AnwZ (Brfg) 18/21
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 18/21 BESCHLUSS vom
19. August 2021 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache ECLI:DE:BGH:2021:190821BANWZ.BRFG.18.21.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat am 19. August 2021 durch den Vorsitzenden Richter Grupp, den Richter Prof. Dr. Paul, die Richterin Ettl sowie die Rechtsanwältin Schäfer und den Rechtsanwalt Dr. Lauer beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 27. Januar 2021 verkündete Urteil des 1. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I. 1 Der im Jahre 1946 geborene Kläger wurde am 30. September 1977 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. 2 Mit Urteil vom 13. November 1998 wurde er wegen versuchten Prozessbetrugs in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Meineid zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 8 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die Tat war im Mai 1995 begangen worden. Mit Beschluss vom 22. April 2002 wurde unter Einbeziehung von durch vorangegangene Verurteilungen festgesetzten Strafen - unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Untreue in zwei Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung - nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren gebildet. Ein Strafrest wurde bis 9. August 2005 zur Bewährung ausgesetzt. Nach Verlängerung der Bewährungszeit bis 17. März 2009 wurde der Strafrest mit Wirkung vom 26. August 2010 erlassen.
Mit Urteilen vom 21. Mai 2007 und vom 12. Oktober 2009 wurde der Kläger wegen Betrugs, versuchten Betrugs sowie vier tatmehrheitlich begangener Urkundenfälschungen und wegen Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen verurteilt. Zeitpunkt der Taten war April 2003 beziehungsweise Dezember 2006. Unter Einbeziehung der mit dem Urteil vom 21. Mai 2007 festgesetzten Strafe wurde mit Urteil vom 12. Oktober 2009 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten und eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 90 € festgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf fünf Jahre festgesetzt.
Mit Bescheid vom 27. März 2001 war die Zulassung des Klägers gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO widerrufen worden. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft endete mit Ablauf des 28. Juli 2004.
Mit Antrag vom 30. Oktober 2019 beantragte der Kläger die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. April 2020 wegen Unwürdigkeit ab (§ 7 Nr. 5 BRAO). Die Klage des Klägers gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Anwaltsgerichtshofs bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Dieser Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (Senat, Beschluss vom 20. August 2020 - AnwZ (Brfg) 12/20, juris Rn. 7). Entsprechende Zweifel vermag der Kläger nicht darzulegen.
b) Gemäß § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG, NJW 2017, 3704 Rn. 25). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - etwa der Zeitablauf und die zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (BVerfG, aaO; Senat, Beschluss vom 20. August 2020 - AnwZ (Brfg) 12/20, juris Rn. 8 mwN).
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung und dem Zeitpunkt der Wiederzulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten. Soll die Unwürdigkeit mit Straftaten begründet werden, welche der Bewerber begangen hat, ist neben der seither vergangenen Zeit auch zu berücksichtigen, wie der Bewerber mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat (Senat, Beschluss vom 20. August 2020 - AnwZ (Brfg) 12/20, juris Rn. 9 mwN).
c) Von diesen Grundsätzen ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen und hat seine Abwägung daran ausgerichtet. Der Kläger rügt insoweit, dass der Anwaltsgerichtshof unberücksichtigt gelassen habe, dass Ausgangspunkt nahezu sämtlicher der dem Kläger vorgeworfenen strafrechtlichen Taten ein Zerwürfnis und mehrere Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Kläger und seinen damaligen Geschäftspartnern gewesen sei. Der Kläger habe sich in Situationen befunden, in denen er selbst Partei gewesen sei, und die Rechtsstreitigkeiten überwiegend für sich selbst geführt. Der Anwaltsgerichtshof hat diesen Umstand berücksichtigt, da er auf das Vorbringen des Klägers eingegangen ist, wonach keinem seiner Mandanten ein Schaden entstanden sei. Der Anwaltsgerichtshof hat jedoch darauf abgestellt, dass der Kläger durch seine Taten das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Rechtsuchenden in die Integrität des Anwaltsstandes als Organ der Rechtspflege erschüttert habe. Dies begründet keine Zweifel an der Abwägung des Anwaltsgerichtshofs, da bei Vermögensdelikten auch ein Verhalten unwürdig ist, durch das Dritte oder der Staat geschädigt werden (vgl. SchmidtRäntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 7 BRAO Rn. 35). Bei Aussage- und Urkundsdelikten wird das Vertrauen Dritter und der staatlichen Stellen enttäuscht (vgl. Schmidt-Räntsch, aaO; Henssler in Henssler/ Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 7 Rn. 51).
d) Soweit der Senat in der Entscheidung vom 10. Mai 2010 (AnwZ (B) 117/09, juris) einen Zeitraum von elf Jahren seit der letzten Tat für ausreichend angesehen hat, ist dies entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn dabei wurde unter anderem entscheidend darauf abgestellt, dass die Straftaten zwar in einem Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit standen, aber nicht den Kernbereich des Rechtsanwaltsberufs betrafen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Mai 2010 - AnwZ (B) 117/09, juris Rn. 12), und dass der Rechtsanwalt sich nach der Verurteilung nicht mehr strafbar gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Mai, aaO Rn. 9). Die Umstände der jeweiligen Einzelfälle unterscheiden sich daher wesentlich.
Auch soweit der Kläger meint, dass im Gegensatz zu dem der Entscheidung des Senats vom 12. Juli 2010 (AnwZ (B) 116/09, juris) zugrundeliegenden Sachverhalt eine Unterschreitung der Wohlverhaltensphase hier angemessen sei, da seine Taten bei weitem nicht so schwer wögen, übersieht er, dass es immer um eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls geht. Zwar wurde der Rechtsanwalt in dem zitierten Verfahren wegen Untreue in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Allerdings wurde die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. In der Bewährungszeit beging der Rechtsanwalt zwei Straftaten und wurde wegen Verstoßes gegen §§ 1, 2 PflVersG und wegen Betrugs zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt (vgl. zum Sachverhalt Senat, Beschluss vom 12. Juli 2010, aaO Rn. 1 und 2). Die Vollstreckung der ersten gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe wurde hingegen nicht zur Bewährung ausgesetzt; erst der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Trotzdem wurde der Kläger erneut straffällig und wegen der neuen Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass sich aus dem Senatsbeschluss vom 12. Juli 2010 Zweifel an dem Ergebnis der Abwägung durch den Anwaltsgerichtshof ergeben könnten.
2. Weitere Zulassungsgründe werden nicht geltend gemacht. Soweit die Ausführungen des Klägers zu der vom Anwaltsgerichtshof vorgenommenen Abwägung auch als Rüge der Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu verstehen sein sollten, ist kein Verfahrensfehler dargelegt, auf dem das Urteil beruhen könnte (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Denn der Anwaltsgerichtshof hat - wie oben ausgeführt - die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte berücksichtigt, ist dabei nur nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis gekommen. Dies stellt keine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar.
III. 15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Grupp Schäfer Paul Lauer Ettl Vorinstanzen: AGH München, Entscheidung vom 27.01.2021 - BayAGH I -1 - 12/20 -