VI ZR 337/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VI ZR 337/22 URTEIL Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein in dem Rechtsstreit Verkündet am: 27. Mai 2025 Pasternak Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle GG Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2; BGB § 823 Ah, Bf, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG § 22 Satz 1, § 23; DSGVO Art. 85 Abs. 2 Zur Zulässigkeit einer identifizierenden Bildberichterstattung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren (hier: zulässige Bebilderung einer Verdachtsberichterstattung im Rahmen des sogenannten Wirecard-Skandals).
BGH, Urteil vom 27. Mai 2025 - VI ZR 337/22 - OLG München LG München I ECLI:DE:BGH:2025:270525UVIZR337.22.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2025 durch die Richterin von Pentz als Vorsitzende, die Richterin Dr. Oehler, die Richter Dr. Klein und Böhm und die Richterin Dr. Linder für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 3. November 2022 aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 27. Juli 2022 abgeändert, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Die Klage wird auch in Bezug auf die Bildberichterstattung abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, auf Unterlassung einer Bildberichterstattung in Anspruch.
Der Kläger leitete die Wirecard-Tochter CardSystems Middle-East FZ-LLC mit Sitz in Dubai, die eine zentrale Rolle im sogenannten Wirecard-Skandal spielt. Die genannte Wirecard-Tochter erwirtschaftete im Jahr 2018 über 58 % des Konzerngewinns. Die Staatsanwaltschaft M. ging ausweislich ihrer Presseerklärung vom 22. Juli 2020 davon aus, dass verschiedene Beschuldigte, zu denen neben dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und dem Finanzvorstand der Wirecard AG auch der Kläger zählte, im Jahr 2015 übereingekommen seien, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern (TPA) aufzublähen. Dabei sollen angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro in Wahrheit nicht existiert haben. Durch falsche Jahresabschlüsse getäuschte Investoren und Banken sollen deshalb Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt haben, die angesichts der Insolvenz der Wirecard AG höchstwahrscheinlich verloren seien. 1,1 Milliarden Euro der "erfundenen" Bilanzsumme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro entfielen nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf die vom Kläger geleitete Wirecard-Tochter CardSystems MiddleEast FZ-LLC. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kläger und andere Personen erhoben. Am 8. Dezember 2022 hat die Hauptverhandlung vor dem Landgericht M. begonnen. Der Kläger saß mehrere Jahre in Untersuchungshaft und hat die Rolle eines Kronzeugen.
Am 6. Juli 2020 stellte sich der Kläger freiwillig den Ermittlungsbehörden und bot seine Kooperation an. Er möchte sich seiner individuellen Verantwortung stellen. Am 19. November 2020 wurde er - per Video aus der Haftanstalt zugeschaltet - in der öffentlichen Sitzung des "Wirecard"-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags als Zeuge vernommen. Dort beantwortete er keine Fragen, erklärte aber, die Angelegenheit sei ein "Riesendesaster, das sich durch nichts beschönigen" lasse und für das er sich bei den Geschädigten entschuldige. Hierüber berichtete der Deutsche Bundestag in seinem Internetangebot.
Die Beklagte verlegt das Nachrichtenmagazin "Der SPIEGEL" und verantwortet dessen Onlineauftritte unter http://spiegel.de/spiegel und https://magazin.spiegel.de. Am 21. November 2020 veröffentlichte die Beklagte sowohl in ihrer Spiegel-Printausgabe als auch online den Artikel "Der Wireclan", in dem über den Wirecard-Skandal berichtet wird. Ausweislich der Unterüberschrift haben die Spiegelreporter "rekonstruiert, wer den Jahrhundertbetrug orchestriert hat und wer die Handlanger waren". In dem Artikel heißt es u.a.:
"Am 18. Juni, einem Donnerstag, stehen die Vorstände des Wirecard-Konzerns einen Fußbreit vor dem Abgrund, und sie wissen, dass es kein Zurück mehr geben wird, nicht für das Unternehmen, nicht für sie. Noch einmal haben sich die drei Männer und eine Frau in der Aschheimer Firmenzentrale am Rande M. eingefunden. Es ist das letzte Mal, dass sie in dieser Konstellation zusammenkommen, und es ist das letzte Mal, dass Jan Marsalek überhaupt auftaucht.
Er ist nur kurz zu der Truppe dazu gestoßen, die sich in der 4. Etage versammelt hat, um zu beratschlagen, wie Wirecard in die Öffentlichkeit gehen soll. Marsalek hat die letzten 48 Stunden wohl dazu genutzt, seine Flucht vorzubereiten, während die anderen Vorstände versuchten zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
Zwei Tage zuvor hatten die Bilanzprüfer von EY (vormals Ernst & Young), die sonst Jahr für Jahr trotz aller Bedenken die Zahlenwerke durchgewinkt hatten, Alarm geschlagen: 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten philippinischer Banken liegen sollen, sind verschwunden, einfach so, als wäre das Druckerpapier alle. Entsprechende Bankauszüge sind gefälscht. Diesmal kann EY die Bilanz nicht absegnen, Wirecard ist erledigt.
Markus Braun, Chef, Großaktionär, vermeintlicher Tech-Visionär, habe wie paralysiert gewirkt, erzählen Leute, die nahe dran waren. Sein Lebenswerk ist ruiniert, sein Bankkonto auch.
Sein Büro wurde zum Krisenzentrum, Braun, Finanzchef K[…] und Produktvorständin S[…] machten verzweifelte Anrufe in Manila, aber bei dem Treuhänder, der auf Wirecards Geld aufpassen sollte, war nichts mehr zu holen. 'Am Abend habe ich nicht mehr geglaubt, dass die Katastrophe noch abzuwenden ist', erzählt eine Person aus dem Inner Circle. Marsalek blieb an jenem 16. Juni daheim und gab vor, mitzuhelfen. Seine Kollegen schienen nicht zu ahnen, dass dies eine Lüge war. Nach seinem letzten kurzen Besuch in der Zentrale war er für immer verschwunden.
Rund fünf Monate später gibt es immer noch keine heiße Spur von ihm. Sein ehemaliger Boss Braun sitzt in der Justizvollzugsanstalt A[…] in Untersuchungshaft. Bei Wirecard haben jetzt Staatsanwälte, Insolvenzverwalter und Strafverteidiger das Kommando.
Banken, Kunden, Aktionäre und andere Gläubiger machen 12,4 Milliarden Euro an Forderungen geltend, wie Insolvenzverwalter M[…] J[…] auf der ersten Gläubigerversammlung verkündete. Etwa 500 Millionen Euro hat J[…] durch Verkäufe von Unternehmensteilen hereingeholt. Viel mehr wird nicht dazu kommen.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als 20 Beschuldigte, darunter der gesamte zuletzt amtierende Vorstand und etliche Führungskräfte. Die Vorwürfe reichen von Untreue und unrichtiger Darstellung über Manipulation bis zur Geldwäsche und 'gewerbsmäßigem Bandenbetrug'. Braun weist alle Vorwürfe zurück, Marsaleks Anwalt möchte 'gegenwärtig keine Erklärungen' abgeben, wie auch die Anwältin S[…], die auf das laufende Verfahren verweist, K[…] Anwalt reagierte auf Anfrage nicht.
Ganz allmählich lichtet sich der Nebel über den dunklen Geschäften bei Wirecard. Stück für Stück lässt sich rekonstruieren, wie jener größte Betrug der Nachkriegsgeschichte funktioniert, wie Marsalek agierte, wer ihm zuspielte, mitmachte, mitbetrog. Und es tauchen neue große Fragen auf: Wer war wirklich der Kopf jener mutmaßlichen Bande? Stiften Braun und Marsalek bis heute gezielt Verwirrung, wie ein Kronzeuge sagt? Oder war Braun doch nur Marsaleks nützlicher Idiot?
Braun und Marsalek sind die Schlüsselfiguren dieser Geschichte. Sie hatten sich bereits um die Jahrtausendwende in M. getroffen. Anfangs wickelten sie Geldzahlungen für Leute ab, die im Internet Pornos guckten oder zockten. Ein anrüchiges, teils illegales Geschäft. Dann aber entwickelten sie jenes Finanzmodell, das Wirecard zu einem monströsen Finanzkonzern aufpumpte - und offenbar zu großen Teilen illegal war.
M&A, TPA, MCA sind in die Kürzel, um die es ging. Was nach einem Hit der Fantastischen Vier klingt, waren tatsächlich Instrumente einer ausgedachten Wachstumsgeschichte, an die Analysten, Anleger, Medien lange glaubten und womöglich auch etliche Mitarbeiter.
Die vielen Übernahmen, Mergers & Acquisitions (M&A), wurden finanziert mit Kapital von Banken, Gläubigern, Aktionären - Geld, das oft versickerte. 57 Tochterfirmen und ähnlich viele Buchungssysteme und Plattformen für die Zahlungsabwicklung gab es zum Schluss. Nichts davon wurde in den Konzern integriert, 'ein Flickwerk rund um den Globus', erinnert sich eine Führungskraft.
Hinzu kamen Partner, Third-Party-Acquirers (TPA), die im Ausland dort, wo dem Konzern die Lizenz fehlte, angeblich Geschäfte für Wirecard abwickelten. Marsalek spannte das TPA-Netz und machte es zu einem Kern des Betrugsmittels. Das Gros der Umsetzer war wohl Fake, Wirecard nie der Riese, der er vorgab, zu sein.
Der zweite Kern bestand in den Vorfinanzierungen an Einzelhändler, damit die flüssig sind, wenn ein Kunde seine bestellte Ware nicht abholt. Diese Merchant Cash Advances (MCA) wurden als Produktoffensive verkauft, tatsächlich flossen so 100 Millionen Euro aus dem Konzern.
M&A, TPA, MCA. Wer wusste wirklich, dass dies zumeist ein riesiger Schwindel war: Marsalek? Seine Flucht wirkt wie ein Geständnis. Braun, der bis zuletzt auf seinen Aktien hockte, als würde alles so weitergehen?
Die Staatsanwaltschaft hat keine Zweifel: 'Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen fungierte Braun innerhalb der Bande als Kontroll- und Steuerungsinstanz. Er hat ein hierarchisches System nach dem Prinzip 'Teile und herrsche' aufgebaut, das geprägt war von militärisch-kameradschaftlichem Korpsgeist und Treueschwüren untereinander'. Braun habe strategische Weisungen und konkrete Geschäftsaktionen vorgegeben und 'bei Anzeichen des Abweichens vom gemeinsamen Tatplan' zusammen mit Marsalek auf die anderen eingewirkt. Dabei habe er sich 'die von Motivation und psychischem Druck geprägte Struktur zu Nutze' gemacht.
Andererseits: Warum sah Braun zu, wie sich sein Papiervermögen aus Aktien, das zeitweise gut 1,6 Milliarden Euro wert war, in Rauch auflöste, wenn er - wie die Staatsanwaltschaft glaubt - der Kopf der Bande war? Hat er sich in Sicherheit gewogen und die Lage womöglich so falsch eingeschätzt, dass er dachte, ewig durchzukommen? Oder doch rechtzeitig Geld abgezweigt, so wie offenbar sein Kompagnon Marsalek? Und vor allem: Wer gehörte noch zu der Bande inner- und außerhalb des Konzerns beim größten Raubzug der deutschen Wirtschaftsgeschichte?
Aschheim Die Welt des Jan Marsalek war groß und klein zugleich. ...
Dubai Was könnte den Größenwahn der Wirecard-Macher besser symbolisieren als der Burj Khalifa in Dubai? Im höchsten Gebäude der Welt soll Oliver Bellenhaus gewohnt haben, Liebhaber flotter Autos, der schon mal mit Rennfahrerhelm auf dem Kopf Gäste zum Oktoberfest chauffierte. Er war Marsaleks rechte Hand.
Seit 2005 im Konzern, baute er die Wirecard Bank auf und ging 2013 nach Dubai. Bellenhaus war Geschäftsführer der Wirecard Acquiring & Issuing, einer Zwischenholding für 15 Wirecard-Töchter, darunter die Bank. Vor allem aber dirigierte Bellenhaus aus dem Burj Khalifa heraus die Konzerntochter CardSystems MiddleEast und gemeinsam mit Marsalek und Asienchefin H[….] das Geschäft mit Drittpartnern, den TPAs. Die offizielle Begründung für das TPA-Business leuchtet ein: Wo Wirecard keine Lizenz hat, vermittelt der Konzern Kunden an Partner, die Zahlungen für Händler abwickeln und an Wirecard umsatzabhängige Vermittlerprovisionen entrichten. Wirecard lagerte seit mehr als 10 Jahren vor allem Hochrisikogeschäfte an Dritte aus - die Abwicklung von Zahlungen für Onlinepornos, -kasinos, -finanzwetten, -nahrungsergänzungsmittel.
Doch die zuletzt stark wachsenden TPA-Erlöse, auf die Braun so stolz war, sind wohl großteils Fake gewesen. Insolvenzverwalter J[…] glaubt, dass Wirecard ohne das TPA-Geschäft, das zuletzt vermeintlich fast eine Milliarde Euro zum Konzerngewinn beisteuerte, seit 2017 operativ Verluste erwirtschaftet hätte. Ohne großvolumiges TPA-Business aber wäre Wirecard ein sehr viel kleineres Unternehmen gewesen, hätte kaum den Aufstieg in den Dax geschafft und über Kredite und Anleihen Milliarden hereinholen und anschließend veruntreuen können.
Bellenhaus war so etwas wie der Höllenhund, am Tor zwischen dem TPASchattenreich und dem offiziellen Wirecard. Ein Großteil der Verträge mit den angeblichen Drittpartnern wurde über seine CardSystems MiddleEast geschlossen. Allein die Firma AI Alam soll auf dem Höhepunkt die Hälfte der WirecardGewinne erwirtschaftet haben. Die anderen großen TPA hießen Senjo in Singapur und PayEasy auf den Philippinen. Gemeinsam mit Marsalek speiste Bellenhaus die Wunderzahlen in den Konzern ein.
Eine Milliarde Gewinn? Ahnten Braun, K[…] und S[…] nicht, dass das frei erfunden war, um Wirecard aufzublähen?
Braun soll im Winter 2019, als die Wirtschaftsprüfer von KPMG Wirecard einer Sonderuntersuchung unterzogen, intern noch versichert haben, die Zahlen seien echt, er kenne die Kunden persönlich. Log er, oder hat er sich täuschen lassen?
Tatsächlich sind Informationsflüsse und Zuständigkeiten im Konzern selbst für Profis kaum nachvollziehbar. Insolvenzverwalter J[…] fasst das Chaos so zusammen: 'Auffällig ist, dass Funktionalitäten, die das sog. TPA-Geschäft betreffen, angabegemäß nicht in die funktionale Organisation eingegliedert gewesen sind.' Marsalek, berichten Insider, habe sich in Toronto Techniker gehalten, die sich um die Verwaltung der TPA-Zahlen kümmerten. 2017 beschloss der Vorstand, eine einzige zentrale Plattform, verantwortet von Produktvorständin S[…], zu schaffen, auf der alle Transaktionen abgebildet werden sollten. Marsalek soll dagegen mit einer Hinhaltetaktik gekämpft haben. Im Sommer 2020 sollten die Daten übertragen werden - dazu kam es nicht mehr.
Wenige Wochen nach dem Zusammenbruch tauchte Bellenhaus in M. auf, stellte sich der Staatsanwaltschaft, wurde zum Kronzeugen. Fragen des SPIEGEL, so Bellenhaus' Anwalt, könne er 'in Anbetracht des laufenden Ermittlungsverfahrens' nicht kommentieren.
Die Aussagen des Marsalek-Vertrauten jedenfalls veranlassten die Staatsanwaltschaft, von 'gewerbsmäßigem Bandenbetrug' zu sprechen, Braun ein zweites Mal festzunehmen und neben ihm zwei weitere Führungskräfte. Alle seit 2015 gebuchten TPA-Umsätze seien Fake gewesen, soll Bellenhaus ausgesagt haben. Insider halten das nicht für glaubwürdig. Schließlich habe es zuvor reales Geschäft mit den Partnern gegeben. Selbst wenn Marsalek und Co. danach Umsätze erfunden hätten, sei es nicht plausibel, dass auch alte Kunden Wirecard plötzlich den Rücken zugewandt hätten.
Zweifel an Bellenhaus sind auch aus anderen Gründen angebracht. Nach SPIEGEL-Informationen hatte der Ex-Manager Geld beiseitegeschafft. Bellenhaus unterhält offenbar in Liechtenstein die Stiftung 'Levantine', in der 6,1 Millionen Euro liegen. Ob sein Gehalt reichte, das Stiftungskonto zu füllen, ist unklar.
Will Bellenhaus womöglich andere in den Abgrund reißen, in der Hoffnung, als Kronzeuge milde bestraft zu werden und später mit dem Geld aus der Stiftung ein sorgloses Leben bestreiten zu können? " Der Artikel ist mit Fotos der genannten Beteiligten bebildert. Das Foto des Klägers ist mit der Unterschrift versehen: "Topmanager Bellenhaus 2006: So etwas wie der Höllenhund".
Am 24. November 2020 untersagte das Landgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung, über den Kläger im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen seine Person unter Angabe seines Namens und seines Bildnisses identifizierend zu berichten. Auf die Berufung der Beklagten hob das Oberlandesgericht das Verbot der identifizierenden Wortberichterstattung auf; die Berufung gegen das Verbot der Bildberichterstattung wies es zurück.
Im vorliegenden Hauptsacheverfahren hat der Kläger ursprünglich Unterlassung der individualisierenden Wort- und Bildberichterstattung begehrt. Das Landgericht hat die Klage in Bezug auf die Wortberichterstattung abgewiesen und es der Beklagten untersagt, im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger dessen Bildnis zu veröffentlichen, wenn dies geschieht wie in dem streitgegenständlichen Beitrag vom 21. November 2020. Es hat sich die Gründe des Urteils des Oberlandesgerichts im einstweiligen Verfügungsverfahren zu Eigen gemacht und angenommen, dass zwischen der identifizierenden Berichterstattung mit Namensnennung einerseits und der Bildberichterstattung andererseits zu differenzieren sei. Die Nennung des Namens des Klägers sei in zulässiger Weise erfolgt. Es handle sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Die Bildberichterstattung hingegen sei un- zulässig. Es bestehe kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, mittels eines großformatigen Portraitfotos - zumal aus dem Jahre 2006 - über die Namensnennung hinaus auch über das Aussehen des Klägers informiert zu werden. Insoweit falle die erhöhte Gefahr einer Stigmatisierung und Prangerwirkung ins Gewicht, da der Kläger im Zusammenhang mit den erheblichen strafrechtlichen Vorwürfen aus einer weitgehenden Anonymität gerissen werde.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage auch hinsichtlich der Bildberichterstattung.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat das Landgericht der Beklagten zu Recht untersagt, im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die gegen den Kläger erhobenen Strafvorwürfe dessen Bildnis wie in dem streitgegenständlichen Artikel geschehen zu veröffentlichen. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts reiche hinsichtlich der Veröffentlichung von Bildern einerseits und der Berichterstattung durch Wortbeiträge andererseits verschieden weit. Aus diesem Grund könne die Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte für die Wortberichterstattung und die Bildberichterstattung zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung erscheine sachgerecht. Das Berufungsgericht sehe keinen Grund, von den überzeugenden Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesge- richtshofs zu den Voraussetzungen für eine zulässige identifizierende Bildberichterstattung über Straftaten abzuweichen. Soweit die Beklagte meine, dass danach die Bebilderung einer Verdachtsberichterstattung vor erstinstanzlicher Verurteilung nahezu vollständig ausgeschlossen sei, offenbare dies ein gewisses Fehlverständnis der unter dem Stichwort "Verdachtsberichterstattung" bekannten Problematik. Handle es sich um ein noch laufendes Ermittlungsverfahren so sei im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer Bildberichterstattung die zugunsten des Betroffenen streitende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen. In die Abwägung einzustellen sei die Gefahr, dass das Gesicht des Betroffenen zu Unrecht mit der Tat verbunden werde und er sich von diesem Eindruck auch nach einem Freispruch auf unabsehbare Zeit nicht mehr befreien könne. Zutreffend habe das Landgericht dem Umstand keine entscheidende Bedeutung beigemessen, dass mittlerweile gegen den Kläger Anklage erhoben worden sei. Der Bejahung eines hinreichenden Tatverdachts käme im Rahmen der Abwägung eine deutlich geringere Bedeutung zu als einem erstinstanzlichen Schuldspruch. Entsprechendes gelte für den Umstand, dass das Strafgericht die gegen den Kläger erhobene Anklage nunmehr zugelassen habe. Soweit der Kläger im Untersuchungsausschuss aufgetreten sei, habe das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, dass dieser Auftritt nicht auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Klägers beruht habe und Bild- und Tonaufnahmen von der Vernehmung des Klägers nicht zugelassen gewesen seien. Ohne Erfolg berufe sich die Beklagte auch darauf, dass der Kläger jedenfalls in weiten Teilen ein Geständnis abgelegt habe. Das abgelegte Teilgeständnis habe nicht zur Folge, dass sich der Kläger nur noch in eingeschränktem Maß auf die für ihn streitende Unschuldsvermutung berufen könne. Ausweislich des Artikels erhebe die Staatsanwaltschaft M. gegen den Kläger Anklage wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Finanzfälschung, Untreue und Marktmanipulation. Die in dem Artikel wiedergegebenen Teilgeständnisse des Klägers füllten diese Straftatbestände allerdings nur zum Teil aus. Es bestehe die Möglichkeit, dass entscheidende Teile der Anklage in sich zusammenfallen könnten.
II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger kein Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung seines Bildnisses im Kontext der Berichterstattung vom 21. November 2020 aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 und 2 BGB iVm §§ 22, 23 KUG, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegen die Beklagte zu. Das Berufungsgericht hat dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers zu Unrecht den Vorrang vor der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressefreiheit der Beklagten eingeräumt.
1. Im hier betroffenen journalistischen Bereich beurteilt sich die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (vgl. Senatsurteile vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24, K&R 2025, 177 Rn. 22; vom 6. Februar 2018 - VI ZR 76/17, K&R 2018, 323 Rn. 10; jeweils mwN). Denn die Vorschrift des § 23 Abs. 1 KUG soll nach ihrem Sinn und Zweck und nach der Intention des Gesetzgebers in Ausnahme von dem Einwilligungserfordernis des § 22 KUG dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Rechten der Presse Rechnung tragen. Dabei ist der Beurteilung ein normativer Maßstab zu Grunde zu legen, welcher die Pressefreiheit und zugleich den Schutz der Persönlichkeit und ihrer Privatsphäre ausreichend berücksichtigt (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, AfP 2010, 162 Rn. 33 mwN).
Der Anwendung der §§ 22, 23 KUG und der nationalen Grundrechte steht im hier betroffenen journalistischen Bereich die Datenschutz-Grundverordnung nicht entgegen. Aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO sind Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken von den die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung betreffenden Vorschriften in Art. 6 und Art. 7 DSGVO durch nationale Regelungen ausgenommen worden (vgl. zum Medienprivileg Senatsurteile vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, K&R 2022, 433 Rn. 18; vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, K&R 2021, 47 Rn. 14; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, VersR 2021, 189 Rn. 11; Senatsbeschluss vom 15. Mai 2025 - VI ZR 5/24, zVb; BVerfGE 152, 152 Rn. 11, 49 ff., 74, 79).
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger in die Veröffentlichung seines Fotos nicht eingewilligt (§ 22 Satz 1 KUG). Das beanstandete Foto dient jedoch der Bebilderung einer Berichterstattung über ein Ereignis der Zeitgeschichte und ist damit selbst ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG).
a) Maßgebend für die Frage, ob es sich bei einem Bildnis um ein solches aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Es gehört zum Kern der Pressefreiheit, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24, K&R 2025, 177 Rn. 22 mwN). Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (vgl. Senatsurteil vom 8. November 2022 - VI ZR 22/21, AfP 2022, 495 Rn. 19, mwN; BVerfG, AfP 2017, 147 Rn. 11, 16).
b) Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Es bedarf einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Von Bedeutung ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser befriedigen. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist dabei im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, und unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln (vgl. Senatsurteile vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24, K&R 2025, 177 Rn. 19, 23; vom 8. November 2022 - VI ZR 22/21, AfP 2022, 495 Rn. 20; jeweils mwN).
Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Bildberichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (Senatsurteil vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24, K&R 2025, 177 Rn. 24 mwN) und welche Rolle ihm in der Öffentlichkeit zukommt (vgl. Senatsurteil vom 8. November 2022 - VI ZR 22/21, AfP 2022, 495 Rn. 21 mwN).
c) Geht es um eine Bildberichterstattung über ein laufendes Strafverfahren, ist in der Abwägung der widerstreitenden Interessen auch die Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (Senatsurteile vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24, K&R 2025, 177 Rn. 25; vom 18. Dezember 2018 - VI ZR 439/17, K&R 2019, 388 Rn. 15; jeweils mwN; BVerfG, AfP 2009, 244 Rn. 23; AfP 2009, 365 Rn. 20; vgl. zur Berichterstattung über ein verwaltungsgerichtliches Verfahren demgegenüber Senatsurteil vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 504/18, AfP 2020, 137 Rn. 19). Bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch wird oftmals das Recht des Beschuldigten auf Schutz seiner Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Beschuldigten eines Strafverfahrens scheidet aber nicht in jedem Fall aus. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände rechtfertigen, dass sich der Beschuldigte nicht bzw. nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies gilt etwa dann, wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der Bildberichterstattung gestellt hat oder wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung bzw. Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24, K&R 2025, 177 Rn. 25; BVerfG, AfP 2009, 244 Rn. 23; AfP 2009, 365 Rn. 20). Die Unschuldsvermutung kann in der Abwägung auch an Gewicht verlieren, wenn der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat gestanden hat (BVerfG, AfP 2012, 146 Rn. 21; wistra 2012, 145 Rn. 8; EGMR, Urteil vom 21. September 2017 - 51405/12, NJW 2018, 2461 Rn. 51 - Axel Springer SE u. RTL Television GmbH gg. Deutschland).
d) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem beanstandeten Foto um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Die bereits im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen kann der erkennende Senat selbst vornehmen, da keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Sie fällt zugunsten der Pressefreiheit aus. An dem berichteten Geschehen besteht ein überragendes, sich auch auf die Identität und das Aussehen des Klägers erstreckendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, hinter dem sein Interesse am Schutz seiner Persönlichkeit auch unter Berücksichtigung der für ihn streitenden Unschuldsvermutung zurückzutreten hat.
aa) Gegenstand der Berichterstattung ist der Wirecard-Skandal, einer der größten und spektakulärsten Wirtschaftsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Wirecard AG, ein im DAX geführtes Unternehmen, geriet in Insolvenz, nachdem der Verbleib von Vermögenswerten in Höhe von mehreren Milliarden Euro nicht geklärt werden konnte. Ausweislich der Presseerklärung der Staatsanwaltschaft vom 22. Juli 2020 bestand der dringende Verdacht der Bilanzfälschung, der Marktmanipulation und weiterer Vermögensdelikte durch Verantwortliche des Unternehmens, was zur Anordnung der Untersuchungshaft gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, den ehemaligen Finanzvorstand und den ehemaligen Head of Accounting der Wirecard AG führte. Die Staatsanwaltschaft schätzte den Schaden der Anleger, Banken und sonstiger Gläubiger auf 3,2 Milliarden Euro. Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, hatte das Geschehen auch eine politische Dimension. Es warf Fragen nach Schwachstellen im bisherigen System der Bilanzkontrolle und Finanzaufsicht, der Mitverantwortung der Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfer und der Kenntnis von Mitgliedern der Bundesregierung auf und führte zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses durch den Deutschen Bundestag. Eine Berichterstattung über ein solches Geschehen erfüllt den Informationsanspruch des Publikums und trägt zur Bildung der öffentlichen Meinung bei.
bb) Dem Kläger kam bei diesem Geschehen sowohl im Vorfeld als auch bei der Aufarbeitung eine wichtige Rolle zu. Er geriet im November 2020 in besonderer Weise in das Blickfeld der Öffentlichkeit.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bekleidete der Kläger eine verantwortliche Position im Konzern. Er leitete die CardSystems MiddleEast FZ-LLC, eine Tochtergesellschaft der Firma Wirecard AG, die ein Drittel des angeblichen weltweiten Umsatzes und 58 % des Konzerngewinns - laut Wirecard knapp 400 Millionen Euro - erwirtschaftete. Ausweislich der Presseerklärung der Staatsanwaltschaft vom 22. Juli 2020 entfielen 1,1 Milliarden Euro der "erfundenen" Bilanzsumme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf die CardSystems MiddleEast FZ-LLC. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, saß der Kläger damit an einer wichtigen Schaltstelle im Unternehmen.
Am 6. Juli 2020 stellte sich der Kläger freiwillig den Ermittlungsbehörden. Er bot seine Kooperation an und fungierte fortan für die Staatsanwaltschaft als Kronzeuge. Durch seinen Strafverteidiger ließ er öffentlich erklären, dass er sich seiner individuellen Verantwortung stellen wolle. Am 19. November 2020 wurde er - per Video aus der Haftanstalt zugeschaltet - in der öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags als Zeuge vernommen. Diesen Auftritt nutzte er, um sich gezielt an die Öffentlichkeit zu wenden, die Angelegenheit als "Riesendesaster" zu bezeichnen, "das sich durch nichts beschönigen" lasse, und sich bei den Geschädigten zu entschuldigen. Seine Erklärung zielte ersichtlich auf eine Verbreitung seines Entschuldigungsversuches durch die anwesenden Medienvertreter und/oder die Ausschussmitglieder ab. Durch dieses Verhalten, über das auch im Internetangebot des Deutschen Bundestages unter Nennung seines Namens berichtet wurde, hat er sich aus freien Stücken in den Fokus der Öffentlichkeit begeben und ein gesteigertes Interesse an seiner Person geweckt.
cc) Der unmittelbar im Anschluss an die sechste Sitzung des Untersuchungsausschusses veröffentlichte und unter anderem mit einem kontextneutralen Portraitfoto des Klägers bebilderte Artikel der Beklagten beleuchtet die Hintergründe des Wirecard-Skandals und das Handeln der Verantwortlichen ernsthaft und sachbezogen. Es wird der Versuch unternommen, zu rekonstruieren, "wie jener größte Betrug der Nachkriegsgeschichte funktioniert", "wer den Jahrhundertbetrug orchestriert hat und wer die Handlanger waren". Dabei werden offene Fragen aufgeworfen und die Einschätzung der Staatsanwaltschaft kritisch hinterfragt. Der Kläger wird in dem Artikel nicht stigmatisiert oder an den Pranger gestellt. Er wird nicht als Einziger abgebildet; vielmehr enthält der Artikel diverse Fotos beschriebener Personen.
e) Durch die Verbreitung des Bildnisses wird auch kein berechtigtes Interesse des Klägers verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG). Der kontextneutralen Aufnahme, die den Kläger in Anzug und Krawatte zeigt, wohnt insbesondere kein eigenständiger Verletzungsgehalt inne. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein zumindest vergleichbares Portraitfoto von sich zuvor selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. In der ersichtlich an Kunden der Wirecard Bank AG gerichteten Unternehmensbroschüre "Innovative Financial Services: more than banking ... wirecard bank" ist ein mit einem Portraitfoto bebildertes Interview des Klägers in seiner damaligen Funktion als General Manager der Wirecard Bank AG abgedruckt.
von Pentz Oehler Klein Böhm Linder Vorinstanzen: LG München I, Entscheidung vom 27.07.2022 - 9 O 10210/21 OLG München, Entscheidung vom 03.11.2022 - 18 U 4534/22 Pre -