XIII ZB 90/19
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 90/19 BESCHLUSS vom 31. August 2021 in der Abschiebungshaftsache ECLI:DE:BGH:2021:310821BXIIIZB90.19.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. August 2021 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Prof. Dr. SchmidtRäntsch, den Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff und den Richter Dr. Tolkmitt beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Olpe vom 14. Februar 2019 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 30. April 2019 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Olpe auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im November 2008 in das Bundesgebiet ein. Im Jahr 2011 wurde ihm zur Ausübung der Personensorge für seine Kinder eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nachdem die elterliche Sorge der Kindesmutter übertragen worden war, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: "Bundesamt") mit Bescheid vom 24. Januar 2019 seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Unter Androhung der Abschiebung wurde er zugleich aufgefordert, das Bundesgebiet bis zum 7. Februar 2019 zu verlassen. Am 6. Februar 2019 erschien der Betroffene auf einer Polizeiwache in Olpe und fragte, ob er seiner Ausreisepflicht entgehen könne, wenn er die vor der Wache stehenden Pkw beschädigen würde. Er verließ die Wache und beschädigte mit einem mitgeführten Drehmomentschlüssel zehn dort abgestellte Fahrzeuge.
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 14. Februar 2019 gegen den Betroffenen Abschiebungshaft bis zum 13. Mai 2019 an. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 2. Mai 2019 zurück. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, der am 7. Mai 2019 aus der Haft entlassen und später abgeschoben worden ist, die Feststellung, dass er durch die Anordnung der Haft in seinen Rechten verletzt worden ist.
II. Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftantrag der beteiligten Behörde sei zulässig gewesen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr habe vorgelegen, die beteiligte Behörde habe auch nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen.
2. Das hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Voraussetzungen der Anordnung von Abschiebungshaft lagen nicht vor. Der Haftantrag war unzulässig.
a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
b) Diesen Anforderungen wird der Antrag der beteiligten Behörde nicht gerecht. Die Ausführungen der beteiligten Behörde lassen nicht erkennen, weshalb eine Haft von drei Monaten für die Durchführung der Abschiebung erforderlich gewesen wäre. Nach den Ausführungen im Haftantrag war für die Beschaffung von Ersatzpapieren eine Vorführung des Betroffenen bei den türkischen Behörden bereits für den 19. oder den 26. Februar 2019 zu erwarten. Die Flugbuchung nehme nach Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebung weitere drei Wochen, im Fall einer notwendigen Sicherheitsbegleitung weitere drei Monate in Anspruch. Im Rahmen der persönlichen Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht hat die Vertreterin der beteiligten Behörde diese Angaben dahingehend präzisiert, dass in drei Wochen die erforderlichen Passersatzpapiere vorliegen würden und die Buchung des Fluges sodann drei Wochen in Anspruch nehmen würde, sodass in "spätestens sieben Wochen alles fertig" sei. Nach diesen Ausführungen war davon auszugehen, dass die beteiligte Behörde eine Sicherheitsbegleitung für die Abschiebung nicht für erforderlich hielt. Angesichts dessen ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb sie eine Haftdauer von drei Monaten für erforderlich hielt. Im Übrigen hat sie sich ungeachtet der Angaben zur Ausstellung von Passersatzpapieren und zur Flugbuchung auf die Angabe einer Höchstdauer zurückgezogen. Eine solche kann die Erforderlichkeit der beantragten Haft aber nicht begründen (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 190/18, juris Rn. 8). Selbst wenn eine Sicherheitsbegleitung notwendig gewesen wäre - was angesichts des Verhaltens des Betroffenen in der Vergangenheit nicht fern lag -, hätte es weiterer Darlegung der dafür veranschlagten Vorbereitungszeit von drei Monaten bedurft. Eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwands ist zwar in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle oder entsprechende eigene Erfahrungswerte beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Ist aber - wie hier - ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa durch Angaben zur Art des Fluges, zur Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, zur Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation; st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
c) Die Mängel des Haftantrags sind auch durch die weiteren Angaben der beteiligten Behörde im Beschwerdeverfahren nicht geheilt worden.
Zwar können Mängel des Haftantrags behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder der Haftrichter selbst die erforderlichen Tatsachen in seiner Entscheidung feststellt. In einem solchen Fall wird der Mangel des Haftantrags aber nur geheilt, wenn der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, InfAuslR 2011, 471 Rn. 8, und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 12). Die beteiligte Behörde hat zwar im weiteren Verfahren die Verzögerung bei der Vorführung zur Beschaffung von Passersatzpapieren erläutert. Allerdings hat das Beschwerdegericht den Betroffenen hierzu nicht wie geboten angehört, so dass dahinstehen kann, ob die ergänzenden Angaben die Mängel des Haftantrags beheben konnten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Meier-Beck Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch ist infolge Versetzung an eine oberste Bundesbehörde an der Unterschrift gehindert.
Meier-Beck Roloff Tolkmitt Kirchhoff Vorinstanzen: AG Olpe, Entscheidung vom 14.02.2019 - 5 XIV (B) 11/19 LG Siegen, Entscheidung vom 30.04.2019 - 4 T 58/19 -