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6 StR 16/23

BGHSt

: ja BGHR

: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung : ja StGB § 235 Abs. 1 Die Tatvarianten des § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB stehen bei Identität des betroffenen Kindes in Tateinheit zueinander.

BGH, Beschluss vom 21. Februar 2023

– 6 StR 16/23 LG Saarbrücken –

ECLI:DE:BGH:2023:210223B6STR16.23.0 BUNDESGERICHTSHOF StR 16/23 BESCHLUSS vom 21. Februar 2023 in der Strafsache gegen wegen Entziehung Minderjähriger ECLI:DE:BGH:2023:210223B6STR16.23.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2023 beschlossen:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19. August 2022 wird als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „Entziehung eines Minderjährigen“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den Feststellungen begab sich die Angeklagte am 23. Februar 2022 in das Universitätsklinikum und betrat das Wöchnerinnenzimmer der Zeuginnen N. und R. . Dort erklärte sie der Zeugin R. wahrheitswidrig, dass es auf der Station zu einer Coronainfektion gekommen sei und sie deren zwei Tage alten Sohn zur Durchführung eines Abstrichs mitnehmen müsse. Die Zeugin, die aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes der blaue Krankenhauskleidung tragenden Angeklagten davon ausging, dass diese dem Klinikpersonal angehöre, willigte schließlich hierin ein. Die Angeklagte nahm daraufhin den ihr unbekannten Säugling an sich und verbrachte ihn in ihre Wohnung, wo sie ihn dauerhaft als ihr eigenes Kind ausgeben wollte. Dort wurde er jedoch am Folgetag unbeschadet aufgefunden und zurück in das Klinikum gebracht.

II.

Der Schuld- und der Strafausspruch halten revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die von der Angeklagten verwirklichten Tatbestandsvarianten des § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB in Tateinheit zueinander stehen.

1. Das konkurrenzrechtliche Verhältnis dieser beiden Varianten ist umstritten. Während in der Kommentarliteratur teilweise angenommen wird, dass diese auch bei Identität des betroffenen Minderjährigen in Tateinheit stehen (vgl. LK-StGB/Krehl, 12. Aufl., § 235 Rn. 132), soll nach einer anderen Ansicht in dieser Fallkonstellation Nr. 2 von Nr. 1 verdrängt werden (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 235 Rn. 22; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 235 Rn. 26). Der Bundesgerichtshof hat, soweit ersichtlich, diese Frage bislang nicht entschieden.

2. Werden – wie hier – durch dieselbe Handlung mehrere Straftatbestände erfüllt, so ist grundsätzlich von Tateinheit auszugehen. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise im Falle der Gesetzeseinheit, die verhindern soll, dass ein im Kern identisches Unrecht doppelt erfasst wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2018 – 2 StR 481/17, BGHSt 63, 253, 258; vom 21. August 2019 – 3 StR 7/19, NStZ-RR 2020, 176, 177; vom 25. Oktober 2022 – 4 StR 265/22; allgemein zur Gesetzeseinheit LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl., vor § 52 Rn. 144 ff.). Gesetzeseinheit kommt in der vorliegenden Konstellation einzig in der Erscheinungsform der Konsumtion in Betracht. Diese setzt voraus, dass der Unrechtsgehalt der strafbaren Handlung bei einer wertenden Betrachtung bereits durch einen der anwendbaren Tatbestände erschöpfend erfasst wird. Die Verletzung des einen Tatbestandes muss also regelmäßige oder typische Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestandes sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2022 – 3 StR 249/22 Rn. 14; Beschlüsse vom 27. November 2018 – 2 StR 481/17, aaO, 258 f.; vom 21. August 2019 – 3 StR 7/19, aaO; vgl. zur Konsumtion MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, vor § 52 Rn. 49 ff. jeweils mwN).

3. Ausgehend von diesen Maßstäben wird die Annahme einer Konsumtion dem Verhältnis der Tatvarianten des § 235 Abs. 1 StGB zueinander nicht gerecht.

Die zuvörderst die elterliche oder sonstige familienrechtliche Sorge schützende Vorschrift des § 235 StGB wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) mit dem Ziel novelliert, Nachweisprobleme zu beseitigen und Strafbarkeitslücken zu schließen, die sich nach Ansicht des Gesetzgebers unter anderem im Zusammenhang mit der heimlichen „Wegnahme“ von Kleinstkindern sowie der Verbringung von Kindern in das Ausland ergeben hatten (BT-Drucks. 13/8587 S. 23). Die Neuregelung verzichtet deswegen in Fällen, in denen der Täter ein Kind entzieht oder vorenthält, ohne dessen Angehöriger zu sein (Abs. 1 Nr. 2), auf die bisher den Tatbestand einschränkenden Tatmittel der List, Drohung und Gewalt. Gleiches gilt für die ein Kind betreffenden Fälle mit Auslandsbezug (Abs. 2).

Mit der Neuregelung hat der Gesetzgeber im Hinblick auf den Täterkreis, den geschützten Personenkreis und die besonderen Tatmodalitäten bewusste Differenzierungen vorgenommen. Diese finden ihren Grund und ihre Rechtfertigung in der besonderen Schutzbedürftigkeit von Säuglingen und Kleinkindern (vgl. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 235 Rn. 4) und der im Ausland ungleich schwereren Durchsetzbarkeit deutscher Entscheidungen über die Personensorge (vgl. NK-StGB/Sonnen, 5. Aufl., § 235 Rn. 19; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 235 Rn. 15).

Zwar mögen sich die beiden Varianten des Abs. 1 nicht selten überschneiden, die Variante des § 235 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist aber keineswegs regelmäßig oder typisch (mit)erfüllt, wenn die Entziehung unter Einsatz eines der in Abs. 1 Nr. 1 genannten Tatmittel erfolgt. Zudem wohnt der Entziehung eines Kindes durch einen womöglich vollkommen fremden Nichtangehörigen ein weiteres Unrecht inne, das auch mit einer größeren Gefahr für das entzogene Kind verbunden sein kann. Deshalb stellt die Tatvariante des Abs. 1 Nr. 2 StGB auch bei wertender Betrachtung nicht lediglich eine Auffangnorm dar. Vielmehr kommt ihr ein den in Abs. 2 normierten Fällen vergleichbares spezifisches Tatunrecht zu.

Sander Feilcke Tiemann Fritsche von Schmettau Vorinstanz: Landgericht Saarbrücken, 19.08.2022 - 3 KLs 17/22

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