I ZR 122/22
BUNDESGERICHTSHOF I ZR 122/22 BESCHLUSS vom 16. August 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:160824BIZR122.22.0 Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. August 2024 durch die Richter Feddersen, Dr. Löffler, die Richterinnen Pohl und Dr. Schmaltz und den Richter Odörfer beschlossen:
Der Antrag auf Aussetzung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg - 3. Zivilsenat und Kartellsenat - vom 12. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.
Streitwert: bis 185.000 €
Gründe:
I. Die Klägerin, ein Großhandelsunternehmen, ist unter anderem Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters unter der Registernummer 0040312010004 mit der Erzeugnisangabe "Lampenschirme, elektrische Lichterketten" (nachfolgend: Klagemuster). Die Beklagte vertrieb in den Jahren 2018 und 2019 LED-Weihnachtssterne und Weihnachtsstern-Lichterketten. Die Klägerin hat die Beklagte mit ihrem Hauptantrag wegen Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters auf Unterlassung, Auskunft, Vernichtung und bezifferten Schadensersatz von 114.530,94 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Unterlassungs-, Auskunfts- und Vernichtungsanspruch vollständig sowie den Schadensersatzanspruch in Höhe von 57.265,44 € zuerkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt. In der mündlichen Berufungsverhandlung hat die Klägerin die Zurückweisung der Berufung mit einer "Maßgabe und Klarstellung" zum Unterlassungsantrag beantragt. Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts abgeändert, indem es den geänderten Unterlassungsantrag übernommen und den Schadensersatzanspruch auf 42.949,10 € vermindert hat; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Im Berufungsurteil hat das Berufungsgericht einen von der Beklagten gestellten Aussetzungsantrag ablehnt.
Die Beklagte hat Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil eingelegt und will ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung im Fall der Revisionszulassung weiterverfolgen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Der Senat hat das Nichtzulassungsbeschwerdefahren auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 26. Januar 2023 nach Art. 91 Abs. 1 GGV bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren Nr. ICD 113624 gegen das Klagemuster ausgesetzt. Das Gericht der Europäischen Union hat mit Urteil vom 13. Dezember 2023 (T-10/23, Celex) die Klage gegen die der Klägerin günstige Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO abgewiesen. Nach Wiederaufnahme des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat die Beklagte dessen erneute Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss der Verfahren über die Nichtigkeitsanträge Nr. ICD 11762 und 120863 beantragt.
II. Der erneute Aussetzungsantrag ist abzulehnen.
1. Es besteht keine Grundlage für eine Aussetzung nach Art. 91 Abs. 1 GGV.
a) Ist vor einem Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht eine Klage wegen Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 81 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster
(GGV) erhoben worden, so setzt es das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, nach Art. 91 Abs. 1 GGV von Amts wegen nach Anhörung der Parteien oder auf Antrag einer Partei nach Anhörung der anderen Parteien aus, wenn die Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters bereits aufgrund einer Widerklage vor einem anderen Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht angegriffen worden ist oder wenn beim Amt bereits ein Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gestellt worden ist. Die Anwendung der Vorschrift setzt im Fall eines Nichtigkeitsantrags voraus, dass dieser vor der Erhebung der Verletzungsklage gestellt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2011 - I ZR 23/10, GRUR 2012, 512 [juris Rn. 21]; zu der strukturell ähnlichen Vorschrift des Art. 104 Abs. 1 GMV vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 106/11, GRUR 2013, 925 [juris Rn. 17] = WRP 2013, 1198 - VOODOO).
b) Eine Aussetzung nach Art. 91 Abs. 1 GGV scheidet aus, weil die Verletzungsklage, über die im vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu entscheiden ist, am 10. April 2021 und damit vor Stellung der beiden im erneuten Aussetzungsantrag genannten Nichtigkeitsanträge vom 12. Januar 2022 und 16. Januar 2023 erhoben worden ist.
2. Das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist auch nicht nach § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen.
a) Wegen der Verweisung auf nationale Verfahrensvorschriften in Art. 88 Abs. 3 GGV ist § 148 Abs. 1 ZPO im Gemeinschaftsgeschmacksmusterrechtsstreit ergänzend anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2011 - I ZR 23/10, GRUR 2012, 512 [juris Rn. 22] = WRP 2012, 558 - Kinderwagen I; Tolkmitt in Ruhl/Tolkmitt, GGV, 3. Aufl., Art. 91 Rn. 13). Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
Bei Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO sind im Designverletzungsrechtsstreit das Interesse des Klägers an einer zeitnahen Entscheidung und das Interesse des Beklagten, nicht aufgrund eines löschungsreifen nationalen Designs oder Gemeinschaftsgeschmacksmusters verurteilt zu werden, sowie das Interesse, widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden, gegeneinander abzuwägen. Eine Verfahrensaussetzung kommt in Betracht, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Löschung des nationalen Designs oder Gemeinschaftsgeschmacksmusters im registerrechtlichen Verfahren besteht, die die mit der Aussetzung verbundene Prozessverzögerung rechtfertigt. Hingegen kommt eine Verfahrensaussetzung nicht in Betracht, wenn sie mit einer unzumutbaren Verfahrensverzögerung verbunden wäre, die in Abwägung mit den Erfolgsaussichten des Nichtigkeitsverfahrens im Interesse einer effektiven Rechtsverfolgung nicht hinzunehmen ist (vgl. BGH, GRUR 2012, 512 [juris Rn. 22] - Kinderwagen I; zum Markenrecht vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2003 - I ZR 257/00, BGHZ 156, 112 [juris Rn. 24] - Kinder I; Urteil vom 18. September 2014 - I ZR 228/12, GRUR 2014, 1101 [juris Rn. 17] = WRP 2014, 1314 - Gelbe Wörterbücher; Urteil vom 23. September 2015 - I ZR 78/14, GRUR 2015, 1201 [juris Rn. 19 bis 23] = WRP 2015, 1487 - Sparkassen-Rot/Santander-Rot; Beschluss vom 22. März 2018 - I ZR 76/17, GRUR 2018, 853 [juris Rn. 9 und 15 bis 21] = WRP 2018, 961 - Schutzhülle für Tablet-Computer).
b) Das Berufungsgericht hat die Ablehnung des im Berufungsverfahren gestellten Aussetzungsantrags, der auf den Nichtigkeitsantrag ICD Nr. 113624 gestützt war, damit begründet, dass die Schutzfähigkeit des Klagemusters mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an fehlender Eigenart scheitere.
Die Klägerin stelle nicht in Abrede, dass das Klagemuster auf dem Annaberger Faltstern beruhe, für den das US-Patent Nr. 1,653,[20]6 eingetragen worden sei. Anders als der Annaberger Faltstern sei das Klagemuster aber insoweit "perfekt", als bei ihm die Strahlen keinerlei Einkerbungen oder Ausbuchtungen aufwiesen, wie sie zum Zusammenfalten nötig seien. Das Fehlen dieser Einkerbungen lasse die Strahlen beim Klagemuster massiver und diesen insgesamt weniger filigran erscheinen. Die Beklagte versuche diesen Unterschied dadurch zu egalisieren, dass sie als Entgegenhaltung nicht den Annaberger Faltstern als tatsächliche Ausführung des Patents, sondern die Zeichnung in der Patentschrift ansehe. Dass die Zeichnung als solche in der Welt sei, mache sie jedoch noch nicht zum Bestandteil des Formenschatzes, zumal auch die Beklagte nicht vortrage, dass jemals ein Produkt mit dieser Gestaltung auf den Markt gebracht worden sei. Aus der Zeichnung gehe hinreichend deutlich hervor, dass sich die Strahlen nicht als ideale Pyramiden darstellten. Überdies lasse die Zeichnung im Gegensatz zum Klagemuster nicht klar erkennen, dass der Stern einen vertikal verlaufenden Kranz von sechs Strahlen mit quadratischer Grundfläche aufweise.
Ob die nach Schluss der mündlichen Verhandlung von der Beklagten vorgelegte weitere Entgegenhaltung aus einem Schweizer Patentdokument noch zu berücksichtigen sei, könne offenbleiben, weil auch die dort gezeigten Strahlen nicht glatt seien, sondern Einkerbungen und Ausbuchtungen aufwiesen.
Der Entwerfer des Klagemusters habe davon abgesehen, die Aufhängung - wie bei den in den Patentdokumenten gezeigten Sternen - durch zwei einfache Bögen oder Schlaufen auszuführen, die an der Basis von zwei quadratischen Strahlen ansetzten. Er habe sich stattdessen entschieden, eine massiv wirkende zylindrische Vorrichtung mit einer abgesetzten Kappe zu verwenden und zwischen den Strahlen erkennbar herausragen zu lassen. Insoweit habe der Entwerfer den Gestaltungsspielraum in relevanter Weise genutzt.
c) Die Nichtigkeitsanträge, auf die sich der nunmehr von der Beklagten gestellte Aussetzungsantrag bezieht, machen Einwendungen gegen das Klagemuster aus dem US-Patent Nr. 1,653,206, dem Schweizer Patent Nr. 132939 und dem belgischen Patent Nr. 349934 geltend.
aa) So bezieht sich die Beklagte auf einen nicht von ihr gestellten Nichtigkeitsantrag Nr. ICD 117612 vom 12. Januar 2022, den die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO am 17. November 2022 zurückgewiesen hat. Gegen diese Entscheidung ist am 16. Januar 2023 Beschwerde eingelegt worden. Die Beschwerdekammer des EUIPO hat das Beschwerdeverfahren am 18. August 2023 mit Blick auf das Klageverfahren vor dem Gericht der Europäischen Union (T-10/23) ausgesetzt. Über den Fortgang nach dem Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Dezember 2023 ist nichts bekannt. Die Beklagte gibt an, in diesem Nichtigkeitsverfahren würden dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster die schweizerische Patentschrift Nr. 132939 und die US-Patentschrift Nr. 1,653,206 entgegengehalten. Das Gericht der Europäischen Union habe sich mit diesen Entgegenhaltungen nicht auseinandergesetzt, weil es den entsprechenden Vortrag für verspätet gehalten habe.
bb) Die Beklagte verweist darüber hinaus auf den - ebenfalls nicht von ihr gestellten - Nichtigkeitsantrag Nr. ICD 120683 vom 16. Januar 2023. Hierzu ist - soweit ersichtlich - noch keine Entscheidung ergangen. Die Beschwerde gibt an, in diesem Verfahren werde dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster allein die belgische Patentschrift Nr. 349934 vom 23. März 1928 entgegengehalten, die nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Gericht der Europäischen Union gewesen sei.
d) Das Interesse der Klägerin an der Fortführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens überwiegt das Interesse der Beklagten an dessen Aussetzung.
aa) Das US-Patent Nr. 1,653,206, das Schweizer Patent Nr. 132939 und das belgische Patent Nr. 349934 zeigen in sehr ähnlichen Abbildungen den Annaberger Faltstern des Erfinders Kurt Karl Friedrich.
Die Nichtigkeitsabteilung der EUIPO hat sich bereits in ihrer Entscheidung ICD Nr. 113624 vom 12. November 2021 mit dem US-Patent Nr. 1,653,206 befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die in der Patentschrift gezeigte Gestaltung dem Klagemuster nicht entgegenstehe. Die Beschwerdekammer des EUIPO und das Gericht der Europäischen Union haben diese Einwendung allerdings aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht aufgegriffen.
In der Entscheidung Nr. 117612 vom 17. November 2022 ist die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO mit Blick auf das US-Patent Nr. 1,653,206 zu demselben Ergebnis gelangt. Der maßgebliche Grund hierfür waren die - zur Ausführung der Erfindung notwendigen - konkaven Einkerbungen und konvexen Ausbuchtungen in den Strahlen des Annaberger Faltsterns, die beim Gemeinschaftsgeschmacksmuster fehlen. Das Berufungsgericht hat dies mit überzeugender Begründung ebenso gesehen.
Vor diesem Hintergrund kann nicht von überwiegenden Erfolgsaussichten der noch anhängigen Nichtigkeitsverfahren ausgegangen werden.
bb) Gegen eine nochmalige Verfahrensaussetzung spricht auch der Zeitablauf. Das Klageverfahren ist seit über drei Jahren rechtshängig. Der Nichtigkeitsantrag ICD Nr. 113624 wurde erst rund neun Monate nach der Klagezustellung eingereicht, der Nichtigkeitsantrag ICD Nr. 117612 nochmals erheblich später. Die Beklagte selbst hat keinen Nichtigkeitsantrag gestellt. Selbst wenn die Beklagte mit den Nichtigkeitsantragstellern geschäftlich verbunden sein sollte, hätte sie ihr Interesse, nicht aufgrund eines für nichtig zu erklärenden Gemeinschaftsgeschmacksmusters verurteilt zu werden, nicht konsequent verfolgt.
III. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Feddersen Schmaltz Löffler Odörfer Pohl Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 30.09.2021 - 19 O 1488/21 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 12.07.2022 - 3 U 3875/21 -