5 StR 250/25
Nachschlagewerk: ja BGHSt
: ja Veröffentlichung : ja JNEU
: nein StPO § 32b Abs. 1 Eine als elektronisches Dokument übermittelte Anklageschrift muss nicht nach § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein.
BGH, Beschluss vom 24. September 2025
– 5 StR 250/25 LG Zwickau –
ECLI:DE:BGH:2025:240925B5STR250.25.0 BUNDESGERICHTSHOF StR 250/25 BESCHLUSS vom 24. September 2025 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. September 2025 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 25. Februar 2025 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen vom Angeklagten mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere liegt ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis nicht vor. Die Anklage ist wirksam erhoben.
1. Die dem Landgericht als elektronisches Dokument übermittelte Anklageschrift, die von dem sie verantwortenden Staatsanwalt durch Hinzufügung seines Namens einfach elektronisch signiert wurde, genügt der Form des § 32b Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Vorschrift gilt für als elektronische Dokumente erstellte Anklageschriften. Einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO bedarf es nicht. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 32b Abs. 1 StPO und aus Sinn und Zweck der Regelung; die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützt dieses Ergebnis.
a) Nach dem Wortlaut des mit Wirkung zum 1. Juli 2021 neu gefassten § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO bedürfen zu unterschreibende oder zu unterzeichnende elektronisch erstellte Dokumente einer qualifizierten elektronischen Signatur. Solche Unterschriftserfordernisse sieht die Strafprozessordnung allerdings nur für Urteile (§ 275 Abs. 2 StPO) und für gerichtliche Protokolle (§ 168 Satz 4 und § 271 Abs. 1 StPO) vor. Die Vorschriften der § 199 Abs. 2, § 200 StPO, in denen die gesetzlichen Anforderungen für die Erhebung der Anklage und die Abfassung von Anklageschriften normiert sind, enthalten eine dahingehende Regelung nicht.
b) Auch aus dem Gesetzeszweck folgt, dass eine elektronisch erstellte und entsprechend übermittelte Anklageschrift lediglich mit einer einfachen elektronischen Signatur im Sinne des § 32b Abs. 1 Satz 1 StPO versehen sein muss.
Sinn und Zweck des § 32b Abs. 1 StPO ist es, die Authentizität und Integrität der von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten selbst erstellten Dokumente in ausreichender Weise sicherzustellen (BT-Drucks. 18/9416, S. 48). Gleichzeitig soll das Strafverfahren weiter an die sich ständig wandelnden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen angepasst und dafür Sorge getragen werden, dass die Strafrechtspflege ihre wesentlichen verfassungsrechtlichen Aufgaben erfüllen kann (BT-Drucks. 19/27654, S. 1). Wie der Gesetzgeber aufgezeigt hat, sollen die im Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 StPO geltenden Formerfordernisse an die mit der fortschreitenden Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs verbundenen technischen Möglichkeiten angepasst werden. Daher sind die für die Papieraktenführung entwickelten Grundsätze zu nicht unterschriebenen Anklageschriften – soweit darin eine Unterschrift als grundsätzliches Formerfordernis angesprochen wird (vgl. hierzu RG, Urteil vom 18. Februar 1905 – 5620/04, RGSt 37, 407, 408; LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 200 Rn. 78 und 96; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 200 Rn. 38; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 200 Rn. 124; im Ergebnis offen gelassen von BGH, Beschlüsse vom 27. April 2020 – 5 StR 117/20; vom 5. Dezember 2017 – 4 StR 323/17, NStZ 2018, 538 jeweils mwN; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. August 1993 – 1 Ws 676/93, MDR 1994, 85; vgl. auch Kulhanek, NJW 2025, 2515, 2516 und LG Würzburg, Beschluss vom 24. April 2025 – 6 Qs 67/25 Rn. 25 ff.) – nur eingeschränkt übertragbar (OLG Dresden, Beschluss vom 9. April 2025 – 6 Ws 8/25, NJ 2025, 362, 365 f.; LG Würzburg aaO Rn. 32).
Der Grad der Formstrenge ist danach zu bemessen, was nach den maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1963 – 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, 288, 292; BGH, Beschluss vom 30. April 1979 – GmS-OBG 1/78, BGHZ 75, 340, 348). Hinsichtlich der Gewährleistung der Integrität und Authentizität von Dokumenten ist der Gesetzgeber zuletzt davon ausgegangen, dass diese bei elektronischer Aktenführung auf anderem Wege und häufig zuverlässiger sichergestellt werden kann als durch das Pendant zur eigenhändigen Unterschrift, weil die nachträgliche Veränderung von Dokumenten bei elektronischer Datenverarbeitung – auch ohne eine qualifizierte elektronische Signatur – bereits anhand der Metadaten überprüft werden kann (BT-Drucks. 19/27654, S. 55).
Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, an die in § 32b Abs. 1 StPO geregelte justizinterne Kommunikation der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte untereinander höhere Anforderungen zu stellen als an die Kommunikation von justizfremden Verfahrensbeteiligten oder Dritten mit diesen Einrichtungen. Diesen Personen lässt die Vorschrift des § 32a Abs. 3 StPO – die in Anlehnung an § 130a Abs. 3 ZPO für den Zivilprozess geschaffen (BT-Drucks. 18/9416, S. 45) und vom Gesetzgeber explizit unverändert gelassen wurde (BT-Drucks. 19/27654, S. 56) – bei Einreichung von elektronischen Dokumenten an Strafverfolgungsbehörden und Gerichte die Wahl, ob das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen oder von ihr (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 StPO eingereicht wird.
Da Strafverfolgungsbehörden und Gerichte über sichere Übermittlungswege kommunizieren (vgl. § 32 Abs. 3 StPO iVm § 4 StrAktÜbV für die Übermittlung elektronisch geführter Strafverfahrensakten; § 32d Abs. 5 StPO iVm § 5 DokErstÜbV für die Erstellung und Übermittlung elektronischer Dokumente; BT-Drucks. 19/27654, S. 56) und die tatsächliche Einhaltung der Authentizität der Dokumente innerhalb der Staatsanwaltschaften durch behördenintern geregelte Verfahrensabläufe sichergestellt wird (vgl. hierzu OLG Dresden, Beschluss vom 9. April 2025 – 6 Ws 8/25, NJ 2025, 362, 365; LG Würzburg, Beschluss vom 24. April 2025 – 6 Qs 67/25 Rn. 28; BayObLG, Beschluss vom 1. Juli 2025 – 202 StRR 39/25, NJW 2025, 2570), bedarf es einer über die gesetzliche Regelung des § 32b Abs. 1 Satz 1 StPO hinausgehenden qualifizierten elektronischen Signatur nach § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO nicht. Zudem ist die Herkunft eines elektronisch auf einem sicheren Übermittlungsweg übersandten Dokuments in der Regel besser nachvollziehbar, als wenn es auf dem Postweg übersandt wird (BT-Drucks. 19/27654, S. 55).
c) Die Entstehungsgeschichte der aktuellen Fassung der Vorschrift stützt dieses Ergebnis.
Bei Einführung der ursprünglichen Fassung des § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO durch das „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs“ vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2209) wurden „schriftlich abzufassende“ Dokumente den zu unterschreibenden oder zu unterzeichnenden Dokumenten zunächst gleichgestellt und bewusst keine schriftformersetzenden Varianten vorgesehen (BT-Drucks. 18/9416, S. 48). Mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2100) wurde die Fallgruppe der „schriftlich abzufassenden“ Dokumente aus § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO hingegen gestrichen, so dass diese Schriftstücke als sonstige elektronisch erstellte Dokumente im Sinne des Satzes 1 nur einer einfachen elektronischen Signatur bedürfen. Die Änderung ging auf einen Entwurf der Bundesregierung zurück, der für die umfangreichen Reformwerke der vergangenen Jahre unter anderem im Bereich der Vorschriften zur Einführung der elektronischen Akte punktuellen Nachsteuerungsbedarf ausgemacht hatte (BTDrucks. 19/27654, S. 1 f.).
