VIa ZR 545/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 545/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:101225UVIAZR545.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 11. November 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Messing, Dr. F. Schmidt und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22. März 2022 - mit Ausnahme der Zurückweisung des Berufungsantrags zu 1 hinsichtlich der damit begehrten Deliktszinsen in Höhe von 7.315,83 € - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Februar 2015 einen von der Beklagten hergestellten BMW 218d als Neufahrzeug, der mit einem Dieselmotor des Typs B 47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
Die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugs- und Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren bis auf den Anspruch auf Zahlung von Deliktszinsen weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Landgericht sei darin zu folgen, dass der Klägerin kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte zustehe. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB in Verbindung mit Art. 12, 18 der Richtlinie 2007/46/EG und §§ 4, 6 Abs. 1, §§ 25, 27 Abs. 1 EG-FGV stehe der Klägerin nicht zu, weil die genannten Vorschriften nicht dem Schutz eines Fahrzeugkäufers vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit dienten und daher keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Dagegen erhebt die Revision auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer F. Schmidt Möhring Messing Pastohr Vorinstanzen: LG Berlin, Entscheidung vom 22.01.2021 - 59 O 50/20 KG Berlin, Entscheidung vom 22.03.2022 - 27 U 16/21 - Verkündet am: 10. Dezember 2025 Sutter-Stumm, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle