4 Ni 10/14 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 10/14 (EP) (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL An Verkündungs Statt zugestellt am
4. November 2014 …
In der Patentnichtigkeitssache …
BPatG 253 08.05 betreffend das europäische Patent 1 566 201 (DE 699 40 173)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze eingereicht werden konnten bis zum 18. September 2014, durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, die Richter Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Müller und Dipl.-Ing. Univ. SchmidtBilkenroth sowie die Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 566 201 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe I.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 566 201 B1 (vgl. Anlage MB Ni01), das unter Inanspruchnahme der Priorität US 40157 vom 17. März 1998 am 17. März 1999 angemeldet worden ist. Das in englischer Sprache veröffentlichte Streitpatent trägt in der deutschen Übersetzung DE 699 40 173.9 T2 (vgl. Anlage MB Ni02) die Bezeichnung „Steuerung für Ultraschalltherapiegerät“.
Die Klägerin hat am 14. April 2014 Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil DE 699 40 173.9 des europäischen Patents EP 1 566 201 B1 erhoben und beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang, d.h. hinsichtlich der Patentansprüche 1 bis 22, für nichtig zu erklären, da die jeweiligen Gegenstände dieser Patentansprüche entweder nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ nicht patentfähig oder nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ für einen Fachmann nicht ausführbar seien.
Die Nichtigkeitsklägerin ist durch die Nichtigkeitsbeklagte in dem Verfahren 7 O 267/14 vor dem Landgericht München I wegen angeblicher Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen worden (vgl. Klageschrift vom 14. Januar 2014 in Anlage MB Ni03). Diese Klage hat die Nichtigkeitsbeklagte mit Schriftsatz vom 2. Juni 2014 zurückgenommen (vgl. Anlage MB Ni 31).
Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2014 erklärte die Nichtigkeitsbeklagte und Patentinhaberin, dass sie gegen die Nichtigkeitsklage keinen Widerspruch erheben werde. Mit weiterem Schriftsatz vom 11. Juni 2014 teilte sie mit, dass der deutsche Teil DE 699 40 173 des europäischen Patents EP 1 566 201 nicht verteidigt werde, der Anspruch sofort anerkannt werde und eine Selbstbeschränkung auf Null gewollt sei.
Die Klägerin beantragt,
das EP-Patent 15 66 02 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Klägerin begründet ihren Kostenantrag damit, dass die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben habe. Vor diesem Hintergrund sei ein sofortiges Anerkenntnis mit der Kostenfolge des § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 93 ZPO ausgeschlossen. Vor Erhebung der Verletzungsklage vor dem Landgericht München I sei keine Korrespondenz mit der Klägerin erfolgt, insbesondere sei weder eine Berechtigungsanfrage noch eine Abmahnung übermittelt worden. Mit Schreiben vom 20. März 2014 (MB Ni 29) habe die Klägerin u. a. darauf hingewiesen, dass eine Nichtigkeitsklage gegen das offensichtlich nicht rechtsbeständige Klagepatent vorbereitet werde. In ihrer Erwiderung auf dieses Schreiben vom 26. März 2014 sei die Beklagte auf die Nichtigkeit des Klagepatents nicht eingegangen (vgl. Anlage MB Ni 30). Die Beklagte könne sich nicht auf ein sofortiges Anerkenntnis berufen, da sie bereits aufgrund der Erhebung der Verletzungsklage Veranlassung zur Klage gegeben habe. Zudem habe die Klägerin die Beklagte vor Erhebung der Nichtigkeitsklage auf die Nichtigkeit des Streitpatents hingewiesen und zur Nichtigkeit konkret ausgeführt. Auf diese Ausführungen habe die Beklagte nicht reagiert. Erst mit Eingabe vom 2. Juni 2014 habe sie dann die Verletzungsklage zurückgenommen.
Die Beklagte begründet ihren Kostenantrag zulasten der Klägerin damit, dass dem Schreiben der Klägerin vom 20. März 2014 (MB Ni 29) keine explizite Aufforderung zum Verzicht des Streitpatents zu entnehmen sei. Das Schreiben befasse sich in weiten Teilen mit dem Vorwurf eines versuchten Prozessbetruges durch die Patentinhaberin in dem parallelen Verletzungsverfahren. Im Hinblick auf das Streitpatent habe die Klägerin keinen Verzicht verlangt, sondern von einem „settlement agreement“ gesprochen. Auch nachdem die Patentinhaberin bereits erklärt hätte, der Nichtigkeitsklage nicht widersprechen zu wollen, habe sich die Klägerin mit Schreiben vom 12. Juni 2014 an den früheren Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten gewendet und ihm eine für beide Teile vorteilhafte Lösung nahegelegt, bei der das Patent bestehen bleibe. Daraus ergebe sich die Zielsetzung der Klägerin, die nicht auf die Vernichtung des Patents gerichtet gewesen sei, sondern auf Ausschluss der Wettbewerber bzw. Einsatz als „Verhandlungsmasse“ in Zusammenhang mit der Verletzungsklage. Hätte die Klägerin vor Klageerhebung explizit einen Verzicht von der Beklagten auf das Streitpatent gefordert, wäre die Beklagte dem auch nachgekommen.
II.
Die auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit des Streitpatents (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) gestützte Klage ist zulässig und begründet. Da die Beklagte das vollumfänglich angegriffene Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung insgesamt nicht mehr verteidigt, war es ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (vgl. BPatG Urt. v. 18.7.2012, 4 Ni 3/12 m. w. N.).
III.
Die Kosten des Verfahrens sind der Beklagten gemäß § 99 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen. Nach der Regelung des § 93 ZPO würden die Verfahrenskosten der obsiegenden Klägerin zur Last fallen, wenn die Beklagte die Klage sofort anerkannt und nicht durch ihr Verhalten Anlass zur Erhebung der Nichtigkeitsklage gegeben hat. Dies ist vorliegend nicht zu bejahen. Zwar ist die erste der beiden Voraussetzungen gegeben, da die Beklagte die Nichtigkeitsklage durch Unterlassen des Widerspruchs sofort anerkannt hat. Die Beklagte hat jedoch Anlass zur Erhebung der Klage gegeben.
1. Veranlassung zur Klagerhebung ergibt sich grundsätzlich dann, wenn das Verhalten des Beklagten vor Prozessbeginn gegenüber dem Kläger so gestaltet war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 93 Rn. 4). Im Patentnichtigkeitsverfahren ist dies grundsätzlich erst der Fall, wenn der Kläger den Beklagten unter substantiierter Angabe der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe und mit angemessener Fristsetzung erfolglos zum Verzicht auf das Schutzrecht aufgefordert hat (BPatG GRUR-RR 2009, 325, 326; Busse/Keukenschrijver PatG, 7. Aufl., § 84 Rn. 18 und Rn. 24; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 81 Rn. 38). Eine solche vorherige Verzichtsaufforderung ist nur entbehrlich, wenn aufgrund des Verhaltens des Patentinhabers oder sonstiger besonderer Umstände eine solche Abmahnung als aussichtslos oder unzumutbar erscheint (vgl. Benkard/Rogge, a. a. O., Rdnr. 38; Busse/Keukenschrijver, a. a. O., § 84 Rn. 18).
a) Zum Teil wird die Auffassung vertreten, eine Verzichtsaufforderung sei schon immer dann entbehrlich, wenn der Patentinhaber - wie vorliegend - den späteren Nichtigkeitskläger wegen Patentverletzung verklagt hat (vgl. BPatG Beschl. v. 10.11.1986 - 2 Ni 28/86; BPatG Beschl. v. 05.05.2014 - 3 Ni 26/12; Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 84 Rn. 41; differenzierend und für die Entbehrlichkeit der Verzichtsaufforderung besondere Umstände fordernd Busse/Keukenschrijver § 84 Rn. 18 m. w. N.).
b) Dem gegenüber steht die Auffassung, durch das bloße Abstellen auf die Anhängigkeit eines Verletzungsverfahrens würden die Besonderheiten des Verletzungsverfahrens nicht hinreichend berücksichtigt, und dem Patentinhaber ohne Nachweis im Einzelfall unterstellt, ihm fehle der Wille oder die Kompetenz, auf eine spezifizierte Abmahnung hin, d. h. auf die Geltendmachung einer Nichtigkeit des Streitpatents, besonnen zu reagieren. Der Patentinhaber müsse zwar damit rechnen, dass der Verletzungsbeklagte mit einer Nichtigkeitsklage auf die Verletzungsklage reagiere. Das Verletzungsverfahren kenne aber nicht den Einwand der Nichtigkeit des Streitpatents, vielmehr werde von dessen Rechtsbeständigkeit ausgegangen. Der Patentinhaber sei daher nicht verpflichtet, vor Erhebung der Verletzungsklage aus eigenem Antrieb sein Patent auf Patentfähigkeit zu überprüfen, sondern er dürfe grundsätzlich in diesem Verfahren auf die Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen. Werde er im Verletzungsprozess spezifiziert, d. h. im Hinblick auf eine mögliche Nichtigkeitsklage, abgemahnt, werde er den Angriff prüfen müssen. Erscheine der Angriff begründet, werde er sich vernünftiger Weise schon aus Kostengründen sich dazu entschließen, den Verletzungsbeklagten aus dem Patent frei zu stellen, die Verletzungsklage zurückzunehmen oder auf eine Einigung hinzuwirken. Eine Nichtigkeitsklage ohne Vorwarnung stelle in der Regel einen Klageüberfall dar (vgl. BPatG, Beschl. v. 28.1.2009 - 4 Ni 69/08 (EU); GRUR-RR 2009, 325 - Verzichtsaufforderung; dem ist auch der 2. Senat des BPatG in seiner neueren Rechtsprechung gefolgt (vgl. BPatG Beschl. v. 18.06.2012 – 2 Ni 47/11)).
2. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die bloße Erhebung der Verletzungsklage durch die Beklagte der Klägerin bereits eine Veranlassung zur Erhebung der Nichtigkeitsklage gegeben hat. Denn jedenfalls hat die Beklagte die Klägerin zur Erhebung der Nichtigkeitsklage veranlasst, weil sie nicht auf deren Androhung der Nichtigkeitsklage hin den Verzicht auf das Streitpatent erklärt hat, sondern erst nach Erhebung der Nichtigkeitsklage verteidigt hat.
a) Mit Schreiben vom 20. März 2014 (Anlage MB Ni 29) hat die Klägerin die Beklagte zwar nicht explizit zum „Verzicht“ auf das Streitpatent aufgefordert. Nach Auffassung des Senats bedarf es keiner ausdrücklichen Verzichtsaufforderung jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Nichtigkeitsklage unter Angabe von Gründen angedroht wird (vgl. hierzu BPatG, Beschl. v. 16. 03.1984, 5 W (pat) 14/83. Dort wurde diskutiert, ob es neben der Verzichtsaufforderung einer ausdrücklichen Löschungsandrohung bezüglich eines Gebrauchsmusters bedarf. Wenn in der genannten Entscheidung argumentiert wird, dass die Verzichtsaufforderung die Löschungsandrohung impliziert, ist nach Ansicht des Senats auch für den umgekehrten Fall anzunehmen, dass die Androhung einer Nichtigkeitsklage auch eine Verzichtsaufforderung impliziert.).
b) Unter II. des Schreibens auf Seite 5 (Abs. 14 und 15) weist die Klägerin unmissverständlich darauf hin, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als Mittel im Rahmen der juristischen Verteidigungsstrategie bereits vorbereitet wird. Auch eine Frist zur Beantwortung des klägerischen Schreibens durch die Beklagte bis zum 31. März 2014 wurde gesetzt. Damit konnte die Beklagte durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage jedenfalls nicht mehr überrascht werden.
c) Die Klägerin hat die Androhung der Nichtigkeitsklage auch mit der erforderlichen Angabe von Gründen versehen, auf die die Nichtigkeitsklage gestützt werden soll. Diese sind so substantiiert anzugeben, das der Beklagte prüfen kann, ob das Verlangen des Verzichts bzw. die Androhung der Nichtigkeitsklage berechtigt ist. Die Rechtsprechung stellt diesbezüglich keine hohen Anforderungen an die Begründung (vgl. Busse/Keukenschrijver, a. a. O., § 84 Rn. 26 m. w. N.) und lässt auch summarische Behauptungen ausreichen, wenn der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund neben den für ihn vorgebrachten Tatsachen, die nicht völlig abwegig erscheinen dürfen, dargelegt wird. In ihrem Schreiben vom 20. März 2014 hat die Klägerin unter II. in Abs. 11 ausgeführt: „In light of the clearcut prior public use oft he SAFHS 2A device as described above, it is also apparant that Exogen´s patent will be declared invalid by the German Federal Patent Court.“. Auf Seite 2 und 3 des genannten Schreibens werden verschiedene Vorgänge, Veranstaltungen, Umsatzzahlen etc. in den Jahren 1994 bis 1996 aufgeführt, die nach Ansicht der Klägerin den Schluss auf eine Vorbenutzung des „SAFHS Geräts“ zuließen. Auf den Seiten 3 und 4 zählt die Klägerin die aus ihrer Sicht hierfür relevanten Beweismittel (Gebrauchsanweisungen, Berichte, Artikel etc.) auf. Nach Ansicht des Senats genügen diese Ausführungen der Klägerin hinreichend dem Erfordernis der Substantiierung der Nichtigkeitsgründe und ermöglichen der Beklagten eine Prüfung der Rechtsbeständigkeit ihres Patents im Hinblick auf den von der Klägerin angekündigten Nichtigkeitsangriffs. Innerhalb der von der Klägerin gesetzten Frist hat die Beklagte mit Schreiben vom 26. März 2014 (vgl. Anlage MB Ni 30) den ihr von der Klägerin vorgeworfenen Prozessbetrug verneint, ohne sich zu den von der Klägerin hinsichtlich einer möglichen Nichtigkeit des Streitpatents dargelegten Ausführungen im Detail zu äußern. Die Klägerin musste daraus schließen, dass die Beklagte die Nichtigkeit des Streitpatents nicht für diskussionswürdig erachtet. Demnach war die Erhebung der Nichtigkeitsklage jedenfalls vor dem Hintergrund des anhängigen Verletzungsverfahrens veranlasst.
Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
Engels Kopacek Dr. Müller Schmidt-Bilkenroth Zimmerer Pr