VIa ZR 557/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 557/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:050225UVIAZR557.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 17. Januar 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 31. März 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu IV auch begehrten Freistellung von Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2018 von einem Dritten - teilweise durch einen Kredit finanziert einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten VW Passat 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der geleisteten Anzahlung und der gezahlten Kreditraten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Antrag zu I), Freistellung von den noch offenstehenden Kreditraten (Antrag zu II), Feststellung des Annahmeverzugs (Antrag zu III) und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zuzüglich Zinsen (Antrag zu IV) gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat - ohne die begehrte Freistellung von Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:
Fahrlässige Verstöße, namentlich gegen Art. 3 Nr. 10, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder §§ 6, 27 EG-FGV, genügten nicht zur Begründung einer Haftung der Beklagten, weil diese Vorschriften nicht den Schutz eines Fahrzeugkäufers vor der Eingehung eines ungewollten Kaufvertrags bezweckten. Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheide ebenfalls aus. Der Vortrag des Klägers zum "Thermofenster" genüge nicht, um von einem Verhalten der Beklagten auszugehen, das als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers anzusehen sei. Denn es gebe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben der Urteile des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) und vom 25. September 2024 (VIa ZR 347/22, juris) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer von ihm bislang unterstellten unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing Möhring Vogt-Beheim F. Schmidt Vorinstanzen: LG Bielefeld, Entscheidung vom 23.11.2021 - 9 O 405/20 OLG Hamm, Entscheidung vom 31.03.2022 - I-18 U 9/22 - Verkündet am: 5. Februar 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle