1 StR 165/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 165/24 BESCHLUSS vom 12. Juni 2024 in der Strafsache gegen wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:120624B1STR165.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag – am 12. Juni 2024 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO sowie entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 23. November 2023, soweit es diesen Angeklagten betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des verbotenen Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub, mit Raub, mit räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist; b) bezüglich der im zweiten Tatkomplex (Handeltreiben mit 665,70 Gramm Marihuana) verhängten Einzelstrafe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon im ersten Fall in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub, mit Raub, mit räuberischer Erpressung und mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; daneben hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe geraubter 600 € und des zur Kommunikation mit dem Mitangeklagten M. im zweiten Fall eingesetzten Mobiltelefons angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der Schuldspruch bedarf der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung:
a) Das Handeltreiben des Angeklagten A. bezog sich in beiden Tatkomplexen allein auf Marihuana, und zwar auf ein Kilogramm mit einer Wirkstoffmenge von 50 Gramm (erster Tatkomplex; Januar 2023) bzw. auf 665,70 Gramm mit einer Wirkstoffmenge von 125,15 Gamm THC (zweiter Tatkomplex; Februar 2023). Damit ist der Schuldspruch an das am 1. April 2024 in Kraft getretene Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 anzupassen (§ 2 Abs. 3 StGB iVm § 354a StPO; § 34 Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 1 Nr. 4 KCanG; BGH, Beschlüsse vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 3 und vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 4 f.) und insoweit allein ein Vergehen zu tenorieren.
b) Die Feststellungen tragen zudem zu Lasten des Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung in der Form der gemeinschaftlichen Tatbegehung
(§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB): Der Angeklagte schlug als erster gemäß dem Tatplan den Zeugen V.
und war – weiterhin gewaltbereit – zugegen, als diesen der nichtrevidierende Mitangeklagte M.
im Fahrzeug und später am Treffpunkt der Mitangeklagte B. erneut – wiederum der Abrede entsprechend –
misshandelten. Mithin sah sich der Geschädigte mehr als einem Angreifer gegenüber, sodass das Qualifikationsmerkmal erfüllt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. November 2023 – 6 StR 490/23 Rn. 7; vom 25. Juli 2017 – 3 StR 93/17 Rn. 8 und vom 30. Juni 2015 – 3 StR 171/15, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 5 Rn. 7; Urteil vom 14. Juni 2018 – 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138 Rn. 46).
c) § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Es ist auszuschließen, dass sich der Angeklagte hiergegen wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. a) Die Änderung des Schuldspruchs bedingt im zweiten Tatkomplex der Urteilsgründe die Aufhebung der zugehörigen Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dies ist deswegen unumgänglich, weil sich der Strafrahmen nunmehr auf drei Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe beim hier verwirklichten Regelbeispiel des Überschreitens der Schwelle zur nicht geringen Menge (§ 34 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 4 KCanG) beläuft (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 7-21 und vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 11-21), nicht mehr auf ein Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG).
b) Hingegen beeinflusst die Abmilderung des Schuldspruchs die im Tatkomplex I der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten nicht. Denn der zugrunde gelegte Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe ergibt sich neben dem nicht mehr anwendbaren § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auch aus dem minder schweren Fall des § 239a Abs. 2 StGB, zu dem das Landgericht nach Abwägung aller relevanten Strafzumessungsgesichtspunkte den Angeklagten nicht beschwerend gelangt ist. Es ist auszuschließen (§ 354 Abs. 1 StPO analog), dass das Landgericht bei der Strafzumessung im engeren Sinne eine noch mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es hinsichtlich des gehandelten Marihuanas vom Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG anstelle des Verbrechenstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgegangen wäre. Das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG ist auch im ersten Fall erfüllt. Den für sich genommen rechtsfehlerfreien Erwägungen, mit denen das Landgericht einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG abgelehnt hat, ist zu entnehmen, dass es auch nicht von der Indizwirkung des Regelbeispiels abgegangen wäre. Ohnehin liegt der Schwerpunkt der Tat ersichtlich auf dem gewaltsamen Entführen des Zeugen V. mitsamt der Wegnahme des Bargelds von 600 € und der erzwungenen Aushändigung des Fahrzeugschlüssels.
c) Die Aufhebung der zweiten Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich, wenngleich sich die Gesamtstrafe angesichts der Tatbilder und der Vorstrafen des Angeklagten als maßvoll erweist.
3. Die Aufhebung ist nicht auf den Mitangeklagten M. , der im zweiten Tatkomplex zusammen mit dem Angeklagten den Handel betrieb, zu erstrecken. Denn die – restriktiv zu handhabende – Vorschrift des § 357 Satz 1 StPO ist auf die Konstellation des § 354a StPO i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO (analog) nicht anzuwenden (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1964 – 1 StR 358/64, BGHSt 20, 77, 79 ff.).
Jäger Fischer Bär Leplow Welnhofer-Zeitler Vorinstanz: Landgericht Kempten, 23.11.2023 - 1 KLs 380 Js 1773/23