AK 57/18
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 57/18 vom 24. Januar 2019 in dem Strafverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:240119BAK57.18.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeschuldigten und seiner Verteidigerin am 24. Januar 2019 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.
Gründe:
I.
Der Angeschuldigte ist am 21. Juni 2018 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Juni 2018
(OGs 225/18) festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich im Zeitraum von April 2015 bis zum Tag des Haftbefehlserlasses im Großraum H.
und an anderen Orten als Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan, nachfolgend: PKK) in der Funktion eines Verantwortlichen für das Gebiet ("bölge") H.
betätigt,
strafbar als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB.
Mit Anklageschrift vom 21. November 2018 hat die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart am 23. November 2018 die öffentliche Klage gegen den Angeschuldigten zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Neben dem Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung legt die Anklage dem Angeschuldigten 131 Fälle des wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 6a AufenthG, § 53 StGB) jeweils in Tateinheit (§ 52 StGB) mit (weiterer) mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB) zur Last.
Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat nach mündlicher Haftprüfung mit Beschluss vom 10. Dezember 2018 den Antrag des Angeschuldigten zurückgewiesen, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens ist der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Juni 2018. Über den von der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart mit Erhebung der Anklage gestellten Antrag, diesen Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift neu zu fassen, ist noch nicht entschieden.
Die Haftprüfung bezieht sich daher allein auf den in dem vollzogenen Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22), zu dessen Anpassung oder Erweiterung nur das gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige Oberlandesgericht Stuttgart befugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 9). Auf die dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift angelasteten 131 Fälle des wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts jeweils in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung erstreckt sich die Haftprüfung somit nicht.
2. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 13. Juni 2018 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die PKK wurde 1978 unter anderem von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die PKK verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 - unter dieser Bezeichnung - die "Koma Civakên Kurdistan" ("Vereinigte Gemeinschaften Kurdistan", im Folgenden: KCK), die auf einen staatsähnlichen "konföderalen" Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, Iran und Irak abzielt und dabei umfangreiche staatliche Attribute beansprucht wie Parlament, Gerichtsbarkeit, Armee und Staatsbürgerschaft.
Die KCK ist, ebenso wie die PKK, auf die Person von Abdullah Öcalan ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung innerhalb der Organisation etwa über den "Kongra Gele Kurdistan" (KONGRA GEL - "Volkskongress Kurdistans") und den KCK-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den Kadern der übergeordneten Ebene regelmäßig Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.
Fester Bestandteil der Strukturen der PKK/KCK sind auch die "Hêzên Parastina Gel" ("Volksverteidigungskräfte", fortan: HPG), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorgenommenen "Selbstverteidigung" einen Guerillakrieg als legitimes Mittel. Die HPG verübten vor allem im Südosten der Türkei mittels Sprengstoff und Waffen Anschläge gegen türkische Soldaten sowie Polizisten und verletzten oder töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Sie bekannten sich seit der Aufkündigung eines "Waffenstillstands" zum 1. Juni 2004 zu über hundert Anschlägen.
Das Präsidium des Exekutivrats der KCK erklärte, nachdem Abdullah Öcalan aus der Haft heraus eine Friedensbotschaft verlesen und zu einer gewaltfreien politischen Lösung des Konflikts aufgerufen hatte, ab dem 23. März 2013 eine Feuerpause. In der Folge verübten die HPG zwar deutlich weniger Anschläge, ohne dass damit aber eine Abkehr von der Ausrichtung der Organisation auf die Begehung von Tötungsdelikten verbunden gewesen wäre; vielmehr enthielt die Erklärung bereits den Vorbehalt, dass man im Fall von Angriffen von dem "Recht auf Selbstverteidigung" Gebrauch machen und Vergeltung üben werde.
Nachdem der "Friedensprozess" im Juli 2015 endgültig zum Erliegen gekommen war, kam es in der Folge zu Gefechten mit den türkischen Streitkräften, die ihrerseits mit massiver militärischer Gewalt vorgingen. In diesen Auseinandersetzungen spielte die "Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung" (YDGH - Yurtsever Devrimci Genclik Hareketi), die sich mit den Selbstverteidigungskräften der HPG zusammenschloss, eine bedeutsame Rolle. Parallel dazu nahmen die Anschläge der HPG, bei denen Angehörige der türkischen Sicherheitskräfte, aber auch Zivilisten getötet oder verletzt wurden, wieder erheblich zu.
Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der PKK liegen in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran. Zahlreiche - regelmäßig nur auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtete Aktivitäten betreibt die PKK indes auch in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas. Dazu bediente sie sich bis Juli 2013 der "Civata Demokratîk a Kurdistan" ("Kurdische Demokratische Gesellschaft", im Folgenden: CDK), die die Direktiven der KCK-Führung umzusetzen hatte und namentlich dazu diente, die in Europa lebenden Kurden zu organisieren. Entsprechend den Vorgaben des 10. CDK-Kongresses vom Mai 2013 zur Neustrukturierung der PKK in Europa benannte sich der europäische Dachverband PKK-naher Vereine "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) im Juli 2013 in "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (KCD-E) um. Unter der Bezeichnung KCD-E werden nicht nur die Strukturen des KON-KURD, sondern auch diejenigen der CDK fortgeführt.
Unterhalb der Führungsebene war und ist Europa in Sektoren ("saha"), Gebiete ("bölge"), Räume ("alan") sowie Stadtteile ("semt") eingeteilt. In Deutschland gab es seit 2002 drei Sektoren ("Süd", "Mitte" und "Nord"); seit 2012 ist der Sektor "Süd" in die Sektoren "Süd 1" und "Süd 2" aufgeteilt. Für jede Organisationseinheit wird von der Führung mindestens ein Verantwortlicher eingesetzt; Sektoren und Gebiete werden in der Regel von einem durch die Organisation alimentierten, professionellen Führungskader geleitet. Die Organisationseinheiten stellen der PKK Finanzmittel bereit, rekrutieren Nachwuchs für den Guerillakampf und betreiben Propaganda. Dabei haben sie die Vorgaben der Europaführung umzusetzen und dieser über die Erfüllung ihrer Aufgaben regelmäßig Bericht zu erstatten.
bb) Im Zeitraum vom 10. Mai 2015 bis zum 13. Juni 2018 betätigte sich der Angeschuldigte als Mitglied der PKK in der Funktion eines Verantwortlichen für das Gebiet ("bölge") H. . Ohne zu den von der Organisation rotierend entsandten und alimentierten - "klassischen" - Führungskadern zu zählen, übte er diese Funktion im Einvernehmen mit der Leitungsebene tatsächlich aus: bis Juli 2015 als Nachfolger des gesondert verfolgten Y. (alias "I. "),
der sich zu dieser Zeit in der Schweiz aufhielt, von August 2015 bis Juni 2016 als der eine Teil der aus ihm und dem gesondert verfolgten Yi.
(alias "Ho. ") bestehenden "Doppelspitze", von Juli 2016 bis Juni 2017 jedenfalls ganz überwiegend alleine, von Juli bis Dezember 2017 unter Mitwirkung eines unbekannten Kaders mit dem Decknamen "A. " sowie ab Januar 2018 wiederum alleine.
17 Mit der Leitung des Gebiets H.
übernahm der Angeschuldigte die typischen Führungsaufgaben eines Verantwortlichen und koordinierte die insoweit anfallenden organisatorischen, finanziellen und propagandistischen Angelegenheiten der örtlichen kurdischen Gemeinde, deren Mittelpunkt der kurdische Verein in H.
("Kurdisches Gesellschaftszentrum H.
e.V.")
bildete. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit war dabei die (Mit-)Organisation öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen. Durch seine funktionsbedingte Autorität mobilisierte er für die Veranstaltungen Mitglieder der H.
Gemeinde,
kümmerte sich um die An- und Abreise und besorgte Mittel für die Durchführung der Veranstaltungen. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt war die Finanzbeschaffung für die Gesamtorganisation. Er war in dem Gebiet H.
für die Einsammlung und Verwaltung von "Spenden" zuständig. Im Rahmen von "Spendenkampagnen" der PKK überwachte und dirigierte er als verantwortlicher Koordinator mehrere ihm weisungsgebundene und zur Abrechnung verpflichtete Personen und traf Entscheidungen über Zahlbeträge und Zahlungsfristen für einzelne "Spender". Er verwahrte bei sich zu Hause "Spendengelder" im fünfstelligen Bereich, um sie an die nächsthöhere Leitungsebene weiterzureichen. Zugleich war der Angeschuldigte gegenüber der ihm übergeordneten Sektorleitung weisungsgebunden. Er stand im persönlichen Kontakt zur Leitungsebene ebenso wie zu anderen Gebietsverantwortlichen.
Wegen weiterer Einzelheiten zu den konkreten Betätigungsakten des Angeschuldigten für die Vereinigung wird auf den Haftbefehl des Oberlandesgerichts Stuttgart sowie den Anklagesatz der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart verwiesen.
b) Hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung PKK ergibt sich der dringende Tatverdacht aus Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere denjenigen des Bundeskriminalamts, die in zahlreichen Auswertungsberichten dargestellt sind, sowie aus öffentlichen Verlautbarungen der Vereinigung. Diese Erkenntnisse und Verlautbarungen waren bereits Grundlage zahlreicher Verurteilungen von Kadern der PKK durch verschiedene Oberlandesgerichte.
Bezüglich der Funktion des Angeschuldigten als Gebietsverantwortlicher und seiner mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen beruht der dringende Tatverdacht insbesondere auf den Erkenntnissen der Telekommunikationsüberwachung, daneben auf weiteren Beweismitteln, etwa den Angaben von Vertrauenspersonen/Informanten und vom Angeschuldigten verfassten monatlichen Finanzberichten, die bei ihm sichergestellt worden sind und als eine Art Buchhaltung angesehen werden können.
Aus aufgezeichneten Telefongesprächen und Angaben einer Vertrauensperson ergibt sich beispielsweise, dass der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit für die PKK im Rahmen deren jährlicher "Spendenkampagne" im Gebiet H.
ihm untergeordnete Einsammler instruierte, auftretende Fragen verbindlich entschied und das "gespendete" Geld bei sich vereinte; zudem belegen diese Beweismittel nach Aktenlage, dass durch den Angeschuldigten Aufforderungen und Anweisungen an "Spender" und "Spendenpflichtige" ergingen. Die Finanzberichte legen nahe, dass er den verbuchten Geldbestand organisationsintern gegenüber den vorgesetzten Sektor- bzw. Regionsleitern abrechnete und an diese weitergab. Nach den Angaben einer Vertrauensperson änderte sich auch dadurch, dass ab Juli 2017 der - offizielle - Kader "A. " als ein (weiterer) Gebietsleiter für H.
aktiv gewesen sei, nichts an der federführenden Organisation der "Spendensammlung" durch den Angeschuldigten. Im Zuge der Durchsuchung sind beim Angeschuldigten 28.745 € sichergestellt worden, die mutmaßlich aus "Spendensammlungen" stammen.
Zur Struktur und Organisation der PKK in Baden-Württemberg sowie den diesbezüglichen Eigenheiten des Gebiets H.
hat der PKK-Aussteiger Ö. als Zeuge ausgesagt. Bei einer Lichtbildvorlage hat dieser zwar den Angeschuldigten nicht als Leiter des Gebiets identifiziert und erklärt,
die Gebietsführung hätten die beiden Vorstandsvorsitzenden des kurdischen Vereins übernommen. Namentlich aus der Telekommunikationsüberwachung ergibt sich jedoch, dass der Angeschuldigte dem Vorstand des Vereins - als dessen "graue Eminenz" - hierarchisch übergeordnet war, dem Vorstand gegenüber Entscheidungen traf und Weisungen erteilte.
Wegen weiterer Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf das in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen.
c) In rechtlicher Hinsicht ist der haftbefehlsgegenständliche Vorwurf als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB) zu beurteilen.
aa) Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand stellt die PKK aufgrund ihrer Verbandsstruktur eine Vereinigung dar, bei der sich der Einzelne entsprechend den intern bestehenden Regeln dem Gruppenwillen unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen - indes nicht bestehenden "Selbstverteidigungsrechts" und der durch ihre Unterorganisation HPG verübten Anschläge darauf ausgerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Für die Anschläge besteht kein Rechtfertigungsgrund nach Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht (s. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13, NStZ-RR 2014, 274).
bb) Nach Aktenlage förderte der Angeschuldigte die Vereinigung nicht nur von außen, sondern, getragen von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben, von innen, und nahm damit eine Stellung innerhalb der Organisation ein, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet (hierzu s. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2018 - StB 11/18, NStZ-RR 2018, 369, 370 f. mwN).
cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der für die PKK in herausgehobener Funktion Tätigen liegt in der Fassung vom 6. September 2011 vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit zählte der Angeschuldigte zu den "Verantwortlichen für die in Deutschland bestehenden ... Gebiete (Bölge)" im Sinne dieser Ermächtigung,
indem er nach dem maßgeblichen Verbandswillen für das Gebiet H.
tatsächlich verantwortlich war. Entgegen der Auffassung der Verteidigung bezieht sich die Verfolgungsermächtigung nach dem maßgebenden Wortlaut nicht nur auf "klassische" Führungskader, die von der Organisation rotierend entsandt und alimentiert werden, auch wenn - wie dargelegt - die Verantwortlichkeit solcher Kader in der Praxis die Regel ist.
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen stellt sich die Position des Angeschuldigten als Verantwortlicher des Gebiets H.
mit hoher Wahrscheinlichkeit wie folgt dar: Er übernahm nicht nur faktisch die typischen Aufgaben eines Gebietsverantwortlichen, sondern fügte sich zu diesem Zweck auch in die Hierarchie der Gesamtorganisation ein. Im Verhältnis zu der ihm übergeordneten Sektorleitung war er weisungsgebunden. Mit gleichgeordneten Gebietsverantwortlichen stand er in Verbindung und nahm zumindest an einem Kadertreffen teil. Er trat nach außen als Repräsentant des kurdischen Vereins in H. auf, über den er das PKK-Gebiet H. leitete. Er agierte als Weisungsgeber und Entscheider gegenüber den Mitgliedern des Vereins. So stand er in der Hierarchie auch über den "offiziellen" Vorstandsmitgliedern des Vereins und verhielt sich diesen gegenüber weisungs- und entscheidungsbefugt.
Infolgedessen verfangen die Einwände der Verteidigung gegen die Auslegung der Strafverfolgungsermächtigung nicht. Soweit sich die Verteidigung auf einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG beruft, nimmt sie überdies nicht Bedacht darauf, dass diese Verfassungsnorm für von Unrecht und Schuld unabhängige Voraussetzungen der Verfolgbarkeit einer Straftat nicht gilt (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969 - 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269,
287). Ob es zweckmäßig sein könnte, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um eine Erklärung zur Erteilung einer zusätzlichen Einzelermächtigung zu ersuchen, kann im hiesigen Haftprüfungsverfahren dahinstehen.
3. Beim Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vorschrift (s. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN). Ob - wie das Oberlandesgericht Stuttgart angenommen hat - daneben der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben ist, kann unter den gegebenen Umständen dahinstehen.
Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung ist die Vorschrift des § 112 Abs. 3 StPO dahin zu verstehen, dass der Erlass eines Haftbefehls nur zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Genügen kann schon die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder die ernstliche Befürchtung, dass der Täter weitere Taten ähnlicher Art begehen werde. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr dieser Art besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2002 - StB 17/02, BGHR StPO § 112 Abs. 3 Fluchtgefahr 1). Wenn nach den Umständen des Einzelfalls indes gewichtige Gründe gegen jede Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von einem Haftbefehl nach § 112 Abs. 3 StPO abzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, BGHR StPO § 112 Abs. 3 Fluchtgefahr 2 mwN).
Aufgrund der hier gegebenen tatsächlichen Umstände bestünde, falls der Angeschuldigte auf freien Fuß entlassen würde, die jedenfalls entfernte Gefahr, dass er sich dem weiteren Strafverfahren entzöge, wofür ein Verhalten genügte, das den Erfolg hätte, dass der Fortgang des Strafverfahrens wenigstens vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft verhindert würde, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 18 mwN): Bereits im Hinblick auf den haftbefehlsgegenständlichen Tatvorwurf hat der Angeschuldigte für den Fall seiner Verurteilung - in Anbetracht des ihm angelasteten Umfangs seiner Tätigkeiten für die PKK - eine einen hohen Fluchtanreiz begründende empfindliche Strafe zu erwarten. Hinzu kommt, dass er nach Aktenlage seit Mitte 2014 keiner dauerhaften, bezahlten legalen Beschäftigung nachging, seine Lebensführung vielmehr von seiner Funktion innerhalb der PKK bestimmt war. Als mutmaßliches Mitglied der PKK, das ehemals in verantwortlicher Position tätig war, kann er, um sich dem Strafverfahren zu entziehen, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Strukturen der Organisation einschließlich konspirativer Kommunikationsformen zurückgreifen. All dem stehen keine ausreichend gewichtigen Umstände gegenüber, die eine Flucht nahezu ausschlössen. Auch seine Bindungen an die seit März 2003 in Deutschland lebende Familie und die schwere Erkrankung seines jüngsten Sohnes stellen keine derartigen Umstände dar.
Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den genannten Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
4. Die spezifischen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:
Die Sachakten umfassen mittlerweile 78 Stehordner. Die Ermittlungen haben sich aufwendig gestaltet. Nach der Festnahme des Angeschuldigten sind insbesondere noch umfangreiche Finanzermittlungen durchgeführt worden. Es sind von ihm verfasste 35 "Finanzberichte" für das Gebiet H.
übersetzt und ausgewertet worden, die bei ihm im Zuge der Durchsuchung sichergestellt worden waren. Nachdem von der anwaltlichen Vertretung seiner Familie vorgetragen worden war, das bei ihm sichergestellte Bargeld gehöre seinem Sohn,
haben die Eigentumsverhältnisse hieran näher aufgeklärt werden müssen. Der diesbezügliche Bericht ist bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart am 5. November 2018 eingegangen. Des Weiteren ist der PKK-Aussteiger Ö. , den der Generalbundesanwalt von Februar bis Juli 2018 neunmal einvernommen hatte, für das gegenständliche Verfahren am 15. Oktober 2018 nochmals nachvernommen worden. Der Auswertungsbericht zu einem Protokoll über ein Kadertreffen der PKK, an dem der Angeschuldigte teilgenommen hatte, ist der Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls am 5. November 2018 vorgelegt worden.
Um den Anspruch des Angeschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist zu gewährleisten, hat die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart bereits am 23. November 2018 Anklage erhoben, noch bevor die Auswertung der beim Angeschuldigten im Zuge der Durchsuchung sichergestellten Datenträger hat abgeschlossen werden können. Nach Anklageerhebung hat der Vorsitzende des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart am 26. Novem- ber 2018 die Zustellung der Anklageschrift verfügt und eine angemessene Erklärungsfrist für die Verteidigung bis zum 14. Dezember 2018 bestimmt; die Verteidigerin hat deren Verlängerung bis zum 14. Januar 2019 beantragt. Die Übersetzung der Anklageschrift in die türkische Sprache ist am 30. November 2018 in Auftrag gegeben worden.
Angesichts der bereits vorbehaltlich der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens laufenden Planungen für die Durchführung einer Hauptverhandlung ab Mitte März 2019 ist von einem zügigen Fortgang des Verfahrens auszugehen.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache, soweit sie Gegenstand der Haftprüfung ist, sowie der im Fall einer Verurteilung hierfür zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Spaniol Berg