VIa ZR 1264/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 1264/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 16. April 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers - mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen aus den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 50.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Er erwarb im März 2018 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 Avant 3.0 TDI, der mit einem 3.0 Liter-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von einem in den ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0 Monaten November 2017 oder Januar 2018 erfolgten Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. 3 Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) und die Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 2) begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe: 4 Die Revision hat Erfolg.
I. 5 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: 6 Eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bestehe nicht. Es könne dahinstehen, ob der Kläger hinreichend zu den von ihm behaupteten Abschalteinrichtungen einschließlich einer Umschaltlogik und zur Motivlage und dem angeblich bewusst verschleiernden Vorgehen der Beklagten vorgetragen habe. Auch die übrigen Darlegungen zu einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten seien nicht ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0 zielführend, weil ein solches jedenfalls entfallen gewesen sei, als der Kläger im März 2018 das streitgegenständliche Fahrzeug erstanden habe.
Ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, da es sich insoweit nicht um drittschützende Normen handele.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (vgl. zur Verhaltensänderung BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 11 bis 20). Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0 Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer bislang unterstellten unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenen- ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0 falls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Passau, Entscheidung vom 29.12.2020 - 4 O 336/20 OLG München, Entscheidung vom 18.08.2022 - 8 U 591/21 - ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0
-7Verkündet am: 14. Mai 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstell ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1264.22.0