftsgrundlage führt nach § 313 Abs. 1 BGB dazu, dass der Vertrag unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen an die veränderten Verhältnisse anzupassen ist (Senatsurteil vom 30. April 2025 aaO m.w.N.). Dementsprechend ist auch insoweit gegebenenfalls zu prüfen, inwieweit sich eine mögliche Erstreckung der Pflegerente auf versicherte Personen, denen mindestens ein Pflegegrad 2 zuerkannt worden ist, auf die Tarifkalkulation der Beklagten auswirkt. Ein wesentlich erhöhtes Risiko, das die Grundlagen der Prämienkalkulation beeinflusst und die Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehen konnte, muss sie nicht kostenfrei tragen (Senatsurteil vom 30. April 2025 aaO m.w.N.).
IV. Das angefochtene Urteil ist damit aufzuheben. Die Sache ist, weil sie nicht entscheidungsreif ist, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das - gegebenenfalls nach ergänzendem Parteivortrag - auf der Grundlage der vorangegangenen Ausführungen sowie der bisher offengelassenen Fragen zur Fälligkeit und zu möglichen Obliegenheitsverletzungen des Klägers erneut über den geltend gemachten Anspruch zu befinden haben wird.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Piontek Vorinstanzen: LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 08.01.2021 - 2-23 O 177/20 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 05.07.2023 - 3 U 26/21 - IV ZR 164/23 Verkündet am: 20. August 2025 Schick, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle