6 StR 210/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 210/24 URTEIL vom 27. November 2024 in der Strafsache gegen wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:271124U6STR210.24.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 12. November 2024 in der Sitzung am 27. November 2024, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Feilcke, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Richterin am Bundesgerichtshof von Schmettau, Richter am Bundesgerichtshof Arnoldi als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin N. Rechtsanwalt H.
als Verteidiger,
– in der Verhandlung – und – in der Verhandlung –
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 10. November 2023 a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in zwölf Fällen und des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges schuldig ist, b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin ergänzt, dass der Angeklagte in Höhe eines Betrages von 102.611 Euro als Gesamtschuldner haftet.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. 3. Die Kosten der Rechtsmittel hat der Angeklagte zu tragen.
– Von Rechts wegen –
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in zwölf Fällen und wegen Beihilfe zum versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, der zudem das Verfahren beanstandet. Das zuungunsten des Angeklagten eingelegte, vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat im Wesentlichen Erfolg und führt zugleich – insoweit allein zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) – zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Ergänzung der Einziehungsentscheidung. In diesem Umfang hat auch die Revision des Angeklagten Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
Nach den beweiswürdigend tragfähig belegten Feststellungen des Landgerichts gehörte der Angeklagte einer Gruppe von Personen an, die über Internetplattformen, insbesondere Partnerschaftsportale, anderen Personen unter Vorgabe falscher Identitäten Liebesbeziehungen vortäuschten und sie schließlich unter Vorspiegelung unwahrer Sachverhalte zu Geldzahlungen veranlassten. Die Opfer gingen täuschungsbedingt davon aus, dass es sich um Darlehen handele, die ihnen alsbald zurückgezahlt würden, und überwiesen die Beträge auf ein ihnen genanntes Bankkonto.
Der Angeklagte übernahm innerhalb der Gruppierung die Aufgabe, die Identität der Hintermänner, die von einem unbekannten Ort in Ghana aus tätig wurden, zu verschleiern und die Beute zu sichern. Zu diesem Zweck akquirierte er sogenannte Finanzagenten, die unter falscher Identität Bankkonten eröffneten und der Gruppierung als Empfängerkonten zur Verfügung stellten; dies diente auch der Verschleierung der Identität des Angeklagten.
In zwölf Fällen zahlten die Geschädigten insgesamt 116.511 Euro auf ein von einer nicht näher bekannten Person eröffnetes Bankkonto ein, auf das der Angeklagte Zugriff hatte. In einem weiteren Fall scheiterte die Zahlung daran, dass die Mitarbeiter der Bank des Tatopfers die von diesem in Auftrag gegebene Überweisung wegen Betrugsverdachts nicht ausführten. Der Angeklagte verwaltete die auf das Empfängerkonto überwiesenen Gelder eigenmächtig, indem er sie weitgehend an die unbekannten Mitglieder der Gruppierung und an Unternehmen im Ausland transferierte; dem lagen teilweise Scheinrechnungen zu Lasten deutscher Unternehmen zugrunde, die dazu dienten, den Geldfluss zu verschleiern. Mit einem Teil der Gelder in Höhe von etwa 13.900 Euro finanzierte der Angeklagte seinen Lebensunterhalt. Durch seine Tatbeteiligung, für die er „eine Provision in nicht genau bekannter Höhe – vermutlich ca. zehn Prozent –“ erhielt, wollte sich der Angeklagte gleichermaßen wie die anderen Mitglieder der Gruppierung eine dauerhafte, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen.
II.
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich zu Recht dagegen, dass das Landgericht die Tatbeteiligung des Angeklagten nur als Beihilfe und nicht als Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) angesehen hat.
a) Der Bewertung des Landgerichts liegen folgende Ausführungen zugrunde:
Da „über die Strukturen der zum Großteil aus Ghana arbeitenden Organisation nur wenig bekannt“ sei und „keine Erkenntnisse zur genauen Beteiligung und zum konkreten Inhalt der Bandenabrede“ vorlägen, habe „die konkrete Einbindung des Angeklagten über eine Gehilfenstellung hinaus“ nicht aufgeklärt werden können. Es spreche zwar für Mittäterschaft, dass der Angeklagte Zugriff auf das Empfängerkonto gehabt und mit den darauf eingezahlten Geldern auch Geschäfte des täglichen Lebens bezahlt habe. Die privaten Abhebungen und Zahlungen des Angeklagten hätten sich aber nur in einem Bereich von etwa zehn Prozent der insgesamt auf dem Konto eingegangenen Beträge bewegt und damit ungefähr der Entlohnung der von dem Angeklagten akquirierten „Finanzagenten“ für die Zurverfügungstellung der von diesen eröffneten Konten entsprochen.
Auch habe der Angeklagte zwar einen Großteil der Gelder nach Ghana oder auf andere Konten transferiert, und er sei über die Größenordnung der zu erwartenden Zahlungseingänge informiert gewesen; der genaue Betrag sei ihm aber nicht bekannt gewesen.
b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Angeklagte handelte in sämtlichen Fällen als Mittäter und nicht nur als Gehilfe.
aa) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Erschöpft sie sich demgegenüber nach seinem Willen in einer bloßen Förderung fremden Handelns, so fällt ihm lediglich Beihilfe zur Last (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; vom 12. Februar 1998 – 4 StR 428/97, NJW 1998, 2149, 2150; vom 29. Juni 2023 – 3 StR 343/22, NStZ-RR 2023, 315, 316).
Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat das Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen. Stets muss sich die Mitwirkung nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (vgl. BGH aaO).
bb) Daran gemessen wird die Bewertung der Tatbeiträge des Angeklagten als bloße Beihilfe dem Ausmaß seiner Tatbeteiligung nicht gerecht. Das gilt auch dann, wenn dem Tatgericht bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe ein Beurteilungsspielraum zugebilligt wird, der nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2000 – 1 StR 433/00, NStZ-RR 2001, 148, 149; vom 19. November 2019 – 4 StR 449/19, NStZ 2020, 600, Rn. 8). Ein solcher Beurteilungsspielraum wäre angesichts der festgestellten konkreten Tatumstände jedenfalls überschritten. Die gebotene Gesamtbetrachtung lässt allein die Wertung zu, dass der Angeklagte als Mittäter agierte.
Die festgestellten und tragfähig belegten Tatbeiträge erschöpften sich nicht in untergeordneten Tätigkeiten, sondern fügten sich dem gemeinsamen Tatplan entsprechend so in die Taten ein, dass sie als Teil der Handlung anderer Beteiligter und umgekehrt deren Handeln als Ergänzung seiner eigenen Tatanteile erscheinen. Der Angeklagte war maßgeblich in die Vorbereitung und in die Abwicklung der Betrugstaten eingebunden. Er akquirierte Personen, die Bankkonten eröffneten, welche der Gruppierung als Empfängerkonten dienten. Er war über die Größenordnung der zu erwartenden Zahlungseingänge informiert und verwaltete die von den Geschädigten eingezahlten Beträge, was vor allem der Beutesicherung diente. Durchführung und Ausgang der Taten hingen damit maßgeblich auch von seinem Willen ab, zumal er eigenmächtig über das in den abgeurteilten Fällen genutzte Empfängerkonto verfügte. Er hatte zudem ein hohes Eigeninteresse an der Tatausführung, weil er sich durch seine Tatbeteiligung eine dauerhafte Einnahmequelle zur Finanzierung seines luxuriösen Lebensstils verschaffen wollte. Dem steht nicht entgegen, dass sich sein nicht genau feststellbarer Anteil an der Beute möglicherweise „nur“ auf etwa zehn Prozent belief und damit ungefähr der Entlohnung der sogenannten Finanzagenten für die Zurverfügungstellung der von ihnen eröffneten Bankkonten entsprach. Das Ausmaß seiner Tatbeteiligung ging dessen ungeachtet über den Tatbeitrag der „Finanzagenten“ deutlich hinaus.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil dem Angeklagten bereits mit der Anklage Mittäterschaft zur Last gelegt worden ist.
d) Der Strafausspruch bleibt unter den hier gegebenen Umständen von der Schuldspruchänderung unberührt.
Das Landgericht hat der Strafzumessung in sämtlichen Fällen den für gewerbs- und bandenmäßigen Betrug vorgesehenen Regelstrafrahmen des § 263 Abs. 5 StGB zugrunde gelegt, den es in dem Fall des Versuchs nicht nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Die aufgrund der ‒ rechtlich fehlerhaften ‒ Bewertung der Tatbeteiligung des Angeklagten als bloße Beihilfe obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB hat es erkennbar nicht im Blick gehabt. Es hat vielmehr ausdrücklich ausgeführt, dass weitere „vertypte“ Milderungsgründe nicht vorlägen.
Auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Landgericht die Gehilfentätigkeit oder ein eingeschränktes Gewicht der Tatbeteiligung des Angeklagten nicht zu dessen Gunsten berücksichtigt, sondern nur dessen bisherige Straflosigkeit und besondere Haftempfindlichkeit sowie die mangelnde Tatvollendung in dem Fall des Versuchs. Der Senat geht angesichts des unverändert gebliebenen Tatbilds und der Höhe der verhängten Strafen davon aus, dass das Landgericht auch bei einem rechtsfehlerfreien Schuldspruch auf keine höheren Strafen erkannt hätte.
e) Die Revision der Staatsanwaltschaft zeigt im Hinblick auf die Einziehungsentscheidung einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 301 StPO). Es benachteiligt den Angeklagten zwar nicht, dass das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen lediglich in Höhe von 116.507,60 Euro angeordnet hat, obwohl die Tatopfer ausweislich der Feststellungen insgesamt 116.511 Euro auf das Bankkonto überwiesen, über das der Angeklagte tatsächliche Verfügungsgewalt hatte. Das Landgericht hat aber nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte die auf das Bankkonto überwiesenen Gelder mit Ausnahme eines Betrages von etwa 13.900 Euro, den er für sich selbst verwendete, an die unbekannten Tatbeteiligten bzw. zur Verschleierung des Geldflusses aufgrund von Scheinrechnungen an Unternehmen im Ausland transferierte; im Hinblick auf den über 13.900 Euro hinausgehenden Betrag kommt deshalb nur eine Haftung des Angeklagten als Gesamtschuldner in Betracht. Der Senat ergänzt die Einziehungsentscheidung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO.
2. Die Revision des Angeklagten hat nur in geringem Umfang Erfolg.
a) Das Rechtsmittel des Angeklagten ist umfassend eingelegt und nicht auf den Strafausspruch beschränkt.
Eine Beschränkung der Revision auf Teile des angefochtenen Urteils setzt voraus, dass der Beschwerdeführer seinen Willen, die Entscheidung nicht insge- samt, sondern nur teilweise nachprüfen zu lassen, deutlich erklärt. In Zweifelsfällen ist das Gewollte unter Berücksichtigung des gesamten Revisionsvorbringens im Wege der Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 19. Februar 1956 – 3 StR 473/55, NJW 1956, 756, 757; vom 12. November 1997 – 3 StR 325/97, NStZ-RR 1998, 102; vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, Rn. 3).
Der Revisionsantrag des Angeklagten lässt eine Beschränkung des Rechtsmittels nicht zweifelsfrei erkennen. Der Angeklagte hat zwar eingangs der Revisionsbegründung ausdrücklich nur beantragt, das angefochtene Urteil „in seinem Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen“ aufzuheben. Am Ende der Revisionsbegründung hat er seinen Revisionsantrag aber wiederholt und nunmehr uneingeschränkt beantragt, „das Urteil“ mit den „ihm zugrundeliegenden Feststellungen“ aufzuheben. Die in Anbetracht dessen gebotene Ermittlung des Angriffsziels unter Berücksichtigung des gesamten Revisionsvorbringens führt zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte das Urteil insgesamt angreifen will. Dies ergibt sich insbesondere aus der Erhebung von Verfahrensrügen, die nicht nur den Strafausspruch betreffen, wie die Beanstandung eines Verstoßes gegen § 187 GVG durch unzureichende Übersetzung oder die gerügten Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren.
b) Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Mit der Sachrüge führt die Revision des Angeklagten ebenso wie diejenige der Staatsanwaltschaft aus den oben genannten Gründen zu einer Änderung des Schuldspruchs und zu der Ergänzung der Einziehungsentscheidung.
Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hindert die Verböserung des Schuldspruchs auch auf die Revision des Angeklagten nicht.
Es schützt den Angeklagten vielmehr nur davor, dass das Urteil in Art und Höhe der Strafe zu seinem Nachteil geändert wird. Eine Verschärfung des Schuldspruchs muss er dagegen in Kauf nehmen, weil das Revisionsgericht diesen auf die Sachrüge umfassend zu überprüfen und gegebenenfalls dahin zu ändern hat, dass er dem materiellen Recht entspricht (vgl. BGH, Urteile vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 8 f.; vom 18. Juli 2018 – 2 StR 416/16, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 18, Rn. 19).
3. Die Kosten des im Wesentlichen erfolgreichen Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft fallen dem Angeklagten zur Last. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs seiner Revision erscheint es nicht unbillig, ihm auch die gesamten Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen (§ 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO).
Bartel von Schmettau Feilcke Arnoldi Tiemann Vorinstanz: Landgericht Coburg, 10.11.2023 - 3 KLs 115 Js 8884/22