Hintergrund der vorgeschlagenen und im weiteren Gesetzgebungsprozess umgesetzten Streichung war, dass die gegenüber der Papieraktenführung eingeführte Ausweitung des Formzwanges als zu weitgehend erachtet wurde. Während der Normgeber bei Einführung der Vorschrift noch die einheitliche, leichte und rasche Überprüfbarkeit der Authentizität und Integrität des elektronischen Dokuments im Fokus hatte (BT-Drucks. 18/9416, S. 48), stellte die Gesetzesbegründung des Änderungsentwurfs auf die ständige Rechtsprechung ab, nach der es zur Wahrung der Schriftform ausreicht, wenn dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Eine eigenhändige Unterschrift fordere diese Rechtsprechung nicht (BT-Drucks. 19/27654, S. 55 u.a. unter Verweis auf Urteile des BGH vom 18. Oktober 1951 – 3 StR 513/51, BGHSt 2, 77, 78 zur Schriftform bei Revisionseinlegung und -rechtfertigung der Staatsanwaltschaft und vom 7. Januar 1959 – 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317 zur Schriftform der Revision eines Verteidigers; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1963 – 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, 288, 291 mwN). Diese Ausführungen verdeutlichen den Willen des Gesetzgebers, von der Vereinheitlichung der Formvorschriften unter dem formstrengeren § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO wieder abzurücken und die einfache elektronische Signatur nach Satz 1 zum Regelfall zu machen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 9. April 2025 – 6 Ws 8/25, NJ 2025, 362, 364).
Darüber hinaus wurde die Streichung auch mit Blick auf das Bußgeldverfahren, bei dem die Vorschrift des § 32b Abs. 1 StPO über § 110c Satz 1 OWiG entsprechende Anwendung findet, für erforderlich gehalten, weil dort eine Vielzahl von Dokumenten schriftlich abzufassen, jedoch nicht zu unterschreiben oder zu unterzeichnen ist (BT-Drucks. 19/27654, S. 55). Für Anklageschriften wies die Gesetzesbegründung explizit darauf hin, dass diese weder nach der Strafprozessordnung noch nach der Rechtsprechung unterschrieben werden müssen, solange sie dem Gericht nachweislich willentlich durch den Berechtigten zugeleitet werden (BT-Drucks. 19/27654, S. 56).
Dass die Streichung der Fallgruppe der „schriftlich abzufassenden“ Dokumente aus § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO in der Praxis Fragen aufwerfen würde, war dem Normgeber dabei bewusst. Unter Verweis auf den Umstand, dass im Rahmen der Papieraktenführung (noch) zahlreiche Schriftstücke unterschrieben werden, ohne dass dies gesetzlich vorgeschrieben wäre, sollte der Praxis überlassen bleiben, bei welchen Dokumenten eine qualifizierte elektronische Signatur als Pendant der eigenhändigen Unterschrift geboten sein könne. Dabei sei sowohl denkbar, der bisherigen Praxis entsprechend alles, was derzeit unterschrieben werde, auch qualifiziert elektronisch zu signieren, als auch neue, gegebenenfalls stark reduzierte Festlegungen zu treffen (BT-Drucks. 19/27654, S. 56). Im Ergebnis hat sich der Gesetzgeber damit bewusst gegen die Normierung eines qualifizierten Signaturerfordernisses für Anklageschriften entschieden.
2. Sollten sich im Einzelfall ausnahmsweise nach Art und Fassung der Anklageschrift oder aus sonstigen konkret fassbaren Gründen Zweifel an der Urheberschaft oder Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Entwurfs ergeben, kann dies – entsprechend der zur Papieraktenführung entwickelten Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1951 – 3 StR 513/51; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. August 1993 – 1 Ws 676/93, MDR 1994, 85) – freibeweislich geklärt werden (LG Würzburg, Beschluss vom 24. April 2025 – 6 Qs 67/25 Rn. 31; vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 9. April 2025 – 6 Ws 8/25, NJ 2025, 362, 366; für § 130a ZPO: BGH, Beschluss vom 6. April 2023 – 1 ZB 84/22, NJW-RR 2023, 906, 909).
Gericke Mosbacher Köhler Resch von Häfen Vorinstanz: Landgericht Zwickau, 25.02.2025 - E 2 KLs 560 Js 14093/24