9 W (pat) 28/16
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 28/16 Verkündet am 27. Mai 2019
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend das Patent 103 51 574 ECLI:DE:BPatG:2019:270519B9Wpat28.16.0 hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung 27. Mai 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hubert sowie der Richter Paetzold, Dr.-Ing. Baumgart und Dipl.Phys. Dr.-Ing. Geier beschlossen:
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) vom 21. Juni 2016 aufgehoben und das Patent beschränkt aufrecht erhalten mit folgenden Unterlagen:
Patentansprüche 1 bis 3 gemäß neuem Hilfsantrag I vom 27. Mai 2019,
restliche Unterlagen wie erteilt.
Gründe I
Die Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung eines Einspruchs das am 5. November 2003 angemeldete Patent 103 51 574, dessen Erteilung am 29. Mai 2013 veröffentlicht wurde, mit der Bezeichnung
„Verfahren zur Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder eines zweispurigen Kraftfahrzeugs“
durch den am Ende der mündlichen Anhörung vom 21. Juni 2016 verkündeten Beschluss in vollem Umfang aufrechterhalten.
Die Beschlussbegründung wurde am 8. bzw. 9. August 2016 von den Unterzeichnenden signiert und jeweils als Einschreiben durch Übergabe in einer separaten Beschlussausfertigung versandt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 2. September 2016, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt per Fax am selben Tag, eingelegte Beschwerde der Einsprechenden.
Sie ist laut Beschwerdebegründung vom 28. November 2016 der Meinung, dass die technische Lehre der Druckschrift D1: DE 103 29 037 A1 neuheitsschädlich gegenüber dem Streitpatent in seiner aufrechterhaltenen Fassung sei.
Weiterhin befinden sich noch folgende Druckschriften im Verfahren.
Aus dem Einspruchsverfahren die Druckschrift D2: B. Heißing, M. Ersoy: Fahrwerkshandbuch – Grundlagen, Fahrdynamik, Komponenten, Systeme, Mechatronik, Perspektiven; 1. Auflage Mai 2007, ISBN 978-3-8348-0105-0, Seiten 92, 93 und 439, 440.
Ferner sind auf dem Deckblatt der Streitpatentschrift genannt:
D3: DE 39 27 924 C1, D4: DE 42 19 185 A1, D5: DE 43 17 510 A1, D6: DE 43 22 910 A1, D7: DE 100 07 047 A1,
D8: DE 100 29 626 A1, D9: DE 195 42 107 A1, D10: DE 197 16 697 A1 und D11 : DE 197 50 225 A1.
Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin tritt die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin entgegen und verteidigt ihr Patent im erteilten Umfang sowie hilfsweise im Umfang eines in der Verhandlung vom 27. Mai 2019 überreichten Hilfsantrag I.
In der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2019 beantragte die Einsprechende und Beschwerdeführerin zuletzt,
den Beschluss der Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) vom 21. Juni 2016 aufzuheben und das Patent im Hauptantrag zu widerrufen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin stellte den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit folgenden Unterlagen: Patentansprüche 1 bis 3 gemäß neuem Hilfsantrag I vom 27. Mai 2019 restliche Unterlagen wie erteilt.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:
Verfahren zur Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder eines zweispurigen Kraftfahrzeugs, deren radführende Lenker zumindest größtenteils an einem über elastische Lager am Fahrzeugboden abgestützten Achsträger (10) angelenkt sind, wobei zumindest eines der elastischen Lager (12a, 12b) als schaltbares Lager ausgebildet ist, derart, dass ein über Elastomerelemente (4a, 4b) bezüglich eines Lager-Führungselements (1) geführtes Lagerelement (2) mittels zumindest eines unterschiedlich positionierbaren Stützelements (5a, 5b) in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und hierdurch die Charakteristik des Lagers (12a, 12b) verändert werden kann, dadurch gekennzeichnet, dass die Charakteristik der bezüglich der Fahrzeug-Mittellinie (11) im Wesentlichen symmetrisch angeordneten Lager (12a, 12b) situativ asymmetrisch eingestellt wird.
Diesem erteilten Patentanspruch 1 schließen sich die zumindest mittelbar auf den erteilten Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 und 3 an.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung unterstrichen):
Verfahren zur Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder eines zweispurigen Kraftfahrzeugs, deren radführende Lenker zumindest größtenteils an einem über elastische Lager am Fahrzeugboden abgestützten Achsträger (10) angelenkt sind, wobei zumindest eines der elastischen Lager (12a, 12b) als schaltbares Lager ausgebildet ist, derart, dass ein über Elastomerelemente (4a, 4b) bezüglich eines Lager-Führungselements (1) geführtes Lagerelement (2) mittels zumindest eines unterschiedlich hydraulisch positionierbaren Stützelements (5a, 5b) in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und hierdurch die Charakteristik des Lagers (12a, 12b) verändert werden kann, dadurch gekennzeichnet, dass die Charakteristik der bezüglich der Fahrzeug- Mittellinie (11) im Wesentlichen symmetrisch angeordneten Lager (12a, 12b) situativ asymmetrisch eingestellt wird.
Diesem Patentanspruch 1 schließen sich die zumindest mittelbar auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 und 3 gemäß Hilfsantrag I an.
Zu den Unteransprüchen sowie zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II
1. Die Beschwerde der Einsprechenden ist statthaft und auch sonst zulässig (§ 73 Abs. 1 und 2 Satz 1 PatG, § 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG).
2. In der Sache hat die Beschwerde insoweit Erfolg, als dass sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zu einer beschränkten Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hilfsantrag I führt, denn weder sind die für den Fachmann ausführbaren Gegenstände der zugehörigen Patentansprüche in unzulässiger Weise erweitert, noch war Gegenstand mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I vollständig vorbekannt oder ist dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik am Prioritätstag des Streitpatents eine hinreichende Anregung dafür zu entnehmen. Hinsichtlich der im Umfang des Hauptantrages verteidigten erteilten Fassung erweist sich der geltend gemachte Widerrufsgrund fehlender Patentfähigkeit dessen Gegenstands hingegen als durchgreifend.
3. Das Streitpatent betrifft gemäß Absatz [0001] der Streitpatentschrift, im Folgenden SPS genannt, ein Verfahren zur Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder eines zweispurigen Kraftfahrzeugs, deren radführende Lenker zumindest größtenteils an einem über elastische Lager am Fahrzeugboden abgestützten Achsträger angelenkt sind, wobei zumindest eines der elastischen Lager als schaltbares Lager ausgebildet ist, derart, dass ein über Elastomerelemente bezüglich eines Lager-Führungselements geführtes Lagerelement mittels zumindest eines unterschiedlich positionierbaren Stützelements in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und hierdurch die Charakteristik des Lagers verändert werden kann.
Allgemein bekannter Stand der Technik sei die Lagerung einer FahrzeugHinterachse in bzw. an einem sog. Achsträger oder Fahrschemel, der seinerseits am Aufbau oder Unterboden des Kraftfahrzeugs, insbesondere Personenkraftwagens, befestigt sei, und zwar üblicherweise unter Zwischenschaltung elastischer Lager. Diese elastischen Lager besäßen ein sog. Lager-Führungselement, das starr beispielsweise mit dem Achsträger verbunden sei, und das über Elastomerelemente ein sog. geführtes Lagerelement führe, das seinerseits starr am Fahrzeug-Unterboden befestigt sei. Durch gezielte Auslegung und Anordnung der Elastomerelemente lasse sich dabei ein gewünschtes Eigenlenkverhalten der Fahrzeughinterräder, hervorgerufen durch unterschiedliche Kräfte zwischen Rad und Fahrbahn, einstellen (vgl. Absatz [0002] der SPS).
Zumindest interner Stand der Technik der Beschwerdegegnerin sei ein Verfahren zur Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder eines zweispurigen Kraftfahrzeugs nach dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1. Hierbei sei zumindest eines der genannten elastischen Lager zwischen dem Achsträger und dem Fahrzeugaufbau als sog. schaltbares Lager ausgebildet. An einem solchen schaltbaren Lager sei zumindest ein sog. Stützelement vorgesehen, das beispielsweise auf hydraulischem Wege unterschiedlich positionierbar sei und das hierbei gegen das geführte Lagerelement gefahren oder von diesem weggefahren werden könne. Insbesondere dann, wenn einander bezüglich des geführten Lagerelements gegenüberliegend zwei solche Stützelemente vorgesehen seien und einander entgegengerichtet pressend auf das geführte Lagerelement einwirkten,
könne die Beweglichkeit des geführten Lagerelementes gegenüber dem LagerFührungselement erheblich eingeschränkt werden. Gegenüber einem Zustand, bei dem das oder die Stützelement(e) nicht am geführten Lagerelement anliege/anlägen sei dann die Steifigkeit des schaltbaren Lagers erheblich erhöht. Mit einer erhöhten Lager-Steifigkeit stelle sich dann ein anderes Eigenlenkverhalten der Hinterachse bzw. der Hinterräder ein als mit einem relativ weichen elastischen Lager (vgl. Absatz [0003] der SPS).
Ausgehend von diesem Stand der Technik sei es die Aufgabe Maßnahmen aufzuzeigen, mit Hilfe derer das Eigenlenkverhalten der Hinterachse in noch größerem Ausmaß verändert werden könne. Die Lösung dieser Aufgabe sei für ein Verfahren nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 dadurch gekennzeichnet, dass die Charakteristik der bezüglich der Fahrzeug-Mittellinie im Wesentlichen symmetrisch angeordneten Lager situativ asymmetrisch eingestellt werde (vgl. Absätze [0005] und [0006] der SPS).
4. Als Fachmann wird bei dem Verständnis der Erfindung sowie der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik von einem Durchschnittsfachmann ausgegangen, der als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik ausgebildet ist und der über mehrere Jahre Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Fahrwerken verfügt.
5. Hauptantrag – erteilte Fassung Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung ist nicht neu gegenüber der durch die Druckschrift D1 offenbarten Lehre. Er ist daher nicht bestandsfähig.
Einer Beurteilung der weiteren geltenden Patentansprüche bedarf es in der Folge nicht, da mit dem nicht gewährbaren Patentanspruch 1 dem Antrag als Ganzes nicht stattgegeben werden kann (vgl. BGH GRUR 1997, 120ff. – elektrisches Speicherheizgerät; BGH GRUR 2007, 862 bis 865 – Informationsübermittlungsverfahren II).
5.1 Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I). Dies gilt auch für das Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren. Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt, wobei diese unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnung aus Sicht des von der Erfindung betroffenen Fachmanns ausgelegt wird (BGH GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfahren). Dies darf allerdings weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
5.1.1 Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 nachstehend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben.
M1 Verfahren zur Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder eines zweispurigen Kraftfahrzeugs,
M1.1 deren radführende Lenker zumindest größtenteils an einem über elastische Lager am Fahrzeugboden abgestützten Achsträger (10) angelenkt sind,
M1.2 wobei zumindest eines der elastischen Lager (12a, 12b) als schaltbares Lager ausgebildet ist, derart,
M1.2.1 dass ein über Elastomerelemente (4a, 4b) bezüglich eines LagerFührungselements (1) geführtes Lagerelement (2) mittels zumindest eines unterschiedlich positionierbaren Stützelements (5a, 5b) in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und hierdurch die Charakteristik des Lagers (12a, 12b) verändert werden kann,
dadurch gekennzeichnet, dass M2 die Charakteristik der bezüglich der Fahrzeug-Mittellinie (11) im Wesentlichen symmetrisch angeordneten Lager (12a, 12b) situativ asymmetrisch eingestellt wird.
5.1.2 Der unter Ziffer 4 definierte Fachmann entnimmt dem Patentanspruch 1 ein Verfahren, das zur Durchführung an Kraftfahrzeugen bestimmt ist, deren radführende Lenker zumindest größtenteils an einem über elastische Lager am Fahrzeugboden abgestützten Achsträger angelenkt sind, wobei nach den Merkmalen M1.2 und M1.2.1 zumindest eines der elastischen Lager als schaltbares Lager ausgebildet ist, derart dass ein über Elastomerelemente bezüglich eines LagerFührungselements geführtes Lagerelement mittels zumindest eines unterschiedlich positionierbaren Stützelements in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und hierdurch die Charakteristik des Lagers verändert werden kann. Das Verfahren kennzeichnet sich nach Merkmal M2 dadurch, dass die Charakteristik der Lager, die bezüglich der Fahrzeug-Mittellinie im Wesentlichen symmetrisch angeordnet sind, situativ asymmetrisch eingestellt wird. In der beanspruchten Patentkategorie sind somit die folgenden Schritte für das Verfahren maßgeblich:
V1 Positionierung des zumindest einen Stützelements, zum Zwecke der Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Lagerelements gegenüber dem Lager-Führungselement,
und dies V2 situativ und V3 im Hinblick auf eine asymmetrische Einstellung der Charakteristik der symmetrisch angeordneten Lager des Achsträgers.
Der Schritt V2 „situativ“ besagt hierbei, dass das beanspruchte Verfahren die Positionierung des Stützelements in Schritt V1 nicht pauschal, sondern in Abhängigkeit von allerdings nicht näher bezeichneten Betriebszuständen des Fahrzeugs einsteuern soll. Er konkretisiert daher das Verfahren nach dem Schritt V1.
Gemäß Schritt V3 sieht das Verfahren weiterhin die Ansteuerung von nur einem oder mehreren Lagern gleichzeitig für den Fall einer zur Einsteuerung einer Positionierung der Stützelemente hinreichenden „Situation“ vor. Dies kann bedeuten, dass in bestimmten Situationen oder bei Vorliegen definierter Randbedingungen bewusst eine Asymmetrie der Charakteristik der Lager erzeugt wird, derart, dass sich die Bewegungsfreiheit eines geführten Lagerelements auf der einen Fahrzeugseite von der Bewegungsfreiheit des entsprechenden geführten Lagerelements auf der anderen Fahrzeugseite unterscheidet (vgl. Absatz [0007] der SPS).
Die in Merkmal M1 enthaltene Angabe, wonach das beanspruchte Verfahren zur „Veränderung des Eigenlenkverhaltens“ dient, ist somit lediglich Folge im Sinne eines Ergebnisses, welches sich bei der Anwendung des Verfahrens einstellt, wobei sich das Eigenlenkverhalten durch eine geringfügige Verdrehung des Achsträgers gegenüber dem Fahrzeugaufbau um eine Vertikalachse unter Einwirken von Fahrbahnkräften auf die durch den Achsträger geführten Hinterräder ändert (vgl. Absatz [0007]). Die benannte Folge trägt im Sinne eines Zwecks zur Definition des beanspruchten Verfahrens dabei nur insoweit bei, als diese implizit eine Abstimmung des Verfahrens auf die Lagerelemente mit den positionierbaren Stützelementen für sich und im Hinblick auf deren symmetrische Anordnung am Achsträger vorschreibt, derart, dass aus einer „situativen“ Ansteuerung auch tatsächlich gezielt feststellbare „Veränderungen des Eigenlenkverhaltens“ resultieren.
5.2 Das in dem erteilten Patentanspruch 1 aufgeführte Verfahren ist jedoch durch die zwar nachveröffentlichte, aufgrund ihres früheren Anmeldedatums aber ältere Druckschrift D1 im Sinne des § 3 Abs. 2 PatG vollständig vorweggenommen.
Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird. Offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern "mitgelesen" wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH GRUR 2009, 382 bis 388 – Olanzapin).
So ist der Druckschrift D1 ein zweispuriges Kraftfahrzeug zu entnehmen, dessen radführende Lenker an einem über vier symmetrisch angeordnete, elastische Lager 24 an einem am Fahrzeugboden abgestützten Achsträger 18 angelenkt sind (vgl. Figur 1, Absätze [0049] und [0050]), wobei die Lager 24 als schaltbare Lager ausgebildet sind. Eine mögliche konstruktive Ausbildung eines solchen schaltbaren Lagers zeigt das in den Figuren 12 und 13 dargestellte Ausführungsbeispiel, wobei das Lager dort mit dem Bezugszeichen 24‘‘‘ versehen ist. Ein über Elastomerelemente (gummielastischer Tragkörper) 110 geführtes Lagerelement (Innenhülse) 106 ist dort bezüglich eines Lager-Führungselements (Außenhülse) 108 mittels zumindest eines unterschiedlich positionierbaren Stützelements (Lamellenkupplung) 112, 113 in seiner Bewegungsfreiheit wahlweise einschränkbar. Dazu wird ein Piezoelement 114 strombeaufschlagt, so dass über eine Druckplatte 116 und eine Vorspannfeder 118 die Lamellenkupplung 112 geschlossen wird, wodurch über die Kupplungslamellen die Puffer 111 dann fest mit der Innenhülse 106 in der Z- und X-Richtung (Vertikal- und Längsrichtung) des Fahrzeugs verbunden sind. In der Folge erhöht sich damit die Steifigkeit des Lagers 24‘‘‘ (vgl. Absatz [0096]). Mittels des offenbarten schaltbaren Lagers 24‘‘‘ können nach Absatz [0097] zwei alternative Kennlinien geschaltet werden, wobei bei im Wesentlichen gleicher Dämpfungswirkung die erste Kennlinie eine kleine Steifigkeit des Lagers 24"' und die zweite Kennlinie eine große Steifigkeit des Lagers 24"' bewirkt.
Figur 12 der Druckschrift D1 Figur 13 der Druckschrift D1 In der Anwendung dieses schaltbaren Lagers 24‘‘‘ bei dem offenbarten Fahrzeug ergibt sich ein Verfahren gemäß der Merkmale M1.1, M1.2 und M1.2.1, wobei das Verfahren die Positionierung des Stützelements zum Zwecke der Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Lagerelements gegenüber dem Lager-Führungselement vorsieht, wie in Schritt V1 beansprucht.
Gemäß Absatz [0001] ist das der Druckschrift D1 entnehmbare Verfahren im Besonderen zur Schwingungsdämpfung an dem Fahrwerkslager bzw. des Achsträgers vorgesehen. Dazu wird nach Absatz [0006] der Fahrzustand des Kraftfahrzeuges und/oder die Fahrbahnbeschaffenheit über Sensoren erfasst und das oder die Fahrwerkslagers zur Veränderung deren oder dessen Steifigkeit und/oder Dämpfung abhängig von den erfassten Parametern auf verschiedene Kennlinien verändert. Dementsprechend werden die Fahrbahnanregungen erfasst, signaltechnisch verarbeitet und das Fahrwerklager durch entsprechende Auswertung der Frequenzspektren auf die von den vorgegebenen Kennlinien am besten geeigneten Kennlinien eingestellt. Die Einstellung der Lagercharakteristik erfolgt daher entsprechend Schritt V2 „situativ“.
In vorteilhafter Weiterbildung des Verfahrens wird in Absatz [0009] vorgeschlagen, dass bei definierten Fahrzuständen des Kraftfahrzeuges, wie etwa bei hohen Kurvengeschwindigkeiten, darüber hinaus eine die Fahrsicherheit erhöhende Einstellung der Fahrwerklager bevorzugt wird. In diesem Fall sei eine „härtere Kennung" der Fahrwerklager aus Fahrsicherheitsgründen vorzuziehen, wobei eine „härtere Kennung“ einer höheren Lagersteifigkeit entspricht. Dabei muss diese Einstellung nicht zwingend identisch an allen Lager des Achsträgers durchgeführt werden, vielmehr können nach den Absätzen [0065] und [0073] zur Erhöhung der Fahrsicherheit auch nur einzelne Lager auf eine härtere Kennlinie, also höhere Steifigkeit, umgeschaltet werden. In diesem Zusammenhang lehrt Absatz [0010] ferner, dass darüber hinaus bei der einzelnen Ansteuerung der Lager eine noch feinfühligere und noch spezifischer abstimmbare Regelung der Kennlinien der Fahrwerkslager auf die auftretenden Fahrzustände möglich ist, wenn speziell beim Durchfahren von Kurven die kurvenäußeren Fahrwerkslager „härter" als die kurveninneren eingestellt werden. Dies entspricht einer asymmetrischen Einstellung der Charakteristik der symmetrisch angeordneten Lager des Achsträgers. Das Merkmal M2 und der Verfahrensschritt V3 werden somit erfüllt.
Insofern offenbart die Druckschrift D1 nicht nur ein Verfahren zur Schwingungsdämpfung, sondern darüber hinaus auch ein Verfahren, bei dem in kritischen Fahrsituationen, insbesondere beim Durchfahren von Kurven zur Erhöhung der Fahrsicherheit die kurvenäußeren Lager „härter" als die kurveninneren eingestellt werden können. Eine solche Einstellung bedingt dabei per se zwingend und somit unmittelbar auch eine Veränderung des Eigenlenkverhaltens der Hinterräder, denn durch die unterschiedlich „hart“ eingestellten Lager wird der Grad der Verdrehbarkeit des Achsträgers gegenüber einer rein symmetrischen Einstellung unmittelbar beinflusst. Somit geht aus der Druckschrift D1 auch das Merkmal M1 in seiner Gesamtheit hervor.
Das der Druckschrift D1 unmittelbar entnehmbare Verfahren entspricht im Sinne der vorstehenden Auslegung somit vollumfänglich dem in dem erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahren.
Soweit die Beschwerdegegnerin ausführt, dass die Steifigkeit der in der Druckschrift D1 offenbarten schaltbaren Lager nur in X- und Z-Richtung des Fahrzeugs variierbar sei, während in Y-Richtung, also der Fahrzeugquerrichtung, keine Verstellbarkeit vorgesehen sei, ist diesem Vorbringen etwa mit Blick auf die Erläuterungen in den Absätzen [0091] bis [0096] zuzustimmen. Allerdings kann der von der Beschwerdegegnerin dargelegten daraus resultierenden Erkenntnis, wonach daher auch kein Eigenlenkverhalten des Achsträgers beeinflusst werden könne, da dieses nur die Fahrzeugquerrichtung betreffe, nicht gefolgt werden. Denn das Eigenlenkverhalten des Achsträges wird gemäß dem Streitpatent durch eine Verdrehung des Achsträgers um eine Vertikalachse definiert. Eine solche Verdrehung führt bei einer symmetrischen Anordnung von vier Lagern, wie sie der Figur 1 der Druckschrift D1 entnehmbar ist, innerhalb der Lager zu einer Bewegung der Lagerelemente in Bezug zu den Lager-Führungselementen sowohl in Y- wie auch in X-Richtung. Somit führt eine Veränderung der Steifigkeit rein in X-Richtung ebenso zu einer Veränderung der Verdrehbarkeit des Achsträgers und so in unmittelbarer Folge auch zu einer Veränderung des Eigenlenkverhaltens.
Ebenso wenig kann das Argument der Beschwerdegegnerin überzeugen, wonach die in der Druckschrift D1 offenbarten Variationen der Steifigkeit in ihrer Dimensionierung nicht ausreichen würden auch eine merkbare Veränderung im Eigenlenkverhalten zu bewirken. Denn gemäß Absatz [0017] korrespondiert eine „harte“ Kennlinie mit einer sportlichen Auslegung des Fahrwerks, während eine „weiche“ Kennlinie einer den Fahrkomfort erhöhenden Einstellung entspricht. Insofern bewirkt die Variationen der Steifigkeit eine deutlich für den Fahrer merkbare Veränderung der Fahrwerkeigenschaften. Sie ist in ihrer Dimensionierung daher allemal geeignet auch das Eigenlenkverhalten des Achsträgers signifikant zu beeinflussen.
6. Hilfsantrag I In der Fassung des Hilfsantrags 1 erweist sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage durch den Senat das in Patentanspruch 1 beanspruchte gewerblich anwendbare Verfahren als patentfähig, denn dieses ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart, darüber hinaus weder vorbekannt noch durch den Stand der Technik nahe gelegt. Dies gilt ebenso für die Weiterbildungen nach den jeweiligen auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüchen 2 und 3.
Das im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I beanspruchte Verfahren unterscheidet sich gegenüber demjenigen im erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahren dadurch, dass das Merkmal M1.2.1 wie folgt abgeändert ist (Änderung unterstrichen):
M1.2.1 dass ein über Elastomerelemente (4a, 4b) bezüglich eines LagerFührungselements (1) geführtes Lagerelement (2) mittels zumindest eines unterschiedlich hydraulisch positionierbaren Stützelements (5a, 5b) in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und hierdurch die Charakteristik des Lagers (12a, 12b) verändert werden kann,
Das nun beanspruchte Verfahren zielt nun einschränkend auf ein schaltbares Lager, dessen Stützelement explizit hydraulisch positionierbar ist. Diese zunächst zwar nur auf einen Gegenstand gerichtete Einschränkung führt in der Folge aber auch unmittelbar zu einer Beschränkung in der beanspruchten Patentkategorie. Denn für das beanspruchte Verfahren bedeutet dies in Schritt V1, dass dieser nun analog explizit eine „hydraulische Positionierung des zumindest einen Stützelements, zum Zwecke der Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Lagerelements gegenüber dem Lager-Führungselement“ fordert.
Einer weiteren Begründung der Patentfähigkeit bedarf es nicht, da hinsichtlich des Hilfsantrages I kein Antrag der Beschwerdeführerin vorliegt (§ 94 Abs. 2 PatG).
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn sie auf einen der nachfolgenden Gründe gestützt wird, nämlich dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Hubert Paetzold Dr. Baumgart Dr. Geier ob