7 Ni 9/16
BUNDESPATENTGERICHT Ni 9/16 (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
16. November 2017 …
In der Patentnichtigkeitssache …
BPatG 253 08.05
-2…
betreffend das deutsche Patent 10 2012 015 395 hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2017 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die Richterin Püschel und die Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt, Dipl.-Ing. Küest und Dipl.-Ing. Univ. Richter für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 10 2012 015 395 wird für nichtig erklärt. II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Klage richtet sich gegen das deutsche Patent 10 2012 015 395 (Streitpatent), das auf eine Anmeldung vom 3. August 2012 zurückgeht und mit „Kameraarm für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs“ bezeichnet ist. Das Patent umfasst in der erteilten Fassung 17 Ansprüche, die alle mit der vorliegenden Klage angegriffen werden. Die Ansprüche 2 bis 17 sind auf Anspruch 1 unmittelbar bzw. mittelbar rückbezogen.
Patentanspruch 1 hat in seiner erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
1. Kameraarm (10) für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs (100), mit einem ersten Gehäuseelement (12) und einem zweiten Gehäuseelement (14), wobei das erste Gehäuseelement (12) eine Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt und das zweite Gehäuseelement (14) angepasst ist, lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs (100) verbunden zu werden, wobei das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements (14) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist und zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine Schwenkachse (A) schwenkbar und beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist.
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 17 wird auf die Streitpatentschrift DE 10 2012 015 395 B3 Bezug genommen.
Die Klägerinnen machen die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung geltend (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 4 PatG).
Als unzulässig erweitert sehen die Klägerinnen den erteilten Anspruch 1. Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 habe wie folgt gelautet (vgl. die Anmeldungsunterlagen gemäß Anlage NK2; als amtliche Druckschrift wurde die Anmeldung nicht veröffentlicht):
1. Kameraarm (10) für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs (100), mit einem ersten Gehäuseelement (12) und einem zweiten Gehäuseelement (14), wobei das erste Gehäuseelement (12) eine Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt und das zweite Gehäuseelement (14) angepasst ist, lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs (100) verbunden zu werden, und wobei zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine Schwenkachse (A) schwenkbar ist.
Aus dieser Anspruchsfassung gehe - im Unterschied zum erteilten Anspruch 1 nicht hervor, dass das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements (14) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar, und dass das erste Gehäuseelement (12) beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist. Für diese Merkmale gebe es in den gesamten Anmeldungsunterlagen keine wortwörtliche Grundlage, auch nicht - wie von der Beklagten im Erteilungsverfahren vorgebracht - auf Seite 4 der Anmeldung (entsprechend Absatz 17 der Streitpatentschrift). Dort werde der Begriff „nicht abgeklappte Betriebsposition“ lediglich im Kontext einer spezifischen Ausführung verwendet, bei welcher ein Federmechanismus das erste Gehäuseelement relativ zum zweiten Gehäuseelement vorbelaste. Es gebe hingegen keine Grundlage für eine Verallgemeinerung des Merkmals hin zu einer Ausführung, welche keinen Federmechanismus verwende. Von „einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft“ sei nur im Zusammenhang mit einem Schwenkmechanismus unter Verwendung eines Reibungslagers oder eines Rastlagers die Rede (NK2, Seite 3, letzter Absatz, bzw. Seite 4, erster und zweiter Absatz, entsprechend Streitpatentschrift Absätze 15, 16). Die Lehre des erteilten Anspruchs 1 erstrecke sich jedoch auch auf Schwenkeinrichtungen, welche keine solchen Lager, sondern z. B. ausschließlich einen Elektromotor verwendeten.
Den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit stützen die Klägerinnen auf folgende Publikationen:
NK3 NK4 NK5 NK6 NK8 NK9 NK10 NK11 NK12 Gebrauchsmusterschrift DE 20 2004 014 778 U1 Offenlegungsschrift US 2011/0267466 A1 Offenlegungsschrift US 2003/0103142 A1 Patentschrift US 8,066,415 B2 Regelung Nr. 46 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) - Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung von Einrichtungen für indirekte Sicht und von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Anbringung solcher Einrichtungen, Stand 10. 7. 2010 Offenlegungsschrift DE 35 44 836 A1 Offenlegungsschrift DE 10 2004 034 477 A1 Auszug aus dem Kraftfahrtechnischen Taschenbuch von Bosch, 22. Aufl., 1995 Auszug aus Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Nutzfahrzeuge)
Der Gegenstand des Anspruchs1 sei nicht neu gegenüber NK3, NK4, NK5 und NK6. Auch die Unteransprüche enthielten nichts Patentfähiges.
Die Klägerinnen beantragen,
das deutsche Patent 10 2012 015 395 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die Patentansprüche in der Fassung der mit Anlagen KBS1 bis KBS8 zum Schriftsatz vom 14. August 2017 eingereichten, in der Reihenfolge ihrer Nummerierung gestellten Hilfsanträge I bis VIII richtet.
In den Fassungen der Hilfsanträge lautet Patentanspruch 1 wie folgt (Änderungen jeweils durch Streichung bzw. Unterstreichung kenntlich gemacht):
Hilfsantrag I Die erteilte Fassung des Anspruchs soll wie folgt geändert werden:
1. Kameraarm (10) für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs Nutzfahrzeugs (100), mit einem ersten Gehäuseelement (12) und einem zweiten Gehäuseelement (14), wobei das erste Gehäuseelement (12) eine Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt und das zweite Gehäuseelement 14) angepasst ist, lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs Nutzfahrzeugs (100) verbunden zu werden, wobei das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements (14) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist und zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine Schwenkachse (A) schwenkbar und beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist, und wobei die Kamera (10) weiter eine Versorgungseinheit (19) für die Bildaufnahmeeinrichtung (18) enthält und die Versorgungseinheit (19) im ersten Gehäuseelement (12) oder im zweiten Gehäuseelement (14) angeordnet ist.
Hilfsantrag II Die erteilte Fassung des Anspruchs soll wie folgt geändert werden:
1. Kameraarm (10) für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs Nutzfahrzeugs (100) zum Aufnehmen einer Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera, die einen Bereich erfasst, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht, mit einem ersten Gehäuseelement (12) und einem zweiten Gehäuseelement (14), wobei das erste Gehäuseelement (12) eine die Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt und das zweite Gehäuseelement (14) angepasst ist, derart lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs Nutzfahrzeugs (100) verbunden zu werden, dass der Kameraarm (10) oberhalb der Augpunkte eines Fahrers des Nutzfahrzeugs (100) angebracht ist und die Bildaufnahmeeinheit (18) Sicht auf den Bereich hat, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht,
wobei das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements (14) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist und zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine Schwenkachse (A) schwenkbar und beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist.
Hilfsantrag III Die gemäß den Hilfsanträgen I und II vorgesehenen Merkmale sollen miteinander kombiniert werden.
Hilfsantrag IV Die erteilte Fassung des Anspruchs soll wie folgt geändert werden:
1. Kameraarm (10) für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs Nutzfahrzeugs (100) zum Aufnehmen einer Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera, die einen Bereich erfasst, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht, mit einem ersten Gehäuseelement (12) und einem zweiten Gehäuseelement (14), wobei das erste Gehäuseelement (12) eine die Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt und das zweite Gehäuseelement (14) angepasst ist, derart lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs Nutzfahrzeugs (100) verbunden zu werden ist, dass der Kameraarm (10) oberhalb der Augpunkte eines Fahrers des Nutzfahrzeugs (100) angebracht ist und die Bildaufnahmeeinheit (18) Sicht auf den Bereich hat, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht, wobei das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements(14) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist und zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine Schwenkachse (A) schwenkbar und beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist.
Hilfsantrag V Die gemäß den Hilfsanträgen I und IV vorgesehenen Merkmale sollen miteinander kombiniert werden.
Hilfsantrag VI Der gemäß Hilfsantrag IV vorgesehene Anspruchstext soll im letzten Absatz wie folgt ergänzt werden:
…..zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine im Wesentlichen vertikale Schwenkachse (A) schwenkbar und beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist.
Hilfsantrag VII Der gemäß Hilfsantrag VI vorgesehene Anspruchstext soll die gemäß Hilfsantrag V vorgesehene Anfügung ebenso erhalten.
Hilfsantrag VIII Der gemäß Hilfsantrag VII vorgesehene Anspruchstext soll im dritten Absatz wie folgt ergänzt werden:
….., wobei das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements (14) in einer einzigen festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist und …
Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass die mit den Hilfsanträgen verteidigten Fassungen des Anspruchs 1 unzulässig, zumindest nicht patentfähig seien.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen und hält das Streitpatent in der erteilten Fassung, zumindest in den mit Hilfsanträgen verteidigten Fassungen, für patentfähig.
Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 31. Mai 2017 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG zukommen lassen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf deren Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig und auch in der Sache begründet. Zwar liegt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) nicht vor. Jedoch hält das Streitpatent weder in seiner erteilten Fassung noch in den Fassungen der von der Beklagten vorgelegten Hilfsanträge den auf mangelnde Patentfähigkeit gestützten Angriffen (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) stand.
I.
1. Der erfindungsgemäße Kameraarm für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs ist nach seiner Beschreibung in der Streitpatentschrift (dort Absatz [0001]) insbesondere zur Verwendung an Nutzfahrzeugen gedacht. Bei Kraftfahrzeugen seien abhängig von dem Fahrzeugtyp - wie z. B. Krafträdern, Kraftfahrzeugen zur Personen- oder zur Güterbeförderung - sogenannte Sichtfelder gesetzlich vorgegeben. Diese müssten durch eine Einrichtung für indirekte Sicht abgebildet werden und durch den auf einem Fahrersitz sitzenden Fahrer jederzeit über diese Einrichtung einsehbar sein. Gewöhnlicher Weise würden die Einrichtungen für indirekte Sicht durch Spiegel gebildet (Beschreibung Absatz [0002]).
In letzter Zeit würden solche Einrichtungen für indirekte Sicht zunehmend durch Kameras bzw. Bildaufnahmeeinheiten ersetzt und/oder ergänzt. Diese seien derart ausgebildet, dass eine außen am Fahrzeug angebrachte Kamera ein Bild von der Umgebung des Fahrzeugs aufnehme und dass das Bild, ggf. nach seiner Bearbeitung, auf einer im Innenraum des Fahrzeugs angebrachten Anzeigeeinrichtung für den Fahrer einsehbar dargestellt werde (Beschreibung Absatz [0003]).
Derzeit seien solche Kameras bzw. Bildaufnahmeeinheiten fest oder lösbar meist unmittelbar an der Fahrzeugkarosserie montiert, d. h. sie stünden nicht oder kaum von der Fahrzeugkarosserie vor. Ohne die Verwendung von Bildaufnahmeeinheiten mit verhältnismäßig starkem Weitwinkel sei es in diesem Fall kaum möglich, mit ähnlichen Blickwinkeln, die der Fahrer beim Blick in einen herkömmlichen Seitenspiegel habe, seitliche Sichtbereiche neben dem Fahrzeug zu erfassen. Gerade im Bereich von Nutzfahrzeugen sei es jedoch wünschenswert, auf der Fahrer- und der Beifahrerseite jeweils einen ebenen und horizontalen Teil der Fahrbahn von bestimmter Breite einsehbar zu machen, der sich ab einer festgelegten Entfernung hinter den Augenpunkten des Fahrzeugführers bis zum Horizont erstrecke. Die Breite dieses Streifens entspreche bei der Verwendung von herkömmlichen Spiegeln in einer festgelegten Entfernung hinter den Augenpunkten des Fahrzeugführers dem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels, in kürzerer Entfernung hinter den Augenpunkten des Fahrzeugführers dem Sichtfeld eines Hauptspiegels, dessen vorgegebene einsehbare Breite, d. h. Erstreckung in Fahrzeugquerrichtung, geringer als die des Weitwinkelspiegels sei. Es sei schwierig, solche Sichtbereiche mit unmittelbar am Fahrzeug angebrachten Kamerasystemen abzubilden (Beschreibung Absatz [0004]).
Darüber hinaus sei bei Nutzfahrzeugen der Ersatz von herkömmlichen Spiegeln durch Kamerasysteme zwar strömungstechnisch günstig, und es wirke sich vorteilhaft auf den Kraftstoffverbrauch aus, dass die Umströmung des Fahrzeugs nicht durch ab- oder vorstehende Spiegel negativ beeinflusst werde. Allerdings würden in letzter Zeit Spiegel auch gezielt geformt, um bestimmte, für den Kraftstoffverbrauch günstige Strömungsverhältnisse auszulösen. Bei einer unmittelbar an der Fahrzeugkarosserie angebrachten Spiegelersatzsystem-Kamera falle diese Möglichkeit jedoch weg (Beschreibung Absatz [0005]).
Würden für ein Kamera-Monitor-System eines Fahrzeugs, das die Kamera und insbesondere deren Bildaufnahmeeinheit aufnehme, zum Erreichen von optimaler Sicht und Ausrichtung der Kamera abstehende Halterungen vorgesehen, so sei es ggf. wünschenswert, diese an einem vom Fahrer nicht oder nur schlecht einsehbaren Ort am Fahrzeug anzubringen. Dies bedeute, dass die Halterung der Bildaufnahmeeinheit ggf. bei bestimmten Fahrmanövern für den Fahrer nicht sichtbar sei und somit - insbesondere dann, wenn der Befestigungsort der Kamera vom Fahrzeug weit herausrage und somit nicht mit den üblichen Umrissen des Fahrzeugs deckungsgleich sei - die Gefahr der Kollision mit der Umgebung oder anderen Verkehrsteilnehmern bestehe (Beschreibung Absatz [0006]).
Die Beschreibungseinleitung befasst sich nachfolgend mit verschiedenen Druckschriften aus dem Stand der Technik und nennt es als Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine Halterung für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs bereitzustellen, die nicht nur eine optimale Sicht der Kamera für das jeweils geforderte oder gewünschte Sichtfeld ermögliche, sondern auch gegenüber Kollisionen geschützt sei (Beschreibung Absatz [0010]).
2. Diese Aufgabe soll erfindungsgemäß durch ein Erzeugnis mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 gelöst werden. Diese Merkmale können (entsprechend einem Vorschlag der Klägerinnen, Anlage NK7) wie folgt gegliedert werden:
1.1 Kameraarm (10) für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs (100),
1.2 mit einem ersten Gehäuseelement (12) und einem zweiten Gehäuseelement (14), wobei 1.2.1 das erste Gehäuseelement (12) eine Bildaufnahmeeinheit (18) der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt und 1.2.2 das zweite Gehäuseelement (14) angepasst ist, lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs (100) verbunden zu werden, wobei
1.3 das erste Gehäuseelement (12) bezüglich des zweiten Gehäuseelements (14) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist und
1.4 zwischen dem ersten Gehäuseelement (12) und dem zweiten Gehäuseelement (14) ein Schwenkmechanismus (16) vorgesehen ist, 1.4.1 so dass das erste Gehäuseelement (12) relativ zum zweiten Gehäuseelement (14) um eine Schwenkachse (A) schwenkbar und 1.4.2 beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappbar ist.
3. Zuständiger Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein Ingenieur des Maschinenbaus mit Spezialkenntnissen in der mechatronischen Systementwicklung und mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung von Kameraarmen. Dieser Fachmann kennt auch konstruktive Einzelheiten der durch Kameras zu ersetzenden Fahrzeugspiegel, für die teilweise dieselben Anforderungen gelten wie für Kameraarme (etwa im Hinblick auf die jeweiligen Rastwinkel). Die fachliche Nähe der Konstruktion von KFZ-Spiegeln und Kameraarmen kommt auch in den insoweit gültigen „Einheitlichen Bedingungen für die Genehmigung von Einrichtungen für indirekte Sicht und von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Anbringung solcher Einrichtungen“ zum Ausdruck (vgl. die als Anlage NK8 vorgelegte Regelung Nr. 46 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE).
4. Dieser Fachmann legt den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 folgendes Verständnis zu Grunde:
a) Unter einem Kameraarm i. S. d. Merkmals 1.1 versteht das Streitpatent ein Bauteil, das vom Fahrzeug deutlich bzw. weit abragt, zumeist in seitlicher Richtung des Fahrzeugs (Streitpatentschrift Absatz [0012]). Der beanspruchte Kameraarm ist „für eine Spiegelersatzsystem-Kamera eines Kraftfahrzeugs“ bestimmt. Aus dieser Formulierung folgt, dass die Spiegelersatzsystem-Kamera selbst kein gegenständlicher Teil des Anspruchsgegenstandes ist. Vielmehr kommt es nur darauf an, dass der Kameraarm eine derartige Spiegelersatzsystem-Kamera aufnehmen kann, wobei es nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Kameraarm zusätzlich oder alternativ auch zur Aufnahme anderer Arten von Kameras bzw. gänzlich anderer Elemente (z. B. von Displays oder Spiegeln) eignet.
b) Gemäß Merkmal 1.2 besteht der Kameraarm aus zwei Gehäuseelementen, wobei das erste Gehäuseelement gemäß Merkmal 1.2.1 „eine Bildaufnahmeeinheit der Spiegelersatzsystem-Kamera aufnimmt“, d. h. die Bildaufnahmeeinheit muss - anders als die in Merkmal 1.1. erwähnte Kamera - gegenständlich vorhanden sein.
c) Merkmal 1.2.2 bringt zum Ausdruck, dass der Kameraarm dazu vorgesehen ist, über sein (zu diesem Zweck entsprechend angepasstes) zweites Gehäuseelement mit der Fahrzeugkarosserie lagefest verbunden zu werden, wobei die Karosserie selbst wiederum nicht zum Anspruchsgegenstand gehört. Somit bleibt auch offen, ob der Kameraarm nach seiner Ausgestaltung nur an einer bestimmten Stelle der Karosserie angebracht werden kann, an mehreren oder sogar an beliebigen Stellen. So kann der Kameraarm etwa zur Verbindung mit einer Stelle der Karosserie vorgesehen sein, an der üblicherweise auch ein Rück- oder Seitenspiegel angebracht wird. Da der Fahrer die Kamera - im Unterschied zu einem Spiegel - während der Fahrt nicht im Blick haben muss, kommen aber ebenso andere Befestigungspositionen in Betracht.
d) Was das räumliche Verhältnis der beiden Gehäuseelemente zueinander anbelangt, so legt Merkmal 1.3 fest, dass das erste Gehäuseelement bezüglich des zweiten (gemäß Merkmal 1.2.2 seinerseits lagefest mit der Fahrzeugkarosserie verbundenen) Gehäuseelements in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar ist. Wie diese Betriebsposition zustande kommt, bleibt hierbei völlig offen. Insbesondere brauchen die sie herbeiführenden Mittel nicht zwingend mit dem in Merkmal 1.4 genannten Schwenkmechanismus in Zusammenhang stehen (wie dies etwa bei den - auf der Verwendung von Schwenkmechanismen mit einem Friktions- oder Rastlager bzw. mit einem Federmechanismus beruhenden Ausführungsbeispielen gemäß den Absätzen [0015] bis [0017] der Streitpatentschrift, entsprechend den Unteransprüchen 2 bis 4, der Fall ist).
e) Nach Merkmal 1.4 ist zwischen den beiden Gehäuseelementen ein Schwenkmechanismus vorgesehen, der zum einen ein Verschwenken des ersten gegenüber dem zweiten Gehäuseelement um eine Schwenkachse ermöglicht (Merkmal 1.4.1) und zum anderen dafür sorgt, dass das erste gegenüber dem zweiten Gehäuseelement beim Einwirken einer größeren als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft weg- oder einklappen kann (Merkmal 1.4.2). Während der Begriff des Verschwenkens lediglich impliziert, dass das eine Gehäuseelement gegenüber dem anderen um eine Achse im allgemeinen Sinne beweglich ist, bezieht sich die Weg- oder Einklappbarkeit auf die Stellung des ersten Gehäuseelements gegenüber dem zweiten Gehäuseelement, und damit auch - weil letzteres im eingebauten Zustand fest mit dem Fahrzeug verbunden ist - gegenüber der Karosserie. Das erste Gehäuseelement wird eingeklappt, wenn es sich mittels des Schwenkmechanismus der Fahrzeugkontur annähert, so dass die Auskragweite des Kameraarms insgesamt reduziert wird. Beim Wegklappen geschieht das Umgekehrte, d. h. das erste Gehäuseelement entfernt sich von der Fahrzeugkontur und der Kameraarm kragt weiter aus.
Die Schwenk- bzw. Abklappfunktion kann der Streitpatentschrift zufolge im Übrigen mit beliebigen Mitteln bewerkstelligt werden, z. B. mit Hilfe eines Federmechanismus (Absatz [0017]), eines motorisch steuerbaren Schwenkmechanismus (Absatz [0018]), eines elektrisch angesteuerten oder eines automatisch auf einen Kollisionssensor reagierenden Abklappantriebs (Absatz [0019]).
II.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung geht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung nicht hinaus, weshalb keine unzulässige Erweiterung vorliegt.
Zwar sind die Merkmale 1.3 und 1.4.2 (gemäß der von der Klägerin vorgelegten Gliederung) in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht wörtlich enthalten. Jedoch ist dort vom „Anstoßen des ersten Gehäuseelements gegen ein Hindernis“ die Rede (NK2, Seite 3, zweiter Absatz), woraus der Fachmann das Merkmal 1.4.2 ohne weiteres entnimmt. Bei Merkmal 1.3 handelt es sich um eine Verallgemeinerung gegenüber ursprünglich beschriebenen Ausführungen (vgl. NK2, Seite 3, vierter Absatz, und Seite 4, zweiter Absatz). Diese ist jedoch zulässig, da es für den Fachmann selbstverständlich ist, dass die Gehäuseelemente gegeneinander feststellbar sein müssen.
III.
In der erteilten Fassung ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht patentfähig, weil er gegenüber dem Stand der Technik am Anmeldetag nicht neu ist und auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
1. Aus der von den Klägerinnen im Anschluss an den frühen gerichtlichen Hinweis vorgelegten deutschen Offenlegungsschrift 10 2004 034 477 A1 (NK10) gehen sämtliche Merkmale dieses Anspruchs hervor, weshalb diese als neuheitsschädlich anzusehen ist.
a) Bei dem dort offenbarten Bilderfassungssystem für Kraftfahrzeuge handelt es sich um einen Kameraarm für eine Spiegelersatzsystem-Kamera i. S. d. Merkmals 1.1. Die Entgegenhaltung schildert u. a. Nachteile, die mit den bekannten Seitenspiegeln verbunden sind, und schlägt vor, diese Nachteile durch eine Vorrichtung zu beheben, in der Mittel zur Bildaufnahme und Bildwiedergabe in einem gemeinsamen Gehäuse, insbesondere in einem Innen- oder Außenspiegelgehäuse, integriert sind (NK10, Absätze [0002] bis [0007]). Als besonderer Vorteil dieser Integration wird hervorgehoben, dass die Vorrichtung dadurch herkömmliche Innen- und/oder Außenspiegel ersetzen könne (NK10, Absatz [0009]. Dementsprechend zeigt das in NK10, Figur 1, dargestellte Ausführungsbeispiel ein Gehäuse 3 ähnlich einem Außenspiegelgehäuse eines Fahrzeugs, in dem sowohl ein Display 1 als auch eine Kamera 2 integriert sind (vgl. NK10, Absatz [0035], und Anspruch 1).
Unabhängig davon, dass somit gemäß NK10 nicht nur die Kamera, sondern auch das Display in einem gemeinsamen Gehäuse angeordnet sind, stellt dieses Gehäuse, das vom Fahrzeug deutlich abragt, einen Kameraarm i. S. d. Merkmals 1.1 dar (s. o. I.4.a). Dies gilt unabhängig davon, an welcher Stelle des Gehäuses die Kamera eingebaut ist. Die Unterbringung der Kamera in einem Kameraarm soll eine optimale Sicht auf den zu erfassenden Bereich ermöglichen (Streitpatentschrift Absatz [0012]). Dieser Zweck wird auch bei NK10 erfüllt. Zwar ist in der dortigen Figur 1 die Kamera 2 an der rechten oberen Ecke eingezeichnet, so dass sie nach diesem Ausführungsbeispiel relativ nahe an der Karosserie liegt. Abgesehen davon, dass das Streitpatent diesbezüglich keinen Mindestabstand verlangt und auch der in NK10 gezeigte Einbau dem Fahrer eine bessere Sicht verschaffen soll (vgl. Aufgabenstellung NK10, Absatz [0006]), ist die genannte Zeichnung nur schematisch zu verstehen (NK10, Absatz [0035]), und eine andere Anordnung der Kamera - z. B. an der Außenseite des Gehäuses - ist jederzeit möglich (vgl. NK10, Absatz [0014]).
b) Der bei NK10 nach Art eines Außenspiegelgehäuses ausgebildete Kameraarm besteht i. S. d. Merkmals 1.2 aus einem ersten Gehäuseelement (= Gehäuse) 3 und einem zweiten Gehäuseelement (= Fuß) 4, wobei das erste Gehäuseelement eine Bildaufnahmeeinheit (= Kamera) 2 aufnimmt (Merkmal 1.2.1; s. a. NK10, Anspruch 1) und das zweite Gehäuseelement angepasst ist, lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs verbunden zu werden (Merkmal 1.2.2; siehe NK10, Figur 3).
c) Die bei NK10 angesprochenen Bildwiedergabemittel sind so in dem Gehäuse untergebracht, dass sie der Fahrer optimal auf sich ausrichten kann. Bei NK10 ist somit - da sonst keine optimale Ausrichtung möglich wäre - das erste Gehäuseelement bezüglich des zweiten Gehäuseelements i. S. d. Merkmals 1.3 in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar, was sich für den fachmännischen Leser dieser Schrift ohne weiteres erschließt.
d) Ebenso erkennt der Fachmann bei NK10 das Vorhandensein eines Schwenkmechanismus zwischen den beiden Gehäuseelementen (Merkmal 1.4), durch den das erste gegenüber dem zweiten Gehäuseelement um eine Schwenkachse schwenkbar ist (Merkmal 1.4.1). Nach der in NK10, Absatz [0025], beschriebenen bevorzugten Ausführung ist die Vorrichtung nämlich klappbar, d. h. sie kann z. B. zur Reduzierung der Unfallgefahr bei abgestelltem Fahrzeug motorisch herangeklappt werden. Dies wird dadurch bewerkstelligt, dass durch Betätigung des Motors eine größere als die normalerweise im Betrieb auftretende Kraft auf das erste Gehäuseelement wirkt, wodurch auch das Merkmal 1.4.2 erfüllt ist (s. o. I.4.e, a. E.).
2. Ebenso ist die Offenlegungsschrift US 2003/0103142 A1 (NK5) als neuheitsschädlich anzusehen.
a) Diese Schrift zeigt eine Kamera, die in einen Außenspiegel eingebaut und dadurch in einem gewissen Abstand von der Fahrzeugkarosserie gehalten ist (siehe Figur 2). Das Spiegelgehäuse stellt somit einen Kameraarm i. S. d. Merkmals 1.1 dar, wobei es unerheblich ist, dass sich in dem Gehäuse zusätzlich ein Spiegel befindet (s. o. I.4.a). Ebenso spielt keine Rolle, ob die in NK5 dargestellte Kamera einen nach den insoweit gültigen Bestimmungen vorgeschriebenen Spiegel vollkommen ersetzen oder ihn lediglich ergänzen soll. Für die Erfüllung des Merkmals 1.1 ist es ausreichend, dass der Kameraarm eine SpiegelersatzsystemKamera aufnehmen kann, was bei NK5 ohne weiteres der Fall ist.
Da Merkmal 1.1 keinen Mindestabstand verlangt, kommt es - entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung - auch nicht darauf an, dass nach der Regelung NK8, Abschnitt 15.2.2.5, Spiegel nicht wesentlich weiter über den Fahrzeugumriss hinausragen dürfen, als es zur Erzielung des vorgeschriebenen Sichtfelds erforderlich ist. Ebenso ist unerheblich, dass sich die in NK5, Figur 2, abgebildete Kamera nicht am äußeren Rand des Spiegelgehäuses, sondern dort eher in der Mitte befindet. Daraus kann nämlich nicht abgeleitet werden, dass das Gehäuse zur Aufnahme einer Spiegelersatzsystem-Kamera nicht in der Lage wäre.
b) Bei NK5 besteht der Kameraarm entsprechend Merkmal 1.2 aus einem ersten Gehäuseelement (= Gehäuse) 2 und einem zweiten Gehäuseelement (= Sockel) 6, wobei das Gehäuse 2 die Kamera 12 aufnimmt (Merkmal 1.2.1) und der Sockel 6 gemäß Merkmal 1.2.2 angepasst ist, lagefest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs befestigt zu werden (vgl. NK5, Absatz [0057]).
c) Auch Merkmal 1.3 ist in NK5 offenbart, weil das Gehäuse 2 bezüglich des Sockels 6 in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition (= Neutralposition) N1 feststellbar ist (siehe Figur 10 und Beschreibung Absatz [0009]).
d) Ebenso können NK5 die Merkmale 1.4 und 1.4.1 entnommen werden, und zwar in Gestalt des durch die Welle 7 vermittelten, zwischen dem Gehäuse 2 und dem Sockel 6 befindlichen Schwenkmechanismus, durch den das Gehäuse um die Schwenkachse 01 gegenüber dem Sockel geschwenkt werden kann. Mit Hilfe eines Elektromotors oder durch äußere Krafteinwirkung ist das Gehäuse i. S. d. Merkmals 1.4.2 weg- oder einklappbar, und zwar von der Betriebsposition N1 in die Positionen N2 oder N3 (vgl. NK5, Absätze [0023] und [0071] und Figur 10).
3. Die US-Patentschrift 8,066,415 B2 (NK6) zeigt eine mit NK5 vergleichbare Konstruktion, weshalb auch diese Schrift als neuheitsschädlich anzusehen ist.
a) Ein Außenspiegel, der zugleich zur Aufnahme einer Kamera dient und somit als Kameraarm eines Kraftfahrzeugs anzusehen ist (Merkmal 1.1) besteht aus einem ersten Gehäuseelement (= Einfassung) 34 und einem zweiten Gehäuseelement (= stationäre Verkleidung) 38 (Merkmal 1.2), wobei sich in der Einfassung 34 eine Bildaufnahmeeinheit (= Kamera 752) befindet (Merkmal 1.2.1; siehe NK6, Figur 48), und wobei die stationäre Verkleidung zur lagefesten Verbindung mit der Karosserie angepasst ist (Merkmal 1.2.2).
b) Die Einfassung 34 ist gegenüber der stationären Verkleidung 38 gemäß Merkmal 1.3 mit Hilfe einer vorgespannten Feder (Abkippgelenkgruppe 44; siehe Figur 9) in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition feststellbar und außerdem um eine durch den Mechanismus 44 definierte Drehachse schwenkbar (Merkmale 1.4., 1.4.1). Bei ausreichender Krafteinwirkung wird die Einfassung 34 i. S. d. Merkmals 1.4.2 aus einer Normalbetriebsposition in eine gegen die Karosserie des Fahrzeugs gefaltete Position bewegt (vgl. NK6, Spalte 9, Zeilen 53 ff.; Spalte 21, Zeilen 29 bis 33: „break-away position upon impact“).
4. Der Anspruchsgegenstand war dem Fachmann am Anmeldetag auch nahegelegt, weshalb er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Da die Kamera einen Fahrzeugspiegel ersetzen soll, lag es nämlich für den Fachmann auf der Hand, sich bei der Konstruktion des Kameraarms an den bekannten Spiegelgehäusen zu orientieren. Gerade die aus NK5, NK6 und NK10 hervorgehende Verwendung von Spiegelgehäusen als Kameraarme macht ersichtlich, dass an Haltearme für eine Kamera vergleichbare Anforderungen zu stellen sind wie an Halterungen bzw. Gehäuse für Rück- oder Seitenspiegel.
Gehäuse für Seitenspiegel, die über die Fahrzeugkontur vorstehen, werden generell so gestaltet, dass sie bei Einwirken einer größeren als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft ausweichen, meist ein- bzw. wegklappen. Nach diesem Vorbild wird der Fachmann, wenn er eine Kamera an einem über die Fahrzeugkontur vorstehenden Kameraarm anordnet, eine entsprechende konstruktive Gestaltung vornehmen, nämlich ein erstes Gehäuseelement so schwenkbar an einem zweiten, mit der Fahrzeugkarosserie verbundenen Gehäuseelement befestigen, dass es bei einer außergewöhnlichen Krafteinwirkung ein- oder wegklappt.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass Rückspiegel und Kameraarme bei einem Kraftfahrzeug an unterschiedlichen Stellen angebracht sein könnten, weshalb das Ein- bzw. Wegklappen anderen Zwecken diene, nämlich beim Spiegel dem Personenschutz und beim Kameraarm, weil der Fahrer keine direkte Sicht auf ihn habe, dem Schutz der Kamera an sich (etwa bei einem Reinigungsvorgang). In der Praxis kann von derartigen prinzipiellen Unterschieden nicht die Rede sein, zumal wenn sich der Kameraarm - wie bei NK5, NK6 und NK10 - dort befindet, wo üblicherweise ein Seitenspiegel angebracht ist. Es geht in beiden Fällen sowohl um den Schutz von anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere Fußgängern, als auch um den Schutz des Gehäuses samt Inhalt.
Auch aus diesem Grund ist Anspruch 1 in seiner erteilten Fassung nicht patentfähig.
IV.
Auch die Fassungen der Hilfsanträge enthalten keine bestandsfähige Fassung des Patentanspruchs 1 des Streitpatents.
1. In der Fassung des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich Anspruch 1 von der erteilten Anspruchsfassung zum einen dadurch, dass nunmehr ein Kameraarm (10) nicht mehr allgemein für ein Kraftfahrzeug, sondern speziell für ein Nutzfahrzeug (100) beansprucht wird. Zum anderen soll die Kamera - entsprechend dem erteilten Anspruch 5 - eine Versorgungseinheit (19) für die Bildaufnahmeeinheit enthalten, wobei diese Versorgungseinheit im ersten Gehäuseelement (12) oder im zweiten Gehäuseelement (14) angeordnet ist.
a) Die Beschränkung auf Nutzfahrzeuge führt für sich genommen - bei Hilfsantrag 1 ebenso wie bei den weiteren Hilfsanträgen, in denen diese Beschränkung gleichermaßen vorgesehen ist - zu keiner anderen Einschätzung der Patentfähigkeit. So ist das in NK10 offenbarte Bilderfassungssystem explizit auch für LKW vorgesehen (NK10, Absatz [0029]). Die Klägerinnen weisen zudem zutreffend darauf hin, dass Nutzfahrzeuge auch auf PKW-Basis zum Einsatz kommen können (z. B. als Rettungswagen oder Kleintransporter).
b) Eine Versorgungseinheit 19 kann laut Streitpatentschrift (Absatz [0034]) u. a. vorgesehen sein, um von der Bildaufnahmeeinheit 18 erfasste Daten, ggf. nach Bearbeitung, an eine Anzeigeeinheit zu geben. Auch kann die Versorgungseinheit 19 mit einem Elektromotor in Verbindung stehen und dazu beitragen, dass dieser zur Vermeidung einer Kollision das erste Gehäuseelement einklappt. Entsprechende Versorgungseinheiten sind auch in NK10 (Absätze [0024], [0025], und Ansprüche 9 und 10) vorgesehen. Was ihre Unterbringung innerhalb des Kameragehäuses angeht, so konnte der Fachmann eine dahin gehende Anregung der Offenlegungsschrift US-2011/0267466 A1 (NK4, Figuren 4, 5) entnehmen, wo eine als Versorgungseinheit anzusehende Platine 40 innerhalb des Kameragehäuses 16 gezeigt ist. Da diese Anordnung technisch völlig unabhängig von der Wegoder Einklappfunktion ist, konnte der Fachmann diese Schrift unabhängig davon berücksichtigen, ob aus ihr auch das Merkmal 1.4.2 hervorgeht.
Somit können die gemäß Hilfsantrag 1 hinzugekommenen Merkmale dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht die erforderliche Erfindungshöhe verleihen.
2. Gemäß Hilfsantrag 2 soll der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dessen erteilter Fassung nicht nur durch die bereits in Hilfsantrag 1 vorgesehene Beschränkung auf Nutzfahrzeuge, sondern auch dadurch weiter eingeschränkt sein, dass die Bildaufnahmeeinheit (18) einen Bereich erfasst, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht, ferner dadurch, dass bei lagefester Verbindung des zweiten Gehäuseelements (14) mit der Karosserie der Kameraarm (10) oberhalb der Augpunkte eines Fahrers des Nutzfahrzeugs (100) angebracht ist und die Bildaufnahmeeinheit (18) Sicht auf den Bereich hat, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht.
a) Durch die genauere Bestimmung der Bereiche, die die Bildaufnahmeeinheit umfasst, wird der Kameraarm als solcher nicht näher gekennzeichnet und somit auch nicht eingeschränkt. Welchen Bereich eine Bildaufnahmeeinheit umfasst bzw. welche Sicht sie erfasst, hängt nämlich maßgeblich davon ab, an welcher Stelle der Karosserie der Kameraarm montiert ist.
b) Entsprechendes gilt, soweit nunmehr darauf abgestellt werden soll, dass das zweite Gehäuseelement derart zur lagefesten Verbindung mit der Karosserie angepasst ist, dass der Kameraarm - nach der Verbindung - oberhalb der Augpunkte eines Fahrers angebracht ist. Damit wird der für das Angepasstsein des zweiten Gehäuseelements - und damit des Kameraarms - genannte Zweck, nämlich die lagefeste Verbindung mit der Karosserie (s. hierzu auch unter I.4.c), lediglich näher durch die Nennung einer bestimmten Lageposition an der Karosserie ausgeführt, ohne über diese Zweckangabe hinaus ein konkretes räumlich-körperliches Merkmal des zweiten Gehäuseelements zu nennen. Zweckangaben in einem Sachanspruch beschränken als solche dessen Gegenstand regelmäßig nicht. Mittelbar haben sie die Wirkung, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er so ausgebildet sein muss, um für den angegebenen Zweck verwendbar zu sein (vgl. BGH GRUR 2012, 475, Tz. 17 - Elektronenstrahltherapiesystem). Die vorliegende Zweckbestimmung, wonach das zweite Gehäuseelement derart zur lagefesten Verbindung mit der Karosserie angepasst ist, dass der Kameraarm (10) oberhalb der Augpunkte eines Fahrers angebracht ist und die Bildaufnahmeeinheit (18) Sicht auf den Bereich hat, der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht, hängt jedoch maßgeblich davon ab, an welcher Stelle der Karosserie der Kameraarm montiert ist, und nicht von der Beschaffenheit des zweiten Gehäuseelements.
Damit beinhaltet auch dieses zusätzliche Merkmal keine gegenständliche Präzisierung und bildet den Kameraarm als solchen nicht weiter aus, so dass es seine Patentfähigkeit ebenfalls nicht begründen kann.
c) Davon abgesehen, stellt ein oberhalb der Augpunkte (vgl. hierzu NK8, Abschnitt 12.1, und Anhang 8) angebrachter Kameraarm den Fachmann - nicht anders als ein seitlich vom Fahrer angebrachter Kameraarm - vor die Aufgabe, andere Verkehrsteilnehmer und die Kamera selbst vor Kollisionen oder vor Nässeund Schmutzeinwirkungen zu schützen, weshalb es für ihn ebenso nahegelegt war, den Kameraarm auch in diesem Fall zweiteilig auszugestalten und ihn nach dem Vorbild der bekannten Fahrzeug-Außenspiegel mit einem Schwenk- und Klappmechanismus zu versehen.
3. Nach Hilfsantrag III sollen die gemäß den Hilfsanträgen I und II hinzugekommenen Merkmale miteinander kombiniert werden. Dadurch ergibt sich jedoch kein synergetischer Effekt, der - trotz mangelnder Neuheit bzw. fehlender Erfindungshöhe der einzelnen Merkmale - die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 begründen könnte.
4. In der Fassung des Hilfsantrags IV unterscheidet sich der Patentanspruch 1 gegenüber seiner Fassung gemäß Hilfsantrag II dadurch, dass das zweite Gehäuseelement (14) nicht nur angepasst ist, lagefest mit der Karosserie verbunden zu werden, sondern dass die lagefeste Verbindung tatsächlich vorhanden ist, und dass der Kameraarm (10) ebenfalls tatsächlich oberhalb der Augpunkte des Fahrers angebracht ist und die Bildaufnahmeeinheit (18) Sicht auf den Bereich hat,
der einem Sichtfeld eines Hauptspiegels und einem Sichtfeld eines Weitwinkelspiegels entspricht.
a) Diese Anspruchsfassung ist unzulässig, weil sie den Schutzbereich des Anspruchs 1 erweitern würde. Während nämlich nach dessen erteilter Fassung lediglich ein Kameraarm als solcher geschützt ist (wenn auch angepasst zur Befestigung an einer Karosserie), soll gemäß Hilfsantrag IV die Fahrzeugkarosserie zu einem zusätzlichen (gegenständlichen) Element des Schutzgegenstandes werden. Trotz Offenbarung der Karosserie in dem erteilten Patent, wird sie in den dortigen Ansprüchen nicht unter Schutz gestellt, weshalb ihre Einbeziehung in einen geänderten Anspruch nicht möglich ist (vgl. BGH GRUR 2005, 145, 146 - elektronisches Modul).
b) Davon abgesehen wäre auch diese Fassung aus den oben zu 2.c) genannten Gründen zur Begründung der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 nicht geeignet.
5. Nach Hilfsantrag V sollen die gemäß den Hilfsanträgen I und IV vorgesehenen Merkmale kombiniert werden, was aus dem oben zu 4.a) genannten Grund ebenso unzulässig ist und im Übrigen die Patentfähigkeit - in Ermangelung eines synergetischen Effektes - auch nicht begründen könnte.
6. Nach Hilfsantrag VI soll der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag IV hinzugefügt werden, dass die in Merkmal 1.4.1 genannte Schwenkachse (A) im Wesentlichen vertikal verläuft. Außerdem soll das erste Gehäuseelement (12) nicht mehr (wie in Merkmal 1.4.2 gemäß erteilter Fassung vorgesehen) „weg- oder einklappbar“, sondern nur noch „einklappbar“ sein.
a) Diese Anspruchsfassung ist aus dem oben zu 4.a) genannten Grund ebenfalls unzulässig.
b) Davon abgesehen war eine im Wesentlichen vertikale Schwenkachse dem Fachmann am Anmeldetag aus dem Stand der Technik bekannt (vgl. etwa NK10,
Figur 1) und im Hinblick darauf, dass sich Anstöße überwiegend in horizontaler Richtung ereignen, auch nahegelegt.
c) Ob die in Merkmal 1.4.2 vorgesehene Änderung - wie von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen - den Schutzbereich erweitern würde und deshalb ebenfalls unzulässig ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann darauf, dass das erste Gehäuseelement beim Einwirken einer größeren Kraft als der normalerweise im Betrieb auftretenden Kraft lediglich einklappbar (und jedenfalls nicht zwingend auch wegklappbar) ist, die erforderliche Erfindungshöhe nicht gestützt werden.
7. Was die gemäß Hilfsantrag VII vorgesehene Kombination der in den Hilfsanträgen V und VI vorgesehenen Merkmale angeht, so gelten die Ausführungen oben zu 5. entsprechend.
8. Gemäß Hilfsantrag VIII soll die nach Hilfsantrag VII vorgesehene Anspruchsfassung dadurch konkretisiert werden, dass die in Merkmal 1.3 der erteilten Fassung vorgesehene Feststellbarkeit des ersten bezüglich des zweiten Gehäuseelements in einer festen, nicht abgeklappten Betriebsposition auf eine einzige Betriebsposition beschränkt ist.
Abgesehen von der Unzulässigkeit auch dieser Anspruchsfassung aus dem oben zu 4.a) genannten Grund kann die Feststellbarkeit der beiden Gehäuseelemente in einer einzigen Betriebsposition keine erfinderische Tätigkeit begründen. Es handelt sich insoweit um eine Ausführung rein handwerklicher Art.
V.
Somit hat Patentanspruch 1 des Streitpatents in keiner der von der Beklagten beantragten Fassungen Bestand. Da die Hilfsanträge i. S. geschlossener Anspruchssätze zu verstehen sind, sind die Unteransprüche (in der erteilten Fassung bzw. in den Fassungen der Hilfsanträge) von Amts wegen nicht auf patentfähige Inhalte zu prüfen. Das Streitpatent ist vielmehr insgesamt für nichtig zu erklären.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
VIII. Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden.
Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufungsfrist kann nicht verlängert werden.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Rauch Püschel Hildebrandt Küest Richter Pr