6 StR 68/25
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 68/25 Urteil vom 20. August 2025 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:200825U6STR68.25.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. August 2025, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Richter am Bundesgerichtshof Wenske, Richter am Bundesgerichtshof Fritsche, Richter am Bundesgerichtshof Arnoldi als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. September 2024 im Straf- sowie im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis sowie wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer sowohl zugunsten als auch zum Nachteil des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen den Strafsowie den Maßregelausspruch. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen lagerte der Angeklagte erstmals im Januar 2023 fünf Kilogramm Amphetamin in der Wohnung des nicht revidierenden Mitangeklagten L. . Den Vorrat füllte der Angeklagte bis Oktober 2023 mindestens fünf Mal wieder auf, sodass der Vorrat nie vollständig aufgebraucht war. Die im Tatzeitraum veräußerte und für den Weiterverkauf bestimmte Menge betrug insgesamt mindestens 20 Kilogramm mit einer Wirkstoffmenge von 874 Gramm Amphetaminbase. Der Angeklagte verkaufte das Amphetamin in einer Größenordnung von mindestens 100 Gramm zum Preis von 300 Euro. Sofern er ein Kilogramm veräußerte, verlangte er hierfür einen Kaufpreis von 1.250 Euro. Durch den Verkauf erzielte der Angeklagte Einnahmen von insgesamt 26.240 Euro.
Im Oktober 2023 konnten von dem Amphetaminvorrat noch knapp 6,5 Kilogramm sichergestellt werden, ferner 20,54 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von 18,78 Gramm Kokainhydrochlorid und 647,05 Gramm Cannabis mit einer Wirkstoffmenge von 137,17 Gramm THC. Das Kokain sowie 632,05 Gramm des Cannabis waren von dem Angeklagten ebenfalls für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt (Fall II.2 der Urteilsgründe).
Im Januar 2024 lagerte der Angeklagte in seiner eigenen Wohnung 465,52 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffanteil von 11,22 Gramm Amphetaminbase, das ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt war (Fall II.4 der Urteilsgründe).
2. Das Landgericht hat die Tathandlungen des Angeklagten als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG (Fall II.2 der Urteilsgründe) und als Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Fall II.4 der Urteilsgründe) gewertet.
3. Das Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG hat das Landgericht jeweils verneint, seiner Strafzumessung jedoch in beiden Fällen den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt. Sachverständig beraten hat es angenommen, dass der Angeklagte an einer rezidivierenden depressiven Störung, einer drogeninduzierten Psychose sowie einer schweren Abhängigkeit von Amphetamin und anderen psychotropen Substanzen (Polytoxikomanie) leide und seine Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Taten erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB gewesen sei.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
1. Das Rechtsmittel ist auf den Straf- und den Maßregelausspruch beschränkt. Die Staatsanwaltschaft hat zwar beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Hinsichtlich des Angriffsziels ist aber der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich (vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2025 – 6 StR 543/24, Rn. 10; vom 6. November 2024 – 5 StR 276/24, Rn. 8), ausweislich der sie ausschließlich den Straf- und den Maßregelausspruch – nicht auch die Einziehungsentscheidung – beanstandet. Die Rechtsmittelbeschränkung ist auch wirksam. Da auf der Grundlage der Feststellungen ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldunfähig im Sinne des
§ 20 StGB war, steht der Wirksamkeit der Beschränkung keine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen, die eine getrennte Prüfung nicht erlauben würde (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2025 – 6 StR 543/24, Rn. 10; Beschluss vom 22. Januar 2020 – 2 StR 562/19, BGHR StPO § 302 Abs. 2 Beschränkung 3).
2. Der Strafausspruch erweist sich zugunsten des Angeklagten als rechtsfehlerhaft. Die Annahme des Landgerichts, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei Begehung der Taten erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Diese Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2025 – 6 StR 543/24, Rn. 23; vom 19. Juli 2023 – 2 StR 255/22, Rn 39; Beschluss vom 26. Oktober 2022 – 4 StR 366/22, NStZ-RR 2023, 72 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, welches Eingangsmerkmal des § 20 StGB das Landgericht aufgrund der festgestellten Diagnosen als erfüllt angesehen hat. Die Urteilsgründe tragen aber auch im Übrigen die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Taten nicht.
aa) Zwar ist das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln als solche die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht zu begründen vermag (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2024 – 5 StR 232/24, Rn. 5; vom 6. Mai 2020 – 2 StR 493/19, Rn. 8; vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, Rn. 7). Soweit es sich zur Begründung jedoch maßgeblich auf den durch Suchtdruck geleiteten Wunsch des Angeklagten nach Suchtmittelkonsum gestützt hat, ist dies ebenfalls nicht ausreichend. Denn auch generelle Merkmale der Substanzabhängigkeit wie der „Suchtdruck“ und das allgemeine Bestreben eines Drogenabhängigen, zur Vermeidung unangenehmer körperlicher Folgewirkungen ständig einen Betäubungsmittelvorrat bereit zu halten, sind insofern grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2024 – 5 StR 232/24, Rn. 8; vom 6. Mai 2020 – 2 StR 493/19, Rn. 8; Urteil vom 20. August 2013 – 5 StR 36/13, Rn. 10).
bb) Auch die festgestellte und in einer Gesamtschau mit der Betäubungsmittelabhängigkeit berücksichtigte depressive Störung des Angeklagten trägt die Annahme der verminderten Steuerungsfähigkeit nicht. Das Landgericht hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern sich dieser Umstand bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten konkret ausgewirkt hat. Soweit der Drogenkonsum nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, für den Angeklagten der einzige Ausweg gewesen ist, schwere depressive Phasen zu überwinden, beschreibt dies allenfalls ein Motiv für den fortdauernden Drogenkonsum. Ein derart intensiver Konsumdruck, der in Ausnahmefällen die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindern kann (vgl. in Bezug auf Amphetamin etwa BGH, Urteil vom 19. September 2000 – 1 StR 310/00), wird hierdurch indes nicht belegt. Dem stünde im Übrigen auch entgegen, dass der Angeklagte bei beiden Taten unschwer Zugriff auf Amphetamin hatte und dieses im Tatzeitraum sogar täglich konsumieren konnte. Unter solchen Vorzeichen scheidet aber die Annahme regelmäßig aus, das Handeln des Täters sei durch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen in schuldrelevanter Weise bestimmt worden (vgl. BGH, Urteile vom 20. August 2013 – 5 StR 36/13, Rn. 10; vom 13. Dezember 1995 – 3 StR 276/95, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12).
cc) Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus den weiteren vom Landgericht herangezogenen Umständen, namentlich dem langjährigen Betäubungsmittelmissbrauch und der darauf zurückzuführenden drogeninduzierten Psychose, die der Angeklagte durch den weiteren Drogenkonsum versucht habe selbst zu behandeln. Konkrete Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit bei der Tatbegehung sind auch insoweit nicht dargetan. Den Urteilsgründen lässt sich zwar entnehmen, dass der Angeklagte letztmalig im Jahr 2023 wegen einer drogeninduzierten Psychose behandelt worden ist. Die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit in Folge eines psychotischen Zustands liegt jedoch angesichts des sich über mehrere Monate erstreckenden Tatzeitraums und den sonstigen Feststellungen zu den Lebensumständen des Angeklagten in dieser Zeit eher fern. Überdies ist das Landgericht auch nicht davon ausgegangen, dass die durch den Betäubungsmittelkonsum eingetretenen psychischen Beeinträchtigungen zu einer schwersten Persönlichkeitsveränderung geführt haben.
c) Der Strafausspruch beruht auf diesen Rechtsfehlern. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Prüfung von einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen hätte und zu einer höheren Strafe gelangt wäre.
3. Auch der Maßregelausspruch nach § 64 StGB hat keinen Bestand. Die Revision der Staatsanwaltschaft zeigt insoweit einen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf (§ 301 StPO). Dabei kann offenbleiben, ob die Feststellungen die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB und der nach § 64 Satz 2 StGB erforderlichen Erfolgsaussicht tragen. Jedenfalls hat es nicht belegt, dass die Taten „überwiegend“ auf den Drogenkonsum des Angeklagten zurückzuführen sind.
a) Nach der am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Neufassung des § 64 Satz 1 StGB (vgl. BGBl. I Nr. 203, S. 2) muss die begangene rechtswidrige Tat „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Hierzu muss die bestehende Substanzkonsumstörung, was durch das Tatgericht positiv festzustellen ist, für das Tatgeschehen „mehr als andere Umstände ausschlaggebend“ sein (BT- Drucks. 20/5913, S. 69; vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juni 2025 – 4 StR 545/24, Rn. 12; vom 14. August 2024 – 5 StR 254/24, Rn. 17). Die bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat(en) ist nur dann ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juni 2025 – 4 StR 545/24, Rn. 12; vom 10. Januar 2024 – 6 StR 549/23, Rn. 4). Dies wird insbesondere in Fällen abzulehnen sein, in denen Straftaten begangen werden, um – neben dem Drogenkonsum – den eigenen, womöglich aufwändigen Lebensbedarf zu finanzieren, oder bei einem „Großdealer“, der selbst auch die gehandelte Droge oder ein anderes Suchtmittel konsumiert (vgl.
BT-Drucks. 20/5913, S. 47; BGH, Beschluss vom 5. März 2024 – 6 StR 588/23, Rn. 4).
b) Hieran gemessen ist ein symptomatischer Zusammenhang nicht tragfähig belegt, die Ausführungen des Landgerichts erweisen sich insoweit vielmehr als lückenhaft.
Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte mit Amphetamin, Cannabis und Kokain, um seinen erheblichen täglichen Suchtmittelbedarf sicherzustellen. Im Rahmen der Prüfung des symptomatischen Zusammenhangs hat das Landgericht daneben die depressive Störung sowie die drogeninduzierte Psychose des Angeklagten in den Blick genommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Taten auch angesichts dieser Störungen überwiegend auf den Hang, Drogen im Übermaß zu konsumieren, zurückzuführen sind. Dabei hat das Landgericht jedoch nicht erkennbar bedacht, dass die von dem Angeklagten vorrätig gehaltenen Betäubungsmittel weit überwiegend zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren und der Angeklagte allein aus seinem Drogenhandel mit Amphetamin in dem sich über zehn Monate erstreckenden Tatzeitraum Einnahmen von etwa 26.000 Euro erzielte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteil vom 22. März 2023 – 6 StR 398/22). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich überdies entnehmen, dass der seit 2023 arbeitslose Angeklagte über insgesamt neun „Uhren aus dem Luxussegment“ verfügte, dem nicht revidierenden Mitangeklagten L. teure Uhren und Kleidungsstücke zeigte und ihm gegenüber mit Geldrollen prahlte. Darüber hinaus trug der Angeklagte nach den Feststellungen im Oktober 2023 aus seinen Betäubungsmittelgeschäften stammendes Bargeld von über 15.000 Euro bei sich. Diese Umstände legen ein Überwiegen des finanziellen Aufwands für die (sonstige) Lebensführung des Angeklagten nahe und hätten daher bei der Frage des symptomatischen Zusammenhangs nicht unerörtert bleiben dürfen.
c) Der aufgezeigte Rechtsfehler bedingt die Aufhebung des Maßregelausspruchs und die hieran anknüpfende Anordnung des Vorwegvollzugs.
4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Bartel Tiemann Wenske Fritsche Arnoldi Vorinstanz: Landgericht Potsdam, 19.09.2024 - 210 KLs 12/24