VIa ZR 991/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 991/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:070525UVIAZR991.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 14. April 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Messing, Dr. F. Schmidt und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 25. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Dezember 2011 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten (Erstzulassung am 15. Juni 2010) Audi A4 Avant 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen1 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.
Der Kläger begehrt im Wesentlichen im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers, mit welcher er die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Verpflichtung, für weitere Schäden aufzukommen (Berufungsantrag zu 2: Haupt- und Hilfsantrag), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt hat, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit welcher er die in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge zu 1, 3 und 4 weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB sei nicht erkennbar. Im vorliegenden Fall habe der Kläger weder nachweisen können, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennung verbaut worden sei, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung gedroht habe oder drohe. Daher fehle ein wichtiger Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten beim Motor des Typs EA 189 begründet worden sei. Die Verwendung eines "Thermofensters" im Motor der Beklagten führe zu keinem Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB, weil es an einem arglistigen Verhalten fehle, welches die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten als objektiv sittenwidrig rechtfertige. Auch stehe dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu. Bei diesen Vorschriften handele es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in der Fassung vom 21. April 2009 (künftig a.F.) abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (sowohl in der Fassung vom 3. Februar 2011 als auch in der Fassung vom 21. April 2009) Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023
- VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32; Urteil vom 16. Oktober 2023 - VIa ZR 374/22, NJW-RR 2024, 577 Rn. 9 ff.).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV a.F. ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV a.F. zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Messing F. Schmidt Pastohr Vorinstanzen: LG Coburg, Entscheidung vom 01.10.2021 - 15 O 294/20 OLG Bamberg, Entscheidung vom 25.05.2022 - 8 U 221/21 - Verkündet am: 7. Mai 2025 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle